Kritik – Seite 7 – Jazzclub Biberach e.V.

18.03.2022: Gabriel Mbanda Quintett

Gabriel Mbanda Quintett präsentiert neue CD im Jazzkeller

Begeisterte Aufbruchsstimmung mit „Iwiye“

BIBERACH – An Selbstvertrauen fehlte es dem umtriebigen Wahlbiberacher Gabriel Mbanda aus Kamerun sicher nicht. Vor ausverkauftem Haus – pandemiebedingt leider nur mit 60 Prozent der Kapazität, 3G-Regel und FFP2-Maske – erschien der afrikanische Bandleader des Quintetts ganz alleine mit seinem Kontrabass auf der mit reichlich technischem Equipment vollgestellten Bühne des Jazzkellers. Mit einem kontrapunktisch angelegten Vokalsolo interagierte er mit seiner eigenen Basslinie und schlug so unmittelbar eine Brücke zu dem erwartungsvollen Publikum bevor er noch die Band dazu holte.

In einem ausgewogenen, transparenten Soundkontext agierten – nach nur drei gemeinsamen Proben in Stuttgart – die fünf Musiker ohne merkliche Abstimmungsprobleme mit sichtlicher und hörbarer Begeisterung die Stücke aus der Feder von Gabriel Mbanda. Mit dem ebenfalls in Biberach lebenden Peruaner Cesar Gamero an diversen Perkussions-Instrumenten, dem Ulmer Jazzschlagzeuger Christian Krischkowsky, dem Münchner Trompeter Julian Hesse und dem vielfach preisgekrönten Stuttgarter Martin Sörös am Kawaiflügel hatte Mbanda eine erlesene Auswahl an Musikern zusammengestellt, die bestens harmonierte und keineswegs nur einen Pflichttermin absolvierte.

Gegenüber Mbandas aktueller während der Coronazeit entstandenen CD-Produktion „Iwiye“ waren die Livedarbietungen um eigentlich überflüssige Background-Sounds und bloße Klangteppiche entschlackt, ruhten aber dennoch in schwebender Leichtigkeit auf einem tragfähigen Gefüge aus perkussiven, hochenergetischen Stimulanzien der Schlagzeugabteilung und einem dezent mit Effekten angereicherten Wohlfühl-Sound. Iwiye – die Morgenröte – steht, wie der gleichnamige Titelsong, für eine hoffnungsvolle Aufbruchsstimmung, für einen optimistischen, persönlichen Stilmix ohne Berührungsängste und vielleicht auch für neue Hoffnung auf eine Zeit nach Corona.

Die spannende Polarisierung zwischen schlichten, meist pentatonisch oder repetitorisch angelegten, eingängigen Melodien sowie der samtig-einschmeichelnden Stimme Mbandas, griffigen, ostinaten Begleitformeln im E-Bass, einfühlsamen Flügelhornpatterns, brillanten und variantenreichen Klavier-Fill-Ins und einer hochkomplexen Rhythmussektion, die auch in ungeraden Taktarten wie 5/4- oder 7/8-Takten souverän groovte, hauchte den Texten Leben ein, gab ihnen Überzeugungskraft und Tiefe. In seiner Moderation versäumte es Mbanda glücklicherweise nicht, seinen Zuhörern Übersetzungen der Songtexte und weitere Hintergrundinformationen zu liefern.

So gestand er offen ein, dass der Kontakt zu karibischen Musikern, deren Musik sich ja ebenfalls aus afrikanischen Wurzeln speist, ihn in ein divergentes Spannungsfeld zur Musik des heutigen Kamerun versetzte. Es zeichnet ihn aus, dass er – nicht nur in dem Titel „Mu Samba“ – eine sensible Liaison zwischen den unterschiedlich interpretierten afrikanischen Wurzeln und weltmusikalischer Offenheit fand. Der Titel „Struggles of Joseph“ spiegelte die Auseinandersetzung mit biblischen Themen wieder, während er in Stücken wie „For You“ sich offen an sein Publikum wandte und dieses aktiv einbezog. Durfte dieses im Titel „Léyè Mbe“ bereits im Unisono mitsingen, brachte der als Zugabe erneut gespielte Titel noch eine weitere Steigerung. Zu einem dreistimmigen Kanon des kurzerhand eingelernten Publikums, aufgeteilt auf die Vokale „a“, „i“ und „o“, improvisierte Mbanda über der einprägsamen Melodie spontan noch eine Überstimme im Scatstil und erntete auch dazu langanhaltenden Applaus, der von den aufgekratzten Musikern mit einer weiteren Zugabe belohnt wurde.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

11.02.2022: Maltett

Hochenergetischer Formel 1 Jazz mit dem „Maltett“

BIBERACH – Die letzten Sheets seiner Eigenkompositionen wurden erst auf der Autofahrt nach Biberach fertig. Neu oder umgeschrieben um den kurzfristig ausgefallenen Trompeter durch einen weiteren Tenorsaxophonisten zu ersetzen. Adrian Gallet aus Reilingen bei Hockenheim sprang ein für den erkrankten Jakob Bänsch, der seinerseits bereits Gabriel Rosenbach aus der Stammbesetzung des fünfköpfigen „Maltetts“ ersetzen sollte. Auf diese Weise kam das, trotz der derzeit üblichen Maskerade von Anfang an hell begeisterte Fanpublikum im Jazzkeller in den Genuss, die stilistische Entwicklung von wenigstens drei der fünf jungen Musiker im Verlauf der letzten vier Jahre zu verfolgen.

Neben dem Kopf des „Maltetts“, dem Jazzschlagzeuger Malte Wiest aus Oberhöfen bei Biberach, waren auch die beiden Tenorsaxophonisten bereits 2018 mit „Tenor Madness“ als eine der jüngsten Jazzbands des Landes im Jazzkeller zu hören. Die „unbekümmerten Exkursionen durch die weiten Gefilde des Jazz“ von damals haben seither nichts an Frische verloren, hingegen deutlich an Substanz und Tiefe gewonnen. Die ersten Ansätze seines Personalstils werden nach einigen Hochschulsemestern in Mainz bei dem quirligen Ausnahmedrummer nun deutlich konturierter.

Spielt das Schlagzeug im modernen Jazz generell eine immer zentralere Rolle, wirkt stimulierend und antreibend und längst nicht mehr nur begleitend mit einer Wiederholung immer gleicher Rhythmuspatterns, so erfährt dieses Prinzip besonders auch bei Malte Wiest eine weitere Steigerung. Hochdifferenzierte, komplexe Strukturen von filigran bis brachial, technisch ausgefeilt, musikalisch eigenständig, druckvoll und in permanenter Interaktion mit den Mitspielern ließen eben diesen dennoch genügend Freiraum für eigene Akzente.

Lukas Wögler, Tenorist der Stammbesetzung und „Ersatztrompeter“ Adrian Gallet am zweiten Tenorsaxophon zeigten, dass sie es zwischenzeitlich nicht verlernt haben, in der ungewöhnlichen Instrumentenkombination zu dialogisieren, zu konkurrieren und dennoch zu harmonieren. Gerade auch die bei scharfen und absichtsvollen Dissonanzen souverän und in sauberer Intonation durchgehaltenen Reibungen erhöhten die schon aus der komplexen Rhythmik resultierenden Spannungsimpulse, trieben die Stücke in einer ausgefeilten Dramaturgie unaufhaltsam zu immer neuen Höhepunkten. Wie in der Formel Eins gehörten abrupte Brems- und Beschleunigungsmanöver, hohe Kurvengeschwindigkeiten und Höchstgeschwindigkeit auf den freien Strecken zur Dynamik des Quintetts.

Zunächst mit etwas gebremstem Schaum, vielleicht auch der pandemiebedingt generell reduzierten Konzerttätigkeit geschuldet und deutlich an den doch etwas angespannten Mienen der Akteure abzulesen, lockerte sich die Atmosphäre im zweiten Set deutlich. Ausgehend von dem voller Leidenschaft aufspielenden Kontrabassisten Grégoire Pignède ließen sich die Mitakteure mehr und mehr von seiner Spielfreude und Lockerheit anstecken. Eifriger Szenenapplaus und anfeuernde Rufe aus den Reihen der Zuhörer erweckten auch den aus Schramberg stammenden Pianisten Valentin Melvin zu immer virtuoseren Einlagen am Kawaiflügel. Für eine willkommene klangliche Abwechslung sorgte dabei das legendäre Fender Rhodes E-Piano, dessen charakteristischer Sound an die R’n’B-, Soul- und Jazz-Rock-Ära erinnerte.

Die Eigenkompositionen des Schlagzeugers aus der Kaderschmiede von Markus Merz, besonders „Aero“ und „Take Two“ aber auch das kryptische „Mu Eins“ oder der als Zugabe gespielte, eigenwillige „Blues Or Not Blues“ ließen neben den meist gegen den Strich gebürsteten Standards der großen Meister keine signifikanten Schwächen erkennen. Besonders Kompositionen von Wayne Shorter (Speak No Evil, Nefertiti) mit Anklängen an den Jazz-Rock der 70er Jahre oder als eines der Highlights des Abends, die „Fried Pies“ von Wes Montgomery, zeigten die Wurzeln und Kraftquellen des überaus dynamischen Bandkonzeptes auf und zeichnen möglicherweise auch den durchaus erfolgsversprechenden, zukünftigen Weg der Newcomer vor. Das Selbstbewusstsein, einen abwechslungsreichen Abend mit Eigenkompositionen zu beschließen, ist jedenfalls schon vorhanden.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

21.01.2022: Laura „Quiet Land“

LAURA sings – Quiet Land

Mit Schwung aus der kulturellen Depression

BIBERACH – Überaus freudige, erwartungsvolle Gesichter eines aufmerksamen Publikums in der locker entspannten Atmosphäre des Biberacher Jazzkellers korrespondierten zum Auftakt der neuen Konzertsaison mit drei hochmotivierten, spielfreudigen Künstlern um die aufstrebende junge Jazzsängerin Laura Kipp. Mit ihrem 2021 von Jens Loh und Cornelius Claudio Kreusch produzierten Debut-Album „LAURA QUIET LAND“ schaffte es die aus Reutlingen stammende, gefeierte Newcomerin innerhalb kürzester Zeit in die TOP 2 der Amazon Bestseller Charts im Bereich „Vocal Jazz“. Genau dieses taufrische Album präsentierte Laura nun Live im bereits Tage vorher ausverkauften Jazzkeller (pandemiebedingt leider nur mit 50% der üblichen Gästezahl und 2G+) und obwohl Weihnachten schon vorbei ist, ging das handsignierte Album nach dem Konzert weg wie warme Semmeln.

Jens Loh, nach mehreren Auftritten im Biberacher Jazzkeller in der örtlichen Szene beileibe kein Unbekannter mehr, gilt nicht umsonst als einer der besten Kontrabassisten Deutschlands. Als Komponist, gefragter Sideman, Bandleader und Produzent hat er sich einen großen Namen gemacht und diesem im inspirierten Live-Act jetzt mal wieder alle Ehre. Seine unnachahmlichen, teils akkordischen, teils plastisch-melodischen und häufig durch seine Singstimme gedoppelten Improvisationen atmen zeitgenössischen Jazz in Reinform.

Der in Chicago gebürtige Schlagzeugdozent der Stuttgarter Musikhochschule, Eckhard Stromer, erwies sich als nimmermüdes Kraftwerk und Energiezentrum des illustren Quartetts. Zuletzt vor knapp drei Jahren mit dem hochdekorierten Axel-Kühn-Trio in Biberach zu hören, ließen besonders seine temperamentvollen quirligen Soli die Augen größer, die Ohren weiter und den Beifall lauter werden.

Der klassisch ausgebildete, französische Jazzmusiker und Bill Evans Schüler William Lecomte zauberte mit seinem zupackenden, variantenreichen Klavierspiel und hochvirtuosen Improvisationen mehr als nur einen Hauch der großen, weiten Welt in den gut abgestimmten Bandsound. Relaxte, balladenhafte Patterns, dynamische Funky-Rhythmen, rasante Skalen oder vollgriffige Riffs in der Komplexität elaborierter Klavierkonzerte ließen einen schon vom Zuhören schwindelig werden.

Mit diesem hochkarätigen Klaviertrio allein wäre eigentlich bereits ein niveauvolles und inspirierendes Konzert angesagt gewesen. Die Bühnenpräsenz, das Outfit, die natürliche und doch wandelbare Stimme, und vor allem die Energie und künstlerische Überzeugungskraft von Laura Kipp vermochten es nicht nur, die ausgebufften Profis dieser Truppe zu bändigen und allzeit die Strippen in der Hand zu halten. Ohne dominant zu wirken, ließ sie sich von ihren Männern auf Händen zu veritablen Höchstleistungen tragen und faszinierte mit einer verblüffenden Stilsicherheit und Reife, außerordentlicher Expressivität, traumwandlerischer Intonation und prickelnden Groove.

Die vielseitigen Kompositionen des neuen Albums „Quiet Land“ von Jens Loh mit den Texten von Laura Kipp vermitteln eine warmherzige, positive Lebensfreude, die sich auch an den kleinen, alltäglichen Dingen des Lebens entzündet. Ein erholsamer Gang durch den „Jardin de Luxembourg“ in Paris und Lauras, von ihrer zweiten Wahlheimat Paris inspirierte Eigenkomposition „Meme si tu dors“ gehen ebenso unter die Haut wie die Vokalise-Passagen und entspannten Scatsilben in „Still“ oder „S’goed Niet Goed“. Eingängiges Musical- oder Latin-Feeling, der durch den Einsatz einer Clavietta (William Lecomte) mit französischem Esprit angereichte Song „All we ever tried“, das als Hommage an ihren anwesenden Bruder gedachte „Little Stevie“ und besonders der bereits für das nächste Album vorgesehene, komplexe und vielversprechende Titel „Oh, I could write a book“ lassen einen gereiften Stil erkennen, der trotz seiner stilistischen Bandbreite keinen Gedanken an Eklektizismus aufkommen lässt.

Nach einem solchen Saisonauftakt dürfte es trotz renommierter Namen für die Bands der monatlich nachfolgenden Jazzkonzerte heuer nicht leicht werden. Der Weg aus der kulturellen Depression ist jedoch mit großem Schwung beschritten und die Hoffnung ist groß, dass der Silberstreif nicht in einem erneuten Lockdown versandet.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

12.11.2021: Travon Anderson & Walter Fischbacher Trio

Mit Vollgas in die gute Laune

Travon Anderson und Walter Fischbacher Trio begeistern im Jazzkeller

BIBERACH – Waren viele Fans von Elisabeth Lohninger zunächst noch etwas enttäuscht darüber, dass die Diva wegen einer Stimmbandentzündung ganz kurzfristig nicht im Duett mit Travon Anderson beim Freitagskonzert des Jazzclubs auftreten konnte, so schmeichelte sich die samtweiche, dabei jedoch höchst modulationsfähige und ausdrucksstarke Stimme der amerikanischen Gospel- und Soul-Koryphäe den nach 2G-Regeln nur in reduzierter Zahl zugelassenen Gästen alsbald in die Herzen. Der energetisch zupackende Jazz-Rock-Fusion-Groove des international besetzten Walter Fischbacher Trios tat ein Übriges um die Stimmung zu heben und das Damoklesschwert der Pandemie in Vergessenheit geraten zu lassen. Es zeugte von der Professionalität des Trios und vor allem des routinierten Sängers Travon Anderson (und dessen ausgedehnter Sonderprobe am Nachmittag), dass es dem verbleibenden Programm an nichts mangelte.

Die immense Ausdruckstiefe und stilistische Bandbreite des in New York lebenden Sängers adelte selbst Titel von Gregory Porter, Tina Turner, Sting oder den Beatles. Keinesfalls dahinter zurück blieben aber die Originalkompositionen von Elisabeth Lohninger, die neben anderen Highlights im Abendprogramm auch auf ihrer jüngsten, im Lockdown von ihr und Walter Fischbacher in deren New Yorker Tonstudio „Lofish“ produzierten CD „Life Lines“ zu finden sind. Der Titelsong „Alegria“, mit lebhaften lateinamerikanischen Rhythmen verbreitete ganz im Wortsinn Lebensfreude pur, „Shadows Fall“ im relaxten Bossa-Feeling ging bevorzugt in die Beine, ließ manchen Fuß oder Kopf mitwippen. Selbst Sting‘s „Shape Of My Heart“ atmete durch Travon Anderson dessen entspannte Grandezza. Ausgedehnte, spielerische Schlagzeugsoli von Ulf Stricker, oft auch im virtuosen Dialog mit Walter Fischbacher am Kawaiflügel sowie inspirierte, melodische Soli am schlanken Reisekontrabass lösten wahre Begeisterungsstürme aus. Bei einem größeren Publikum hätte wohl der Saal getobt.

Walter Fischbachers Konzept, bekannte Titel aus der Rock-Pop-Soul-Ära der letzten Dekaden gewissermaßen als zeitgenössische Standards zu covern, ist durch und durch der Idee des Jazz verpflichtet, glücklicherweise ohne sich dadurch fesseln zu lassen. Liebevoll und überaus kundig mit den stilistischen Mitteln der über hundertjährigen Jazztradition aufbereitet und arrangiert, manchmal auch bewusst gegen den Strich gebürstet, jedoch immer sorgfältig in einen frischen, zeitgenössischen Fusion-Sound gekleidet und aus leidenschaftlich sprühender Spielfreude gespeist, animierten die Songs zum Mitfühlen, zum Miterleben und gelegentlich sogar zum aktiven Mitmachen.

Lang anhaltender Beifall sichtlich dankbarer Besucher fand sein Feedback in zwei Zugaben und – sicherlich auch der Vorweihnachtszeit geschuldet – einem reißenden Absatz der mitgebrachten CDs. Das Rundumwohlfühlpaket Fischbacher-Anderson vermittelte mehr als nur einen Hoffnungsschimmer in einer grauen, pandemiegeprägten Zeit. Befreites Durchatmen und zufriedene Gesichter des Publikums nach dem Konzert, lächelnde, aufgekratzte Musiker sowie entspannte Veranstalter wirkten nicht nur wie ein erfüllter Augenblick niveauvoller Unterhaltung sondern bargen das Versprechen auf eine hoffnungsvolle Zukunft.

Text: Dr. H. Schönecker
Fotos: W. Volz (Titelfoto), H. Schönecker (Galerie)

15.10.2021: Essichessenz

„Essichessenz“ beschert Gute-Laune-Musik

Ravensburger Blues-Lady begeistert ihr Biberacher Publikum

BIBERACH – Auf Einladung des Biberacher Jazzclubs schenkte Sabine Essich, lebenserfahrene Jazz- und Blues-Ikone aus dem benachbarten Ravensburg, den ausgehungerten Jazzbibern und einem dankbaren, unter 3G-Regeln durchaus zahlreichen Publikum im Jazzkeller einen Konzertabend voll guter Laune. In entspannter Wohlfühlatmosphäre sprang bereits mit dem ersten Titel – Fats Wallers Honeysuckle Rose – der berühmte Funke über. Mit ihrer sonoren und wandlungsfähigen Altstimme und einer charismatischen und dabei unaufdringlichen Bühnenpräsenz rannten die Sängerin und ihr illustres Begleittrio offene Türen ein und durften erst nach weit über zwei Stunden und nicht ohne zwei Zugaben von der Bühne.

Mit einer ausgewogenen Mischung aus Blues, Swing, Latin Jazz, stimmungsvollen Balladen und sogar einigen jazzaffinen deutschsprachigen Titeln traf das Quartett auf begeisterungsfähige Zuhörer und offene Ohren. Da der reguläre Gitarrist krankheitsbedingt ausfiel, wurde die Begleitband kurzerhand umgestellt. Der Kontrabassist Klaus Füger wechselte auf die Gitarre, am Bass sprang Heiner Merk ein und am Schlagzeug werkelte sein Bruder Andieh Merk. Rundum überzeugend waren dabei nicht nur das jazztypische Timing, die heiße Intonation und breite Ausdruckspalette der Frontfrau. Auch der ebenso quirlig wie dezent groovende Drummer, der gediegen und banddienlich agierende Kontrabassist und vor allem der abwechslungsreich und eben gerade nicht mit standardisierten Patterns begleitende und improvisierende „Ersatz-Gitarrist“ trugen zum Erfolg der Veranstaltung bei. Die Spielfreude der Künstler war mit Händen greifbar, begeisterte Anfeuerungsrufe aus dem Parkett motivierten diese zu immer neuen Höchstleistungen.

Unter die Haut gingen neben den eindringlichen Bluestiteln, wie „Black Coffee“ oder „Fine and Mellow“ besonders auch die wenigen, feinsinnigen Eigenkompositionen von Sabine Essich, etwa über ihre derzeit vom Vulkanausbruch bedrohte zweite Heimat „La Palma“, den grünen Mond oder „Verde Luna“. Die lyrischen Improvisationen von Gitarrist Klaus Füger mit ihren überaus plastischen Motiven überzeugten ebenso wie die virtuosen rhythmischen Exerzitien in den Soloeinlagen des immer gut gelaunten Andieh Merk am Schlagzeug. Souverän und abgeklärt, nicht nur am Kontrabass sondern auch in den pianistischen Einlagen am Flügel wie in „Kauf dir einen bunten Luftballon“, erwies sich der im Verlauf des Abends sichtlich auftauende Heiner Merk. Authentisch wirkten auch die lateinamerikanischen Nummern wie „Besame Mucho“, auf Deutsch gesungen: „Tausend Mal möcht‘ ich dich küssen“ oder das brasilianisch lapidare „Masquenada“.

Pures Unterhaltungsfeeling atmeten die Swing-Nummern, darunter Duke Ellingtons weitgereister „Caravan“, der Evergreen „Fly Me To The Moon“ oder das als erste Zugabe gespielte „Mercy, Mercy, Mercy“. Zusammengehalten wurde all dies durch die informative und unaufgeregte Moderation von Sabine Essich, die im Verlauf des zweiten Sets, ob ihrer leidenschaftlichen und engagierten Interpretation dann doch auch noch den einen oder anderen Schweißtropfen vergoss. Warum denn in die Ferne schweifen, mag sich mancher Konzertbesucher gefragt haben, wenn doch ganz in der Nähe solche Talente auf ihre Neu- oder Wiederentdeckung lauern. Sabine Essichs erster Auftritt in Biberach dürfte jedenfalls noch nicht ihr letzter gewesen sein. Essichessenz war und ist essenziell.

 

Text: Helmut Schönecker
Fotos: Wolfgang Volz (Sabine Essich), Helmut Schönecker (Band)

25.09.2021: Tango Sí!

Tango Sí! – 100 Jahre Piazzolla

Mit Tangos, Milongas und viel Pep heraus aus der kulturellen Depression

BIBERACH – Anlässlich des 100. Geburtstages von Astor Piazzolla legte die multinational besetzte Formation „Tango Sí“ aus Stuttgart auf Einladung von Jazzclub und TSV Risstino am Samstagabend im Biberacher Jazzkeller nach langer Abstinenz in Sachen Live-Musik einen schwungvollen Saisonauftakt nach Maß hin.

Zur Minimierung des coronabedingten Risikos hatten die beiden Vereine kooperiert, zusätzlich gab es für die Band eine Förderung im Rahmen der Initiative „Kunst trotz Abstand“. Das Unwohlsein der Veranstalter darüber, ob das Publikum unter den aktuellen 3G-Regeln das Konzert annehmen würde, erwies sich glücklicherweise als völlig unbegründet. Alle durch das Hygienekonzept freigegebenen Plätze konnten besetzt werden. Gleich zwei Zugaben rundeten das Programm ab und zeugten von der allseitigen Begeisterung.

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