Kritik – Seite 27 – Jazzclub Biberach e.V.

09.10.2015: Voice Affair & Jazzchor Biberach

Doppel-Chorkonzert im Jazzkeller

„Voice Affair“ zaubert Bombenstimmung in die Hütte

BIBERACH – Jazz der ganz anderen Art gab es gerade im ziemlich überfüllten Biberacher Jazzkeller zu hören. Der neu gegründete „Jazz Chor Biberach“ und der in 20 Jahren „gereifte“ Jazz-Swing-Pop und Soul-Chor „Voice Affair“ gaben sich ein gutgelauntes Stelldichein. Unter der Leitung der Amerikanerin Lib Briscoe versprühten die Sängerinnen und Sänger den authentischen Charme einer originär swingenden und groovenden Musik, die ohne Umwege wie Öl in die Gehörwindungen des dicht gedrängten und begeisterten Publikums floss.

Mit drei munteren Jazztiteln „Agua de Beber“, „Je Veux“ und „Angel Eyes“ zeigte sich der erst seit wenigen Monaten probende „Jazz Chor Biberach“ erstmals der Öffentlichkeit und heizte gewissermaßen als „Vorgruppe“ die Stimmung an. Die Routiniers aus Ravensburg konnten danach mit einem homogenen, ausgewogenen Chorklang und großer Präzision in der rhythmischen Ausführung der glücklich zusammengestellten Titelliste das Publikum für sich einnehmen. Von reinen Jazztiteln eines Bill Evans oder Duke Ellington, die immer wieder durch Improvisationen der dezent groovenden Begleitband aufgelockert wurden, über unsterbliche Musicalmelodien von Cole Porter oder Hits wie „Hit the Road, Jack“, „Mas Que Nada“ und „Africa“ reichte der Melodiencocktail bis hin zu einem höchst diffizilen A-Cappella-Arrangement von „Stairway to Heaven“ oder einem von der Chorleiterin Lib Briscoe eigens eingerichteten Medley aus der Rockoper „Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber. Hier konnte der Chor alle Register ziehen. Dichte, sauber intonierte Harmonien, schwebende Leichtigkeit in schillernden Klangfarben, zupackende Rock-Grooves oder zischende und knackige Beatbox-Elemente und dazu das effiziente auch ästhetisch ansprechende, ja fast schon tanzende Dirigat der Chorleiterin lieferten einen Augen- und Ohrenschmaus.

Fehlten dem echten Rockfan die druckvollen Bass-, Schlagzeug- oder auch verzerrten E-Gitarrensounds, den echten Jazzfans die Spontanität und Emotionalität ausgedehnter Instrumentalimprovisationen, so kamen die Freunde guter Chorbearbeitungen doch zu ihrem vollen Genuss. In reiner Intonation und mit modulationsfreudig changierenden Klängen übertrug sich der Spaß am eigenen Tun in vokaler Unmittelbarkeit auf das eifrig applaudierende Publikum, welches dafür mit zwei Zugaben belohnt wurde.  „Sir Duke“ von Stevie Wonder ließ noch einmal eine Welle der Begeisterung aufbranden bevor der von Ray Charles bekannt gemachte Soulschlager „Hit the Road, Jack“ den Kehraus einleitete.

 

gez. H. Schönecker

25.09.2015: Sonore Wandbehänge

„Sonore Wandbehänge“ aus Dresden und Berlin gastieren im Jazzkeller

Eric Satie goes Jazz

BIBERACH – Das hätte sich der rebellische Stammvater des Minimalismus und Kubismus, Erik Satie, bestimmt nicht träumen lassen. Fünf junge Jazzmusiker mit dem klingenden Bandnamen „Sonore Wandbehänge“, die zum 150. Geburtstag Saties 2016 ihre erste CD auf den Markt bringen wollen, spielen fast ausschließlich Stücke des französischen Sonderlings, der seinerseits mit seinen Miniaturen den komplizierten Orchesterexzessen seiner Zeit und insbesondere Wagner etwas entgegensetzen wollte. Witzig. Sarkastisch. Sardonisch. Das Publikum im gut besuchten Jazzkeller hatte sichtlich Freude an dem Unterfangen des 2014 für seine Interpretation zeitgenössischer Musik mit dem BASF-eco-Preis prämierten Ensembles.

Selten wurde der philosophische Altmeister Adorno, der nicht nur mit seinem bissigen Lob über Satie („in den schnöden und albernen Klavierstücken Saties blitzen Erfahrungen auf, von denen die Wiener Schönbergschule sich nichts träumen ließ“) sondern auch mit seiner auf weitgehender Unkenntnis beruhenden, wütenden Ablehnung des Jazz offenbar daneben lag, so geist- und humorvoll widerlegt.

Hinter der lässigen Melancholie von Saties berühmter „Gymnopédie No. 1“, die in diversen Soundtracks und Bearbeitungen aufbereitet wurde, geraten seine skurrilen Klavierstücke oft in Vergessenheit. In der Instrumentation der „Sonoren Wandbehänge“ (der Name geht auf ein unveröffentlichtes Musikstück von Satie zurück) und immer wieder um improvisierte Teile erweitert, erwachen die schlichten Stückchen jedoch prickelnd zu neuem Leben. Die „Wandbehänge“ namentlich Frontmann Otto Hirte (sax, fl, cl), Leon Albert (g), Marius Moritz (p), der sich als sympathischer Moderator versuchte, sowie Sebastian Braun (kb) und Halym Kim (dr) geben den Vorlagen – ganz jazztypisch – mal mehr mal weniger Raum, lassen weg, was ihnen nicht zusagt und improvisieren dazu Neues im Idiom des 21. Jahrhunderts. Vor allem aber geben sie den Stücken Saties, ohne diesen ihre Würde und jeweiligen Besonderheiten zu nehmen, neue, teils auch recht komplexe Strukturen und Farben.

Unter den zahlreichen Stücken Saties ragten die zwei Stücke für einen Hund „Seul À La Maison“ (Allein zu Haus) und „Sévère Réprimande“ (Strenger Verweis) besonders hervor. Sie sprachen in ihrer pittoresken Anschaulichkeit für sich, regten die Fantasie der Zuhörer an und brachten nicht nur Hundehalter zum Schmunzeln. Zur Auflockerung gaben die „Sonoren Wandbehänge“ neben Satie auch noch zwei zeitgenössische Kompositionen des rumänisch-ungarisch-österreichischen Komponisten Györgi Ligeti (u.a. Filmmusik zu „Odyssee im Weltraum“) zum Besten. Auch hier erwies sich die Chuzpe der „Sonoren Wandbehänge“, bekannte und charakteristische zeitgenössische Kompositionen ungeniert durch die Brille des Jazzmusikers zu betrachten und auch mal gegen den Strich zu bürsten, als durchaus fruchtbar. Dem kunstsinnigen Publikum hat es jedenfalls gut gefallen.

gez. H. Schönecker

19.06.2015: Verena Nübel Quartett

Jazzkeller: Verena-Nübel-Quartett zum Halbjahresabschluss

Verena Nübel macht Laune

BIBERACH – Mit leichtfüßig-urbanem Jazz ins Wochenende driften ist für viele Biberacher Jazzfans schon eine lieb gewordenen Gewohnheit. So lauschten zum Abschluss des Halbjahresprogrammes des Biberacher Jazzclubs beim Freitagabendkonzert im Jazzkeller wieder zahlreiche Gäste dem aus der Landeshauptstadt angereisten Jazz-Quartett, das im Rahmen des vom Deutschen Musikrates ausgerufenen „Tags der Musik 2015“ die aktuelle CD „Beat my Dog“ vorstellte.

Bandleaderin, Komponistin und Sängerin Verena Nübel moderierte sympathisch unprätentiös durch den Abend, wies gleich auf eine Besetzungsänderung und die möglichen Konsequenzen hin – der verhinderte Stammpianist musste kurzfristig durch Christoph Heckeler ersetzt werden – und stürzte sich dann beherzt ins musikalische Abenteuer. Jazz lebt von der Improvisation und die neue Konstellation sollte also eine kreative Neudefinition der CD-Titel mit sich bringen. Vor allem auch, weil dem Pianisten in einer Quartettformation mit Sängerin, Kontrabass und Schlagzeug in der Regel die Hauptgestaltungsaufgaben obliegen. Erleichtert wurden Heckeler diese Aufgaben allerdings durch einprägsame, gestaltkräftige Melodien in eingängigen Harmoniefolgen in durchaus konventionellen Strukturen sowie den – im Jazz nicht immer selbstverständlich – sorgfältig ausnotierten Kompositionen von Verena Nübel.  Heckelers stupende Technik, sein variantenreiches Spiel und seine pianistische Erfahrung ließen jedoch schnell vergessen, dass hier einer von der „Reservebank“ spielte.

Dass sich die mal skurrilen, mal ernsten, mal verträumten musikalischen Geschichten aus der Feder Nübels nicht ganz ohne Reibungsverluste ins neue Outfit übertragen ließen, kommt vielleicht am ehesten in einer Rückfrage eines Besuchers in der Pause zum Ausdruck, „wann denn nun endlich die leidenschaftlichen, temperamentvollen, frechen Stücke mit den im Vorbericht angekündigten Emotionen kommen“. In der Tat schienen die musikalisch reflektierten Lebenserfahrungen Nübels anfangs noch etwas verhalten rüber zu kommen. Eine gewisse Anspannung war unverkennbar. Am Beifall und am Mienenspiel der Musiker war dann jedoch zunehmend die wachsende Spielfreude abzulesen. Vor allem die souligen oder auch leicht funkigen Stücke, die facettenreichen Scatimprovisationen Nübels, die brillanten Klavierimprovisationen, die sicht- und hörbare Spielfreude von Roberto Volse am voll tönenden Kontrabass und dem verlässlich groovenden Felix Schrack am Schlagzeug, vor allem aber auch ein inspirierter „Red Cherry Blues“ über einen Kirschbaum aus Nübels Kindheit, ließen schnell vergessen, was anfänglich wohl die Leidenschaften etwas bremste.

Spätestens als die Zugaben ausgingen und eine Rumba aus dem ersten Set wiederholt werden musste, war auch den freudestrahlenden Interpreten des Abends klar, dass ihr Experiment gelungen war. Lediglich die Geschichte mit dem Hund blieb eigentümlich farblos.

Gez. Helmut Schönecker

 

22.05.2015: Matthias Tschopp Quartet plays Miró

Miró-Bilder inspirieren Schweizer Jazz-Quartett

Musikalische Bildkompositionen der besonderen Art

 

BIBERACH – Seit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, ja seit den Anfängen der reinen Instrumentalmusik vor rund vierhundert Jahren, suchen die Komponisten nach Inspiration und Sujets auch außerhalb der reinen oder absoluten Musik. Immer wieder waren es dabei Bilder, Geschichten oder Programme, die den Genius der „musici“ entflammten. Wer kennt nicht Mussorgskys berühmte „Bilder einer Ausstellung“? Der Gang der Geschichte wird zeigen, ob Tschopps „Miró“ dereinst in einer Reihe mit den großen Vorbildern steht oder als einer von vielen „Subventionskünstlern“ nur noch von buchhalterischem Wert ist.

Gleichwohl dürfte das Biberacher Jazzclubpublikum beim letzten Freitagskonzert in den Genuss einer einmaligen Erfahrung gekommen sein. Die abstrakte Strenge und Symbolkraft der auf eine Leinwand neben der Bühne projizierten Bilder Mirós gaben der musikalischen Vorstellungskraft der Hörer eine Richtung, luden förmlich dazu ein, nach Parallelen in den Farben und in der Aussage zu suchen. Eine interessante, eine faszinierende aber keineswegs einfache Aufgabe, der sich die Konzertbesucher mit sichtlichem Genuss hingaben. Dabei war es nicht zwingend erforderlich, aber durchaus hilfreich, wenn man sich zuvor mit den Bildern beschäftigt hatte, die auch den Kompositionen ihre Namen gaben.

Eines der bekanntesten Miró-Bilder „The Gold of the Azure“ (1967) machte den Auftakt. Wer den wollknäuelartigen blauen Fleck als Symbol für das Mittelmeer und den leuchtend gelben Hintergrund als mediterranen Sonnenschein begriffen hatte, tat sich leichter, die von der Fläche in einen dynamischen Prozess verwandelte musikalische Reinkarnation des Gemäldes zu verstehen. Der Pianist Yves Theiler webte solistisch den Wollknäuel über den der Bassist Luca Sisera eine feine wellenförmige Linie legte, aus der sich eine kraftvolle Melodie entwickelte, die den Wollknäuel umkreisend schließlich in diesen zurückführte um daraus eine virtuos leuchtende Baritonsaxophon-Improvisation des Komponisten Matthias Tschopp hervor zu zaubern, azurfarben und vom leuchtenden Gold der mediterranen Sonne stimmungsvoll geprägt. Einen besonders farbenreichen Groove legte Alex Huber am Drumset darunter.

Weitere Gemälde, wie „Bird, Insect, Constellation“ (1974) oder noch eindringlicher das „Portrait of a Young Girl“ (1935) aus Mirós wilden Jahren, waren in ihrer Expressivität so eindeutig, dass die musikalische Imagination fast zwingend erschien. Tiefschwarze Flächen mit den tiefsten Tönen des Baritonsaxophons in hoher Lautstärke mit Bedrohung zu assoziieren ist unmittelbar sinnfällig. Andere Gemälde, wie „Woman“ (1976) in seiner gendertypischen Widersprüchlichkeit oder „Silence“ (1969) bildeten echte Herausforderungen. Wurde Tschopp ersterem mit einer bluesähnlichen Komposition gerecht, so konnte die Vertonung der Stille nur über Kontraste erfolgen. Ein weiterer Weg bestand darin, die Bilder als eine Art grafische Partitur aufzufassen und minutiös in Musik umzusetzen. Geradezu genial gelang dies in „The Skiing Lesson“ (1966), einer farbenprächtigen Komposition, in der jedem Objekt im Bild ein konkretes musikalisches Ereignis zugeordnet werden kann.

Mehrere Zugaben, darunter besonders eindrucksvoll und voller Leidenschaft „Landscape on the Banks of the River Amur“ (1927), rundeten einen inspirierenden und inspirierten Konzertabend ab.

 

Helmut Schönecker

 

08.05.2015: Nicole Johänntgen Quartett

Volles Haus zur musikalischen Sternstunde im Biberacher Jazzkeller

Nicole Johänntgen Quartett verabreicht musikalischen Zaubertrank

BIBERACH – Kaum zu toppen, was die Saxophonistin Nicole Johänntgen, Wahlschweizerin mit saarländischen Wurzeln, beim Freitagskonzert des Jazzclubs mit ihrer Quartettformation auf die Bretter der Jazzclubbühne gelegt hat. Vom begeisterten Publikum waren nur Superlative über das herausragende Event zu hören: „genial“, „Jazz vom Allerfeinsten“, „super“, „toll“, „überirdisch“, „…selber schuld, wer nicht dabei war“, „… und dann auch noch diese sinnliche, ja geradezu erotische Ausstrahlung“. Drei frenetisch herbei geklatschte, erjohlte und erpfiffene Zugaben ließen den Jazzkeller schließlich zum brodelnden Hexenkessel werden und was da von den höchst inspirierten Musikern zusammen gebraut wurde kann sich in den höchsten Kreisen hören und sehen lassen.

Zweifellos hat die Formation mit ihrer neuesten CD „Moncaup“, die mit Unterstützung des Schweizer Senders SRF 2 Kultur produziert und an einem der erlesensten Clubabende des Jahres im Biberacher Jazzkeller präsentiert wurde, nicht nur höchste Standards gesetzt sondern einen Kulminationspunkt im künstlerischen Schaffen der Formation eingefangen. Johänntgen hat wohl gerade einen „Lauf“! Ausgezeichnet mit dem „Japan Tobacco International Jazz Award“ 2015, ausgestattet mit einem sechsmonatigen USA-Stipendium der Stadt Zürich für 2016, im Team mit großartigen Musikern, die ihrerseits – wie der in Biberach als Träger des internationalen Biberacher Jazzpreises wohlbekannte Schlagzeuger Bodek Janke – mehrfache internationale Auszeichnungen bekommen haben – sorgte das Quartett für eine regelrechte Sternstunde des Jazz in Biberach.

Die meist von der brandneuen CD stammenden Titel wie „Donnerwetter“, „Cocaine“, „Flugmodus“ oder „The Owl“, allesamt aus der Feder von Nicole Johänntgen, umreißen ein kreisendes Suchen jenseits des Konventionellen. Die Johänntgen brennt regelrecht für ihre Musik und „die Freiheit alles spielen zu dürfen“. Da, wo das Neue lauert, dort, wo es am heißesten und auch am gefährlichsten ist, findet sich Nicole Johänntgen in ungebremster Leidenschaft und ungeschützter Expressivität voller Forscherdrang. Grenzen sind dazu da, überschritten zu werden und Ästhetik ist immer auch die Suche nach Wahrheit. Prickelnd, wie ein guter Champagner, erfüllt von praller Lebenslust, sympathisch, direkt und unmittelbar nimmt sie ihr Publikum mit auf ihre Entdeckungsreise und infiziert es mit der ihr eigenen Spielfreude, in der ihre Mitstreiter ihr allerdings kaum nachstehen. Vor allem Bodek Janke sprühte einmal mehr vor innovativen Ideen, agierte witzig und spritzig, gab immer wieder Impulse, führte das musikalische Geschehen auf formales Neuland, forderte die Mitspieler zum spielerischen Duell, brach gerade erst etablierte Strukturen wieder auf und lebte das Motto: Improvisation ist Leben, Leben ist Veränderung. Nirgendwo wurde dies deutlicher als in der letzten Zugabe, einer skurrilen Parodie über Glenn Millers „Chattanooga Choo Choo“, dem legendären Sonderzug, der ohne Bahnstreiks seit Jahrzehnten durch alle Höhen und Tiefen des Lebens fährt.

 

17.04.2015: Organ Explosion

Neue alte Klänge mit Organ Explosion im Biberacher Jazzkeller

Musikalischer Cyberangriff auf alte und neue Hörgewohnheiten

BIBERACH – Zur Vorpremiere ihrer neuesten Vinylscheibe durfte das hell entflammte Publikum im Biberacher Jazzkeller teilhaben an der Euphorie der drei Musiker von „Organ Explosion“ über ein gelungenes Konzept, als AAA-Schallplatte unter dem Bandtitel aufgelegt beim renommierten Label „Neuklang“. Und um es vorweg zu nehmen, der analoge Sound war stimmig bis ins Detail und ging – zumindest denjenigen, die diese Jazz-Blues-Fusion-Funk-Ära mit einem Schuss Rock und Hip-Hop auch klanglich geschätzt haben – direkt in die Blut- und Nervenbahnen.

Ein gewisser Hang zum Fetischismus ist dabei dem Münchner Trio „Organ Explosion“ nicht abzusprechen. Im Mittelpunkt der psychedelisch angehauchten Inszenierung stand eindeutig das antiquierte Equipment aus den 70er Jahren, vor allem eine Hammond A100 mit originalem Leslie-Tonkabinett 147 und ein Fender Rhodes Mark II E-Piano ergänzt durch den legendären Moog-Synthesizer und einer ganzen Reihe altertümlicher Effektgeräte.

Der druckvolle Groove, an dem der quietschlebendige und verspielte Drummer Manfred Mildenberger sowie der temperamentvolle Bassist Ludwig Klöckner einen wesentlichen Anteil hatten, war so straff und dicht gefügt, dass kein Lufthauch mehr zwischen die Töne passte. Knackig, druckvoll und zwingend in der Aussage wurde hier in sattem Originalklang eine längst verschüttet geglaubte Musik zu neuem Leben erweckt und im leidenschaftlichen Spiel fortentwickelt.

Wer den großen Bogen zur Kunst raus hat und außerdem veritable Eigenkompositionen im Programm, braucht keine Angst vor Kitsch zu haben. Klang die vor der Pause von „Organ Explosion“ vorgestellte berühmte Duke-Ellington-Melodie „Creole Love Call“ zunächst noch etwas augenzwinkernd nach Adi Zehnpfennig auf seiner selbstgebauten Dr. Böhm-Orgel mit archaischer Begleitautomatik, entwickelte sich das Stück in der Version von Hansi Enzensperger auf seiner historischen Hammond A 100 über stimmungsvolle Blues-Improvisationen in einem großen Spannungsbogen zu einem fulminanten Virtuosenstück.

Andere Musiktitel verwandelten Computerspiel-Geräusche aus den Anfängen des Genres mit dem Charme alter Raumpatrouille-Filme in witzig-spritzige Novitäten. Amüsant aber beinahe überflüssig war dabei die Theatralik der Kombattanten, die hinter ihren „Cyberwaffen“ pittoresk in Deckung gingen und das virtuelle Shooting mit klanglichen Spezialeffekten auch szenisch verdeutlichten. Hier haben drei passionierte Computerspieler offenkundig einen fruchtbaren Weg in eine real existierende musikalische Ästhetik der Gegenwart gefunden.

Der Spaßfaktor bei den johlenden und aufmunternd pfeifenden Zuhörern war so groß, dass mehrere Zugaben erforderlich wurden, bevor sich das aufgeheizte Publikum schließlich auf die pressfrischen Vinylscheiben stürzen konnte um der alten Schallplattensammlung und vielleicht auch manchen überkommenen oder degenerierten Hörgewohnheiten eine Verjüngungskur zu verordnen.

  1. Schönecker