Kritik – Seite 64 – Jazzclub Biberach e.V.

19.02.2000: Until Summer 

Jazzkonzert vom 19.02.2000, Konzertkritik

„Until Summer“ groovte vor vollem Haus

„Warum denn in die Ferne schweifen?..“ mag sich ein mancher Biberacher Latin-Jazz-Freund auch angesichts der schlechten Witterung am Freitagabend gedacht haben. Jedenfalls konnte die Band „Until Summer“ mit ihrem „Häuptling“ Joe Fessele am Piano, in Biberach ja beileibe kein unbeschriebenes Blatt, ein ungewöhnlich großes Publikum mobilisieren und den diversen Fasnetsveranstaltungen erfolgreich Paroli bieten. Gute, ja ausgelassene Stimmung herrschte im Biberacher Jazzkeller, die Samba-Salsa-Bossa-Afro-Swing-Rhythmen des ausgelassen aufspielenden Trios taten schnell ihre enervierende Wirkung, gingen unter die Haut und in die Beine, veranlassten zum aktiven Mitvollzug der temperamentvollen Musik.

Respektable Arrangements bekannter Standards von Herbie Hancock, Chick Corea oder Wayne Shorter, besonders stark beklatscht wurde das virtuos dargebotene „Spain“ von Chick Corea, bildeten die künstlerische Kernsubstanz, das Rückgrat aus Rockjazz und Funk, vielleicht die Jugendliebe des agilen Bandleaders, um die herum sich vor allem die rhythmischen Einflüsse aus dem Afro-Latin-Jazz und gut ausbalancierte melodische Strukturen zu einem komplexen Gemenge besonderen Zuschnitts kristallisierten. Den abwechslungsreichen und sehr individuellen Improvisationen und der integrativen Kraft Fesseles aber auch dem beherzt groovenden Drummer Udo Kehlert und dem gleichermaßen zupackend und differenziert aufspielenden Kontra- und E-Bassisten Klaus Kappmeyer ist es zu danken, dass sich hier ein musikalischer Treibsatz mit enormer Überzeugungskraft zusammenbrauen konnte. Eine ebenso natürlich sympathische wie emotional angeregte und spritzig witzige Musik mit hohem Unterhaltungswert kennzeichnete diese musikalisch arrivierten Programmteile.

Mit einer Reihe durchaus eigenständiger Kompositionen, herausragend die „Monster Cat“, inspiriert durch eine recht eigenwillige Hauskatze“, konnte der besonders auch in dem genannten Stück sehr inspiriert wirkende Joe Fessele glaubhaft auf einen authentischen eigenen Stil verweisen, der kaum noch – am ehesten vielleicht noch in der Harmonik – auf grundlegende Berklee-Inspirationen bezogen werden konnte. Trotz zahlloser „Vamps“ im Dienste rhythmisch-melodischer Spannungssteigerung zeugten die Kompositionen von einer erfreulich vielseitigen Melodik über einer komplexen Rhythmusschicht. Die gestalterische Kraft Fesseles wies gerade in den plastisch herausgearbeiten Melodielinien auf eine ungewöhnliche interpretatorische Begabung hin, die in einer auf das Wesentliche reduzierten Triobesetzung aus Drumset, Bass und Piano in besonderem Maße Früchte tragen kann und die wohl das eigentliche Erfolgsrezept der Formation bildet. Ob der hier aufscheinende Weg musikalisch-künstlerischer Weiterentwicklung am Nerv des Publikums bleiben wird, ob der Puls der Zeit weiterhin die Musik von „Until Summer“ inspirieren wird und so eine auf breiter Basis akzeptierte Mischung aus Altem und Neuen, Allgemeinem und Besonderem, Inspiration und Konstruktion entsteht, dürfte entscheidend von der permanenten Interaktion mit dem Publikum bei Livekonzerten abhängen. Fesseles Musik ist im besten Sinne des Jazz originäre Livemusik, Aufnahmen nur zu Dokumentationszwecken oder als Erinnerungshilfe sinnvoll. „Until Summer“ ist die klingende Herausforderung ans Publikum, einer guten, weil lebendigen Musik nicht nur wirtschaftliche sondern vor allem ideele Überlebenshilfe zu geben.

 

gez. Helmut Schönecker

28.01.2000: Cécile Verny Quartett 

Cécile Verny Quartett mit Biberacher Drummer Matthias Daneck im Jazzkeller

Eine prall gefüllte musikalische Geschichtenkiste

Wer in dem ausgewogen besetzten Quartett die Hosen anhatte, war den Zuhörern schon nach wenigen Minuten klar. Drei komponierende Musiker, Andreas Eichinger am Piano, Matthias Daneck an Drums und Percussionsinstrumenten sowie Bernd Heitzler am Kontrabaß trugen die farbige Diva Cécile Verny auf Händen. Alle Kompositionen und Arrangements rückten die ebenso resolut wie sympathisch auftretende französische Sängerin und Bandchefin ins rechte Licht. Ihre modulationsfähige Stimme und noch mehr ihre sensible Musikalität gaben den Kompositionen Seele und Zusammenhalt, auch und gerade da wo einzelne Improvisationen in jungmännlicher Selbstverliebtheit zu versinken drohten. Ihre in der Conference immer wieder eingestreuten Neckereien gegen „ihre“ Männer inspirierten oder dämpften deren Aktivitäten, ganz der musikalischen Dramaturgie des jeweiligen Sets verpflichtet.

Mit erläuternden Worten nahm Cécile Verny auch ihr Publikum an die Hand, um es durch einen ganzen Kosmos musikalischer Geschichten zu geleiten. Die oft mit geschlossenen Augen agierenden Musiker und viele, ebenso lauschenden oder bereits davonschwebenden Zuhörer schienen ihr noch in die abgelegensten Gefilde folgen zu wollen. Ob Gedichte von Blake und Coleridge, ein französisches Kinderlied, afrikanische Memoiren oder auch ein Standard von Cole Porter das musikalische Sujet abgaben, das Resultat war niemals, wie in vielen anderen Fusionkompositionen, nur ein Konglomerat aus beliebig aufgereihten Versatzstücken. Selbst der in dieser Stilrichtung kaum zu vermeidende Anflug von Eklektizismus schien suspendiert, wenn die poetischen Ideen musikalisch zu greifen begannen und musikalische Einfälle auch in den Improvisationen subtil fortentwickelt wurden.

Besonders in den Balladen fand das Quartett zu einer reifen Schlichtheit in Struktur und Ausführung der musikalischen Diktion, zu einer Homogenität und Geschlossenheit des Stils, die nicht nur künstlerisch überzeugte sondern in besonders erfüllten Augenblicken transzendierende Wirkungen entfachen konnte. Die spezielle Besetzung des Quartetts erwies sich für das Bandkonzept als großer Glücksfall, Harmonie blieb keine äußerliche Erscheinungsform, Harmonie wurde inneres Prinzip. Eine Tendenz könnte freilich für die musikalische Weiterentwicklung problematisch werden, Cécile Verny hat sie wohl bereits erkannt: ohne Provokation, ohne Reibung, ohne Brüche könnte das Spannungsmoment der Musik irgendwann verloren gehen.

 

gez. Helmut Schönecker