Kritik – Seite 62 – Jazzclub Biberach e.V.

09.12.2000: Candies ’n‘ Dandies 

„Candys and Dandys“ mit Unterhaltungsshow im Jazzkeller

Girls, Girls, Girls & Boys, Boys, Boys

A cappella ist in. “Unplugged” ist in. Eine gute Bühnenshow ist in. Boys und Girls sind in. Und Pop ist sowieso immer in. Alle Ingredenzien zu einem ganz großen Knüller hatten sich also versammelt beim Konzert der „Candys and Dandys“ am Samstagabend im Jazzkeller. Ein nachmittäglicher Sonderauftritt auf dem Biberacher Christkindlesmarkt hat wohl ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen das Publikum in Scharen anzulocken. Und niemand hatte es zu bereuen. Auch wenn Konzentration und Intonation im Verlauf des zweistündigen Auftritts der vier Damen und vier Herren doch merklich nachließen oder der Pianist der agilen Truppe gegen später seine Schäfchen nicht mehr an der rhythmischen Leine halten konnte, der Gesamteindruck war umwerfend.

Für jeden der sorgfältig ausgewählten Songs gab es eine eigene Choreographie und auch effektvolle Standbilder für die Fotografen wurden nicht vergessen. Gewürzt mit komödiantischen Elementen, die stellenweise gar an Szenen aus der „Commedia dell Arte“ erinnerten, entstand eine Art „Gesamtkunstwerk“ ganz eigenen Zuschnitts. Besonders der „Maskensong“ mit seinen roboterhaften Trippeleinlagen und den nach Vorbild des antiken Chores mit Halbmasken ausgestatteten Akteuren rief allgemeine Erheiterung hervor. Und auch wenn sich der Jazzanteil an dieser Unternehmung unter die kritische Marke zurückgezogen hatte, gab der Beifall und die drei erklatschten Zugaben dem Erfolgsrezept der „Candys and Dandys“ recht.

Ab und zu eine balladenhafte Einlage, mit durchaus anspruchsvollen, und auch schwierig zu singenden verqueren Farbharmonien aus der Jazzabteilung, ab und zu eine improvisiert wirkende Scat-Einlage und in der Hauptsache natürlich viel Pop – darunter auch so berühmte Evergreens wie „Girls, Girls, Girls“ von ABBA oder „Ein kleiner grüner Kaktus“ von den Comedian Harmonists – ergaben genau die Mischung, die ankommt. Die Assessoires, wie etwa die nahezu komplette Gärtnerausrüstung zur Kaktuspflege, aber auch witzig-unkonventionelle Arrangements und amüsante szenische Einlagen ließen das Original zumeist schnell vergessen. In Sachen Mimik und Gestik nehmen es die Candys und Dandys locker mit diversen Kabarettisten auf und Singen können sie auch besser.

 

Gez. Helmut Schönecker

10.11.2000: Martin Auer Quartett 

Konzertbericht vom 10.11.2000

Martin Auer Quintett spielte NewComJazz im Biberacher Jazzkeller

Von intergalaktischen Almdudlern und französischen Hinterradlagern

An guter Laune, an kreativen Einfällen, an virtuosen Improvisationen und an begeistertem Applaus gab es wahrlich keinen Mangel beim Konzert mit dem Martin Auer Quintett im Biberacher Jazzkeller. Mit einer bis zum Bersten angefüllten Spielleidenschaft und motiviert bis in die Fußspitzen zauberten vor allem Martin Auer auf seiner Trompete und Florian Trübsbach auf Alt- und Sopransaxophon unerhörte Töne aus ihren Instrumenten. Während Martin Auer noch einige Takte Anlaufzeit benötigte bis die musikalischen Ideen frei strömten, fetzte der Gewinner des Biberacher Jazzpreises 1994 und bayrischer Staatspreisträger 2000, Florian Trübsbach, vom ersten Ton an den spärlichen Zuhörern auch ohne Verstärkung beinahe die Ohren weg. Immer auf hundert Prozent, selbst in Balladen drängend und intensiv, mit einer atemberaubend virtuosen Spieltechnik und einem emotionalen Ausdruck, der ihn alles um sich herum vergessen ließ, fand Trübsbach sofort den Zugang zum Publikum, den richtigen Ton ohnehin.

Fast ausschließlich mit überwiegend hochinteressanten Eigenkompositionen irgendwo zwischen Hard- und Neobop, Funk, Latin und Third Stream atmete jedes Stück eine Vitalität und Expressivität die beinahe greifbar den Raum füllte. Ob der Opener mit dem Titel „Enttäuschungen“ vergangene leidvolle Erfahrungen verarbeitete oder als zarte Kritik am nicht gar so zahlreich erschienenen Publikum zu verstehen, war blieb unbeantwortet. Die phantasievollen Titel wie „Intergalaktischer Almdudler“, „Hingehenkt“, „Fisadé“ oder „Hinterradlager“ fanden alle ihre musikalische Entsprechung in ebenso kreativen Arrangements und Improvisationen. Ohne Probe wirkte der „Ersatzmann“ für den kurzfristig ausgefallenen Schlagzeuger Bastian Jütte dennoch so sicher und überzeugend, ja inspirierend, dass keine Wünsche offen blieben. Freilich, kammermusikalischer Jazz, wie in der Vorankündigung zu lesen, war das nicht. Eine Vergeistigung oder auch nur eine Abstraktion auf ein höheres Reflexionsniveau war dieser Musik nicht abzugewinnen, dafür war einfach die Power und die Bodenhaftung zu groß. Höchstes musikalisches Niveau kann jedoch getrost bestätigt werden, auch ohne die Hintergrundinformation, dass der Drummer den Abend zuvor mit den Bamberger Symphonikern bestritt.

27.10.2000: Lilly Thornton Quartett 

Konzertkritik vom Jazzkonzert mit Lilly Thornton am 27.10.2000

Lilly Thornton Quartett mit Vocal Jazz im Biberacher Jazzkeller

Technische Perfektion bei gedämpfter Leidenschaft

Erst die drei Zugaben machten den Konzertabend mit dem Lilly Thornton Quartett perfekt. Der Weg zum Blues war lang an diesem trübseligen Herbstabend im Biberacher Jazzkeller. Wohlüberlegt, glatt und perfekt wirkten alle Kompositionen und Arrangements. Die technische Raffinesse, die improvisatorische Versiertheit und der schier unerschöpfliche Einfallsreichtum des Tausendsassa Ulli Möck am Piano, die dezent aber verlässlich groovende Backline aus German Klaiber am Kontrabass und Dieter Schumacher am Schlagzeug waren das Trampolin auf dem der unumstrittene Star des Abends, die in der Schweiz heimische Lilly Thornton, ihre Luftsprünge vollführen sollte. Aber irgendwie wollte oder konnte die europaweit renommierte Jazz- und Soulsängerin nicht so richtig die Handbremse lösen.

Souveränes Timing, stiltypische Intonation und ein faszinierendes Timbre in der sonoren und wandelbaren Stimme ließen jedes Stück zum reinen Genuss werden, gediegen, edel und irgendwie schweizerisch. Aber die Höhepunkte, die erfüllten Augenblicke, in denen alles stimmte und die Musik nicht nur irgendwie nett dahinströmte sondern auch mitriss, die ließen auf sich warten.

Erstmals nach der Pause im zweiten Set kam Hoffnung auf. Ein mitreißender Soultitel ließ die Emotionen hochschnellen, die Stimme kam in jene Lagen und Lautstärken, in der sie zu funkeln und zu leuchten begann. Die drei männlichen Mitarbeiter der Sängerin strahlten mit dem heftig applaudierenden Publikum um die Wette. Einige nett gemachte Pop- und Rocktitel, darunter auch die Titelmelodie aus „Raumschiff Enterprise“, nahmen den Flammen jedoch schnell wieder die Nahrung. Allzu gefällig – auch die Beatles ließen aus der Ferne grüßen – ging es weiter, viel zu schnell dem Ende entgegen. Und nur wer Lilly Thornton näher kannte, etwa von ihren letzten Biberach-Konzerten vor nunmehr schon einer ganzen Reihe von Jahren, wartete immer noch auf mehr, auf den eigentlichen Durchbruch zur gewohnten Begeisterung und Leidenschaft. Spät, fast schon zu spät, mit der ersten bluesigen Zugabe flog dann doch noch der Deckel vom Topf. Mit sicherem Gespür für das Besondere erklatschte sich das Publikum gleich zwei weitere Zugaben, die ohne lange Ziererei auch bereitwillig gegeben wurden.

Gez. Helmut Schönecker

29.09.2000: Batlen 

Konzertbericht vom 29.09.2000 im Jazzkeller

Vorgezogene Eröffnung der Italienischen Woche mit BATLEN im Jazzkeller

Mit dem Schirokko im Rücken als Föhnsturm über die Alpen

Mediterrane Einflüsse aus den südlichen und östlichen Anrainerstaaten sowie das unnachahmliche italienische Melos der jungen asticianischen Formation BATLEN haben am Freitagabend im Jazzkeller einen heißen musikalischen Föhnsturm entfacht und eigens für die vorgezogene Eröffnung der Italienischen Woche in Biberach dem Sommer noch einmal die Tür geöffnet.

Kompakte bebop-artige Unisonopassagen, feurige südländisch wirkende Melodien und wilde Improvisationen mit gelegentlichen Free Jazz  oder Rock – Einsprengseln, alles auch Markenzeichen der in Biberach wohlbekannten„I.I.I“, hatten deren Saxophonist Beppe Di Filippo und der Drummer Pietro Ponzone mit im Gepäck, als sie in neuer Quartettformation als BATLEN die Fahnen des piemontesischen Jazz in Biberach hochhielten. Die große Routine, die unglaubliche Präzision im Zusammenspiel und die innige musikalische Interaktion dieser beiden musikalischen Weggefährten übertrug sich wie selbstverständlich auch auf die beiden Neuen. Oscar Casavecchia an diversen Saxophonen konnte mit dem Routinier di Filippo, von gelegentlichen Stimmungstrübungen am Sopransaxophon abgesehen, ganz gut mithalten und Roberto Maceratini mit seinem wunderschönen, sechssaitigen Vollholzbass gab dem Ganzen Fundament und Seele.

Gerade noch rechtzeitig zum Konzert konnten die in spartanischem Englisch mit dem Publikum kommunizierenden italienischen Musiker ein knapp abendfüllendes Programm zusammenstellen. Diese rund 10 Titel hatten es jedoch in sich. Die Ökonomie im Umgang mit dem musikalischen Material spielte in den zahlreichen Ostinatoteilen zwar eine nicht unbedeutende Rolle, gelegentlich wiederholten sich auch einzelne Passagen innerhalb der Improvisationen, der sympathischen Ausstrahlung, dem knackigen Groove, dem natürlichen Fluss der Melodien tat dies jedoch keinen Abbruch. Überhaupt wirkt die unverkrampfte Einstellung der „Oltre Montagni“ – der jenseits der Alpen lebenden Menschen – gegenüber schönen und bekannten Melodien und musikalischen Vorlagen, die besondere italienische Fähigkeit zum warmen und natürlichen Ausdruck des Selbstverständlichen gerade auf die oft kompliziert, hintersinnig und überkritische teutonische Zugangsweise zum Künstlerischen überaus befruchtend. Seit vielen Jahrhunderten und immer wieder aufs Neue können uns die Italiener etwas geben, das sie selbst im Überfluß besitzen: natürliche Leidenschaft, sympathische Offenheit und die Fähigkeit die Seele baumeln zu lassen. Auch in diesem Sinne steht zu hoffen, dass die italienische Woche in Biberach mehr öffentliche Resonanz findet als dieses hoffnungsvolle Eröffnungskonzert.

 

Gez. Helmut Schönecker