Kritik – Seite 3 – Jazzclub Biberach e.V.

10.01.2025: Gee Hye Lee Trio feat. Jakob Bänsch & Sandi Kuhn

Fulminanter Saisonstart mit dem Gee Hye Lee Trio feat. Jakob Bänsch & Alexander „Sandi“ Kuhn

Fulminant begann die neue Spielzeit im Jazzclub Biberach. Am 10. Januar gastierte Gee Hye Lee mit ihrem Trio und zwei hochkarätigen Mitspielern. Schon die sphärischen Klänge des Openers „A Journey of Nonsens“ traf den Nerv des Publikums im ausverkauften Jazzclub, und das sollte den gesamten Abend so bleiben. Dass neben den Eigenkompositionen der Musiker auch Standards wie „My Favorite Things“ von Richard Rogers oder „How High The Moon“ Platz im Repertoire finden, zeigt die große Bandbreite der Band, gestützt auf phantasievolle Interpretation und perfekter Improvisation dieser Ausnahmemusiker. Niemals aufdringlich und gänzlich unverstärkt unterstützen sich Band und Solist(in) in größter gegenseitiger Aufmerksamkeit, kristallklarer Ansprache zusammengehalten durch Gee Hye Lees brillantes Pianospiel und messerscharfe Riffs von Jakob Bänsch (Trompete, Flügelhorn) und Alexander „Sandi“ Kuhn am Tenorsax.

Das Trio um Bandleaderin Gee Hye Lee am Piano, Joel Locher am Kontrabass und Mareike Wiening am Schlagzeug erweist sich sowohl als rhythmische Begleitung der beiden Bläser, als auch höchst aufmerksam und mit ansteckender Spielfreude ausgestattet zu dritt in allerbester Abstimmung. Wie solch perfektes gegenseitiges Tragen funktioniert, zeigt sich im Stück „Encounter“, wenn die Band den Rhythmus vorgibt und die brillante Drummerin Mareike Wiening, entgegen jeder schlagwerkenden Gewohnheit, ein „Off-Beat“-Solo vom Allerfeinsten darüber legt.

Nach der Pause richtet Jakob Bänsch sein leises Flügelhorn direkt ins Piano und entlockt so manche Resonanzen, die ansonsten im Ensembleklang ungehört bleiben. Das daraus sich aufbauende „Corea, Here We Come“ entwickelt sich umso fulminanter mit unisono Patterns der Bläser begleitet von Wienings „second-line-drumming“.

Im Stück „Second“, in charmanter Conference von Gee Hye Lee als „Erinnerung an den zweiten Advent“ vorgestellt, mag mancher Zuhörer Sankt Nilolaus‘ weihnachtliche Klänge erwarten, um dann dramaturgisch aber von “Knecht Ruprecht“ abgeholt zu werden. Ein weiteres Highlight: „A letter to Heardt“, gespielt im Trio, eine sehr einfühlsame Komposition von Gee Hy Lee und melodiös getragen vom Ausnahmebassisten Joel Locher.

Virtuoses Trompetenspiel vom Jazzpreisträger Jakob Bänsch im finalen Stück „For Today“ zeigt die reife Bandbreite dieses jungen Künstlers, von dem in Zukunft sicherlich noch viel zu hören sein wird.

Vom begeisterten Publikum mit rauschendem Applaus bedacht, bedankt sich die Band um Gee Hye Lee mit einer reizvollen Zugabe. Aus einem koreanischen Kinderlied werden pentatonische Skalen mit lyrischen Tonsequenzen verwoben, eine finale und glänzend dargebrachte Interpretation des Ensembles von Ausnahmekünstlern. Was für ein Start in dieses Jazzhalbjahr!

Text: Günter Friedhelm
Fotos: Gottlob Volz

22.12.2024: Rootbears

Rootbears – Eine Biberacher Institution wird Fünfunddreißig

Weihnachtsjazz mit Kultstatus für die ganze Familie

 BIBERACH – Eingerahmt durch weihnachtliche Weisen in ganz spezifischem Gewand erklangen in der ausverkauften Schützenkellerhalle jazzige und jazzaffine Weisen von einer der am längsten bestehenden lokalen Band, den bereits legendären Rootbears. Seit Jahrzehnten vom Jazzclub Biberach als Veranstalter unterstützt, hat der 35. traditionelle Weihnachtsjazz der Wurzelbären mittlerweile eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Und seit den Anfängen der inzwischen über 50-jährigen „Best Ager“ noch während deren eigener Schulzeit, gibt es zahlreiche treue und immer wieder auch neue Fans, die von der zum Kult gewordenen launigen Performance überzeugt und begeistert sind. Ein Programm aus lauter Lieblingsstücken der Bandmitglieder, die dann auch persönlich für die jeweiligen Arrangements verantwortlich zeichnen, trifft ganz offensichtlich auch den breiten Publikumsgeschmack. Das stimmungsvolle Ambiente in der festlich dekorierten Schützenkellerhalle, ein toller Sound und eine professionelle Ausleuchtung, taten ein Übriges um die festliche Stimmung zu bereiten.

Bereits der erste musikalische Auftritt aus den Tiefen der Halle heraus mit einem fünfstimmigen A-cappella-Gesang des auf die besondere Situation hin umgetexteten und arrangierten Weihnachtsliedes „Alle Jahre wieder“ brach als überraschender „Opener“ das Eis und sorgte gleich für die ersten Lacher. Die kongenialen Anmoderationen, vor allem von dem mit gleich drei Saxophonen und Okarina angetretenen Rüdiger Przybilla ließen durch ihren trockenen humoristischen Einschlag das Schmunzeln nicht aus den Mienen der Zuhörer verschwinden. Dass es sich bei der Okarina um ein ehemaliges Werbegeschenk der Firma Thomae zur Stärkung der Lungenfunktion handelte, ließ Przybilla durch den exzessiven pneumatischen Gebrauch zur allgemeinen Erheiterung sinnfällig werden. Auch ein Rekurs auf eine 18 Jahre zurückliegende Komposition, die beim Weihnachtsjazz 2006 von den Freuden und Leiden eines frischgebackenen Vaters berichtete, sorgte für Lacher, gefolgt von der freudigen Überraschung als der Wonneproppen von damals als „Special Guest“ namens Matteo mit seiner Gitarre durchaus kompetent das Quintett zum Sextett erweiterte. Der berechtigte Stolz des Vaters war unübersehbar und war auch äußeres Zeichen für ein absolut familientaugliches Unterhaltungsprogramm.

Die stilistische Bandbreite des mannigfaltigen Programms reichte von Duke Ellingtons swingender „Satin Doll“, über die „Samba Tzigane“ des 2023 in München verstorbenen, serbischen Jazztrompeters Dusko Goykovichs oder „Armandos Rhumba“ von Chick Corea bis zum schwäbischen Linsengerichtslied á la „Herr Stumpfes Zieh- & Zupfkapelle“, letzteres köstlich anmoderiert vom souveränen Keyboarder und Akkordeonisten der Band, Magnus Schneider. Selbstverständlich durften auch bluesige Nummern wie „Joe’s Moonblues“ von Nils Landgren mit einem ausgedehnten Posaunensolo von Hans-Peter Schmid oder jazzige Bossa-Nova-Titel wie „La Belle Dame Sans Regrets“ von Sting oder auch das soulige „Why Am I Treated So Bad“ von Norah Jones nicht fehlen. Wechselnde Improvisationen meist von Saxophon, Keyboard oder Posaune sorgten auch für strukturellen und klanglichen Abwechslungsreichtum. Durch die Bank war der neu eingestellte Schlagzeuger der Band, Holger Koppitz, durch komplexe Rhythmen, Takt- und Tempowechsel oder diffizile Songstrukturen ordentlich gefordert, zumal nur wenige gemeinsame Proben voran gegangen waren. Diese Bewährungsprobe hat Koppitz allerdings glänzend bestanden. Der junge Gitarrist Matteo Przybilla gab ebenfalls einen bemerkenswerten Einstand mit „Fragile“ von Sting und Stevie Wonder. Martin Schmid, stellte neben seinem altbewährten groovenden Kontrabass auch einen nagelneuen, sündhaft teuren „cremefarbenen“ E-Bass vor, der vor allem in den neueren, rockigen Kompositionen zum Einsatz kam. Besonders eindrucksvoll geriet das Schlussstück auf der von einer einzigen Kerze im völlig verdunkelten Saal beleuchteten Posaune. Hans-Peter Schmid zelebrierte als zweite Zugabe, nur sparsam begleitet von Magnus Schneider am Keyboard, seine ganz persönliche, anrührende Version von „Stille Nacht“. Einmal mehr setzten die „Rootbears“ mit diesem so traditionellen Konzert ein weihnachtliches Highlight und es bleibt zu hoffen, dass noch viele solche Jubiläen gebührend gefeiert werden können.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

22.11.2024: Karoline Weidt Quartett

„Ladies in Jazz“-Reihe #6 – Karoline Weidt Quartett

„Die mit den Engeln singt“

BIBERACH – Nicht nur der rege CD-Verkauf, auch die glockenhelle Stimme der Brandenburger Jazz-Sängerin, Komponistin und Bandleaderin Karoline Weidt sowie die Schneelandschaft vor der Haustüre ließen den Verdacht aufkommen, das Fest der Feste sei nicht mehr weit. Machte schon das bestens aufgelegte Quartett aus dem Umfeld der Dresdener Musikhochschule mit seinem musikalischen Rundum-Wohlfühlpaket gute Laune, so taten die feinsinnigen Interpretationen ausgesuchter Texte und die wandelbare Stimme der jungen Sängerin ihr Übriges. Gelegentlich durften sogar die zahlreichen Gäste als Background-Chor in Aktion treten.

Lediglich bei den ersten Stücken mit noch etwas gebremstem Schaum, fanden Band und Publikum dann doch schnell und umso enger zusammen. Stimulierende Beifallsrufe und Szenenapplaus, vor allem bei den stupenden Solo-Improvisationen des Pianisten Mikolaj Suchanek aber auch der engelslockigen Kontrabassistin Liza Stadnitska motivierten sicht- und hörbar auch die Musiker. Weidts Stimme erfüllte selbst in den Passagen mit Scatsilben ihren solitären Part souverän, ohne deswegen dominant oder gar penetrant zu wirken. Am offenkundigsten offenbarte sich ihre Meisterschaft sowie die klassisch geschulte und dennoch jazztypische Stimme in der einzigen Fremdkomposition des Abends, in Kurt Weills „Speak low“.

Selten war das durchaus anspruchsvolle Stück des vor allem durch seine „Dreigroschenoper“ mit dem Libretto von Berthold Brecht bekannten Komponisten, im Original für Singstimme und Klavier, in solch lyrischer Empfindsamkeit und Ausdruckstiefe zu hören, die einfühlsame Begleitung mit eingeschlossen. Weidts Interpretation braucht sich selbst hinter der etwas überarrangierten Version eines Frank Sinatra nicht zu verstecken. Ihr persönliches Vorbild Sarah Vaughan schimmert zwar durch, deren waberndes Vibrato hat sie jedoch, dem Jazz und dem Zeitgeschmack geschuldet, auf ein Minimum reduziert ohne dadurch jedoch an Intensität einzubüßen.

Auch ihre eigenen, tiefsinnigen Kompositionen sind durch eingängige, weitgespannte und plastische Melodien gekennzeichnet. Das innige Verhältnis zwischen Text und Musik erschließt sich nur bei intensivem und am besten wiederholtem Hören, so dass ein CD-Kauf sicher kein Fehler war. Die Fülle musikalischer Einfälle besonders in den Klavierimprovisationen, die organischen Übergänge zwischen den einzelnen Formabschnitten und immer wieder die sensible und filigrane Begleitung für deren dezenten Groove neben dem Kontrabass besonders auch der Drummer Felix Demeyre verantwortlich zeichnete, sprechen ebenfalls für wiederholtes Hören. Und so wie wahre, geistvolle Kunst auch bei wiederholter Betrachtung und Kontemplation immer neue Schätze und Einsichten offenbart, verliert auch Weidts Œuvre durch Wiederholung nichts von seiner Faszination.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

16.11.2024: Rebecca Trescher Tentett

Rebecca Trescher Tentett gibt fulminantes Gastspiel in der Stadthalle

Magische Klänge aus Rebeccas Zaubergarten

BIBERACH – Ein Tentett mit 10 Musikern an rund 20 Instrumenten unter Leitung von Rebecca Trescher, ein Jazzkonzert mit kammermusikalischem Einschlag, elaborierte Kompositionen mit überraschend vielen improvisatorischen Freiheiten und ein über viele Jahre hinweg bestens eingespieltes Team irgendwo zwischen Jazzcombo und Symphonie-Orchester angesiedelt, mit einer repräsentativen Auswahl an Holz- und Blechbläsern, Konzertharfe, tiefe Streicher, Vibrafon, Schlagzeug, Klavier und Kontrabass in immer neuen Klangkonstellationen verzauberte in der Stadthalle mit Charakterstücken aus dem Ideenpool der Musiker ein musik- und jazzaffines Publikum. Ein fulminanter Höhepunkt in der Konzertreihe „Ladies in Jazz“ des Jazzclubs.

Mal eher programmatisch angelegt, mal kontrapunktisch gewirkt, mal durch ostinate Motive oder Klangflächen geprägt, immer aber mit plastischen Melodielinien und impressionistisch schillernden Klangfarben versehen, von rasanten Improvisationen und expressiven Soli durchzogen, rhythmisch und metrisch mal mehr mal weniger komplex und dabei strukturell äußerst facettenreich, entfaltete sich ein kurzweiliges Programm, dessen durchaus überzeugender Individual-Stil schwer zu fassen ist. Die intensive Wirkung auf die begeistert applaudierenden Zuhörer, ob eher melancholisch, heiter, dramatisch oder optimistisch und aufmunternd, war jedenfalls mit Händen greifbar.

Die meisten Stücke entstammten der brandneuen CD „Character Pieces“, das Schlussstück „Where We Belong“ war gar eine Uraufführung. Das Konzept der Charakterstücke bestand darin, von jedem Musiker eine mehr oder weniger ausgearbeitete Idee für eine Komposition skizzieren zu lassen. Aus den disparaten Bausteinen komponierte, instrumentierte und arrangierte Rebecca Trescher schließlich die Kompositionen, die somit trotz ihrer Verschiedenartigkeit eine einheitliche Handschrift trugen.

Das Eröffnungsstück „Le Moutardier“ ließ einen manchen Zuhörer zunächst verwundert die Augenbrauen hochziehen, schien doch zunächst nichts so richtig zusammenzupassen. Als nachträglich der Titel des Stückes verkündet und mit „Der Senfmacher“ übersetzt wurde, ging aber schließlich dem einen oder anderen Zuhörer doch noch ein Licht auf. Zu einer ostinaten Begleitformel in Klavier und Kontrabass traten nach und nach eine Klarinetten- und Flötenmelodie, weitere Instrumente mischten sich ins Geschehen, pikante Ingredienzien, dissonante Kollisionen, teils in schriller Tonlage von Flöte und Klarinette, immer neue Drehfiguren umschlangen sich und rührten den Senf zusammen, dessen Würze schließlich förmlich am Gaumen zu spüren war.

Eine ganze Reihe von Kompositionen erschloss sich über ihre programmatischen Titel. Bezwingend das düstere Nachtstück nach einer Idee des Vibrafonisten Roland Neffe. Wunderschön und deutlich harmonischer das Stück „Aussichtsreich“, entstanden während einer Probephase in einer hoch über Bregenz gelegenen Jazzscheune mit Blick über den Bodensee. Silvio Morger am Schlagzeug und Andreas Feith am Klavier waren die Ideenlieferanten. Pittoresk auch der Titel „Höhenwind“, durchsetzt mit Blasgeräuschen durch tonloses Blasen ins Instrument sowie quirligen Figuren in der Klarinette aus der Tiefe in die höchste Lage aufsteigend. Gefolgt wurden diese von schnell auf- und absteigende Skalenmotiven und einer rasanten Improvisation vom Klavier durch Andreas Feith, von dem auch die Idee zum Stück stammte. Die wilde Improvisation zu „Wildwasser“ durfte deren Urheber, der Tübinger Markus Harm am Altsaxophon beisteuern.

Eines der eindrucksvollsten und faszinierendsten Stücke war der von brasilianischen Rhythmen durchzogene, klanglich entzückende „Zaubergarten“, der sich, wie das im 15/8 Takt über einem Vibrafon-Ostinato gehaltene „Verborgen im Wald“, wohl auf der nächsten CD wiederfinden dürfte. Nach zwei Stücken aus dem Paris Zyklus Rebecca Treschers als Zugabe fanden die mitgebrachten und signierten CDs reißenden Absatz.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

08.11.2024: Nicole Johänntgen Trio

Nicole Johänntgen geleitet durch das Labyrinth unserer Zeit

Experimenteller Jazz jenseits aller Plattitüden

BIBERACH – Die wahren Meister suchen stets die Herausforderung, die neuen Wege, das Risiko. So auch die vielfach ausgezeichnete Wahlschweizer Saxofonkoryphäe Nicole Johänntgen im vierten Konzert der erfolgreichen „Ladies in Jazz“-Konzertreihe des Jazzclubs. Die erste Herausforderung besteht bereits in der ungewöhnlichen Besetzung des Trios, ganz ohne Harmonieinstrument, nur mit Saxofon, Tuba und Perkussion. Die zweite Herausforderung liegt in dem künstlerischen Ansatz, allzu konventionelle Patterns konsequent zu vermeiden. Die dritte Herausforderung liegt darin, dem Publikum einen Weg durch das Labyrinth der Gegenwartskultur zu zeigen, einen Ariadnefaden für die Sinnsuche an die Hand zu geben. Dies auf experimentellem Weg, ohne Netz und doppelten Boden zu wagen, stellt dabei vielleicht die größte Herausforderung dar. Und zweifelsohne hat das internationale Trio all diese Herausforderungen gemeistert, ein rundum positives Lebensgefühl vermittelt, seine zahlreichen Biberacher Fans überzeugt, begeistert und mit gleich zwei Zugaben belohnt. Und auch der Verkauf der mitgebrachten CDs lief glänzend.

Weniger ist oft mehr. Eine ästhetische Einsicht, die in der Musikgeschichte immer mal wieder fruchtbar wurde. Vor rund hundert Jahren fanden die Komponisten einen künstlerischen Weg zurück von der überschäumenden Romantik und einem überbordenden Expressionismus. Die Reduktion auf das Wesentliche führte in der Dodekaphonie oder im kargen Neoklassizismus vor allem zu kleineren Ensembles. Schönbergs und Strawinskys Œuvre spiegeln diese Reduktion wieder und gipfeln gar im Minimalismus. Im Modern Jazz wurden die Ensembles als Reaktion auf die Swing- und Bigband-Ära ebenfalls wieder kleiner, kammermusikalisch transparent. Trotz gelegentlicher Anklänge an die Minimal Music geht Johänntgen nicht ganz so weit. Ihre eher rhetorisch und rhythmisch geprägte Motivik ist dazu viel zu expressiv, die kontrapunktische Verzahnung und Interaktion mit ihren Mitspielern viel zu intensiv, das spielerische Element viel zu ausgeprägt, die Improvisationen viel zu lebendig. Die klanglichen und rhythmischen Errungenschaften und Erweiterungen des Modern Jazz sowie dessen Multikulturalität hat sie dabei durchaus verinnerlicht. Skalen- und akkordbezogene Improvisationen werden weitgehend vermieden, Stimmung trefflich charakterisiert.

Rhythmisch geschärfte Unisonopassagen angereichert mit Multiphonics (gleichzeitiges Spielen und Singen in das Instrument) a la Albert Mangelsdorff auf Saxofon (Nicole Johänntgen) und Tuba (Jon Hansen) eröffnen den bunten Reigen, münden in dialogisierende, hochvirtuose Abschnitte, durchsetzt mit rhetorisch geprägten Phrasen und zusammengehalten durch sensibel groovende Rhythmuspatterns (David Staudacher). Das abwechslungsreiche Programm aus der letzten CD-Produktion „Labyrinth“ zieht das Publikum, beginnend mit dem Johänntgens Schweizer Wahlheimat gewidmeten „Lac Leman“, dem Genfer See, sofort in seinen Bann. Gelegentlich erklingende Kuhglocken aus dem Perkussions-Instrumentarium und vereinzelte „Muh-Rufe“ von der Tuba verstärken den helvetischen Eindruck. Eingestreute Songs, auch bereits vom demnächst erscheinenden neuen Album, ganz der Liebe gewidmet, lockern das Programm auf, führen durch das stilistische „Labyrinth“ unserer Tage, geben Einblicke in das, was die Komponistin derzeit vor allem beschäftigt: ihr vierjähriger Goldschatz Nenel. Ihm war nach „Pandeiro“, einem eindrucksvollen, hochdifferenzierten und heftig umjubelten Perkussion-Solo auf dem brasilianischen Tambourin, schließlich auch die zweite, ausdauernd herbeigeklatschte Zugabe gewidmet.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

18.10.2024: Monika Herzig’s Sheroes

Weibliche Jazz-Championsleague in bester Spiellaune
„Monika Herzig’s Sheroes“ gastieren auf ihrer Welttournee in Biberach
BIBERACH – Die neueste CD-Produktion von Monika Herzig’s Sheroes, „All In Good Time“, das vierte Album des Sextetts zur Feier des zehnjährigen Bestehens, steht seit 12 Wochen in den Billboard Jazz Charts der Vereinigten Staaten. Wer dort präsent und vor allem auch so lange präsent ist, ist ganz oben angekommen. Und dank der Spürnase der Programmverantwortlichen des Jazzclubs gab es jetzt die seltene Gelegenheit, im Rahmen der Reihe „Ladies in Jazz“, in einem Livekonzert an diesem unglaublichen Erfolg teilhaben zu dürfen. Der Biberacher Club findet sich damit auf der Tourliste der Sheroes in einer Reihe mit so renommierten Jazzclubs wie dem „Porgy & Bess“ in Wien oder auch dem „Ella & Louis“ in Mannheim. Zwischen zahlreichen Konzerten in den USA, Spanien, Österreich, Indien und Nepal war die oberschwäbische Kleinstadt einer der wenigen Anlaufpunkte in ganz Deutschland, am darauffolgenden Abend stand bereits Madrid auf dem Plan. Und obwohl die SHEroes – die weiblichen Heroes des Jazz – nur im Quartett antreten konnten, rissen sie die Biberacher Jazzfans im ausverkauften Jazzkeller buchstäblich vom Hocker.
In den Pausengesprächen überschlugen sich die begeisterten Kommentare im fachkundigen Publikum. Hatte der eine Jazzfan die beste Schlagzeug-Live-Darbietung überhaupt vernommen und konnte seiner Faszination über die eigens für die Tournee vom Broadway losgeeiste mexikanische Drummerin Rosa Avila kaum mit genügend starken Adjektiven Ausdruck geben, gefiel anderen Besuchern vor allem die Wiener Kontrabassistin Gina Schwarz, erst 2022 mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Ihr brillantes Bass-Spiel gleicht einem eleganten Tanz auf und mit dem fundamentalen Instrument, das bei ihr nicht nur verlässlich groovt und virtuos-raffinierte Improvisationen mit Charme gebiert, sondern trotz der tiefen Lage eine schwebende Leichtigkeit erzeugt, die in der Szene einzigartig ist. Neben der Bandleaderin Monika Herzig steuerte sie ebenfalls eigene Kompositionen zum Programm bei.
Dass die New Yorker Guggenheim-Stipendiatin Jamie Baum elf Mal in Folge jeweils für die „beste Flötistin des Jahres“ nominiert und dabei auch meist erste oder doch vordere Plätze erreichte, konnte derjenige erahnen, der ihr beim Spielen und Improvisieren aufmerksam zuhörte. Als einziges reines Melodieinstrument des Quartetts hatte die weitgereiste Dozentin der renommierten Manhattan School of Music und der New School in New York die melodische Hauptlast des Konzertes zu tragen. Auf ihren beiden Flöten deckte sie dabei ein so breites genreübergreifendes Spektrum an musikalischen Einfällen ab, dass es an nichts mangelte.
An Preisen und Auszeichnungen mangelt es der aus Albstadt stammenden Monika Herzig ebenfalls nicht. Nach 30 Jahren als promovierte Dozentin an der Indiana University und zahlreichen Preisen (DownBeat Magazin Awards; JazzWeek) für ihre Interpretationen (u.a. als Opener für „Power of Tower“, „Sting“ und „Yes“), Kompositionen („Just Another Day at the Office“ wurde sogar in die Jazz-Sammlung „New Standards“ aufgenommen) und Forschungsarbeiten (über David Baker und Chick Corea) übernahm sie vor zwei Jahren eine Professur für „Artistic Research“ an der „Jam Music Lab Private University“ in Wien. Dass unter all der Forschungsarbeit keineswegs ihre kompositorischen und pianistischen Fähigkeiten leiden, stellte sie im erneut ausverkauften Freitagskonzert des Jazzclubs eindrucksvoll unter Beweis. Die vorgestellten Kompositionen des neuen Albums „All In Good Time“, allen voran die gleichnamige Titelkomposition, weisen neben einer vielgestaltigen Melodik und Rhythmik eine Komplexität in Struktur und Harmonik auf, die, trotz ihrer Dichte, trotz ihres hohen künstlerischen Anspruchs und dem konsequenten Vermeiden gängiger Klischees einen unmittelbaren Zugang ins Innerste ihrer Zuhörer finden.
Leider nur eine Zugabe – die Weiterreise nach Madrid drängte –, dafür viele signierte CDs für viele begeisterte neue Fans und ein herzlicher Dank an die Organisatoren beschlossen einen grandiosen Konzertabend, der als Markstein in der jüngeren Veranstaltungsserie des Jazzclubs gelten darf.
Text und Fotos: Helmut Schönecker