Musikalische Grüße aus der Welthauptstadt des Jazz
Ray Gallon Trio mit deutschen Young Lions
BIBERACH – Mit dem seit drei Jahren in New York lebenden Jazzschlagzeuger Finn Wiest aus Biberach und Jakob Obleser am Kontrabass hatte der renommierte New Yorker Jazzpianist Ray Gallon auf seiner Deutschlandtournee zwei junge Ausnahmetalente im Gepäck. Das bereits seit Wochen ausverkaufte Konzert im Jazzkeller konnte die Erwartungen mehr als erfüllen. Unter der dezenten Regie und einer launig-entspannten Moderation des routinierten Jazzcollege-Professors, nach einer knappen Begrüßung in drolligem Deutsch, natürlich auf Amerikanisch gehalten, liefen die Protagonisten zur Hochform auf. Rasante Up-Tempo Stücke, stimmungsvolle Jazz-Balladen, blueslastige Nummern, allesamt klar durchstrukturiert und dabei locker swingend und groovend, in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen auskomponierten und improvisierten Teilen ließen nichts anbrennen.
Mit einer Reminiszenz an Duke Ellingtons „Drop Me Off In Harlem“ aus dem Jahr 1933, setzte das Eröffnungsstück von Ray Gallons aktueller CD „Grand Company“ gleich zum Auftakt des ausverkauften Jazzkonzertes einen Markstein seines ästhetischen Anliegens und Empfindens und definierte gleichzeitig den Ort des künstlerischen Geschehens. Harlem, der quirlige Stadtteil New Yorks, aus dem seit Jahrzehnten immer wieder neue künstlerische Ideen sprudeln, ist „Hot Spot“ und „Melting Pot“ des Jazz, New York, der „Big Apple“, seine Hauptstadt. Ganz klar dem Swing und der Tradition verpflichtet aber auch offen für neuere und neueste, stark bebop-affine Einflüsse, spielte Gallon virtuos mit dem Sujet, entlockte ihm ganz neue Facetten, zertrümmerte das Überkommene und generierte daraus eine neue, zeitgemäße Form des Jazz. Die stilistische Offenheit und starke Differenziertheit seiner Kompositionen und Arrangements werden vor allem zusammengehalten durch elaborierte, synkopisch rhythmisierte und farbig harmonisierte, zerrissen wirkende Strukturelemente, in welchen die melodischen Fragmente des Originals versteckt sind. Fröhliches, vorösterliches Ostereiersuchen für die eingefleischten Jazzfans, die mit dem Original vertraut sind, für ungeübte Hörer durchaus eine Herausforderung.
Die weiteren Titel der neuen CD waren überwiegend Eigenkompositionen, teilweise inspiriert durch persönliche Erlebnisse, die Ray Gallon in seinen Moderationen als Verständnishilfe knapp erläuterte. Manche Nummern waren dabei eher programmatisch zu verstehen, ein pittoresker Wasserfall auf Hawaii rauschte im Glissando über die Tastatur, andere Titel (Zombette) führten mit Ganztonskalen aus der Tonalität heraus oder spielten auf „aus den Fugen geratene“ Strukturen an (Out of Whack) und waren unverkennbar mit Hintergedanken auf die aktuelle amerikanische Politik und Gesellschaft versehen. Wiederkehrendes Element und Kennzeichen von Gallons Personalstil waren jedoch metrisch vielschichtige, von Pausen durchsetzte, komplexe Rhythmen, vielfach in unsymmetrischen, zusammengesetzten Taktarten, gerne in ostinaten, vamp-artige Begleitstrukturen und Patterns eingebettet und durch kürzere oder längere Improvisationen verbunden und aufgelockert.
Dass diese vermeintliche Zerrissenheit als Spiegel unserer Gegenwart in einem kleinen, für eine kurze Tournee ad hoc zusammengestellten Ensemble völlig synchron verläuft und dabei noch munter groovt, setzt eine außergewöhnlich hohe Meisterschaft und Virtuosität der Mitspieler voraus. Waren es bei dem aus Marbach stammenden Jakob Obleser vor allem die rasanten Walking-Bässe, glänzte der junge Ex-Biberacher Weltklasse-Drummer Finn Wiest durch kleinsträumige, feinsinnig differenzierte, sich niemals wiederholende, in höchster Präzision und enger Interaktion mit den Mitspielern eingebundene, filigrane Rhythmen, die in ihrer dezenten Virtuosität dem Meister am Kawaiflügel kaum nachstanden. Von diesem Finn Wiest wird auch künftig noch zu hören sein.
In der Gewissheit, sich am musikalischen Puls der Zeit zu befinden, geizte das begeisterte Publikum nicht mit Applaus, genoß aber auch die ruhigen, entspannten Momente in den wenigen Balladen, blueslastigen oder von relaxten, lateinamerikanischen Rhythmen geprägten Stücken. Diese vermittelten in all dem Trubel die Hoffnung auf bessere Zeiten mit dem Wissen, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde. Hoffnung, die sich in der kulturellen Vielschichtigkeit und Komplexität unserer Zeit versteckt und die geduldig auf fröhlich-zuversichtliche Ostereiersucher und steigende Aktienkurse wartet.
Text und Fotos: Helmut Schönecker