Kritik – Jazzclub Biberach e.V.

03.05.2024: Christoph Stiefel Piano Solo

Schweizer Pianist entzückt Jazzbiber mit Soloprogramm
Mit Christoph Stiefel im Auge des Sturms
Wie in der seiner jüngsten Tochter gewidmeten Komposition „Zaubertrank für Eliane“ verabreichte der Züricher Pianist auch dem faszinierten Publikum im Jazzkeller ein magisches Elixier voller Poesie. Überwiegend aus seinem dritten Soloalbum „Sofienberg Spirits“ zusammengestellte Stücke entrückten viele Besucher in eine tranceartige Kontemplation. Aufgenommen in der gleichnamigen Kirche des mitten im Zentrum von Oslo gelegenen Sofienbergparks, einer grünen Oase der Ruhe in der pulsierenden norwegischen Hauptstadt, atmen die Stücke der CD auch den Geist dieses Ortes: entspannte Gemütlichkeit und Lebensfreude pur abseits des Großstadtrummels. Aufgelockert durch einige Standards entführten die meist isorhythmisch geprägten Stücke des Soloprogramms den geneigten Hörer in ein Paralleluniversum, in eine transzendental erweiterte Wirklichkeit, die erst zum wahren Kern des Daseins führt. Aus der Erkenntnis „In der Ruhe liegt die Kraft“ gespeist, geleiten Stiefels Stücke als musikalisch-meditative Exerzitien ins Innere des Selbst. Neben der feinsinnigen Plastizität der tonal geprägten Melodik und einer dezent erweiterten, pastellfarbigen Jazzharmonik führt vor allem die sich aus der Isometrie ergebende rhythmische Vielschichtigkeit zu einer schwebenden Leichtigkeit. Der unverbindlichen Offenheit freier Improvisationen stellt Stiefel die festgefügte, sich aber permanent gegeneinander verschiebende Überlagerung immer gleichbleibender rhythmischer und melodischer Patterns gegenüber. Die daraus resultierende, pulsierende Polyrhythmik gliedert die Zeit auf verschiedenen Ebenen, spiegelt so die komplexe Welt der Gegenwart und zwingt die Hörer wahlweise in den anspruchsvollen Nachvollzug der komplexen Strukturen oder auch zum völlig losgelösten, emotionalen Treibenlassen ins Nirvana, ins zeit- und raumlose Nirgendwo. Letzteres beflügelt durch die gelegentliche klangliche Verfremdung des akustisch gespielten Flügels mittels einer Präparation einzelner Saiten durch hölzerne Wäscheklammern oder den Einsatz von Malletschlägeln und elektromagnetischen Helferlein aus dem Tretminen-Fundus der E-Gitarristen. Die daraus resultierenden schwebenden Klänge, an tibetanische Klangschalen oder japanische Mallets erinnernd, vermittelten einen fernöstlichen „Touch“ und gemahnten ihrerseits an die traditionelle Teezeremonie und deren, dem Zen nahestehende Philosophie.
Text und Foto: Dr. Helmut Schönecker, Jazzclub Biberach

20.04.2024: Biberacher Jazzpreis

Internationaler Biberacher Jazzpreis 2024 mit starker Resonanz

Renner Trio aus München erringt den ersten Preis

BIBERACH – Mit über 30 zumeist hochkarätigen Bewerbungen erwies sich der 15. Biberacher Jazzpreis seit 1990 erneut als außerordentlich beliebt, ist er doch nach wie vor einer der wenigen international ausgeschriebenen Wettbewerbe ausschließlich für jugendliche Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker. Das hohe Niveau der fünf zum diesjährigen Finale zugelassenen Formationen kommentierte Jurymitglied Oliver Hochkeppel als Ergebnis einer schwierigen Auswahl der Allerbesten aus den sehr Guten. Neben dem breiten stilistischen Spektrum, vom Straight Ahead Jazz über den A Cappella Gesang zu Samba und einer Jazz-Avantgarde in kammermusikalischer Komplexität hinterließ auch die starke Publikumsresonanz beim überaus spannenden Finale in der stilvoll aufbereiteten Stadthalle bei den Veranstaltern, dem rührigen Jazzclub und dem Kulturamt Biberach, nur zufriedene Gesichter.

Nach einer knappen Begrüßungsrede der Kulturamtsleiterin Dorothea Weing nahm das straff durchgetaktete musikalische Kräftemessen seinen kurzweiligen Gang. Der zuvor ausgelosten Reihenfolge verdankte „Bluff“ den eher ungeliebten ersten Auftritt. Nach der mitreißenden Darbietung des in Berlin und Hamburg verorteten Quartetts und mit Malte Wiest einem Lokal Hero am Schlagzeug, glaubten bereits viele Besucher, den späteren Sieger oder doch zumindest den Publikumssieger gehört zu haben.

Doch bereits die folgende Formation, das fünfköpfige A-cappella-Ensemble „Lylac“ aus Mainz, verblüffte durch seine Andersartigkeit, durch die hohe Qualität und Komplexität der Eigenkompositionen und besonders auch durch die Perfektion deren stimmlicher Umsetzung. Die Improvisationsanteile fielen allerdings eher spärlich aus.

Das Quartett der Stuttgarter Schlagzeugerin Lisa Wilhelm wartete mit fantasievollen, eher lyrischen Sujets auf. Die Dramaturgie in der Abfolge der nicht unbedingt auf Effekte getrimmten Stücke war allerdings eher unglücklich gewählt, die Bühnenpräsenz ausbaufähig, die Anspannung deutlich spürbar.

Der Kontrast zum darauffolgenden Renner-Trio aus München war mit Händen zu greifen. Nur mit Posaune, Kontrabass und Schlagzeug zauberten die drei jungen Künstler mit stupender Virtuosität und souveräner Beherrschung ihrer Instrumente ein dichtes rhythmisch-melodisches Geflecht, in dem das fehlende Harmonieinstrument keinen Mangel sondern eine Inspiration darstellte. Die weich und sonor klingende Posaune von Moritz Renner, etwa in seiner Eigenkomposition „Motus“ mit einer „Multiphonics-Hommage“ an Albert Mangelsdorff versehen und einem packenden, überaus melodischen Kontrabass-Solo der aus Basel angereisten Tabea Kind aufgewertet, fand ihren Kontrapunkt im abwechslungsreichen, ebenso quirligen wie vielschichtigen und präzisen Schlagzeugspiel seines Bruders Valentin.

Valentin ist auch Mitglied in dem erst vor wenigen Tagen in Köln mit dem deutschen Jazzpreis 2024 als bestes Ensemble ausgezeichneten „Shuteen Erdenebaatar Quartet“, welches das Kurzkonzert vor der Preisverleihung gestalten durfte. Die aus Ulan Bator in der Mongolei stammende Pianistin, Komponistin und Bandleaderin hatte bereits vor zwei Jahren den Kompositionspreis und zweiten Rang beim Biberacher Jazzpreis errungen und toppte mit ihrem frisch gekürten Quartett auch das davor schon sensationell aufspielende „Duo Scheugenpflug Langguth“, welches unangefochten den Publikumspreis erringen konnte. Lukas Langguth hat bereits 2021 mit einem konzertanten Beitrag die Solistenwertung des jungen Münchner Jazzpreises errungen, Paul Scheugenpflug das diesjährige Frankfurter Jazzstipendium. Vor allem die Komposition „Orakel“, mit einer Widmung an alle „Schwarzseher“ versehen, dürfte im Gedächtnis bleiben, hat sie der Komponist doch mit einem griffigen Kalenderspruch kommentiert: „Sorgen sind wie Nudeln, man macht sich immer zu viele.“ Unmittelbar nach dieser Ansage begann Paul am Sopransaxofon in tiefer Lage „herumzunudeln“, um aus dem „Genudel“ schließlich eine weitgespannte Melodie zu entwickeln, die vom Klavier aufgegriffen, harmonisch definiert und mit perlenden Tonkaskaden verziert wurde: „Pasta Al Dente“ mit der nötigen Würze.

Als Gesamtsieger mit einem Preisgeld von 2000 Euro durfte jedoch das Münchner „Renner-Trio“ auf das höchste Treppchen steigen, gefolgt von dem aus Stadtbergen bei Augsburg angereisten „Duo Scheugenpflug Langguth“ mit 1000 Euro und 500 Euro für den Publikumspreis obendrauf. Der dritte Podestplatz ging mit 500 Euro an „Bluff“. Das Preisgeld für das Vokalensemble „Lylac“ auf dem vierten Rang wurde durch den zusätzlichen Kompositionspreis auf 800 Euro erhöht. Und auch der Preis für den fünften Platz unter den Allerbesten dürfte die entstandenen Fahrtkosten noch deutlich übertroffen haben.

Nach Aussage fast aller Finalisten bemisst sich der eigentliche Wert des Biberacher Wettbewerbs aber nicht aus der Höhe der Preisgelder sondern aus dessen Renommee in der Fachwelt, aus der seltenen Gelegenheit mit anderen jungen Künstlern zusammenzutreffen, deren Beiträge zu verfolgen, gesellig zusammen zu sitzen, sich auszutauschen, zu feiern, mit den Juroren zu fachsimpeln und Kontakte zu knüpfen.

Erster Preis: Trio Renner

Gastkonzert: Shuteen Erdenebaatar Quartet

 

Text und Fotos: Helmut Schönecker

12.04.2024: LAJAZZO – Landesjugendjazzorchester Baden-Württemberg

Frischer Wind in alten Sälen

LandesJugendJazzOrchester glänzt unter Thorsten Wollmann

BIBERACH – Zur Einstimmung in den Tag gab es für die Musikkurse des Pestalozzi-Gymnasiums bereits am frühen Vormittag einen Vortrag zur Jazzgeschichte und einen Basis-Workshop zu dessen harmonischen Grundlagen. Die Annäherung an die Geheimnisse von Improvisation und Arrangement erfolgte dann „in Riesenschritten“ mit John Coltranes „Giant Steps“ durch den diesjährigen Leiter des „LAJAZZO“, den ehemaligen PG-Schüler Thorsten Wollmann. Als Inhaber der Professur für Komposition/Arrangement sowie Bigband und Ensembleleitung am JIB, dem Jazzinstitut der Universität der Künste (UdK) in Berlin, animierte Wollmann die jungen Musikerinnen und Musiker des Auswahlorchesters während seiner gerade in Weikersheim beendeten Osterarbeitsphase beim Abendkonzert zu künstlerischen Höchstleistungen. Das vom Biberacher Jazzclub in Kooperation mit dem Pestalozzi-Gymnasium initiierte Konzert in der Aula der Gymnasien zog die musikalische Essenz aus dem seit zwei Jahren in ebendieser Besetzung als Bigband zusammenspielenden Orchester.

Die 22 jungen Musikerinnen und Musiker aus ganz Baden-Württemberg sind mittlerweile ganz offenkundig zu einem veritablen, semiprofessionellen Klangkörper zusammengewachsen. Präziser, knackiger Bigband-Sound, trotz akustisch schwieriger Räumlichkeit auch im Tutti optimal abgemischt, den teils atemberaubend virtuosen Solo-Improvisationen unterlegte, weiche, einfühlsame und stimulierende Begleitsätze, transparente Strukturen und überraschende Klangwechsel bei höchster rhythmischer Präzision ließen nichts anbrennen und die Herzen aller Bigbandfreunde merklich höherschlagen. Das hell begeisterte Publikum im gut aber leider doch nicht bis zum letzten Platz gefüllten Saal bedankte sich durch üppigen Zwischenapplaus sowie anfeuernde Rufe und Pfiffe bei den Solisten. Viele von ihnen dürften sich in den kommenden Jahren im Profilager wiederfinden.

Gleich vier Eigenkompositionen und vier Arrangements stammten aus der Feder des hochdekorierten Orchesterleiters, der in seiner Jugend ebenfalls in diesem Orchester spielte und den Landesjazzpreis erhielt. Besonders eindrucksvoll gerieten seine Version von Charlie Chaplins berühmtem Titel „Smile“ aus dem Film „Moderne Zeiten“, mit souliger Stimme einfühlsam interpretiert von Nora Bohra und, gemeinsam mit Vivien Zippert gesungen, die Wollmann’sche Jazzversion von J. S. Bachs berühmtem Choral „Jesus bleibet meine Freude“ (BWV 147). Das ungewöhnliche Arrangement bezauberte und ging buchstäblich unter die Haut. Es sorgte auch im neuen Gewand für einen Gänsehauteffekt und langanhaltenden Applaus. Ein weiteres Highlight war das „Japan Piece“ von Shiro Sagisu, effektvoll arrangiert und auf Japanisch gesungen von Vivien Zippert, die mehrere Jahre in Japan gelebt hat.

Neben den Kompositionen des Bandleaders waren es vor allem berühmte Standards aus der bald 100jährigen Jazzgeschichte, die das Programm prägten. „Hay Burner“ von Sammy Nestico, „Walking Tiptoe“ von Bert Joris oder „Willowcrest“ von Bob Florence, jeweils in den originalen Arrangements boten damit auch ausgezeichnetes pädagogisches Anschauungsmaterial und waren Basis für viele großartige Improvisationen. Von den Großen des Genres zu lernen, war wohl noch nie ein Nachteil. Aber auch Wollmanns Arrangement des James Bond Themas „Go, Go, Go Mr. Bond“, des berühmtem „Ol‘ Man River“ aus dem Musical „Showboat“ von Jerome Kern und Oskar Hammerstein oder die temperamentvolle R’n’B-Nummer „It’s Your Voodoo Working“ von Charles Sheffield ließen die Wogen der Begeisterung hochschlagen.

Als gelungene Überraschung darf auch die umjubelte Improvisationseinlage von Jochen Feucht gelten, der sich als renommierter Saxofonist und Komponist nicht nur deutschlandweit einen Namen gemacht hat und der ebenfalls in Biberach aufgewachsen ist. Als Dozent während der Arbeitstage in Weikersheim mit dem Saxofon-Satz befasst, fuhr er spontan zum Auftritt seiner Eleven in die alte Heimat. Dass er die Noten zu dem Stück erst eine halbe Stunde vor Konzertbeginn erhielt, dürfte niemandem aufgefallen sein. Neben der künstlerischen Inspiration, der hör- und sichtbaren Spielfreude der jungen Musikerinnen und Musiker dürfte auch der langanhaltende Schlussapplaus Lohn und Anerkennung für den anspruchsvollen „Nebenjob“ in deren Schul- oder Semesterferien gewesen sein.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

09.03.2024: Duo Schlesinger Lackerschmid

Jazz-Duo Schlesinger-Lackerschmid bei den Jazzbibern
Innig, entspannt und mit phänomenalem Tiefgang
BIBERACH – Nach acht langen Jahren endlich mal wieder in Biberach, konnte der in Ehingen aufgewachsene und weit gereiste Augsburger Komponist und Star-Vibrafonist Wolfgang Lackerschmid mit seiner Lebensgefährtin und Duo-Partnerin Stefanie Schlesinger vor vollem Hause im Jazzkeller seine alten Fans rundum begeistern und viele neue hinzugewinnen. Die Programmauswahl bot einen eindrucksvollen Querschnitt durch die Historie des gemeinsamen Œuvres mit einem Schwerpunkt auf lyrische Preziosen, jazzige Parodien von Opernarien und einen Rekurs auf Lackerschmids bedeutsame Zusammenarbeit mit Chet Baker und Ronnel Bey. Lackerschmids Gedichtvertonungen des Augsburgers Bert Brecht und die Vertonungen der teilweise recht deftigen Briefe des jungen Mozarts an sein Augsburger Bäsle Anna Thekla spielten dabei ebenso eine Rolle wie ungewöhnliche Neuauflagen alter Musicalsongs und ausgewählter Standards aus dem American Songbook.
Auch wenn sich das Wort „innig“ nicht mehr allzu häufig im heutigen Sprachgebrauch findet, gibt es kaum eine treffendere Umschreibung dessen, was bei der künstlerischen Umsetzung der musikalischen Intentionen des bestens aufeinander eingestimmten Duos zu hören war: eine aus tiefstem Herzen kommende, tief empfundene und dennoch reflektierte Emotionalität als Grundlage für eine subtile Interpretation äußerst sorgfältig und mit intellektuellem Scharfsinn gewählter literarischer Vorlagen. Eine Interpretation, der aufgrund der souveränen Beherrschung von Stimme und Instrument keinerlei technische Hürden im Wege standen, ließ die mit viel Raffinesse dargebotenen Stücke zu einzigartigen Erlebnissen oder gar Ereignissen werden und schlugen das Publikum augenblicklich in ihren Bann. Frappierend war vor allem die bei aller stilistischen Bandbreite gleichermaßen hochkarätige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Sujet. Ansprechend und anspruchsvoll gehen bei diesem Duo hör- und sichtbar Hand in Hand.
Ob traditionelle Jazzballaden wie Sinatras „Angel Eyes“ oder Monks „Round Midnight“ plötzlich harmonisch entkernt oder im ungewohnten 5/4-Takt erschienen, ob sich die Arie des Pagen Cherubino „Non so più cosa son, cosa faccio“ aus Mozarts „Le Nozze de Figaro“ in eine jazzige Persiflage verwandelte, Doris Days herzergreifendes „Secret Love“ sich neben Chet Bakers und Wolfgang Lackerschmids melancholisch verhauchtem „Why shouldn’t you cry“ und dem bevorzugten Gute-Nacht-Song des gemeinsamen Sohnes „Cheek to cheek“ wiederfand, steckte in der abwechslungsreichen Abfolge doch eine durchdachte Dramaturgie. Und obwohl viele der Kompositionen ursprünglich für meist größere Besetzungen geschrieben wurden, schienen sie in der Duo-Besetzung noch an Intensität zu gewinnen. Die wandlungsfähige und ausdrucksstarke, auch klassisch gebildete Singstimme von Stefanie Schlesinger hatte daran maßgeblichen Anteil. Selbst gelegentliche Scat-Einlagen als Imitation von Chat Bakers Trompeten-Improvisationen kamen rundum überzeugend und stilsicher. Ihre Interpretation von Lackerschmids „One more Life“, im Original von 1991 gesungen von der Afroamerikanerin Ronnell Bey und gerade als bester Filmsong für das Cannes World Film Festival nominiert, braucht sich hinter dem Gänsehaut erzeugenden Original nicht zu verstecken. Wolfgang Lackerschmids Begleitung am Vibrafon oder gelegentlich auch am Flügel erschien organisch mit der gleichermaßen natürlichen und kultivierten Singstimme Schlesingers verwachsen.
Langanhaltender Applaus, mehrere Zugaben und ein Rückstau am CD- und LP-Verkaufsstand veredelten einen gediegenen Konzertabend voll erfüllter Augenblicke und ganz ohne Effekthascherei. Die Wartezeit auf das nächste Konzert mit den beiden Künstlern sollte nicht allzu lange ausfallen.
Text und Fotos: Helmut Schönecker

25.02.2024: The Jakob Manz Project

„Maltes Mops motzt“ im ausverkauften Jazzkeller

„The Jakob Manz Project“ überzeugt mit „The Answer“

BIBERACH – Die ultimative Antwort auf die Frage aller Fragen, nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest, lautet in Douglas Adams Kult-Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ schlicht und einfach „42“. Im ausverkauften Jazzkeller der Bruno-Frey-Musikschule gab der Senkrechtstarter der jungen deutschen Jazzszene, der Altsaxofonist Jakob Manz aus Dettingen, mit seinem leidenschaftlich groovenden Quartett eine etwas weniger mystische Antwort mit der umjubelten Livedarbietung seiner letzten, beim renommierten europäischen Label ACT Music im Januar 2024 erschienenen CD-Produktion „The Answer“.

Für Jakob Manz und seine Mitstreiter findet sich im Jazz die Antwort auf alles. In Abwandlung des berühmten Bonmots von Loriot über den Mops führte das energiegeladene Release-Konzert bei den Jazzbibern zweifelsfrei zu der Erkenntnis: „Ein Leben ohne Jazz ist möglich, aber sinnlos“. Frenetischer Beifall, mehrere Zugaben und ein reißender Absatz der mitgebrachten CDs und Vinylscheiben lieferten den abschließenden Beweis.

Im zarten Alter von 16 Jahren errang Jakob Manz, als einer der jüngsten Gewinner des seit 1990 im zweijährigen Turnus durchgeführten Biberacher Jazzpreises, 2018 mit seinem „The Jakob Manz Project“ den ersten Platz. Seither legte er eine überaus steile Karriere hin. Neben weiteren Preisen, zuletzt 2022 den Landesjazzpreis Baden-Württemberg, gab es regelmäßige Auftritte mit Max Mutzke, jüngst sogar mit Sarah Connor auf der Berliner Waldbühne, mit der SWR Bigband, mit Thomas Quasthoff, Randy Brecker, Wolfgang Dauner, Michael Wollny und vielen weiteren Jazzgrößen. Sie katapultierten das junge Ausnahmetalent am Altsaxofon schnell an die Spitze der deutschen Jazzszene. Mit seinem hochenergetischen Spiel, seinen komplexen Improvisationen und seiner zielgerichtet eingesetzten Virtuosität dominiert er das Geschehen auf der Bühne. Glücklicherweise fehlen aber im Programm auch nicht die lyrisch-empfindsamen Momente. In den nur spärlich eingesetzten balladesken Stücken kamen tiefe Emotionalität und die Fähigkeit zur plastischen Gestaltung auch weitgespannter Melodielinien zum Ausdruck.

Seine kongenialen Mitstreiter im „Project“, allen voran der für die meisten Kompositionen verantwortliche Pianist und Keyboarder Hannes Stollsteimer, interagieren mit ihm und untereinander offenbar auf einer höheren Daseinsebene. Minimale Absprachen führen zu maximalen Erträgen. Das feinfühlige, sensible Miteinander bildet dabei keineswegs einen Gegensatz zur zupackenden Energie des Funk- und Fusion-Jazz, dem die meisten Stücke des Programms huldigten. Neben dem glücklicherweise auch unverstärkt durchsetzungsfähigen Kawaiflügel kam, durchaus stiltypisch, gelegentlich ein bereits legendärer Prophet-Synthesizer zum Einsatz. Seine satten, schmatzenden und fetten Analog-Sounds harmonierten sowohl in den Begleitpatterns als auch im rasanten Unisono mit dem Saxofon bestens mit dem raumfüllenden Bandsound.

Für den straffen und knackigen Drum-Sound zeichnet seit letztem Sommer mit Leo Asal einer der führenden Nachwuchsdrummer Deutschlands verantwortlich. Asal bringt Einflüsse aus der Rap-, HipHop- und R’n’B-Szene in das Projekt mit ein. Frieder Klein alias „Sitting Bull“ entwickelt auf seinem 6-saitigen E-Bass einen für Funk und Jazzrock typischen, druckvollen Tiefbass-Sound, der sich im doppelten Wortsinn als fundamental für die passende Antwort auf alles erwies. Von ihm stammt die nicht nur vom Titel her witzige Komposition „Maltes Mops motzt“, die für große musikalische Erheiterung im kundigen Publikum sorgte.

Weitere Highlights im Programm waren die vom Mondlicht erleuchteten „Eyes of Crystals“ von Jakob Manz, Stollsteimers mitreißendes „Taking Off“ sowie dessen hochenergetisches „Keep On Burning“. Die letzte Zugabe kulminierte zur allgemeinen Begeisterung in einer enthusiastischen Call-and-Response-Improvisation von Jakob Manz unter interaktiver Einbeziehung des Publikums und setzte einen grandiosen Schlusspunkt hinter ein außergewöhnliches Jazzkonzert.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

23.02.2024: Peter Autschbach TA2

Peter Autschbach TA2 am 23.02.2024 im Biberacher Jazzkeller

Fusion-Jazz vom Feinsten

Bereits zum sechsten Mal seit 2007 gastierte der Ausnahmegitarrist Peter Autschbach beim Jazzclub Biberach. Bei so viel gegenseitiger Verbundenheit war es für seine Neuformation „TA2“ ein leichtes, den Funken der Begeisterung überspringen zu lassen. Die außergewöhnliche Jazzformation mit Marta Danilovich an der Violine, Jan Melnik an den Drums und dem Bassisten Nico Deppisch zeigte sich bestens aufgelegt, um den Kompositionen Autschbachs ihren eigenen und unverwechselbaren Ausdruck zu verleihen. Die variantenreichen E-Gitarrenklänge wurden durch präzises Unisono-Zusammenspiel mit Martas klassischer Geige auf besondere Weise betont und zeugen dafür, dass es sowohl weltmusikalisch aber auch rockig aufgespielt immer wieder Neues im Fusion-Jazz zu entdecken gibt. Wie variantenreich diese Formation agiert, erfährt man in Titeln wie „Spring“, dargebracht im 5/4tel-Takt, oder „Chasing the Beat“ im Unisono-Duett von E-Gitarre und Bass. Im Stück „Tina“ entrückt der Gitarrensound im Akkordbending zur baladenhaften Interpretation, um gleich danach im Stück „Godzilla“ wieder wild drauflos zu rocken. Die ganze Bandbreite seines Könnens bringt der Gitarrenvirtuose Autschbach nach der Pause mit seinem brillanten Solo auf der akustischen Frameworks-Gitarre zu Gehör. Hoch konzentriert folgen die Begleitmusiker ihrem Bandleader, Marta Danilovich changiert gekonnt zwischen Violine und Keyboard und brilliert auch als Sängerin. Jan Melnik überzeugt mit rasantem Schlagzeugdrive und Nico Deppisch sorgt sowohl mit geslapptem als auch mit sanfterem Walking Bass für das solide Klangfundament. Ob des variantenreich präsenten Gitarrenspiels überrascht es keinesfalls, dass Peter Autschbachs Simme selbst im melodisch kniffligen Unisono bestens mit seinem Instrument harmoniert. Alles in allem überzeugt das überaus harmonische Zusammenspiel von“TA2“, wunderbar ergänzt durch überraschend eingestreute Scats, filigranes Flagelotspiel von Violine und Gitarre, oder die an Zimbal erinnernden Klänge zum Stück „Oasis“, der gekonnte Wechsel von Rock- zu Fretless Bass, zusammengefasst in überschäumender Spielfreude des Ausnahmequartetts. Last not least lässt die augenzwinkernd und mit musikalischen Zitaten gespickte Solozugabe von Peter Autschbach über „Somewhere Over The Rainbow“ diesen Abend selbst nach drei Stunden Jazz vom Feinsten als viel zu früh endend erscheinen.

Text: Günter Friedhelm, Fotos: Wolfgang Volz