Kritik – Jazzclub Biberach e.V.

09.03.2024: Duo Schlesinger Lackerschmid

Jazz-Duo Schlesinger-Lackerschmid bei den Jazzbibern
Innig, entspannt und mit phänomenalem Tiefgang
BIBERACH – Nach acht langen Jahren endlich mal wieder in Biberach, konnte der in Ehingen aufgewachsene und weit gereiste Augsburger Komponist und Star-Vibrafonist Wolfgang Lackerschmid mit seiner Lebensgefährtin und Duo-Partnerin Stefanie Schlesinger vor vollem Hause im Jazzkeller seine alten Fans rundum begeistern und viele neue hinzugewinnen. Die Programmauswahl bot einen eindrucksvollen Querschnitt durch die Historie des gemeinsamen Œuvres mit einem Schwerpunkt auf lyrische Preziosen, jazzige Parodien von Opernarien und einen Rekurs auf Lackerschmids bedeutsame Zusammenarbeit mit Chet Baker und Ronnel Bey. Lackerschmids Gedichtvertonungen des Augsburgers Bert Brecht und die Vertonungen der teilweise recht deftigen Briefe des jungen Mozarts an sein Augsburger Bäsle Anna Thekla spielten dabei ebenso eine Rolle wie ungewöhnliche Neuauflagen alter Musicalsongs und ausgewählter Standards aus dem American Songbook.
Auch wenn sich das Wort „innig“ nicht mehr allzu häufig im heutigen Sprachgebrauch findet, gibt es kaum eine treffendere Umschreibung dessen, was bei der künstlerischen Umsetzung der musikalischen Intentionen des bestens aufeinander eingestimmten Duos zu hören war: eine aus tiefstem Herzen kommende, tief empfundene und dennoch reflektierte Emotionalität als Grundlage für eine subtile Interpretation äußerst sorgfältig und mit intellektuellem Scharfsinn gewählter literarischer Vorlagen. Eine Interpretation, der aufgrund der souveränen Beherrschung von Stimme und Instrument keinerlei technische Hürden im Wege standen, ließ die mit viel Raffinesse dargebotenen Stücke zu einzigartigen Erlebnissen oder gar Ereignissen werden und schlugen das Publikum augenblicklich in ihren Bann. Frappierend war vor allem die bei aller stilistischen Bandbreite gleichermaßen hochkarätige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Sujet. Ansprechend und anspruchsvoll gehen bei diesem Duo hör- und sichtbar Hand in Hand.
Ob traditionelle Jazzballaden wie Sinatras „Angel Eyes“ oder Monks „Round Midnight“ plötzlich harmonisch entkernt oder im ungewohnten 5/4-Takt erschienen, ob sich die Arie des Pagen Cherubino „Non so più cosa son, cosa faccio“ aus Mozarts „Le Nozze de Figaro“ in eine jazzige Persiflage verwandelte, Doris Days herzergreifendes „Secret Love“ sich neben Chet Bakers und Wolfgang Lackerschmids melancholisch verhauchtem „Why shouldn’t you cry“ und dem bevorzugten Gute-Nacht-Song des gemeinsamen Sohnes „Cheek to cheek“ wiederfand, steckte in der abwechslungsreichen Abfolge doch eine durchdachte Dramaturgie. Und obwohl viele der Kompositionen ursprünglich für meist größere Besetzungen geschrieben wurden, schienen sie in der Duo-Besetzung noch an Intensität zu gewinnen. Die wandlungsfähige und ausdrucksstarke, auch klassisch gebildete Singstimme von Stefanie Schlesinger hatte daran maßgeblichen Anteil. Selbst gelegentliche Scat-Einlagen als Imitation von Chat Bakers Trompeten-Improvisationen kamen rundum überzeugend und stilsicher. Ihre Interpretation von Lackerschmids „One more Life“, im Original von 1991 gesungen von der Afroamerikanerin Ronnell Bey und gerade als bester Filmsong für das Cannes World Film Festival nominiert, braucht sich hinter dem Gänsehaut erzeugenden Original nicht zu verstecken. Wolfgang Lackerschmids Begleitung am Vibrafon oder gelegentlich auch am Flügel erschien organisch mit der gleichermaßen natürlichen und kultivierten Singstimme Schlesingers verwachsen.
Langanhaltender Applaus, mehrere Zugaben und ein Rückstau am CD- und LP-Verkaufsstand veredelten einen gediegenen Konzertabend voll erfüllter Augenblicke und ganz ohne Effekthascherei. Die Wartezeit auf das nächste Konzert mit den beiden Künstlern sollte nicht allzu lange ausfallen.
Text und Fotos: Helmut Schönecker

25.02.2024: The Jakob Manz Project

„Maltes Mops motzt“ im ausverkauften Jazzkeller

„The Jakob Manz Project“ überzeugt mit „The Answer“

BIBERACH – Die ultimative Antwort auf die Frage aller Fragen, nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest, lautet in Douglas Adams Kult-Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ schlicht und einfach „42“. Im ausverkauften Jazzkeller der Bruno-Frey-Musikschule gab der Senkrechtstarter der jungen deutschen Jazzszene, der Altsaxofonist Jakob Manz aus Dettingen, mit seinem leidenschaftlich groovenden Quartett eine etwas weniger mystische Antwort mit der umjubelten Livedarbietung seiner letzten, beim renommierten europäischen Label ACT Music im Januar 2024 erschienenen CD-Produktion „The Answer“.

Für Jakob Manz und seine Mitstreiter findet sich im Jazz die Antwort auf alles. In Abwandlung des berühmten Bonmots von Loriot über den Mops führte das energiegeladene Release-Konzert bei den Jazzbibern zweifelsfrei zu der Erkenntnis: „Ein Leben ohne Jazz ist möglich, aber sinnlos“. Frenetischer Beifall, mehrere Zugaben und ein reißender Absatz der mitgebrachten CDs und Vinylscheiben lieferten den abschließenden Beweis.

Im zarten Alter von 16 Jahren errang Jakob Manz, als einer der jüngsten Gewinner des seit 1990 im zweijährigen Turnus durchgeführten Biberacher Jazzpreises, 2018 mit seinem „The Jakob Manz Project“ den ersten Platz. Seither legte er eine überaus steile Karriere hin. Neben weiteren Preisen, zuletzt 2022 den Landesjazzpreis Baden-Württemberg, gab es regelmäßige Auftritte mit Max Mutzke, jüngst sogar mit Sarah Connor auf der Berliner Waldbühne, mit der SWR Bigband, mit Thomas Quasthoff, Randy Brecker, Wolfgang Dauner, Michael Wollny und vielen weiteren Jazzgrößen. Sie katapultierten das junge Ausnahmetalent am Altsaxofon schnell an die Spitze der deutschen Jazzszene. Mit seinem hochenergetischen Spiel, seinen komplexen Improvisationen und seiner zielgerichtet eingesetzten Virtuosität dominiert er das Geschehen auf der Bühne. Glücklicherweise fehlen aber im Programm auch nicht die lyrisch-empfindsamen Momente. In den nur spärlich eingesetzten balladesken Stücken kamen tiefe Emotionalität und die Fähigkeit zur plastischen Gestaltung auch weitgespannter Melodielinien zum Ausdruck.

Seine kongenialen Mitstreiter im „Project“, allen voran der für die meisten Kompositionen verantwortliche Pianist und Keyboarder Hannes Stollsteimer, interagieren mit ihm und untereinander offenbar auf einer höheren Daseinsebene. Minimale Absprachen führen zu maximalen Erträgen. Das feinfühlige, sensible Miteinander bildet dabei keineswegs einen Gegensatz zur zupackenden Energie des Funk- und Fusion-Jazz, dem die meisten Stücke des Programms huldigten. Neben dem glücklicherweise auch unverstärkt durchsetzungsfähigen Kawaiflügel kam, durchaus stiltypisch, gelegentlich ein bereits legendärer Prophet-Synthesizer zum Einsatz. Seine satten, schmatzenden und fetten Analog-Sounds harmonierten sowohl in den Begleitpatterns als auch im rasanten Unisono mit dem Saxofon bestens mit dem raumfüllenden Bandsound.

Für den straffen und knackigen Drum-Sound zeichnet seit letztem Sommer mit Leo Asal einer der führenden Nachwuchsdrummer Deutschlands verantwortlich. Asal bringt Einflüsse aus der Rap-, HipHop- und R’n’B-Szene in das Projekt mit ein. Frieder Klein alias „Sitting Bull“ entwickelt auf seinem 6-saitigen E-Bass einen für Funk und Jazzrock typischen, druckvollen Tiefbass-Sound, der sich im doppelten Wortsinn als fundamental für die passende Antwort auf alles erwies. Von ihm stammt die nicht nur vom Titel her witzige Komposition „Maltes Mops motzt“, die für große musikalische Erheiterung im kundigen Publikum sorgte.

Weitere Highlights im Programm waren die vom Mondlicht erleuchteten „Eyes of Crystals“ von Jakob Manz, Stollsteimers mitreißendes „Taking Off“ sowie dessen hochenergetisches „Keep On Burning“. Die letzte Zugabe kulminierte zur allgemeinen Begeisterung in einer enthusiastischen Call-and-Response-Improvisation von Jakob Manz unter interaktiver Einbeziehung des Publikums und setzte einen grandiosen Schlusspunkt hinter ein außergewöhnliches Jazzkonzert.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

23.02.2024: Peter Autschbach TA2

Peter Autschbach TA2 am 23.02.2024 im Biberacher Jazzkeller

Fusion-Jazz vom Feinsten

Bereits zum sechsten Mal seit 2007 gastierte der Ausnahmegitarrist Peter Autschbach beim Jazzclub Biberach. Bei so viel gegenseitiger Verbundenheit war es für seine Neuformation „TA2“ ein leichtes, den Funken der Begeisterung überspringen zu lassen. Die außergewöhnliche Jazzformation mit Marta Danilovich an der Violine, Jan Melnik an den Drums und dem Bassisten Nico Deppisch zeigte sich bestens aufgelegt, um den Kompositionen Autschbachs ihren eigenen und unverwechselbaren Ausdruck zu verleihen. Die variantenreichen E-Gitarrenklänge wurden durch präzises Unisono-Zusammenspiel mit Martas klassischer Geige auf besondere Weise betont und zeugen dafür, dass es sowohl weltmusikalisch aber auch rockig aufgespielt immer wieder Neues im Fusion-Jazz zu entdecken gibt. Wie variantenreich diese Formation agiert, erfährt man in Titeln wie „Spring“, dargebracht im 5/4tel-Takt, oder „Chasing the Beat“ im Unisono-Duett von E-Gitarre und Bass. Im Stück „Tina“ entrückt der Gitarrensound im Akkordbending zur baladenhaften Interpretation, um gleich danach im Stück „Godzilla“ wieder wild drauflos zu rocken. Die ganze Bandbreite seines Könnens bringt der Gitarrenvirtuose Autschbach nach der Pause mit seinem brillanten Solo auf der akustischen Frameworks-Gitarre zu Gehör. Hoch konzentriert folgen die Begleitmusiker ihrem Bandleader, Marta Danilovich changiert gekonnt zwischen Violine und Keyboard und brilliert auch als Sängerin. Jan Melnik überzeugt mit rasantem Schlagzeugdrive und Nico Deppisch sorgt sowohl mit geslapptem als auch mit sanfterem Walking Bass für das solide Klangfundament. Ob des variantenreich präsenten Gitarrenspiels überrascht es keinesfalls, dass Peter Autschbachs Simme selbst im melodisch kniffligen Unisono bestens mit seinem Instrument harmoniert. Alles in allem überzeugt das überaus harmonische Zusammenspiel von“TA2“, wunderbar ergänzt durch überraschend eingestreute Scats, filigranes Flagelotspiel von Violine und Gitarre, oder die an Zimbal erinnernden Klänge zum Stück „Oasis“, der gekonnte Wechsel von Rock- zu Fretless Bass, zusammengefasst in überschäumender Spielfreude des Ausnahmequartetts. Last not least lässt die augenzwinkernd und mit musikalischen Zitaten gespickte Solozugabe von Peter Autschbach über „Somewhere Over The Rainbow“ diesen Abend selbst nach drei Stunden Jazz vom Feinsten als viel zu früh endend erscheinen.

Text: Günter Friedhelm, Fotos: Wolfgang Volz

02.02.2024: Hübner-Kraus-Hübner Trio

Jazzkonzert zu Ehren von Richie Beirachs 75. Geburtstag

Musikalisches Testament mit Freunden

BIBERACH – Gleich zur Eröffnung des eigentlich zusammen mit dem amerikanischen Weltklasse-Pianisten Richie Beirach geplanten Konzertes gewährte das ungewöhnliche Trio aus Joo Kraus und den Brüdern Gregor und Veit Hübner einen unverstellten Blick in den „Werkzeugkasten“ eines Jazzmusikers. Im nahezu ausverkauften Jazzkeller sprühten die drei befreundeten Musiker, die in dieser speziellen Konstellation im Jazzkeller eine Uraufführung hinlegten, geradezu vor Energie. Galt es doch den erkrankten Richie Beirach, mit dem die Hübners (Violine und Kontrabass) zu dessen 75. Geburtstag eine Tripel-CD mit dem Titel „Testaments“ produziert hatten, hochkarätig zu ersetzen.

Die Suche nach einem kurzfristig verfügbaren Pianisten aus der selben Liga blieb leider vergeblich, der befreundete Trompeter Joo Kraus aus Ulm hatte jedoch zufällig Zeit und Lust in dieser so ungewöhnlichen Konstellation aufzutreten, er hatte den Mut oder die Chuzpe auch auf für ihn neuen, ungewohnten Pfaden zu wandeln. Galt es doch, Kompositionen, die ursprünglich für Violine, Klavier und Kontrabass konzipiert waren ohne Anlauf in neuer Besetzung umzusetzen. Unvermittelt konnten die erstaunten Besucher jetzt erleben, dass der renommierte Jazzgeiger Gregor Hübner seine Violine auf dem Flügel parkte und als veritabler Pianist und ehemaliger Klavierschüler von Richie Beirach selbst in die Tasten griff. Die Melodie übernahm dann etwa Joo Kraus an der Trompete, wenn er diese nicht gerade durch diverse Perkussionsinstrumente, Congas, Beatboxing oder wie seine beiden Mitstreiter mit einer ganzen Batterie virtuos gehandhabter elektronischer Helferlein via Fußpedal oder auch durch einen Wechsel an den Flügel ersetzte. Damit brachte er nicht nur spielerische Abwechslung ins Geschehen, er machte so auch ein manches Mal den Weg für Gregor Hübner frei, der dann auf der Violine zeigen konnte, wo seine wahre Leidenschaft liegt. Mit Hilfe der versiert eingesetzten Elektronik entstand immer wieder der Eindruck, es stünde ein ungleich größeres Ensemble auf der Bühne.

Eine der unzähligen Definitionen des Jazz bezieht sich auf die Freiheit, alles wegzulassen, was einem nicht passt (oder das, was eben gerade nicht geht). Ebendies konnte gleich zu Beginn des Konzertes beim Blick in den „Werkzeugkasten des Jazzmusikers“ in Echtzeit beobachtet werden. Die konstruktive Dekonstruktion des bekannten Jazzstandards „Equinox“ von John Coltrane und das kreative und gleichermaßen virtuose Spiel mit dessen Einzelteilen glich der Aufwärmphase eines Profisportlers vor dem großen Einsatz. Als eine der wenigen Fremdkompositionen des Abends gab sie den frühen Hinweis auf ein überaus spannendes, abwechslungsreiches künstlerisches Techtelmechtel zwischen den Musikern. Es folgten in ästhetisierter Form politische Kommentare in „Angry Times“, ein faszinierendes Kontrabass-Solo über ein persönliches Erlebnis von Veit Hübner oder eine ergreifende Elegie auf die kürzlich verstorbene „Heike“. Der musikalische Herzschlag Afrikas in „African Heartbeat“ pulsierte neben quirligen „Impressionen aus Brooklyn“. Indische und lateinamerikanische Einflüsse, Anklänge an die klassische Moderne sowie zahlreiche spontane Ingredienzien kombiniert mit einer gehörigen Portion Spielfreude und Spielwitz kennzeichneten ein reichhaltiges und hochkarätiges Programm, gewissermaßen in historischer Einmaligkeit. Gegen Ende des offiziellen Teiles widmete das spontan gebildete Trio mit dem von ihm komponierten „Sunday Song“ und „Cape of good Hope“ auch noch explizit eine Hommage an den erkrankten Richie Beirach.

Gregor Hübners Kompositionen, oft ursprünglich für sein eigenes Streichquartett komponiert, nahmen in dieser Besetzung ganz neue Gestalt an, kamen frisch und ungeniert im neuen Gewand daher. Veit Hübners Kompositionen, besonders ein ausgedehntes Solo nach der Pause oder sein „Lied für Heike“ gingen in ihrer Intensität unter die Haut. Bei dem experimentell angehauchten musikalischen Abenteuer der befreundeten Musiker kam ein in jeglicher Hinsicht originelles und unvergleichliches Programm heraus. Die Funken sprühten, das Publikum jubelte, die Musiker hatten sichtlich Spaß, eine Zugabe jagte die nächste. Und nach dem Konzert gingen sogar die mitgebrachten Tripel-CDs zur Neige. Einmal mehr erwies sich, dass menschliche Nähe und gegenseitiges Vertrauen gerade bei einer in großen Teilen improvisierten Musik wie dem Jazz Grundvoraussetzung für inspirierte und wahrhaftige Kunst sind. Wohl dem, der das erleben durfte.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

19.01.2024: Rebecca Trescher Quartett

Musikalische Grenzgänger zwischen Jazz und moderner Kammermusik

Rebecca Trescher Quartett wandelt abseits ausgetretener Pfade

BIBERACH – „Sometimes It’s Good to Walk Alone“ lautet eine der beim Freitagskonzert im Jazzkeller vorgestellten Kompositionen der in Tübingen geborenen Klarinettistin Rebecca Trescher. Unbeirrt und notfalls eben alleine geht diese denn auch souverän ihren eigenen künstlerischen Weg durch die „Silent Landscapes“, so der Titel ihrer neuesten CD, den sie in ihrem gut besuchten Konzert bei den Jazzbibern als „stilles Ländle“ übersetzte. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jazzpreis 2022 für die „Komposition des Jahres“, seit 2022 im weltgrößten US-amerikanischen Jazzmagazin „Downbeat“ als „Rising Star“ gelistet und ebenfalls im Jahr 2022 als Gewinnerin des „Neuen Deutschen Jazzpreises“ überzeugt die an der Hochschule für Musik in Nürnberg zunächst klassisch als Musikpädagogin und danach in einem Masterstudium zur Jazzkomponistin ausgebildete Künstlerin auch international mit ihrem ganz eigenen Weg zur Musik.

Hochdifferenzierte, minutiös ausgearbeitete Kompositionen in kammermusikalischem Zuschnitt, durchsetzt mit spontanen Improvisationen bei deren immer wieder neuen Interpretationen in jazztypischer Interaktion mit dem, durch den hohen Anspruch zum aktiven Zuhören durchaus geforderten Publikum kennzeichnen das avantgardistische Œuvre von Rebecca Trescher. Hilfreich für ein tieferes Verständnis erweisen sich dabei so blumige Titel wie „Seeking Spider“. Die spinnenfüßige Leichtigkeit des flüchtigen Tierchens, im einleitenden Klavierpart spritzig und federnd in glasklar perlenden Tonkaskaden dargestellt von Andreas Feith, wird jäh unterbrochen und konterkariert durch krachend klatschende Geräuschklänge von Jan Brill am Schlagzeug (Biberacher Jazzpreis für beste Komposition 2014 mit dem Kölner Trio „Turn“), die sich im Verbund mit dem agilen Kontrabassspiel von Lukas Keller zu einem munteren Groove einer am Ende für die Spinne zum Glück vergeblichen Jagd des Kammerjägers entwickeln. Eine samtig weiche Klarinettenmelodie kontrastiert das hektische Geschehen, weckt Sympathie für das Krabbeltier und leitet zu einem spritzigen Unisono aller Beteiligten über, welches sich im weiteren Verlauf in einer freien, tonmalerischen Passage beruhigt, bevor die Jagd erneut weitergeht.

Aus seinem eigenen Debütalbum „Surviving Flower“ aus dem Jahr 2020 erklang neben Rebecca Treschers Stücken die gleichnamige Komposition des heute in Nürnberg als freischaffender Künstler lebenden Pianisten und Komponisten Andreas Feith. Der Steinway-Jazzpiano-Solowettbewerb-Preisträger erhielt 2017 unter anderem auch den bayrischen Kunstförderpreis und war 2020 Finalist des Neuen Deutschen Jazzpreises. Mit der zutiefst depressiven Niedergeschlagenheit einer im finsteren Armageddon erloschenen Welt empfing das Stück seine sichtlich berührten Hörer bevor sich in Form der aus der Asche des Niedergangs hervorbrechenden, überlebenden Blume neue Hoffnung regte und sich im emotional tief beeindruckten Publikum befreites Aufatmen einstellte. Am Ende gab es enthusiastischen Beifall, gerne gewährte Zugaben und CDs zuhauf.

Text und Fotos: Dr. Helmut Schönecker, Jazzclub Biberach

12.01.2024: Tuija Komi Quartett

Magische Momente mit Tuija Komi im Jazzkeller

Finnische Jazzdiva liefert charismatische Performance

BIBERACH – Nach dem heimatbezogenen Programm des Vorjahres öffnete sich bereits zum Auftakt der neuen Konzertsaison das Musikangebot des rührigen Biberacher Jazzclubs und damit auch die Wahrnehmung der heimischen Jazzfans wieder der ganzen stilistischen und internationalen Bandbreite des Jazz. Ausgestattet mit einer außergewöhnlich wandelbaren, gleichwohl sympathischen und unaufdringlich eindrucksvollen Singstimme vermag es die in München lebende Tuija Komi, die Stimmungen ihrer nordischen Heimat exemplarisch einzufangen und ihnen plastische Gestalt zu verleihen. Die finnischen, schwedischen oder auch englischen Texte verschmelzen organisch mit ihrer feinsinnigen Interpretation und der subtilen Begleitung ihres neuen Quartetts zu einer künstlerischen Einheit ungewöhnlicher Ausdruckstiefe die rundum überzeugen kann. Ihre originellen, überwiegend auf Deutsch gehaltenen Moderationen überbrücken mühelos die Distanz zum Publikum, die gemütliche Wohnzimmer-Atmosphäre und die räumliche Nähe im Jazzkeller tun ein Übriges zum allgemeinen Wohlbefinden.

Die solistisch vorgetragene Hommage an ihre alte, derzeit gerade ziemlich unterkühlte, nordische Heimat in „Land of the midnight sun“ vermochte es, den weiten nordischen Himmel, die im Frost erstarrte Landschaft und das Zwielicht der Polarnacht eindrucksvoll einzufangen. Ebenso wie das direkt vor der Pause erklingende, zauberhafte „The Music is the magic“ von Abbey Lincoln oder die farbig schillernden „Polarlichter“ vermochte es die, zusammen mit dem legendären, erst vergangenes Jahr verstorbenen Jazztrompeter Dusko Goykovich komponierte balkanische „Samba tzigane“ in besonderem Maße die Herzen und Augen der enthusiastischen Zuhörer zu öffnen. Fast noch mehr unter die Haut ging die frenetisch herbei geklatschte zweite Zugabe über „Tanzende Rentiere“ mit ihren frei improvisierten Anteilen im Stile des „World-Jazz“. Nur selten dürfte solch eine innige Liaison von Power und Sentiment zu finden sein wie in diesem nordischen Energiebündel.

Es war schwer, sich vorzustellen, dass irgend jemand Tuija Komis langjährigen, kongenialen und 2021 viel zu früh verstorbenen Pianisten Walter Lang vollwertig ersetzen könnte. Mit Stephan Weiser ist es ihr jedoch gelungen, einen äußerst feinfühligen Begleiter zu finden, der trotz seiner unzweifelhaft vorhandenen Virtuosität, diese nicht eigennützig in den Vordergrund stellt. Die neueren Stücke tragen in Zuschnitt und Harmonisierung überdies auch seine charakteristische Handschrift. Für Konstanz und Zusammenhalt sorgten in bewährter Weise Henning Sieverts am Kontrabass und Martin Kolb am Schlagzeug.

Text und Fotos: Dr. Helmut Schönecker