Neue alte Klänge mit Organ Explosion im Biberacher Jazzkeller
Musikalischer Cyberangriff auf alte und neue Hörgewohnheiten
BIBERACH – Zur Vorpremiere ihrer neuesten Vinylscheibe durfte das hell entflammte Publikum im Biberacher Jazzkeller teilhaben an der Euphorie der drei Musiker von „Organ Explosion“ über ein gelungenes Konzept, als AAA-Schallplatte unter dem Bandtitel aufgelegt beim renommierten Label „Neuklang“. Und um es vorweg zu nehmen, der analoge Sound war stimmig bis ins Detail und ging – zumindest denjenigen, die diese Jazz-Blues-Fusion-Funk-Ära mit einem Schuss Rock und Hip-Hop auch klanglich geschätzt haben – direkt in die Blut- und Nervenbahnen.
Ein gewisser Hang zum Fetischismus ist dabei dem Münchner Trio „Organ Explosion“ nicht abzusprechen. Im Mittelpunkt der psychedelisch angehauchten Inszenierung stand eindeutig das antiquierte Equipment aus den 70er Jahren, vor allem eine Hammond A100 mit originalem Leslie-Tonkabinett 147 und ein Fender Rhodes Mark II E-Piano ergänzt durch den legendären Moog-Synthesizer und einer ganzen Reihe altertümlicher Effektgeräte.
Der druckvolle Groove, an dem der quietschlebendige und verspielte Drummer Manfred Mildenberger sowie der temperamentvolle Bassist Ludwig Klöckner einen wesentlichen Anteil hatten, war so straff und dicht gefügt, dass kein Lufthauch mehr zwischen die Töne passte. Knackig, druckvoll und zwingend in der Aussage wurde hier in sattem Originalklang eine längst verschüttet geglaubte Musik zu neuem Leben erweckt und im leidenschaftlichen Spiel fortentwickelt.
Wer den großen Bogen zur Kunst raus hat und außerdem veritable Eigenkompositionen im Programm, braucht keine Angst vor Kitsch zu haben. Klang die vor der Pause von „Organ Explosion“ vorgestellte berühmte Duke-Ellington-Melodie „Creole Love Call“ zunächst noch etwas augenzwinkernd nach Adi Zehnpfennig auf seiner selbstgebauten Dr. Böhm-Orgel mit archaischer Begleitautomatik, entwickelte sich das Stück in der Version von Hansi Enzensperger auf seiner historischen Hammond A 100 über stimmungsvolle Blues-Improvisationen in einem großen Spannungsbogen zu einem fulminanten Virtuosenstück.
Andere Musiktitel verwandelten Computerspiel-Geräusche aus den Anfängen des Genres mit dem Charme alter Raumpatrouille-Filme in witzig-spritzige Novitäten. Amüsant aber beinahe überflüssig war dabei die Theatralik der Kombattanten, die hinter ihren „Cyberwaffen“ pittoresk in Deckung gingen und das virtuelle Shooting mit klanglichen Spezialeffekten auch szenisch verdeutlichten. Hier haben drei passionierte Computerspieler offenkundig einen fruchtbaren Weg in eine real existierende musikalische Ästhetik der Gegenwart gefunden.
Der Spaßfaktor bei den johlenden und aufmunternd pfeifenden Zuhörern war so groß, dass mehrere Zugaben erforderlich wurden, bevor sich das aufgeheizte Publikum schließlich auf die pressfrischen Vinylscheiben stürzen konnte um der alten Schallplattensammlung und vielleicht auch manchen überkommenen oder degenerierten Hörgewohnheiten eine Verjüngungskur zu verordnen.
- Schönecker