Christoph Stiefels „Inner Language Trio“ mit neuem Programm „Big Ship“
Ekstatisch aufgeladener Kammerjazz begeistert
BIBERACH – Vom ersten Ton an, vermochte das neu formierte „Inner Language Trio“ des Schweizers Christoph Stiefel das Publikum im Jazzkeller zu begeistern und zu fesseln. In kammermusikalischer Dichte und höchster Präzision fingen die weitgehend durchkomponierten Stücke trotz aller Transparenz in der Struktur dennoch unmittelbar an zu swingen, zu grooven, zu rocken. Der in Anlehnung an die spätmittelalterliche Kompositionstechnik der Isorhythmik entstandene Personalstil Stiefels haucht dem modernen Jazz neues Leben ein, inspiriert die Improvisationskunst und räumt auf mit überkommenen Klischees.
Warum auch sollten ungewohnte, intelligente und komplexe Strukturen nicht die Füße mitwippen lassen? Warum sollten rational konzipierte Formabläufe nicht gleichzeitig eine unbändige Energie freisetzen und enthusiastische Begeisterung auslösen können? Vielleicht noch mehr als in der alten Besetzung kam durch die Musiker der jüngeren Generation, dem in Biberach wohlbekannten aus dem badischen Offenburg stammenden Arne Huber am Kontrabass und dem in Berlin lebenden Schlagzeuger Tobias Backhaus Präzision, Frische und neue Leidenschaft in Stiefels Musik.
Die durch einen Besuch im Hamburger Hafen inspirierte und von der Stadt Zürich und den Schweizer Kulturstiftungen „prohelvetia“ und „Suisa“ geförderte neue CD „Big Ship“ zeugt ohne Zweifel davon, dass Christoph Stiefel zwischenzeitlich einen reifen Personalstil gefunden hat, der ihn in den erlauchten Kreis der Neuerer und wirklich großen Komponisten und Interpreten des zeitgenössischen Jazz erhebt. Christoph Stiefel zählt zu den „Dickschiffen“ des europäischen Jazz mit Auftritten – allein während diesen Tagen – in Oslo, Berlin, Köln, Rotterdam, München, Nürnberg, Zürich oder Basel. Und dazwischen glücklicherweise auch mal im Biberacher Jazzkeller, wo er erklärtermaßen gerne auftritt und auf ein aufmerksames und begeisterungsfähiges Publikum trifft. Seine Auseinandersetzung mit der Isorhythmik auf höchstem künstlerischem Niveau lässt ihn überdies zu einem Unikat im Jazz werden. Darin vielleicht vergleichbar dem mehrfach echogekrönten Freiburger Bassisten Dieter Ilg, dessen Auseinandersetzungen mit Beethoven, Verdi oder Wagner ebenfalls zu den Höhepunkten des europäischen Jazz gehören.
In Kompositionen wie „Isorhythm #4“ oder dem faszinierenden Titelsong „Big Ship“, vielleicht noch mehr in „Inner Language“ oder „Inner Roughs“, besonders aber im Opener des Abends „First Blossom“ werden die größeren Freiheiten innerhalb der neuen Besetzung deutlich. Besonders Arne Huber wird in der Szene für seine sensiblen Antennen und subtilen Interaktionen geschätzt. Gleich zum Auftakt wurde dies in der „ersten Blüte“ sinnfällig. Spontaneität beim Lösen von den strukturellen Fesseln, Souveränität und Witz bei der Rückkehr in die rahmenden Formen kamen in meisterlicher Weise zu Einsatz und die überschäumende Spielfreude des Trios gab es gratis dazu. Das Publikum wusste dies zu danken. Solch ein Stiefel, der nebenbei bemerkt auch durch hochvirtuoses Spiel am Flügel überzeugte, darf gerne wieder kommen.
gez. H. Schönecker