Hochenergetischer Formel 1 Jazz mit dem „Maltett“
BIBERACH – Die letzten Sheets seiner Eigenkompositionen wurden erst auf der Autofahrt nach Biberach fertig. Neu oder umgeschrieben um den kurzfristig ausgefallenen Trompeter durch einen weiteren Tenorsaxophonisten zu ersetzen. Adrian Gallet aus Reilingen bei Hockenheim sprang ein für den erkrankten Jakob Bänsch, der seinerseits bereits Gabriel Rosenbach aus der Stammbesetzung des fünfköpfigen „Maltetts“ ersetzen sollte. Auf diese Weise kam das, trotz der derzeit üblichen Maskerade von Anfang an hell begeisterte Fanpublikum im Jazzkeller in den Genuss, die stilistische Entwicklung von wenigstens drei der fünf jungen Musiker im Verlauf der letzten vier Jahre zu verfolgen.
Neben dem Kopf des „Maltetts“, dem Jazzschlagzeuger Malte Wiest aus Oberhöfen bei Biberach, waren auch die beiden Tenorsaxophonisten bereits 2018 mit „Tenor Madness“ als eine der jüngsten Jazzbands des Landes im Jazzkeller zu hören. Die „unbekümmerten Exkursionen durch die weiten Gefilde des Jazz“ von damals haben seither nichts an Frische verloren, hingegen deutlich an Substanz und Tiefe gewonnen. Die ersten Ansätze seines Personalstils werden nach einigen Hochschulsemestern in Mainz bei dem quirligen Ausnahmedrummer nun deutlich konturierter.
Spielt das Schlagzeug im modernen Jazz generell eine immer zentralere Rolle, wirkt stimulierend und antreibend und längst nicht mehr nur begleitend mit einer Wiederholung immer gleicher Rhythmuspatterns, so erfährt dieses Prinzip besonders auch bei Malte Wiest eine weitere Steigerung. Hochdifferenzierte, komplexe Strukturen von filigran bis brachial, technisch ausgefeilt, musikalisch eigenständig, druckvoll und in permanenter Interaktion mit den Mitspielern ließen eben diesen dennoch genügend Freiraum für eigene Akzente.
Lukas Wögler, Tenorist der Stammbesetzung und „Ersatztrompeter“ Adrian Gallet am zweiten Tenorsaxophon zeigten, dass sie es zwischenzeitlich nicht verlernt haben, in der ungewöhnlichen Instrumentenkombination zu dialogisieren, zu konkurrieren und dennoch zu harmonieren. Gerade auch die bei scharfen und absichtsvollen Dissonanzen souverän und in sauberer Intonation durchgehaltenen Reibungen erhöhten die schon aus der komplexen Rhythmik resultierenden Spannungsimpulse, trieben die Stücke in einer ausgefeilten Dramaturgie unaufhaltsam zu immer neuen Höhepunkten. Wie in der Formel Eins gehörten abrupte Brems- und Beschleunigungsmanöver, hohe Kurvengeschwindigkeiten und Höchstgeschwindigkeit auf den freien Strecken zur Dynamik des Quintetts.
Zunächst mit etwas gebremstem Schaum, vielleicht auch der pandemiebedingt generell reduzierten Konzerttätigkeit geschuldet und deutlich an den doch etwas angespannten Mienen der Akteure abzulesen, lockerte sich die Atmosphäre im zweiten Set deutlich. Ausgehend von dem voller Leidenschaft aufspielenden Kontrabassisten Grégoire Pignède ließen sich die Mitakteure mehr und mehr von seiner Spielfreude und Lockerheit anstecken. Eifriger Szenenapplaus und anfeuernde Rufe aus den Reihen der Zuhörer erweckten auch den aus Schramberg stammenden Pianisten Valentin Melvin zu immer virtuoseren Einlagen am Kawaiflügel. Für eine willkommene klangliche Abwechslung sorgte dabei das legendäre Fender Rhodes E-Piano, dessen charakteristischer Sound an die R’n’B-, Soul- und Jazz-Rock-Ära erinnerte.
Die Eigenkompositionen des Schlagzeugers aus der Kaderschmiede von Markus Merz, besonders „Aero“ und „Take Two“ aber auch das kryptische „Mu Eins“ oder der als Zugabe gespielte, eigenwillige „Blues Or Not Blues“ ließen neben den meist gegen den Strich gebürsteten Standards der großen Meister keine signifikanten Schwächen erkennen. Besonders Kompositionen von Wayne Shorter (Speak No Evil, Nefertiti) mit Anklängen an den Jazz-Rock der 70er Jahre oder als eines der Highlights des Abends, die „Fried Pies“ von Wes Montgomery, zeigten die Wurzeln und Kraftquellen des überaus dynamischen Bandkonzeptes auf und zeichnen möglicherweise auch den durchaus erfolgsversprechenden, zukünftigen Weg der Newcomer vor. Das Selbstbewusstsein, einen abwechslungsreichen Abend mit Eigenkompositionen zu beschließen, ist jedenfalls schon vorhanden.
Text und Fotos: Helmut Schönecker