Kritik – Seite 2 – Jazzclub Biberach e.V.

31.01.2025: David Helbock’s Random/Control feat. Fola Dada

David Helbock’s Random/Control mit Fola Dada im ausverkauften Jazzkeller

Lyrische Lautmalereien und moderner Groove mit Biss

BIBERACH – Quasi Unerhörtes erklang im völlig ausverkauften Freitagskonzert des heimischen Jazzclubs. Gedichte von Emily Dickingson und William Blake bis Erich Fried und Charlotte Forten Grimké, vertont und am Flügel zelebriert von David Helbock auf einer Parforcejagd durch das gesamte Klangspektrum des Instrumentes, stimmlich interpretiert von Fola Dada in einer Spanne von Body Percussion und Beatboxing über Sprechgesang zu Vokalise und expressivem Blues- und Jazzgesang in inniger Interaktion mit Andreas Broger an Querflöte, Bassklarinette, Sopran- und Baritonsaxophon, dessen Geräusche, Laute und Töne irgendwo zwischen heißer Luft, perkussiven Schnalzlauten und sonorem Wohlklang changierten.

Wie der Bandname bereits vermuten ließ, wurde all dies kontrolliert durch den Zufallsgenerator gejagt und mit der Anmutung des Experiments zum faszinierenden Erklingen gebracht, kontrolliertes Chaos sozusagen. Mit Hilfe elektronischer Helferlein wurde sogar die Raumakustik und der Klangraum variiert und kontrolliert, vom knackig trockenen Klang einer Besenkammer bis hin zu minutenlangen Delays sakraler Großbauten gab es alle Abstufungen. Augen- oder besser Ohrenfällig war hier etwas ganz Neues zu vernehmen: Ambitionierter Avantgarde-Jazz des 21. Jahrhunderts. Den Besuchern gefiel es, wie der tosende Applaus und mehrere Zugaben bewiesen.

Wäre der Multiinstrumentalist Johannes Bär am Konzertabend nicht mit Fieber im Bett geblieben, hätten die zahlreichen Besucher – die letzten mussten gar auf den Treppenstufen Platz nehmen – noch diverse Blechblasinstrumente, Trommeln und Mouth Percussion in einem ohnehin bereits dichten Dschungel aus Klängen und Effekten vernommen. Dass darüber auch Melodien, Harmonien und Rhythmen nicht gänzlich verloren gingen, war der intelligent berechneten Kontrolle der Sujets zu verdanken. So schimmerte trotz aller Verfremdung in „Like A Prayer“ doch noch Madonnas Original durch, dank natürlicher Stimmgebung und deutlicher Aussprache Fola Dadas waren die Texte der Gedichte zumeist gut zu verstehen und besonders in Erich Frieds „Freiheit“, die natürlich nicht „herrscht“, sowie in Grimkés „Digital Utopia“ von zwingender Eindringlichkeit und Expressivität, einen ordentlichen Schuss Zeit- und Gesellschaftskritik inbegriffen.

Dem Fehlen von Johannes Bär war es wohl auch zu verdanken, dass neben den klingenden Exponaten der brandneuen CD in der unfreiwillig reduzierten Besetzung auch einige Standards in kammermusikalischer Transparenz Eingang ins Programm fanden. „Round Midnight“ von Thelonious Monk oder „In A Sentimental Mood“ von Duke Ellington hatten, außerhalb umfänglicher Intros, Zwischenspielen und Endings, durchaus einen traditionellen Touch. Entschlackt von allzu konventionellem Beiwerk nahmen die Stücke dadurch eine zeitlose Frische an, erwachten gewissermaßen zu neuem Leben. Hier inspirierte die lebende Kraft der Tradition hörbar die Gegenwart und sei es mit der Intention, den melodiösen Aspekten des Jazz vielleicht auch in Zukunft wieder einmal etwas mehr Bedeutung zukommen zu lassen.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

24.01.2025: South Quartet

South Quartet mit „ONE“ begeistern Jazzbiber
Einer für Alle, Alle für Einen
BIBERACH – Nach sieben Jahren Abstinenz durften die Biberacher Jazzfans das im wilden Süden Deutschlands verortete „South Quartet“ mit dem vielbeschäftigten, gebürtigen Biberacher Matthias Daneck am Schlagzeug endlich wieder einmal im Jazzkeller hören. Ein kontrastreiches Programm, das sich stark an der gemeinsamen CD „ONE“ orientierte, stand und steht seit rund 10 Jahren für das spezifische Konzept der Formation, welches sich wohl auch hinter dem namensgebenden Titel „ONE“ der CD verbirgt. Die charakteristische Eröffnungsnummer „One“ des Trompeters Peer Baierlein und die Komposition „One Four“ von Matthias Daneck verdeutlichen dies in besonderem Maße.
Jedes der vier Bandmitglieder liefert dabei eine oder mehrere Kompositionen ab, die dann von allen vier Instrumentalisten gemeinsam realisiert werden. Damit tritt im Wechsel die spezifische Handschrift jedes Musikers in den Vordergrund, dieser kann sich gleichzeitig als Solist präsentieren und die anderen „nach seiner Pfeife tanzen lassen“, muss dann aber auch wieder ins Glied zurücktreten, konstruktiv begleiten und den Mitspielern den Vortritt lassen. Gegenseitige spielerische Provokationen der souveränen, auch persönlich befreundeten Musiker belebten besonders in den freien, improvisierten Teilen das künstlerische Geschehen. Die neckische Interaktion der Musiker übertrug sich von Anfang an auch auf das Publikum im gut gefüllten Jazzkeller. Szenenapplaus, anfeuernde Rufe, ja sogar begeisterte Pfiffe und lautes Johlen motivierten die Musiker, die im Laufe des Abends immer mehr zur Hochform aufliefen.
Einen besonders guten Tag schien dabei der Stuttgarter Pianist Ull Möck erwischt zu haben. Seine Freude über einen gut gestimmten und fein intonierten Flügel entlud sich in brillanten Improvisationen, perlenden Läufen, stupender Virtuosität und, wo erforderlich, auch einfühlsamer Begleitung. Heraus ragte dabei vor allem seine eigene Komposition „Eger“. Aus einer munter groovenden ostinaten Bassfigur im Klavier, auf die dann auch der Neuzugang in der Formation, Simon Schallwig aus Mannheim am Kontrabass aufsprang, entwickelt sich eine abwechslungsreiche Formstruktur mit ausgedehnten Improvisationen von Trompete und Klavier, diversen harten Breaks aber auch fließenden Übergängen zum wiederkehrenden Thema und überraschenden Finale.
Auch Matthias Daneck, der sich an diesem Abend eher in Bescheidenheit übte, ließ immer wieder Kostproben seiner Virtuosität aufscheinen, mehr wohl als er in der Stammformation von Ute Lemper zeigen darf. Lediglich in Peer Baierleins Komposition „Matthias“ durfte er in einem längeren Solo brillieren. Subtile Interaktionen zwischen den einzelnen Musikern, das spontane Aufgreifen rhythmischer oder melodischer Motive in der Begleitung während den Solo-Improvisationen bildeten einen besonderen Reiz für den aktiven Zuhörer und lieferten einmal mehr den Beweis, dass Live-Musik durch keine Konserven ersetzt werden kann.
Text und Fotos: Dr. Helmut Schönecker

10.01.2025: Gee Hye Lee Trio feat. Jakob Bänsch & Sandi Kuhn

Fulminanter Saisonstart mit dem Gee Hye Lee Trio feat. Jakob Bänsch & Alexander „Sandi“ Kuhn

Fulminant begann die neue Spielzeit im Jazzclub Biberach. Am 10. Januar gastierte Gee Hye Lee mit ihrem Trio und zwei hochkarätigen Mitspielern. Schon die sphärischen Klänge des Openers „A Journey of Nonsens“ traf den Nerv des Publikums im ausverkauften Jazzclub, und das sollte den gesamten Abend so bleiben. Dass neben den Eigenkompositionen der Musiker auch Standards wie „My Favorite Things“ von Richard Rogers oder „How High The Moon“ Platz im Repertoire finden, zeigt die große Bandbreite der Band, gestützt auf phantasievolle Interpretation und perfekter Improvisation dieser Ausnahmemusiker. Niemals aufdringlich und gänzlich unverstärkt unterstützen sich Band und Solist(in) in größter gegenseitiger Aufmerksamkeit, kristallklarer Ansprache zusammengehalten durch Gee Hye Lees brillantes Pianospiel und messerscharfe Riffs von Jakob Bänsch (Trompete, Flügelhorn) und Alexander „Sandi“ Kuhn am Tenorsax.

Das Trio um Bandleaderin Gee Hye Lee am Piano, Joel Locher am Kontrabass und Mareike Wiening am Schlagzeug erweist sich sowohl als rhythmische Begleitung der beiden Bläser, als auch höchst aufmerksam und mit ansteckender Spielfreude ausgestattet zu dritt in allerbester Abstimmung. Wie solch perfektes gegenseitiges Tragen funktioniert, zeigt sich im Stück „Encounter“, wenn die Band den Rhythmus vorgibt und die brillante Drummerin Mareike Wiening, entgegen jeder schlagwerkenden Gewohnheit, ein „Off-Beat“-Solo vom Allerfeinsten darüber legt.

Nach der Pause richtet Jakob Bänsch sein leises Flügelhorn direkt ins Piano und entlockt so manche Resonanzen, die ansonsten im Ensembleklang ungehört bleiben. Das daraus sich aufbauende „Corea, Here We Come“ entwickelt sich umso fulminanter mit unisono Patterns der Bläser begleitet von Wienings „second-line-drumming“.

Im Stück „Second“, in charmanter Conference von Gee Hye Lee als „Erinnerung an den zweiten Advent“ vorgestellt, mag mancher Zuhörer Sankt Nilolaus‘ weihnachtliche Klänge erwarten, um dann dramaturgisch aber von “Knecht Ruprecht“ abgeholt zu werden. Ein weiteres Highlight: „A letter to Heardt“, gespielt im Trio, eine sehr einfühlsame Komposition von Gee Hy Lee und melodiös getragen vom Ausnahmebassisten Joel Locher.

Virtuoses Trompetenspiel vom Jazzpreisträger Jakob Bänsch im finalen Stück „For Today“ zeigt die reife Bandbreite dieses jungen Künstlers, von dem in Zukunft sicherlich noch viel zu hören sein wird.

Vom begeisterten Publikum mit rauschendem Applaus bedacht, bedankt sich die Band um Gee Hye Lee mit einer reizvollen Zugabe. Aus einem koreanischen Kinderlied werden pentatonische Skalen mit lyrischen Tonsequenzen verwoben, eine finale und glänzend dargebrachte Interpretation des Ensembles von Ausnahmekünstlern. Was für ein Start in dieses Jazzhalbjahr!

Text: Günter Friedhelm
Fotos: Gottlob Volz

22.12.2024: Rootbears

Rootbears – Eine Biberacher Institution wird Fünfunddreißig

Weihnachtsjazz mit Kultstatus für die ganze Familie

 BIBERACH – Eingerahmt durch weihnachtliche Weisen in ganz spezifischem Gewand erklangen in der ausverkauften Schützenkellerhalle jazzige und jazzaffine Weisen von einer der am längsten bestehenden lokalen Band, den bereits legendären Rootbears. Seit Jahrzehnten vom Jazzclub Biberach als Veranstalter unterstützt, hat der 35. traditionelle Weihnachtsjazz der Wurzelbären mittlerweile eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Und seit den Anfängen der inzwischen über 50-jährigen „Best Ager“ noch während deren eigener Schulzeit, gibt es zahlreiche treue und immer wieder auch neue Fans, die von der zum Kult gewordenen launigen Performance überzeugt und begeistert sind. Ein Programm aus lauter Lieblingsstücken der Bandmitglieder, die dann auch persönlich für die jeweiligen Arrangements verantwortlich zeichnen, trifft ganz offensichtlich auch den breiten Publikumsgeschmack. Das stimmungsvolle Ambiente in der festlich dekorierten Schützenkellerhalle, ein toller Sound und eine professionelle Ausleuchtung, taten ein Übriges um die festliche Stimmung zu bereiten.

Bereits der erste musikalische Auftritt aus den Tiefen der Halle heraus mit einem fünfstimmigen A-cappella-Gesang des auf die besondere Situation hin umgetexteten und arrangierten Weihnachtsliedes „Alle Jahre wieder“ brach als überraschender „Opener“ das Eis und sorgte gleich für die ersten Lacher. Die kongenialen Anmoderationen, vor allem von dem mit gleich drei Saxophonen und Okarina angetretenen Rüdiger Przybilla ließen durch ihren trockenen humoristischen Einschlag das Schmunzeln nicht aus den Mienen der Zuhörer verschwinden. Dass es sich bei der Okarina um ein ehemaliges Werbegeschenk der Firma Thomae zur Stärkung der Lungenfunktion handelte, ließ Przybilla durch den exzessiven pneumatischen Gebrauch zur allgemeinen Erheiterung sinnfällig werden. Auch ein Rekurs auf eine 18 Jahre zurückliegende Komposition, die beim Weihnachtsjazz 2006 von den Freuden und Leiden eines frischgebackenen Vaters berichtete, sorgte für Lacher, gefolgt von der freudigen Überraschung als der Wonneproppen von damals als „Special Guest“ namens Matteo mit seiner Gitarre durchaus kompetent das Quintett zum Sextett erweiterte. Der berechtigte Stolz des Vaters war unübersehbar und war auch äußeres Zeichen für ein absolut familientaugliches Unterhaltungsprogramm.

Die stilistische Bandbreite des mannigfaltigen Programms reichte von Duke Ellingtons swingender „Satin Doll“, über die „Samba Tzigane“ des 2023 in München verstorbenen, serbischen Jazztrompeters Dusko Goykovichs oder „Armandos Rhumba“ von Chick Corea bis zum schwäbischen Linsengerichtslied á la „Herr Stumpfes Zieh- & Zupfkapelle“, letzteres köstlich anmoderiert vom souveränen Keyboarder und Akkordeonisten der Band, Magnus Schneider. Selbstverständlich durften auch bluesige Nummern wie „Joe’s Moonblues“ von Nils Landgren mit einem ausgedehnten Posaunensolo von Hans-Peter Schmid oder jazzige Bossa-Nova-Titel wie „La Belle Dame Sans Regrets“ von Sting oder auch das soulige „Why Am I Treated So Bad“ von Norah Jones nicht fehlen. Wechselnde Improvisationen meist von Saxophon, Keyboard oder Posaune sorgten auch für strukturellen und klanglichen Abwechslungsreichtum. Durch die Bank war der neu eingestellte Schlagzeuger der Band, Holger Koppitz, durch komplexe Rhythmen, Takt- und Tempowechsel oder diffizile Songstrukturen ordentlich gefordert, zumal nur wenige gemeinsame Proben voran gegangen waren. Diese Bewährungsprobe hat Koppitz allerdings glänzend bestanden. Der junge Gitarrist Matteo Przybilla gab ebenfalls einen bemerkenswerten Einstand mit „Fragile“ von Sting und Stevie Wonder. Martin Schmid, stellte neben seinem altbewährten groovenden Kontrabass auch einen nagelneuen, sündhaft teuren „cremefarbenen“ E-Bass vor, der vor allem in den neueren, rockigen Kompositionen zum Einsatz kam. Besonders eindrucksvoll geriet das Schlussstück auf der von einer einzigen Kerze im völlig verdunkelten Saal beleuchteten Posaune. Hans-Peter Schmid zelebrierte als zweite Zugabe, nur sparsam begleitet von Magnus Schneider am Keyboard, seine ganz persönliche, anrührende Version von „Stille Nacht“. Einmal mehr setzten die „Rootbears“ mit diesem so traditionellen Konzert ein weihnachtliches Highlight und es bleibt zu hoffen, dass noch viele solche Jubiläen gebührend gefeiert werden können.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

22.11.2024: Karoline Weidt Quartett

„Ladies in Jazz“-Reihe #6 – Karoline Weidt Quartett

„Die mit den Engeln singt“

BIBERACH – Nicht nur der rege CD-Verkauf, auch die glockenhelle Stimme der Brandenburger Jazz-Sängerin, Komponistin und Bandleaderin Karoline Weidt sowie die Schneelandschaft vor der Haustüre ließen den Verdacht aufkommen, das Fest der Feste sei nicht mehr weit. Machte schon das bestens aufgelegte Quartett aus dem Umfeld der Dresdener Musikhochschule mit seinem musikalischen Rundum-Wohlfühlpaket gute Laune, so taten die feinsinnigen Interpretationen ausgesuchter Texte und die wandelbare Stimme der jungen Sängerin ihr Übriges. Gelegentlich durften sogar die zahlreichen Gäste als Background-Chor in Aktion treten.

Lediglich bei den ersten Stücken mit noch etwas gebremstem Schaum, fanden Band und Publikum dann doch schnell und umso enger zusammen. Stimulierende Beifallsrufe und Szenenapplaus, vor allem bei den stupenden Solo-Improvisationen des Pianisten Mikolaj Suchanek aber auch der engelslockigen Kontrabassistin Liza Stadnitska motivierten sicht- und hörbar auch die Musiker. Weidts Stimme erfüllte selbst in den Passagen mit Scatsilben ihren solitären Part souverän, ohne deswegen dominant oder gar penetrant zu wirken. Am offenkundigsten offenbarte sich ihre Meisterschaft sowie die klassisch geschulte und dennoch jazztypische Stimme in der einzigen Fremdkomposition des Abends, in Kurt Weills „Speak low“.

Selten war das durchaus anspruchsvolle Stück des vor allem durch seine „Dreigroschenoper“ mit dem Libretto von Berthold Brecht bekannten Komponisten, im Original für Singstimme und Klavier, in solch lyrischer Empfindsamkeit und Ausdruckstiefe zu hören, die einfühlsame Begleitung mit eingeschlossen. Weidts Interpretation braucht sich selbst hinter der etwas überarrangierten Version eines Frank Sinatra nicht zu verstecken. Ihr persönliches Vorbild Sarah Vaughan schimmert zwar durch, deren waberndes Vibrato hat sie jedoch, dem Jazz und dem Zeitgeschmack geschuldet, auf ein Minimum reduziert ohne dadurch jedoch an Intensität einzubüßen.

Auch ihre eigenen, tiefsinnigen Kompositionen sind durch eingängige, weitgespannte und plastische Melodien gekennzeichnet. Das innige Verhältnis zwischen Text und Musik erschließt sich nur bei intensivem und am besten wiederholtem Hören, so dass ein CD-Kauf sicher kein Fehler war. Die Fülle musikalischer Einfälle besonders in den Klavierimprovisationen, die organischen Übergänge zwischen den einzelnen Formabschnitten und immer wieder die sensible und filigrane Begleitung für deren dezenten Groove neben dem Kontrabass besonders auch der Drummer Felix Demeyre verantwortlich zeichnete, sprechen ebenfalls für wiederholtes Hören. Und so wie wahre, geistvolle Kunst auch bei wiederholter Betrachtung und Kontemplation immer neue Schätze und Einsichten offenbart, verliert auch Weidts Œuvre durch Wiederholung nichts von seiner Faszination.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

16.11.2024: Rebecca Trescher Tentett

Rebecca Trescher Tentett gibt fulminantes Gastspiel in der Stadthalle

Magische Klänge aus Rebeccas Zaubergarten

BIBERACH – Ein Tentett mit 10 Musikern an rund 20 Instrumenten unter Leitung von Rebecca Trescher, ein Jazzkonzert mit kammermusikalischem Einschlag, elaborierte Kompositionen mit überraschend vielen improvisatorischen Freiheiten und ein über viele Jahre hinweg bestens eingespieltes Team irgendwo zwischen Jazzcombo und Symphonie-Orchester angesiedelt, mit einer repräsentativen Auswahl an Holz- und Blechbläsern, Konzertharfe, tiefe Streicher, Vibrafon, Schlagzeug, Klavier und Kontrabass in immer neuen Klangkonstellationen verzauberte in der Stadthalle mit Charakterstücken aus dem Ideenpool der Musiker ein musik- und jazzaffines Publikum. Ein fulminanter Höhepunkt in der Konzertreihe „Ladies in Jazz“ des Jazzclubs.

Mal eher programmatisch angelegt, mal kontrapunktisch gewirkt, mal durch ostinate Motive oder Klangflächen geprägt, immer aber mit plastischen Melodielinien und impressionistisch schillernden Klangfarben versehen, von rasanten Improvisationen und expressiven Soli durchzogen, rhythmisch und metrisch mal mehr mal weniger komplex und dabei strukturell äußerst facettenreich, entfaltete sich ein kurzweiliges Programm, dessen durchaus überzeugender Individual-Stil schwer zu fassen ist. Die intensive Wirkung auf die begeistert applaudierenden Zuhörer, ob eher melancholisch, heiter, dramatisch oder optimistisch und aufmunternd, war jedenfalls mit Händen greifbar.

Die meisten Stücke entstammten der brandneuen CD „Character Pieces“, das Schlussstück „Where We Belong“ war gar eine Uraufführung. Das Konzept der Charakterstücke bestand darin, von jedem Musiker eine mehr oder weniger ausgearbeitete Idee für eine Komposition skizzieren zu lassen. Aus den disparaten Bausteinen komponierte, instrumentierte und arrangierte Rebecca Trescher schließlich die Kompositionen, die somit trotz ihrer Verschiedenartigkeit eine einheitliche Handschrift trugen.

Das Eröffnungsstück „Le Moutardier“ ließ einen manchen Zuhörer zunächst verwundert die Augenbrauen hochziehen, schien doch zunächst nichts so richtig zusammenzupassen. Als nachträglich der Titel des Stückes verkündet und mit „Der Senfmacher“ übersetzt wurde, ging aber schließlich dem einen oder anderen Zuhörer doch noch ein Licht auf. Zu einer ostinaten Begleitformel in Klavier und Kontrabass traten nach und nach eine Klarinetten- und Flötenmelodie, weitere Instrumente mischten sich ins Geschehen, pikante Ingredienzien, dissonante Kollisionen, teils in schriller Tonlage von Flöte und Klarinette, immer neue Drehfiguren umschlangen sich und rührten den Senf zusammen, dessen Würze schließlich förmlich am Gaumen zu spüren war.

Eine ganze Reihe von Kompositionen erschloss sich über ihre programmatischen Titel. Bezwingend das düstere Nachtstück nach einer Idee des Vibrafonisten Roland Neffe. Wunderschön und deutlich harmonischer das Stück „Aussichtsreich“, entstanden während einer Probephase in einer hoch über Bregenz gelegenen Jazzscheune mit Blick über den Bodensee. Silvio Morger am Schlagzeug und Andreas Feith am Klavier waren die Ideenlieferanten. Pittoresk auch der Titel „Höhenwind“, durchsetzt mit Blasgeräuschen durch tonloses Blasen ins Instrument sowie quirligen Figuren in der Klarinette aus der Tiefe in die höchste Lage aufsteigend. Gefolgt wurden diese von schnell auf- und absteigende Skalenmotiven und einer rasanten Improvisation vom Klavier durch Andreas Feith, von dem auch die Idee zum Stück stammte. Die wilde Improvisation zu „Wildwasser“ durfte deren Urheber, der Tübinger Markus Harm am Altsaxophon beisteuern.

Eines der eindrucksvollsten und faszinierendsten Stücke war der von brasilianischen Rhythmen durchzogene, klanglich entzückende „Zaubergarten“, der sich, wie das im 15/8 Takt über einem Vibrafon-Ostinato gehaltene „Verborgen im Wald“, wohl auf der nächsten CD wiederfinden dürfte. Nach zwei Stücken aus dem Paris Zyklus Rebecca Treschers als Zugabe fanden die mitgebrachten und signierten CDs reißenden Absatz.

Text und Fotos: Helmut Schönecker