Kritik – Seite 6 – Jazzclub Biberach e.V.

17.11.2023: Andy Herrmann Quartett

Andy Herrmann Quartett präsentierte „Sincerity“

BIBERACH – Bereits zum zweiten Mal im Rahmen der diesjährigen Konzertreihe des Jazzclubs anlässlich der Biberacher Heimattage stand Andy Herrmann auf der Bühne des erneut vollbesetzten Jazzkellers. Diesmal mit seinem seit 2016 bestehenden Quartett aus Arne Huber am Bass, Samuel Leipold an der Gitarre und Bastian Jütte am Schlagzeug und mit seinem neuesten Projekt „Sincerity“ im Gepäck. Stand bei seinem letzten Konzert noch das traditionelle „All American Songbook“ im Mittelpunkt des Geschehens, so war dieses Mal der aktuelle New-York-Stil, inspiriert von Pat Metheny und Lyle Mays, angereichert mit diversen europäischen Gestaltungselementen Gegenstand der erlesenen Darbietungen.

Polymetrisch angelegt, nach dem Vorbild einer spätmittelalterlichen Praxis in der „Mensuralmusik“ und gleichermaßen verwandt mit der komplexen afrikanischen Rhythmik, die ebenfalls die Gleichzeitigkeit verschiedener, sowohl gerader als auch ungerader Metren, zusammengehalten nur durch einen „Timekeeper“ kennt, waren die ungewöhnlichsten und wohl auch interessantesten Kompositionen des Bandleaders. Eine Reihe von Titeln erinnerten an die für Musiker besonders schwierige, für Komponisten oft aber auch recht produktive Coronazeit. „Omikron“ und vor allem das zupackende „Deltakron“ in seiner beinahe schon verstörenden Komplexität boten davon einen, von manchem jedoch eher als zwiespältig empfundenen Nachgeschmack. Weitere Nummern aus der Debüt-CD des Quartetts, „The Child in Me“ lockerten das Programm auf.

In der „Mensuralmusik“ der frühen Renaissance, aus der Zeit noch vor der Einführung von Taktstrichen, gab es das dreiteilige tempus perfectum, durch einen Kreis dargestellt und das durch einen Halbkreis dargestellte zweiteilige tempus imperfectum (eine Reminiszenz dazu ist das heute noch übliche C als Symbol für den 4/4 Takt). Im Zusammenwirken beider metrischer Ebenen entstand ein abwechslungsreiches, eigenartig schwebendes, besonders die niederländische Vokalpolyphonie charakterisierendes, relativ freies Rhythmusgefühl, welches dort vor allem durch die differenziertere Wortausdeutung seine Berechtigung fand. Die Transformation dieses Prinzips auf die stilistisch komplexe Gegenwartsmusik führt bei Andy Herrmann ebenfalls zu einer schwebenden Leichtigkeit und zu einer prickelnden, vielseitigen Rhythmik. Diese bildet eine durchaus willkommene Abwechslung zu den eher gleichförmig hämmernden Dance-Beats der letzten Jahre und Jahrzehnte. Ein 13/8-Takt kombiniert mit einem 13/4-Takt im fliegenden Wechsel mit einem 7er-Takt in den Improvisationsteilen und gleichzeitig unterlegten geraden Rhythmen im Schlagzeug scheint nur auf den ersten Eindruck konstruiert und steril. Wenn aber alle Mitwirkenden auf einer Wellenlänge zusammengefunden haben, ergibt sich daraus ein faszinierender und stimmiger Groove, der sich über den bloßen Tanzcharakter vieler moderner Rhythmen erhebt und gepaart mit der erweiterten Tonalität und Harmonik des Modern Jazz auf den Hörer eine befreiende Wirkung ausübt.

Apropos Groove. Der typische aus der Dance-Szene bekannte Drum-’n‘-Bass-Groove war ebenfalls eine der Inspirationsquellen, der Andy Herrmann ein Experiment mit dem Einsatz zweier zusätzlicher Keyboards und entsprechender Computersoftware bzw. einem Sequenzer im „Groovy Song“ widmete. Der hochdekorierte Münchner Drummer Jütte schien dabei allerdings deutlich unterfordert. Das Zusammenspiel mit den elektronischen Taktgebern wirkte angespannt und war nicht wirklich erfrischend. Immerhin trauten sich die Künstler nach elektronischer Tempovorgabe dem Stück ein „unbegleitetes“ Intro voranzustellen und schafften es doch tatsächlich, sich durch den späteren Einsatz der KI nicht völlig aus dem Takt bringen zu lassen. Handgemacht und analog hat wohl im Live-Betrieb durchaus noch seine Vorzüge. Eine KI-freie Polymetrik ist der elektronisch getakteten Polyphonie künstlerisch allemal überlegen. Gewissermaßen als Wiedergutmachung durfte Jütte danach aber noch ein ausgedehntes, hoch-virtuoses und entsprechend umjubeltes Schlagzeugsolo zelebrieren.

Als Hommage an Herrmanns anwesende Mutter erklang gegen Ende des kurzweiligen Konzertes noch der Titel „First Date“. Zuvor verarbeitete er in dem eindrucksvollen und eindringlichen Titel „Hambuscht“ über den gleichnamigen Kinderschreck aber noch ein frühes Kindheitstrauma auf einem Äpfinger Bauernhof, bei dem auch eine Spieluhrmelodie eine dominierende Rolle spielte. Danach erklang als Zugabe noch eine stimmungsvolle Komposition von Pat Metheny, „Straight On Red“.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

10.11.2023: Open The Box Trio

OpenTheBox statt Büchse der Pandora

„Unperfect Buildings“

BIBERACH – Selten oder gar noch nie zuvor dürfte es eine künstlerische Hommage an das „Unperfekte“ gegeben haben. Selten oder gar einzigartig ist auch der musikalische Weg, den Christian Krischkowsky mit dem neuen Album „Unperfect Buildings“ und seinem neu gegründeten Trio eingeschlagen hat. Gemeinsam mit dem Regensburger Gitarristen Andreas Dombert und dem Tübinger Kontrabassisten Axel Kühn hat der Ulmer Komponist und Schlagzeuger nun in einem CD-Release-Konzert im Jazzkeller dieses ungewöhnliche Projekt vorgestellt. Die Publikumsresonanz war durchweg positiv, die gebotene Musik frisch, authentisch und unvergleichlich.

„Helmut“ hieß der Opener des Konzertabends, „Franz-Josef-Land“ der Titel des zweiten Stückes, beide Nummern an Krischkowskys Jugendjahre in München erinnernd. Aber nicht Helmut Schmid und auch nicht Franz Josef Strauß werden darin hofiert. „Helmut“ steht für Helmut Dietl, den von Krischkowsky so bewunderten Regisseur, Drehbuchautor und Schöpfer des bis zur Komik bodenständigen Münchner Stenz „Monaco Franze“, dargestellt von dem Schauspieler Helmut Fischer. Dessen Motto „Ein bisserl was geht immer“ und dessen skurrile Authentizität passen durchaus auch zu Krischkowskys Musik. Dessen Bekenntnis zu Thelonious Monk im Titel „Please, Hold The Line, Thelonious!” verdeutlicht weiterhin seinen ästhetischen Ansatz. Monk, von seinen Zeitgenossen oft als introvertierter Exzentriker beschrieben, revolutionierte als Autodidakt mit seinem unkonventionellen Stil den Jazz wie kaum ein anderer vor ihm. Und tatsächlich interpretiert auch der Ulmer Komponist mit den „Unperfect Buildings“, wie in seinem Press-Reader angekündigt, den Kanon des Jazz ziemlich neu und ungewöhnlich.

Elaborierte Kompositionen, minutiös ausnotiert und im perfekten Timing ausgeführt erinnern an die klassische Moderne. Komplexe Rhythmen, überraschende Wendungen, plötzliche Tempo- und Dynamikwechsel sowie hoch differenzierte Formstrukturen sind ohne detaillierte Notation kaum zu meistern. Und dennoch verschafften sich die drei Protagonisten immer wieder den jazztypischen Freiraum für kreative Improvisationen, oft in spannender Interaktion zwischen einem sehr melodisch gespielten Kontrabass und meist kuschelig weichen Gitarrenklängen. Letztere klanglich aufpoliert durch verschiedene Effektgeräte.

Plastisch und anschaulich dargestellt fanden die „Dolphins near Venice“, die während der coronabedingten Produktionspause der italienischen Industrie überraschend schnell den Weg in die nun weniger schmutzige Lagune fanden, auch ihren leichten und beschwingten Weg in die Musik. Weit gespannte Melodielinien über komplexer Rhythmik in „Bird on a cherrytree“ erzeugten eine heitere, schwebende Leichtigkeit über permutatorisch organisierten Begleitfiguren in der Gitarre im Stil der „Minimal Music“. Die sehnsüchtige Suche nach dem Sinn des Lebens verbirgt sich wohl hinter dem schwermütigen „Un Giorno“ während „Strange Night In Paris“ durch zahlreiche Takt- und Rhythmuswechsel tatsächlich eine befremdliche Wirkung erzielt.

Die nach anhaltendem Applaus als Zugabe gespielte Cover-Version von „Under the Bridge“, einem der erfolgreichsten Songs der kalifornischen Crossover-Band „Red Hot Chili Peppers“, handelt im Original von dem einsamen Kampf eines Drogenentzuges. Die emotionale Tiefe und kammermusikalische Transparenz der Trioversion war völlig untypisch für eine Zugabe und unterstrich schlussendlich nochmal den unkonventionellen Zuschnitt der „unperfekten Gebäude“ und Krischkowskys bewusste „Gegen-den-Strich-Ästhetik“. Im Unterschied zur Büchse der Pandora lässt sich diese „Box“ getrost öffnen.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

09.11.2023: Dieter Ilg Trio

Dieter Ilg Trio bietet Hochkarätiges

Jazzige Variationen über Maurice Ravel

BIBERACH – Seit vielen Jahren regelmäßig zu Gast in Biberach, ist der international renommierte Freiburger Kontrabassist Dieter Ilg im Trio mit Patrice Héral aus Montpellier am Schlagzeug und dem gebürtigen Ravensburger Rainer Böhm am Flügel mehr denn je Garant für herausragenden Trio-Jazz auf allerhöchstem Niveau. In der trotz stimmungsvoller Bistrobestuhlung leider nur locker besetzten Stadthalle stellten die drei Ausnahmekünstler nun ihr jüngstes Projekt „Ravel“ vor, elf außergewöhnliche Variationen über Kompositionen des französischen Impressionisten Maurice Ravel.

Nach Projekten über Verdi, Wagner, Beethoven und Bach, für die er hoch gelobt und mehrfach mit dem Echo Jazz und Jazz Platin Award ausgezeichnet wurde, kam Dieter Ilg auf seinen musikalischen Expeditionen durch Barock, Klassik und Romantik jetzt im Impressionismus des frühen 20. Jahrhunderts an. Ravels Musik entstand in einer Zeit, in der auch der Jazz seine ersten Schritte tat. Insofern scheint das Ziel der Reise erreicht, der Kreis beginnt sich zu schließen, umarmt vom Jazz, organisch eingebettet in die universelle Idee des Jazz als zeitgenössischer, in der Tradition wurzelnder Tonsprache.

„Nun sind Sie wach“, begrüßte Ilg nach dem exponierten Schlagzeugeinsatz Hérals und den wilden Improvisationen des bereits dritten Stückes des Konzertabends, dem „Klaviertrio in a-moll“ aus dem Jahr 1914, sein aufmerksam lauschendes Publikum, welches er nach eigener Aussage leider nur als „Glühwürmchen“ im stimmungsvoll abgedunkelten und durch Tischleuchten illuminierten Saal wahrnehmen konnte. Zuvor erklangen ein eher ruhiges Menuett als Hommage an Joseph Haydn und das im zarten Pianissimo verlöschende „Quatur“ aus Ravels zur Entstehungszeit 1904 äußerst umstrittenem Streichquartett in F-Dur.

Ein zauberhaftes, kaleidoskopartig und farbenfroh glitzerndes Klaviersolo erklang als Intro zu der „Pavane pour une infante défunte“ für Solopiano in G-Dur, ein Frühwerk Ravels. Die Komposition im langsamen, statisch wirkenden royalen Schreittanzrhythmus des 16. Jahrhunderts entstand im Andenken an die im zarten Alter von 18 Jahren an Diphterie verstorbene Prinzessin Helene von Mecklenburg-Schwerin noch während Ravels Studienzeit. Filigrane, mit diversen Besen und Schlägeln erzeugte Effekte und Rhythmen untermalten die oft auch im Unisono von Bass und Klavier erklingenden Themenfragmente, die von freieren, tonmalerischen Teilen aufgelockert wurden. Herausragend hier vor allem die solitären, gleichermaßen feinsinnigen und tiefgründigen Bass-Exerzitien Ilgs, die mit leisen, schabenden Geräuschen von Strohbesen auf Fell und silbrig flimmernden Klavierpatterns in den im dreifachen Pianissimo verhauchenden Schlussteil mündeten.

Verschiedene metrische Schichten, Polyrhythmik und –tonalität, Ganztonskalen und übermäßige Drei- und Vierklänge einer farbigen Harmonik in komplementärer Verzahnung sowie Improvisationen in teils rasanter Virtuosität kennzeichneten die meisten Kompositionen, aus denen vor der Pause besonders noch der „Versuch“ – ohne Titel – herausragte. Ein minutenlanges Schlagzeugsolo mit viel Finger- und Handarbeit aus dem sich schließlich der charakteristische Bolero-Rhythmus herausschälte, bereitete den Boden für das sich hier nur zögerlich entfaltende, im Original omnipräsente Bolero-Thema aus Ravels wohl bekanntestem Werk. Kaum herauskristallisiert verflüchtigte sich dieses auch schon wieder und steht damit sinnbildlich für Ilgs oft hintergründig humorvolle Herangehensweise.

Im zweiten Set kam der Farbenreichtum von Ravels Instrumentationskunst (berühmt geworden besonders durch die Orchestrierung von Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“) in der spezifischen Übertragung auf die Triobesetzung in verblüffender Weise zum Ausdruck. Verschiedenste Spieltechniken, melodisch, polyphon und dynamisch stark ausdifferenziert, konzertant, expressiv, lyrisch, durch Lagenwechsel ins hohe Flageolett und mehrstimmiges Spiel auf dem Kontrabass erweitert und mit zauberhaften, perlenden Tonkaskaden, gewaltigen Akkordschichtungen oder ekstatischen, oft auch humorvollen Soloimprovisationen von Rainer Böhm auf dem Flügel auf Augenhöhe zu Ilg kombiniert und durch Patrice Héral pikant gewürzt, bewirkten einen Farbenreichtum ganz eigener Art. Dem begeistert applaudierenden Publikum wurde eine Zugabe aus dem „Feengarten“ gewährt, durch welche gelegentlich nochmals Bolero-Anklänge durchschimmerten.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

20.10.2023: Stefan Schöler Trio

Stefan Schöler Trio mit Finn Wiest im Jazzkeller

Erlesener Trio-Jazz zum Hinhören

BIBERACH – Dem fleißigen Konzertbesucher bot sich in den letzten Jazzkonzerten im Rahmen der Biberacher Heimattage-Konzertreihe ein vertiefter und vergleichender Einblick in die Welt des Klaviertrios, der wohl beliebtesten Besetzung des Jazz überhaupt. Vor vollbesetztem Haus offenbarte jetzt das Stefan-Schöler-Trio mit dem aus Biberach stammenden Ausnahme-Drummer Finn Wiest im Jazzkeller eine durchaus der Avantgarde der Szene zuzuordnende Meisterleistung. Finn Wiest studiert derzeit mit einem Master-Stipendium in New York, dem Mekka des Jazz, und bestritt sein heimatliches Gastspiel mit seinem alten Trio aus den Kölner Studienjahren in bester Spiellaune.

Der nordrhein-westfälische Pianist und Komponist Stefan Schöler, nach seinem Klavierstudium in den Niederlanden und in Schweden vor allem in diversen Triobesetzungen international unterwegs, steht für einen höchst individuellen Zugang zum Jazz und zur Jazz-Improvisation. Nach klassischer Ausbildung und großen Vorbildern wie Keith Jarrett, Carla Bley oder Herbie Hancock hat er zu einem ganz eigenständigen Personalstil gefunden. Niemals überladen oder in kontemplativer Selbstdarstellung versunken, lässt er, trotz herausragender Virtuosität und munter sprudelndem Ideenreichtum seinen Mitspielern viel Raum für deren eigene Einfälle. Gepaart mit spielerischer Interaktion auf Augenhöhe und einer stringenten Dramaturgie der Stücke führte dies zu einer hohen kommunikativen Dichte und komplexen Vielschichtigkeit, die aktives und konzentriertes Hinhören erforderte und nichts mit dem „Easy-Listening“ eines für die Hotel-Lobby tauglichen „Smooth-Jazz“ zu tun hat. In kammermusikalischer Transparenz agierten hier drei Solisten mit viel Leidenschaft in gegenseitigem Respekt und auf gleicher Wellenlänge. Die stilistische Bandbreite dabei war enorm. Ob nervöser Bebop, wilder Free Jazz, quirliger Modern Swing oder relaxter Neobop, ob romantische Ballade mit melodramatischem Tiefgang, heiter beschwingtem Jazz Waltz (Kleiner Walzer), tiefsinniger Vertonung von Psalmen (Psalm 116, Johannes 16,33) oder in der rasanten Rastlosigkeit wilder und ausgedehnter Solo-Improvisationen, der individuelle Zugriff und die spezifische Trio-Charakteristik wurden genreübergreifend immer deutlich.

Schölers Kompositionen aus der 2021 produzierten CD „Wiedersehen“ dominierten das Biberacher Programm. Ausgewählte, gegen den Strich gebürstete Standards aus dem „American Songbook“, zum Ende des ersten Sets etwa Cole Porters „All of you“, jahreszeitlich passend das auf einem französischen Chanson beruhende „Autumn leaves“ im zweiten Set oder die als zweite Zugabe gespielte Ballade „My foolish heart“ rundeten die breitgefächerte Stückauswahl ab. Durchaus zeitkritisch gemeinte, neuere Kompositionen des Bandleaders, wie das zur Eröffnung gespielte „Spiellied“, „Bikini“ oder „Gelbe Blumen“, ergaben schon mal einen Vorgeschmack auf die kommendes Jahr erscheinende neue CD.

Besonders lang anhaltenden Beifall erhielten zwei ausgedehnte Schlagzeugsoli von Finn Wiest. Technisch perfekt mit treibendem Groove und scheinbar völlig unabhängig voneinander agierenden Armen und Beinen entwickelte sich eine grandiose Performance, die große Augen und offene Münder beim begeisterten Publikum verursachten, sich im äußerst reduzierten Mienenspiel des hoch konzentrierten Schlagzeugers aber kaum widerspiegelte. Lukas Keller am Kontrabass gefiel, neben gelegentlichen virtuosen Walking-Bässen und perfektem Timing besonders durch seine plastisch-melodischen Soli mit denen er sich immer wieder aus der nur dienenden Funktion in den Vordergrund spielen konnte. Alles in allem wurde dem begeisterten Publikum hier Trio-Jazz der Extraklasse geboten. Getoppt allenfalls von dem demnächst in der Stadthalle spielenden Dieter-Ilg-Trio.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

07.10.2023: Lukas Brenner Trio

Lukas Brenner Trio beim Biberacher Jazzherbst

Perfektes Zusammenspiel von Melodie und Rhythmus am zweiten Abend des Jazz-Wochenendes

Wie am Vortag, begeisterte auch am zweiten Tag des Biberacher Jazzherbsts ein Piano-Trio das Publikum. Der Pianist Lukas Brenner aus Laupheim brachte seine langjährigen musikalischen Begleiter Steffen Kistner (Bass) und Felix Schrack (Drums) als Lukas Brenner Trio mit auf die Jazzbiber-Bühne. Als Einstieg in das Programm wählte man den Ohrwurm „Mrs. Robinson“ von Simon & Garfunkel, der sich sehr schnell in moderner aber melodiöser Jazzinterpretation auflöste. Dank der in die Improvisationen gestreuten Zitate fanden Band und Zuhörer schnell zueinander. Zum Stück „Café au Lait“ aus 2015 hätte derselbe als melodiöse Melange – und obwohl eigentlich als Frühstücks Wachmacher- auch abends bestens gepasst. „Unsere Reise“ aus dem Jahr 2022 bestach durch variantenreiche Improvisationen, einem Mittelteil in „double-time“ und dessen Rückführung ins eigentlich moderate Grundtempo, ja, so eine Reise darf auch gerne mal ruhig zu Ende gehen. Raffiniert arrangiert klangen die zusammengesetzten Eigenkompositionen „Veränderungen“ und „Klang“. Der erste Teil dominiert vom eher ungewöhnlichen 6/8-Rhythmus und vom überzeugenden Schlagzeugsolo zusammengeführt in Modulationen angelehnt an das Akkordsystem von Olivier Messiaen. Widerspruchslos gehen auf diese Weise kontemporärer Jazz und romantische Klassik zusammen. Nach der Pause findet das Trio spielerisch leicht mit Bernsteins „Maria“ die volle Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Erwähnenswert das jederzeit perfekte Zusammenspiel von Melodie und Rhythmus. Steffen Kistner beherrscht den klassischen Double-Bass schlafwandlerisch in allen Lagen, und Felix Schrack an den Drums passt darauf auf, dass sich Improvisation und Kompositionsstrukturen nicht verlieren. Eher zurückhaltend, aber dafür umso hörenswerter sind seine Schlagzeugsoli. Lukas Brenner zeigt sein ganzes Können als Pianist und Komponist. In seinem Bravourstück „Spielkinder“ findet man sich zurückversetzt in das selbstvergessene kindliche Spiel, phantasievoll interpretiert und mit viel Herzenswärme dargebracht.

Zwei unterschiedliche Jazz Abende beim Biberacher Jazzherbst in ähnlicher Besetzung enden mit begeistertem Applaus für beide Trios. Ein Wermutstropfen war die an beiden Abenden überschaubare Publikumsresonanz. Beide Spitzentrios hätten allemal einen besser gefüllten Jazzkeller verdient.

Text: Günter Friedhelm

06.10.2023: Henning Dampel Trio

Henning Dampel Trio beim Biberacher Jazzherbst

Blendend aufgelegtes Piano-Trio im Jazzkeller

Im Rahmen des diesjährigen Biberacher Jazzherbsts bot sich die Gelegenheit, an zwei Tagen hintereinander bemerkenswerte Piano-Trios im Jazzclub Biberach zu hören. Den Auftakt machte am Freitag, den 6. Oktober, das Henning Dampel Trio im Biberacher Jazzkeller.

Drei blendend aufgelegte Musiker aus der näheren Region mit dem Bassisten Andreas Schnell aus Untersulmetingen, dem Drummer Bernward Schäfer aus Ochsenhausen und dem Pianisten Nils Henning Dampel aus Ulm unterhielten ihre Zuhörer mit variantenreichen Eigenkompositionen und – teils übermütig verfremdeten – Standards der Jazzliteratur. Und da wurden viele Erwartungen erfüllt; wollte man eine musikalische Reise begleiten, wurde man mit Salsa „Cuban Run“ und Bossa-Nova „Red Bossa“ nach Kuba und Brasilien entführt. Dazu hätte ein Caipirinha gepasst, um ihn zu elegisch atmosphärischen Kompositionen wie „Atmo“ oder „Relax“ in aller Ruhe zu genießen. Der folgende modern interpretierte Funk mischte sich mit Swing aus den 40ern zum „Happy Waltz“ im Dreiviertel-Takt mit balladenartigen Stücken wie „Left or Right“. Bemerkenswert die in präziser Zwiesprache in hochkomplexen Unisono-Passagen zwischen Piano und Bass gespielten Patterns, virtuos gespielt von Andreas Schnell auf dem wohltemperierten Violin-Bass. Amüsant am Rande war die Beobachtung seiner Bewegungen, für Bassisten eher ungewöhnlich, aber bezeichnend für den tänzerischen Drive dieser Truppe. Überzeugend auch das variantenreiche Spiel von Drummer Bernward Schäfer, der dem klassischen Drumset ohne Sticks mit seinen Slaps und Tips perkussive Congaklänge vom Feinsten zu entlocken weiß. Henning Dampel am Piano führte nicht nur amüsant durchs Programm, sondern vermochte mit seinen dynamisch und melodiös vorgetragenen Eigenkompositionen eine bunte Palette von zeitgemäßem Jazz in den Jazzkeller zu zaubern.

Der Abend endete mit begeistertem Applaus für die Band. Ein Wermutstropfen war die überschaubare Publikumsresonanz, das Trio hätte allemal einen besser gefüllten Jazzkeller verdient.

Text: Günter Friedhelm, Fotos: Wolfgang Volz