Kritik – Seite 23 – Jazzclub Biberach e.V.

18.11.2016: Albie Donnelly’s Big Thing

„Mr. Supercharge“ Albie Donelly lässt es ordentlich krachen

BIBERACH – Ausverkauftes Haus beim Freitagskonzert des Jazzclubs. Der legendäre Liverpooler Bandleader, Sänger und Saxophonist Albie Donelly, bekannt geworden mit seiner Band „Supercharge“ u.a. als Vorgruppe von Chuck Berry, B.B. King oder auch Queen, lieferte mit seinem Club-Projekt „Big Thing“ im Jazzkeller eine faszinierende Show an Saxophon und Stimme ab. Mit den beiden routinierten Sidemen Ralf Heinrich (Schlagzeug) und Walter Uhlig (Keyboard/Bass) sowie dem typisch britischem Humor in seinen Anmoderationen sang und spielte sich Albie Donelly schnell in die Herzen der zahlreichen Blues- und Soulfans.

„Ich habe selten einen so coolen und ausgebufften Musiker auf der Bühne des Jazzkellers gesehen“, kommentierte einer der langjährigen Stammgäste unter den Besuchern des Konzertes. Und in der Tat ließ die Bühnenpräsenz des Altmeisters nichts zu wünschen übrig. Seinem Animationsprogramm zur Einbeziehung des Publikums, den „Rich People“ in den vorderen Reihen und den „Poor People“ auf den „billigen“ Plätzen im Hintergrund, konnte sich niemand entziehen. Mit seinem angeborenen Talent zur Situationskomik, spielte er die beiden Gruppen gegeneinander aus und stachelte sie so zu vokalen Höchstleistungen an.

Musikalisch kaum hinter Donelly zurück blieben seinen beiden, eigentlich sogar drei Mitstreiter. Walter Uhlig zauberte in perfektem Multitasking mit seiner linken Hand am Keyboard einen preiswürdigen Walking Bass, ohne deswegen in der Freiheit für die wilden Licks und Improvisationen in der rechten Hand merklichen Einschränkungen zu unterliegen und ersetzte somit den sonst obligatorischen Bassisten.

Superdrummer Ralf Heinrich, vom permanent frotzelnden Donelly als „gerade noch menschlicher“ („maybe he’s a human being“) Schlagzeuger vor versammeltem Publikum grausam „mißhandelt“, zelebrierte neben seinen witzig, spritzigen Begleitrhythmen auch ein ausgedehntes, energiegeladenes Schlagzeugsolo in der Tradition eines Gene Krupa oder Buddy Rich vom Allerfeinsten.  Gut strukturiert mit substanziellen Patterns und klanglichen Varianten, die auch aus ungewöhnlichen Spieltechniken gespeist wurden, ließ Ralf Heinrich ein auch dramaturgisch ausgefuchstes Rhythmusgewitter über dem verblüfften Publikum niederprasseln. Wahre Sturzbäche aus Schweiß und stürmischer, nicht endenwollender Beifall waren sein verdienter Lohn.

Dass der stilistische Schwerpunkt des Konzertes eindeutig im Bereich der älteren Traditionen des Blues und Soul lag, tat dem Unterhaltungswert keinen Abbruch. Mit dem „Hootchie-Coochie-Man“ von Muddy Waters aus dem Jahre 1954 als Zugabe entließ Albie Donelly seine restlos begeisterten Fans wieder in den schnöden Alltag, der für viele mit einer Autogrammstunde bei dem bestens aufgelegten Altstar begann.

 

gez. H. Schönecker

11.11.2016: Christoph Stiefel Inner Language Trio

Christoph Stiefels „Inner Language Trio“ mit neuem Programm „Big Ship“

Ekstatisch aufgeladener Kammerjazz begeistert

BIBERACH – Vom ersten Ton an, vermochte das neu formierte „Inner Language Trio“ des Schweizers Christoph Stiefel das Publikum im Jazzkeller zu begeistern und zu fesseln. In kammermusikalischer Dichte und höchster Präzision fingen die weitgehend durchkomponierten Stücke trotz aller Transparenz in der Struktur dennoch unmittelbar an zu swingen, zu grooven, zu rocken.  Der in Anlehnung an die spätmittelalterliche Kompositionstechnik der Isorhythmik entstandene Personalstil Stiefels haucht dem modernen Jazz neues Leben ein, inspiriert die Improvisationskunst und räumt auf mit überkommenen Klischees.

Warum auch sollten ungewohnte, intelligente und komplexe Strukturen nicht die Füße mitwippen lassen? Warum sollten rational konzipierte Formabläufe nicht gleichzeitig eine unbändige Energie freisetzen und enthusiastische Begeisterung auslösen können? Vielleicht noch mehr als in der alten Besetzung kam durch die Musiker der jüngeren Generation, dem in Biberach wohlbekannten aus dem badischen Offenburg stammenden Arne Huber am Kontrabass und dem in Berlin lebenden Schlagzeuger Tobias Backhaus Präzision, Frische und neue Leidenschaft in Stiefels Musik.

Die durch einen Besuch im Hamburger Hafen inspirierte und von der Stadt Zürich und den Schweizer  Kulturstiftungen „prohelvetia“ und „Suisa“ geförderte neue CD „Big Ship“ zeugt ohne Zweifel davon, dass Christoph Stiefel zwischenzeitlich einen reifen Personalstil gefunden hat, der ihn in den erlauchten Kreis der Neuerer und wirklich großen Komponisten und Interpreten des zeitgenössischen Jazz erhebt. Christoph Stiefel zählt zu den „Dickschiffen“ des europäischen Jazz mit Auftritten – allein während diesen Tagen – in Oslo, Berlin, Köln, Rotterdam, München, Nürnberg, Zürich oder Basel. Und dazwischen glücklicherweise auch mal im Biberacher Jazzkeller, wo er erklärtermaßen gerne auftritt und auf ein aufmerksames und begeisterungsfähiges Publikum trifft. Seine Auseinandersetzung mit der Isorhythmik auf höchstem künstlerischem Niveau lässt ihn überdies zu einem Unikat im Jazz werden. Darin vielleicht vergleichbar dem mehrfach echogekrönten Freiburger Bassisten Dieter Ilg, dessen Auseinandersetzungen mit Beethoven, Verdi oder Wagner ebenfalls zu den Höhepunkten des europäischen Jazz gehören.

In Kompositionen wie „Isorhythm #4“ oder dem faszinierenden Titelsong „Big Ship“, vielleicht noch mehr in „Inner Language“ oder „Inner Roughs“, besonders aber im Opener des Abends „First Blossom“ werden die größeren Freiheiten innerhalb der neuen Besetzung deutlich. Besonders Arne Huber wird in der Szene für seine sensiblen Antennen und subtilen Interaktionen geschätzt. Gleich zum Auftakt wurde dies in der „ersten Blüte“ sinnfällig. Spontaneität beim Lösen von den strukturellen Fesseln, Souveränität und Witz bei der Rückkehr in die rahmenden Formen kamen in meisterlicher Weise zu Einsatz und die überschäumende Spielfreude des Trios gab es gratis dazu. Das Publikum wusste dies zu danken. Solch ein Stiefel, der nebenbei bemerkt auch durch hochvirtuoses Spiel am Flügel überzeugte, darf gerne wieder kommen.

 

gez. H. Schönecker

21.10.2016: nic demasow

„Nic demasow“ im Jazzkeller

Vom atmosphärischen Rauschen zur Musik der Welten

BIBERACH – Ein interessiertes und aufmerksames Publikum im Jazzkeller ließ sich bereitwillig mitnehmen auf eine Reise ins noch weitgehend unbekannte Reich der „Musik 4.0“. Dekonstruktion und Neuaufbau nach eigenen gut nachvollziehbaren Kriterien dürften die kompositorischen Verfahren des Darmstädter Trios um Martin Sadowski mit dem Kunstnamen „nic demasow“ wohl am besten charakterisieren. Auf dieselbe Weise, passend zur Musik, entstand denn auch der Bandname aus den Anfangssilben der Namen ihrer Mitglieder.

Als Hommage an Terry Riley, einen der wichtigsten Vertreter der „Minimal Music“ der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, trug der Opener des Konzertabends den Titel „In C“. Wie in der berühmten Vorlage rankte sich auch hier alles um den Zentralton c, womit sich aber die konkreten Gemeinsamkeiten schon erschöpften. Wie im musikalischen Minimalismus, der sich selbst als Reaktion auf die bis dahin dominierende, hochkomplexe und oft sehr abstrakte serielle Musik verstand, zerlegen auch der in Darmstadt lebende Martin Sadowski mit Biberacher Wurzeln mit seinen beiden Mitstreitern an Saxofon und Schlagzeug, Denise Frey (Sopran- und Alt-Saxophon) und Nico Petry (Schlagzeug), die Musik erst einmal in kleinste Patterns und Motive um diese dann zu neuen Strukturen zu formieren, zu neuem Leben zu erwecken, in neue Zusammenhänge zu bringen.

Unter massivem Einsatz elektronischer Klangmanipulatoren und – im Fachjargon oft auch als „Tretminen“ bezeichneten – Multieffektgeräten wurde das Instrumentalspiel des Trios oft nur noch als Materialquelle für die digitale Weiterverarbeitung benutzt. Sequenzierung, Verwendung von Mehrfach-Delays, ein sich permanent wandelndes Kontinuum zwischen Geräusch und harmonischem Klang, komplexe Übereinanderschichtungen rhythmischer, melodischer und harmonischer Motive erzeugten eine räumliche Tiefe und Intensität der Musik, die bei aller Vielfalt und mitunter psychedelischen Unbestimmtheit doch erstaunlich hohen Wiedererkennungswert und harmonische Ausgewogenheit erzielten. Dem ästhetischen Ideal der „Einheit in der Mannigfaltigkeit“ wuchs hier eine überraschend zeitgemäße Bedeutung zu. Weitere Titel wie „Raga“ in einem „Mash-Up“ mit „Reggae“ oder „1984“ in Anlehnung an Haruki Murakamis Kultroman „1Q84“ legten davon ebenso Zeugnis ab wie die Rückbeziehung auf „Bach“, „Samba“ oder „D’n’B“ (Drum & Bass) in den gleichnamigen Kompositionen Sadowskis.

Ein manches Mal auch an Filmmusik erinnernd („Cinematic“) entstand eine neuartige Musik, die zum Davonschweben einlud, zur Reise durch die Tiefen des Weltalls, vorbei an unbekannten Welten mit unbekannten Klängen und Farben. Unbekannte aber dennoch hörbar organisierte Welten mit einer schier grenzenlosen Vielfalt und je eigenen Galaxien mit immer neuen Formen und Schattierungen ließen diese Reise überraschend kurzweilig und unterhaltsam erscheinen. Der Strahlantrieb dieser Reise ins Unbekannte wurzelte einerseits in einem elementaren, digital vermittelten Spieltrieb, andererseits aber auch in immer wieder aus der Tiefe aufsteigenden Grooves und Rhythmuspatterns, besonders vom klangmächtigen 6saitigen E-Bass Sadowskis. Diese Patterns aus Blues, Rock oder Funk waren es denn auch vor allem, welche die nic-demasow’sche Musik erdeten und ihre Teile zusammen und vielleicht auch das Publikum auf der langen kurzweiligen Reise durch einen fantastischen Kosmos bei der Stange hielten. Jedenfalls wurden die drei hörenswerten Künstler nicht ohne Zugabe wieder in ihre Parallelwelt mit den zwei Monden entlassen.

gez. H. Schönecker

07.10.2016: Stefanie Boltz Quartett

Stefanie Boltz – Quartett im Jazzkeller

Love, Lakes & Snakes

BIBERACH – Der akustische „Vocal Jazz & Pop“ der von der Kritik hochgelobten Münchner Sängerin Stefanie Boltz mit ihrem Quartett elektrisierte und begeisterte die Gäste im bis auf den letzten Platz besetzten Jazzkeller. Die CD „Love, Lakes & Snakes“ mit ihrem Solo-Debut von 2014 überzeugte auch in der Liveversion. Die vielseitige Jazzsängerin komponierte zusammen mit dem Produzenten Sven Faller (Kontrabass) nahezu alle Titel des Albums. Abwechslungsreich und mit großer emotionaler Tiefe im Ausdruck entführten die eingängigen Melodien in eine ganz persönliche, atmosphärisch dichte Klangwelt voller Anmut.

Viele der Titel wie „Sunrise“ oder das pragmatische „Don’t leave your coffee by the bed“ kamen balladenhaft daher und entfalteten in sympathisch unaufgeregter Weise weite Klangräume in deren Tiefen noch Platz für durch die Liedtexte angestoßene eigene Gedanken und Gefühle blieb. Aber auch zupackend im R & B- oder Gospelstil groovende Titel wie „Honeybunny“, das rockig rasante „Take it all away“ oder countrymäßig fetzige Nummern wie „Molignon“, der von Stefanie Boltz‘ Erfahrungen auf dem gleichnamigen Südtiroler Klettersteig berichtet, nehmen die Zuhörer mit auf die Reise ins Innere des Boltz’schen Klangkosmos. Bei aller Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme bleibt Stefanie Boltz dabei doch immer natürlich und authentisch. Obwohl ihre beeindruckende Stimme unzweifelhaft im Mittelpunkt aller Interpretationen steht, ergeben sich doch auch für ihre Mitstreiter Paul Morello (Gitarre) und Tilman Herpichböhm (Schlagzeug), die sie ansonsten verlässlich auf Händen tragen, immer wieder gestalterische Freiräume, die sie in jazztypischer Weise auch improvisatorisch nutzten. Besonders Paul Morello aber auch Sven Faller ließen dabei immer wieder Kostproben ihres Könnens aufblitzen.

Dem eingefleischten Jazzfan unter den Zuhörern dürfte der improvisierte Anteil vielleicht etwas zu kurz gekommen sein. Vielleicht stieß auch die schlagerhafte Eingängigkeit mancher Songs des „Akustik Pop“ da oder dort auf eine gewisse Skepsis und Zurückhaltung. Entschädigt wurden aber auch die Puristen dafür durch gestaltkräftige, einprägsame Melodien mit dem Potential zu Evergreens, wie etwa den Refrain des stimmungsvollen Songs „Bright Life“. Entschädigt wurden sie auch durch die subtile Sinnlichkeit und Leidenschaft tief empfundener Kantilenen der temperamentvollen Sängerin, die überdies auch noch durch phänomenales Timing, präzise und nuancenreiche Intonation sowie eine charmanten Anmoderation der Titel bestach.

Zwei Zugaben und reißender CD-Absatz sprachen jedenfalls für die außerordentliche Zufriedenheit über die künstlerische Entwicklung von Stefanie Boltz, die bereits 2012 im Duo mit Sven Faller als „Le Bang Bang“ im Jazzkeller ihr Biberach-Debut gegeben und bereits damals viele Fans gefunden hatte.

gez. H. Schönecker

 

 

23.09.2016: Offshore

Preisgekrönte Kölner Band begeistert im Jazzkeller

Offshore – Ein Name wird Programm

BIBERACH – Die mehrfach preisgekrönte Gruppe „Offshore“ aus der Kölner Jazzschmiede spielte zur Eröffnung der Herbstsaison des Biberacher Jazzclubs im gut besuchten Jazzkeller ausschließlich Eigenkompositionen abseits ausgetretener Pfade. Kein einziger Coversong war dabei zu hören. Es gab keine noch so versteckten bekannten Motive oder gar Melodien, denen es nachzuspüren lohnte. Es erklangen keine eingängigen sich permanent wiederholende Rhythmuspatterns und die stark erweiterte Tonalität zerfloss an ihren Grenzen. Die reichhaltige Harmonik hatte sich ihrer Fesseln entledigt und das musikalische Standardvokabular schien nicht mehr zu greifen. Die erfrischend andersartige Musik stieß trotz oder gerade wegen ihrer Unbestimmtheit und Andersartigkeit bereits nach dem ersten Titel auf überraschte und zustimmende Begeisterungsäußerungen im Publikum.

Mit einem feinen Gespür für das richtige Maß an musikalisch Neuartigem und der ausgeprägten Fähigkeit zum Schaffen nachvollziehbarer formaler Strukturen, einer plastischen Textur der inneren Grammatik, an der jeder der fünf jungen Musiker in souveräner Eigenständigkeit beteiligt war und gleichermaßen gestalterische Verantwortung im interaktiven Geflecht konträr aufeinander bezogener Kontrapunkte übernahm, gelang „Offshore“ zuweilen das ganz Besondere. Die Gegensätze hoben sich auf, die polyphone Autonomie des Einzelnen verschmolz zu einem hin- und mitreißenden Ganzen, die Stücke entwickelten einen straffen, packenden Groove und in die von allen zuckersüßen Leckereien befreiten Gehörgänge strömte mit kraftvoller Opulenz eine sauerstoffreiche, erfrischende und belebende Prise „Offshore-Jazz“ voller Fantasie und Spontanität.

Die etwas ungewöhnliche Besetzung aus Sopran- bzw. Tenorsaxophon (Christoph Möckel), Vibraphon (Dierk Peters), Klavier (Constantin Krahmer), Kontrabass (Oliver Lutz) und Schlagzeug (Fabian Rösch) steht für klangliche Vielfalt und Transparenz gleichermaßen. Dierk Peters zeichnete, neben dem sensibel agierenden Pianisten Constantin Krahmer, auch für die meisten Kompositionen verantwortlich. Er spielte sein Vibraphon, abgesehen von einem einzigen manuell fabrizierten solitären Vibratoeffekt, ganz untypisch völlig ohne Vibrato, was der Transparenz des Gesamtklanges durchaus guttat. Auch von Bass und Schlagzeug kamen stimulierende, mitunter überraschende aber niemals dominierende Beiträge, die sich wie Christoph Möckels Saxophon organisch in den Bandsound integrierten. Hätte in klassischen Bandkonzepten fast schon naturgesetzlich das Saxophon als einziges echtes Melodieinstrument das musikalische Geschehen überstrahlt, so ist Möckel hoch anzurechnen, dass er bei aller Virtuosität und Expressivität den „primus inter pares“ verkörperte und sich dienend dem Bandkonzept unterordnete.

Nach der das offizielle Programm beschließenden Komposition „Copland“, als Hommage an den vom Saxophonisten zum Pianisten mutierten amerikanischen Jazzmusiker Marc Copland geschrieben, erklatschte sich das begeisterte Publikum gleich zwei Zugaben.

 

gez. Dr. H. Schönecker