Dieter Ilg Trio bietet Hochkarätiges
Jazzige Variationen über Maurice Ravel
BIBERACH – Seit vielen Jahren regelmäßig zu Gast in Biberach, ist der international renommierte Freiburger Kontrabassist Dieter Ilg im Trio mit Patrice Héral aus Montpellier am Schlagzeug und dem gebürtigen Ravensburger Rainer Böhm am Flügel mehr denn je Garant für herausragenden Trio-Jazz auf allerhöchstem Niveau. In der trotz stimmungsvoller Bistrobestuhlung leider nur locker besetzten Stadthalle stellten die drei Ausnahmekünstler nun ihr jüngstes Projekt „Ravel“ vor, elf außergewöhnliche Variationen über Kompositionen des französischen Impressionisten Maurice Ravel.
Nach Projekten über Verdi, Wagner, Beethoven und Bach, für die er hoch gelobt und mehrfach mit dem Echo Jazz und Jazz Platin Award ausgezeichnet wurde, kam Dieter Ilg auf seinen musikalischen Expeditionen durch Barock, Klassik und Romantik jetzt im Impressionismus des frühen 20. Jahrhunderts an. Ravels Musik entstand in einer Zeit, in der auch der Jazz seine ersten Schritte tat. Insofern scheint das Ziel der Reise erreicht, der Kreis beginnt sich zu schließen, umarmt vom Jazz, organisch eingebettet in die universelle Idee des Jazz als zeitgenössischer, in der Tradition wurzelnder Tonsprache.
„Nun sind Sie wach“, begrüßte Ilg nach dem exponierten Schlagzeugeinsatz Hérals und den wilden Improvisationen des bereits dritten Stückes des Konzertabends, dem „Klaviertrio in a-moll“ aus dem Jahr 1914, sein aufmerksam lauschendes Publikum, welches er nach eigener Aussage leider nur als „Glühwürmchen“ im stimmungsvoll abgedunkelten und durch Tischleuchten illuminierten Saal wahrnehmen konnte. Zuvor erklangen ein eher ruhiges Menuett als Hommage an Joseph Haydn und das im zarten Pianissimo verlöschende „Quatur“ aus Ravels zur Entstehungszeit 1904 äußerst umstrittenem Streichquartett in F-Dur.
Ein zauberhaftes, kaleidoskopartig und farbenfroh glitzerndes Klaviersolo erklang als Intro zu der „Pavane pour une infante défunte“ für Solopiano in G-Dur, ein Frühwerk Ravels. Die Komposition im langsamen, statisch wirkenden royalen Schreittanzrhythmus des 16. Jahrhunderts entstand im Andenken an die im zarten Alter von 18 Jahren an Diphterie verstorbene Prinzessin Helene von Mecklenburg-Schwerin noch während Ravels Studienzeit. Filigrane, mit diversen Besen und Schlägeln erzeugte Effekte und Rhythmen untermalten die oft auch im Unisono von Bass und Klavier erklingenden Themenfragmente, die von freieren, tonmalerischen Teilen aufgelockert wurden. Herausragend hier vor allem die solitären, gleichermaßen feinsinnigen und tiefgründigen Bass-Exerzitien Ilgs, die mit leisen, schabenden Geräuschen von Strohbesen auf Fell und silbrig flimmernden Klavierpatterns in den im dreifachen Pianissimo verhauchenden Schlussteil mündeten.
Verschiedene metrische Schichten, Polyrhythmik und –tonalität, Ganztonskalen und übermäßige Drei- und Vierklänge einer farbigen Harmonik in komplementärer Verzahnung sowie Improvisationen in teils rasanter Virtuosität kennzeichneten die meisten Kompositionen, aus denen vor der Pause besonders noch der „Versuch“ – ohne Titel – herausragte. Ein minutenlanges Schlagzeugsolo mit viel Finger- und Handarbeit aus dem sich schließlich der charakteristische Bolero-Rhythmus herausschälte, bereitete den Boden für das sich hier nur zögerlich entfaltende, im Original omnipräsente Bolero-Thema aus Ravels wohl bekanntestem Werk. Kaum herauskristallisiert verflüchtigte sich dieses auch schon wieder und steht damit sinnbildlich für Ilgs oft hintergründig humorvolle Herangehensweise.
Im zweiten Set kam der Farbenreichtum von Ravels Instrumentationskunst (berühmt geworden besonders durch die Orchestrierung von Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“) in der spezifischen Übertragung auf die Triobesetzung in verblüffender Weise zum Ausdruck. Verschiedenste Spieltechniken, melodisch, polyphon und dynamisch stark ausdifferenziert, konzertant, expressiv, lyrisch, durch Lagenwechsel ins hohe Flageolett und mehrstimmiges Spiel auf dem Kontrabass erweitert und mit zauberhaften, perlenden Tonkaskaden, gewaltigen Akkordschichtungen oder ekstatischen, oft auch humorvollen Soloimprovisationen von Rainer Böhm auf dem Flügel auf Augenhöhe zu Ilg kombiniert und durch Patrice Héral pikant gewürzt, bewirkten einen Farbenreichtum ganz eigener Art. Dem begeistert applaudierenden Publikum wurde eine Zugabe aus dem „Feengarten“ gewährt, durch welche gelegentlich nochmals Bolero-Anklänge durchschimmerten.
Text und Fotos: Helmut Schönecker