Kritik – Seite 4 – Jazzclub Biberach e.V.

10.03.2023: Andy Herrmann Trio

Andy-Herrmann-Trio mit Überraschungsgast erfüllt Jazzkeller mit prallem Leben

Lebenserfahrene Routiniers geben eine Lehrstunde in Jazz-Historie

BIBERACH – Mit der ruhigen Selbstgewissheit und Souveränität langjähriger Meister ihres Fachs zelebrierten der gebürtige Biberacher Komponist und Jazzpianist Andy Herrmann und seine Triopartner, der Mannheimer Kontrabassprofessor Thomas Stabenow sowie der weitgereisten Stuttgarter Michael Kersting am Schlagzeug bei ihrem Gastspiel im Rahmen der Heimattage ihren „Blick zurück“ (CD „Looking Back“) in die Jazzgeschichte der letzten Jahrzehnte. Dabei nahmen sie die Besucher im erneut ausverkauften Jazzkeller mit einer spürbaren Brise an pädagogischem Eros helfend an der Hand. In den feinsinnigen Anmoderationen machte Andy Herrmann seinen persönlichen Weg zur Musik, zum Jazz und vor allem zum Jazzklavier in einer ausgreifenden Retrospektive anschaulich und sorgte auch gleich für die passenden Hörbeispiele.

Dass aus dem Konzert keine trockene Geschichtsstunde wurde, ist dem Fingerspitzengefühl des Luzerner und Münchner Klavierprofessors gleich in zweifacher Hinsicht zu verdanken. Wenige, wohlgesetzte Worte zeigten die Spur und die Leitplanken auf, viele, wohlgesetzte Töne, vielseitige und brillante Improvisationen, glitzernde Tonkaskaden, farbige Harmonien, aufmerksame Interaktion im Trio sowie eine stupende Technik ließen mit gehörigem Respekt vor der Tradition die Vergangenheit aus dem Geist der Jetztzeit lebendig werden. Abseits gängiger Klischees brachte er vielfach auch die wahren Künstler, die durchaus nicht immer die bekanntesten waren, auf die Bühne. Seine Frage ans Publikum, ob jemand Lyle Mays kenne, wurde mit betretenem Schweigen beantwortet, während der Namensgeber seiner Band, Pat Metheny, einen Aha-Effekt auslöste. Dass Methenys Keyboarder Lyle Mays für die meisten Kompositionen der Gruppe verantwortlich zeichnete, bleibt der breiten Öffentlichkeit meist verborgen.

Andy Herrmanns „Hommage“ an seine großen Vorbilder bestand bezeichnenderweise nicht aus der bloßen Nachahmung der Originale sondern stellte eine wertschätzende Würdigung und Wiederbelebung verbunden mit einer subtilen Weiterentwicklung der Vorlagen dar. So erwachten etwa Chet Bakers Ballade „I Fall In Love Too Easily” oder Charlie Parkers “Star Eyes” ebenso zu neuem Leben wie Bill Evans „How My Heart Sings“ oder Chick Coreas „Armando’s Rhumba“ und andere Songs, meist aus dem Great American Songbook oder Real Book. Dass er die Vergangenheit nicht als abgeschlossen betrachtet, zeigte besonders Andy Herrmanns einzige Eigenkomposition im vorgestellten Programm, „Looking Forward“. Entstanden in der auftrittslosen Pandemiezeit als Teil der gleichnamigen neuen CD und in Korrespondenz zur früheren CD „Looking Back“ öffnet sie den Blick nach vorn, weit in die gleichwohl in der Tradition wurzelnde Zukunft.

Als Überraschungsgast des Abends holte Herrmann schließlich den Biberacher Sänger, Gesangslehrer und Chorleiter Oliver Haux auf die Bühne. Die beiden kennen sich aus der gemeinsamen Schulzeit am Wieland- bzw. Pestalozzi-Gymnasium sowie dem folgenden Studium an der Musikhochschule Freiburg. Der vielfach gecoverte Song „My Foolish Heart“ von Victor Young, ausdrucksstark, mit sonorer, klassisch geschulter Stimme, lyrisch aber ohne falsche Sentimentalität zelebriert, löste rauschenden Beifall und begeisterte Zurufe aus. Zwei, durch anhaltenden Beifall geforderte Zugaben, darunter das hochemotionale „Georgia On My Mind“, erneut mit Haux am Mikrofon, ließen keine Wünsche offen. Hier flossen gelebte Heimatliebe und Tradition mit neuen Ideen bei unverstelltem Blick auf die Zukunft, ganz im Sinne des Heimattagemottos organisch zusammen.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

03.03.2023: Maltett

Fünf junge Musiker, die tief im Jazz verankert sind
Schlagzeuger Malte Wiest überzeugte mit seinem Maltett zu den Heimattagen im erneut ausverkauften Jazzkeller durch große Spielfreude. Die Formation knüpft an die Tradition des Bebop und des Modern Jazz der 60er-Jahre an und führt sie mit verblüffender Authentizität durch Eigenkompositionen in die Jetztzeit. Das augenscheinlich junge Alter der Band täuschte über das Hörerlebnis in Erwartung einer Aufnahme des „Blue Note“ oder „Impulse“ Labels. Man fühlte sich bei geschlossenen Augen in einen der legendären New Yorker Jazzclubs wie Village Vanguard oder Birdland versetzt.
Schon beim ersten Stück „Afro Centric“ des Saxophonisten Joe Henderson wird klar um was es geht. Hoch verdichtete Energie, präzises Zusammenspiel, Spielwitz, originaler Gesamtsound und höchste improvisatorische Virtuosität auf allen Instrumenten. Malte Wiest versteht es auf dem Drum-Set die Stilistik des modernen Spiels noch weiter zu entwickeln. Die rhythmische Freiheit des jungen Meisters, scheinbar im Widerspruch zum ständig fühlbaren Puls, erzeugte höchste musikalische Spannung, die beim sehr geneigten Publikum spontane Ausrufe der Begeisterung auslösten.
Der ausgewogene Bandsound lebte durch den stets aufmerksamen Bassisten Grégoire Pignède, der als Rückgrat „aus der Tiefe des Raums“, gut sicht- und hörbar zwischendurch ordentlich Druck machte und auch als „stage organizer“ wirkte. Pianist Valentin Melvin unterstützte mit Präzision, high educated voicings, und mitreißenden Soli die hohe internationale Qualität des jungen Ensembles.
Das fachkundige Publikum honorierte jedes der Soli mit Szenenapplaus. Vor allem im letzten Stück ihres Bandleaders „Mu 1“, bezogen auf einen Ausweich-/Komponierraum der Musikhochschule Mainz, kamen einmal mehr die Bläser Lukas Wögler (tsax) und Gabriel Rosenbach (trumpet) zur Geltung. Ihre schlüssigen, gut aufgebauten Soli in bester Bebop-Tradition, mündeten cool und souverän im präzisem Satzspiel der Themen.
Eine würdigende Geste dem kürzliche verstorbenen Saxophon Hero Wayne Shorter (Miles Davis/Weather Report) gegenüber war es, dessen Komposition „Deluge“ spontan in das Programm aufzunehmen. Malte Wiest bezog sich mit seinem Stück „homewords“ auf das verständliche Erinnern im neuen Studienort Berlin, an seine Heimat und bedankte sich beim Publikum und den Organisatoren des Jazzclubs BC. Seine sympathischen Ansagen zwischen den Tunes, die auch den dezenten Hinweis auf die obligate Wohnungssuche in der Hauptstadt enthielt, sorgten für eine angenehm, lockere Atmosphäre im Club und lösten den unbedingten Wunsch nach einer Zugabe aus.
Fotos: Manfred Fakler, Text: Markus Merz

10.02.2023: Vogelfrei-FM

Frischer Wind aus heimischen Gefilden

Vogelfrei-FM auf der musikalischen Erfolgsspur

BIBERACH – Erneut in voller Auslastung geriet das dritte Konzert in der Heimattage-Reihe des Jazzclubs trotz technischer Startschwierigkeiten zu einem außergewöhnlichen Event. Ein neuer, bisher kaum wahrgenommener Stern am Komponistenhimmel scheint aufgegangen. Der Warthausener Schlagzeuglehrer Markus Merz, der peruanische Multi-Perkussionist und Wahlbiberacher Cesar Gamero und die Brüder Jochen und Alex Vogel aus Biberach haben sich, trotz räumlicher Nähe, erst vor Kurzem zu einer neuen ungewöhnlichen Formation unter dem Namen „Vogelfrei-FM“ zusammengefunden. Ohne stilistische Festlegung wildern sie – vogelwild – in den angesagten Musikstilen der jüngeren Vergangenheit und interpretieren diese neu, auf ganz individuelle und authentische Weise, jedoch durchaus überzeugend.

Leises, nach Aussage eines frühen Gastes durchaus beruhigendes Meeresrauschen empfing die Gäste im Jazzkeller und schien Teil der Inszenierung zu sein. Als beim ersten Songtitel „LGE.A.B“, einem funky und mit viel Power gespielten Stück im Stil der 70er- und 80er-Jahre dann die E-Gitarre verzerrte Klänge produzierte, schien auch das zunächst ein beabsichtigter Effekt, der allerdings nach den Schlusstakten einfach nicht enden wollte. Allgemeine Ratlosigkeit und zunehmend anschwellendes, weißes Rauschen bremsten die Begeisterung und streuten vorübergehend Sand ins konzertante Getriebe. Als auch die versammelte technische Kompetenz aller Anwesenden zu keiner Lösung führte, wurde kurzerhand – während einer kleinen Rauch- bzw. Rauschpause – umgestöpselt. Rauschfrei und mit neuer Souveränität nahm das Programm danach seinen Fortgang.

Wo der anspruchsvolle Jazzhörer vielleicht Bedenken ob der stilistischen Vielfalt und Authentizität der Musikstücke aus der Feder des Gitarrenlehrers Jochen Vogel hätte haben können oder gar eklektizistische Oberflächlichkeit befürchtet hatte, ließ der überzeugende Personalstil des Komponisten diese Bedenken schnell verschwinden. Als wahrer Meister seines Fachs ließ der versierte Gitarrenprofi die verschiedensten Spieltechniken und Patterns sowie deren stilistisches Umfeld in Stücke mit völlig eigenständigem Zuschnitt einfließen. Auf der klassischen Gitarre virtuos zelebrierter Flamenco, etwa in „Deception Of The Hearts“, überzeugte ebenso wie diverse Funk-, Fusion- oder gar HipHop-Nummern. Hier fanden auch die vielfältigen technischen Helferlein ihre klangliche Rechtfertigung. In diversen Latin-Titeln, in Samba, Salsa oder Bossa, konnten sich die mit umfangreichem Equipment ausgestatteten Schlagwerker Markus Merz und Cesar Gamero nach Herzenslust austoben. Einprägsame Riffs, oft auch im Unisono zwischen E-Bass und E-Gitarre, akzentuiert durch perkussive Grooves sowie gestaltkräftige, vielfach auch mit ungekünstelter Naturstimme gesungene Melodien hielten alles zusammen.

Aus den meisten Songtiteln ersichtlich und durch die erläuternden Ansagen von Jochen Vogel verdeutlicht, war ein weiteres verbindendes Element des Programms der spezifische Kompositionsstil und die Inspirationsquellen zu den scheinbar so divergenten Stücken. Pittoreske Namen wie „Bob’s Samba“, der „Rabbit Samba“ über das „ungebührliche“ Verhalten eines zur Familie gehörenden Kaninchens während der Musikproben oder die im Stil des NuJazz vorgestellte Nummer „Mei Vogelhaus“ im winterlich verschneiten Garten, ließen die Stücke anschaulich werden, erwiesen sich als gut nachvollziehbare „Programmmusik“ oder „darstellende Musik“. So ließen etwa auch das an Landsknechtstrommeln erinnernde Schlagzeugintro von „Ritter Falkenburg“ und die folgenden heroisch-martialischen Klänge den Sinngehalt des Stückes unmittelbar sinnfällig werden.

Nicht ohne zwei, durch langanhaltenden Applaus forcierte Zugaben, darunter das für elektronische Mallets arrangierte, im ersten Anlauf leider etwas „verrauschte“ Lieblingsstück von Markus Merz, „Remember your Roots“, ging ein abwechslungsreicher Konzertabend seinem späten Ende entgegen.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

03.02.2023: Knudsen Fessele Streit Trio

Jazzkonzertreihe der Heimattage boomt

Friedlich-freudige Hochstimmung mit Knudsen, Fessele und Streit

BIBERACH – Eine „Bombenstimmung“ herrschte im Jazzkeller – wäre man geneigt zu sagen, hätte das Motto des zweiten ausverkauften Konzertes der Heimattage-Konzertreihe des Jazzclubs nicht „Peace, please!“ – „Frieden, bitte!“ gelautet. Gleichwohl schlugen die Wogen der Begeisterung hoch und immer höher, vorangetrieben durch die überaus sympathische Moderation der dänischen Sängerin Lea Knudsen, die in Ulm eine neue Heimat gefunden hat. Der einheimische Jazzpianist und Arrangeur Joe Fessele und der Laupheimer Musikschullehrer Norbert Streit, seit vielen Jahren auch unter dem Namen „Streit mit Fessele“ ein eingespieltes Duo, sind vor rund fünf Jahren mit der quirligen Lea Knudsen eine regelrechte Symbiose zum Trio eingegangen. Die Früchte dieser engen Zusammenarbeit – Showelemente, Wortwitz und eine mitreißende Interpretation überwiegend bekannter, von Fessele eigens arrangierter Musiktitel – verbanden sich zu einer regelrechten Wohlfühlmelange, die beim Biberacher Publikum auf offene Ohren traf.

Bei der Stückauswahl des Trios standen zwischenmenschliche Beziehungen in all ihren Facetten im Vordergrund. Der bunte Stilmix aus Blues, Swing, Latin, französischem Chanson, deutschem Pop und nordischen Balladen machte dabei das Besondere der Formation aus. Stellvertretend für viele treffend charakterisierte Beziehungen und Befindlichkeiten in Songtiteln wie Sinatras „The Lady is a tramp“, „Kiss“ von Prince, „Let’s fall in Love“ von Ella Fitzgerald, „Peace“ oder auch dem „Stormy Monday Blues“ und als Zugabe gar „Du lässt dich gehn‘“ von Charles Aznavour, soll hier lediglich „Nimm deinen Kerl zurück, Annette“ von Roger Cicero explizit angesprochen werden. Glücklicherweise fand sich im Publikum eine Annette, die sich vor die Bühne traute und sich Lea Knudsen als Ansprechpartnerin für eine Showeinlage zur Verfügung stellte. Verstärkt durch die Situationskomik und die Bühnenpräsenz Knudsens gelang hier eine besonders umjubelte und sehr persönliche Interpretation. Emotional getoppt wurde diese nur durch die musikalische Liebeserklärung an Knudsens anwesende Schwester Pia „die immer für mich da ist“, wie sie in der Anmoderation bekannte. Besonders eindrucksvoll gerieten aber auch Titel wie das auf Dänisch gesungene Kinderlied „Jeg ved en laerkerede“ mit einer Querflöteneinlage von Norbert Streit, der ansonsten durch dezente Rhythmusbegleitung, leidenschaftliche Improvisationen auf verschiedenen Saxofonen und stilsichere Gesangseinlagen glänzte. Gesangsduette á la „Louis & Ella“, bei Streit mit eindrucksvoll kratzig und rauchig imitierter Armstrong-Stimme, bei Lea mit eloquenter Virtuosität, gehören zu den Kernkompetenzen der beiden Frontleute.

Wo Joe Fessele drauf steht, sind immer auch lateinamerikanische oder kubanische Rhythmen und Stücke mit temperamentvollen, stilsicheren Improvisationen drin. Astor Piazzollas „Libertango“ durfte dabei natürlich nicht fehlen. Anscheinend hat aber das Latin-Virus mittlerweile auch auf Lea Knudsen abgefärbt. Mit Piazzollas „Yo soi Maria“ hinterließ sie, auf Spanisch gesungen, einen nachhaltigen Eindruck mit ihrer spezifischen Liaison aus dänischer Herzlichkeit und der Seele des Tango Argentino. Zwei Zugaben, darunter Louis Armstrongs „What a wonderful world“, rundeten einen gelungenen und unterhaltsamen Wohlfühlabend ab. Einen Abend in gemütlicher, ja in seelenvoller Atmosphäre, in der man das Gute des Lebens gemeinsam mit lieben Leuten genießen konnte, eben ganz im Sinn des dänischen „Hygge“ und der Maxime „Make Jazz, not War“.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

Bigband des Helmholtz-Gymnasiums Karlsruhe

28.01.2023: Jugend Jazzt South-West

Landeswettbewerb „Jugend Jazzt South-West“ 2023

Wenig überraschend und dennoch kurios

BIBERACH – Entgegen der ursprünglichen Planung waren in der Stadthalle Biberach leider nur noch drei Formationen zum Landeswettbewerb für Jazzorchester um den ersten Platz mit Weiterleitung zum Bundeswettbewerb „Jugend Jazzt“ angetreten. Zu den drei mit einem eintägigen Coaching verbundenen Preisen hinzu kam der im Rahmen der baden-württembergischen Heimattage ausgelobte Sonderpreis der Stadt Biberach für die beste Interpretation einer Komposition des aus Biberach stammenden Komponisten Professor Dr. Thorsten Wollmann. Dementsprechend gab es, bei der vom letztjährigen Bundessieger „Duo Dimension“ umrahmten Preisverleihung, auch nur drei plus einen Sieger zu vermelden.

Die mit Thorsten Wollmann, Kira Linn und Christian Mück hochkarätig besetzte Jury unter dem Vorsitz des Nürnberger Professors für Jazzsaxophon und Mitglied der SWR Bigband, Klaus Graf, hatte bei der Platzvergabe wohl keine Schwerstarbeit zu verrichten. Platz Eins für die laut Jury „sowohl durch hervorragendes Ensemblesatzspiel als auch durch herausragende Solisten überzeugende“, klassisch besetzte und bereits vielfach preisgekrönte Bigband des Karlsruher Helmholtz-Gymnasiums mit einer rund fünfzigjährigen Bandtradition und seit 20 Jahren unter Leitung von Hartmut Petri war wenig überraschend. Waren doch die Bands der Mitbewerber aus Plochingen und Stuttgart deutlich jünger und die gewählten Kompositionen und Arrangements im Schnitt auch weniger anspruchsvoll. Dynamisch differenziertes Spiel, knackige Einwürfe, weite Spannungsbögen, homogene und präzise Unisonopassagen sowie die improvisatorischen Fertigkeiten lagen bei den Karlsruhern schon im semiprofessionellen Bereich. Lediglich dem Schlagzeuger hätte man statt dem kleinen Jazzset ein etwas größeres Fusionset für noch satteren Sound und mehr Power gegönnt.

Als jüngstes Ensemble durfte die Bigband der Stuttgarter Musikschule unter Leitung von Ralf Hesse den geteilten zweiten Preis in Höhe von 1000 Euro in Empfang nehmen. Hier würdigte die Jury neben dem jugendlichen Alter und „akustischen Feinheiten“ besonders die Eigenkomposition „Beach Blues“ der jungen Trompeterin Iria Bierhance-Papaseit. Ebenfalls auf Platz Zwei schaffte es die stark besetzte Bigband des Gymnasiums Plochingen unter Musiklehrer Burkhard Wolf. Ein kompakter, voller Bandsound und mit Jenny Grace eine ungewöhnlich ausdrucksstarke Sängerin konnten hier überzeugen. Besonders mit ihrer Interpretation des von Nina Simone und später durch Michael Bublé bekannt gemachten Musical-Songs „Feeling Good“ erzeugte sie einen regelrechten Gänsehauteffekt.

Da sich die Plochinger Bigband als einzige Formation auch an die durch zahlreiche Tempo- und Rhythmuswechsel gekennzeichnete Komposition „The Groove“ von Thorsten Wollmann gewagt hatte, war ihr der Sonderpreis in Höhe von 2000 Euro schon von vornherein sicher. Hinzu kamen die 1000 Euro für Platz Zwei, so dass sie kurioserweise am Ende mit einem höheren Preisgeld als die Karlsruher mit ihren 2500 Euro für den ersten Rang nachhause gehen konnten. Für den Weltbürger Thorsten Wollmann, der nach langjähriger Tätigkeit im Ausland seit 2019 eine Professur am Jazzinstitut der Berliner Universität der Künste innehat, war der Besuch in Biberach anlässlich seiner Jurytätigkeit eine nostalgische Reise in seine eigene Vergangenheit. War er doch bereits im zarten Alter von acht Jahren auf der Stadthallenbühne im musikalischen Einsatz. Bei der Preisübergabe lobte er neben dem guten Ensemblespiel und der guten Gesangssolistin besonders die Drums- und Mallets-Abteilung der Plochinger Band, gab aber mit dem augenzwinkernden Hinweis auf unterschiedliche Tempi bei Miles Davis in dessen eigenen Interpretationen seines Stückes „Four“, auch seiner Überraschung über das doch recht schnell gewählte Tempo Ausdruck.

Die Preisübergabe wurde musikalisch umrahmt durch die letztjährigen Bundessieger bei „Jugend Jazzt“ und Finalisten des internationalen Biberacher Jazzpreises 2022, dem „Duo Dimension“ mit der Posaunistin Carlotta Armbruster und Schlagzeuger Jonas Heck. Freie Improvisation, spontane Interaktion, klangliche Vielseitigkeit und eine Hommage an Albert Mangelsdorffs „Multiphonics“, dem mehrstimmigen Spiel auf der Posaune, bildeten einen interessanten Kontrast zu den elaborierten Kompositionen der großen Besetzungen.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

20.01.2023: Rolf Richie Golz Trio

Rolf Richie Golz Trio im ausverkauften Jazzkeller

Fulminanter Start in die Heimattage-Reihe des Jazzclubs

Ein fulminantes Konzert im Rahmen der Heimattage 2023 bescherte vor ausverkauftem Saal das Trio des Biberacher Urgesteins und Ausnahmepianisten Rolf Richie Golz. Zusammen mit seinen beiden Mitstreitern Gero Gellert am E-Bass und Matthias Daneck am Schlagzeug – beide auch mit Biberacher Wurzeln – startete die Band nach einer launigen Einführung des Bandleaders mit dem Song „Little Moment“ gleich so richtig durch, um die zunächst spürbare Anspannung auf der Bühne zu vertreiben und mit Romantic Jazz at its best und einem virtuos gespielten Bass-Solo schon nach wenigen Minuten den ersten Szenenapplaus des Publikums einzuheimsen. Weiter gings mit „Crazy man“ (wie schon die erste Nummer und die meisten noch folgenden eine Komposition von Golz), in welcher sich das Trio dann schon sehr eingegroovt präsentierte und mit Genuss ein wenig Kakofonie und Anleihen am Free Jazz zelebrierte. Ausnahme-Drummer Daneck zog hier schon mal alle Register der Trommel- und Beckenbearbeitung und es wurden sämtliche Facetten der Dynamik aufgegriffen. Rasend schnelle Unisono-Läufe, welche alle auf dem Punkt endeten, ließen schon jetzt die Stimmung im Saal erheblich ansteigen. Die dritte Nummer wurde von Golz als „Heimatlied“ angekündigt. Die Idee zu „Nowhere“ kam ihm beim Spaziergang bei Ampfelbronn (oder wie der Schwabe sagt: im „Ogreachata“). Auch hier dann wieder der sehr spannende musikalische Kontrast zwischen laut und leise, harmonisch und dissonant, adagio und allegro, sparsam und volles Register. Mit „Summer in Norway“ gelang dem Trio ein gelungenes akustisches Bild der skandinavischen Landschaft und bei geschlossenen Augen konnte man die Fjorde regelrecht an sich vorbeiziehen sehen. Die mit allen Wassern gewaschenen Instrumentalisten vermochten – wie bei allen Stücken eigentlich – aus der Minimalbesetzung der Combo ein Maximum an Ausdruck aus sich herauszuholen. Der „Tanz in den Mai“, von Gellert komponiert, begann mit einem starken Bass-Solo, dezent mit Hall verfeinert und ebenfalls einen Kontrast zum Trio-Spiel setzend. „The Chance“, eine ältere Komposition von Golz aus den 80ern bot den Zuhöhrern feinstes Zuspielen von Melodiefragmenten zwischen Bass und Piano und mit „Jazzy Chocolate“ ging es beschwingt à la Sonny Rollins in die Pause.

Mit dem gleichnamigen Stück, inspiriert vom französischen Pyrenäendorf namens „Estialescq“ wurden dann kongenial wieder musikalische Bilder erzeugt, die einen sofort in die Berglandschaft zwischen Frankreich und Spanien versetzten und gelegentlich klang hier der großartige Lyle Mays durch. Beim Umschreiben der „schwäbischen Mentalität“ kam Golz die Idee zu „However“, welches pianistisch auch stark an Bruce Hornsby einnerte. Sehr emotional wurde es bei „Song for my Father“. Hier konnte Gellert einmal mehr den warmen und weichen Klang seines Höfner-Basses sehr nah an den Sound eines Fretless-Bass bringen. Das – fast schon obligatorische – Schlagzeugsolo wurde dann in die nächste Kompositon „Dance with the Eleven Eights“ integriert. Einmal mehr zeigte Daneck auf Weltklasseniveau (er spielt nicht umsonst seit Jahren in der Band von Ute Lemper) seine Mühelosigkeit bei der Meisterung dieser rhythmisch (11/8tel) äußerst anspruchsvollen Hürde. Louis Bellson, Gene Krupa & Co. hätten ihre wahre Freude daran gehabt. Die einzige Komposition aus der Feder von Daneck war dann „What without the beauty within“, die einen ungewöhnlichen Mix aus Bossa, House und Romantic Jazz mit Nuancen von Klassik zum Erklingen brachte.

„Seven dreams“ als erste Zugabe, sowie danach noch „My Song“ (comp. Keith Jarrett) als „Rausschmeißer“ ließen nach minutenlang anhaltendem Applaus den Abend im Jazzkeller für alle Beteiligten sehr gelungen enden. Da das Konzert in Bild und Ton aufgezeichnet wurde, darf man sich als Zuhörer schon jetzt auf eine Veröffentlichung dieser Performance freuen.

(Nachbericht von Peter Zoufal, Fotos von Wolfgang Volz)