Kritik – Seite 49 – Jazzclub Biberach e.V.

11.11.2006: Männer und Tenöre

M.u.T. im Biberacher Jazzkeller

Boccherini total vokal auf der Luftvioline

Nach eher besinnlichen Anfängen mit durchaus ernsthaften musikalischen Bemerkungen in Sachen Liebe und diversen Glanzlichtern aus der Ära der „Comedian Harmonists“, etwa den immer frischen Evergreen von der schönen „Isabella aus Kastilien“, geriet gleich der erste Titel der zweiten Halbzeit zu einer regelrechten „Luftnummer“.  Boccherinis bekanntes Menuett erklang durch „M.u.T.“ – „Männer und Tenöre“ quasi instrumental. Die Instrumente waren jedoch nur „virtuell“ vorhanden, eben als „Luftvioline“ oder „Luftquerflöte“. „Gespielt“ wurden diese aber nicht etwa nur im Playback, wie die viel zitierte Luftgitarre. Sie erklangen real vokal, mit treffend persiflierter Mimik und Gestik, konterkariert durch ein todernstes Mienenspiel und Nonsens-Vokalisen á la „Diddl-daddl“ und „Dum-di-dum“. Die „Luftnummer“ wurde so unversehens zu einer regelrechten „Lachnummer“ und zum Omen für den zweiten Teil, der sich ganz der Komik und dem Klamauk verschrieben hatte.

 

Mit stimmiger Choreographie und sparsam aber charakteristisch eingesetzten Requisiten und Accessoires wussten die „richtigen Männer“ (= Baritone und Bässe) Ralph Kolars, Markus Stürzenhofecker, Klaus Hinrichs und die beiden Tenöre Thomas Mentzel und Peter Schmidt ebenso zu begeistern, wie mit raffinierten, gut einstudierten Arrangements. Ob in bayrisch-älplerischer Staffage oder mit Matrosenkäppi und Kapitänsmütze, ob vollständig a cappella, mit echtem Kontrabass, kleiner Trommel, Tamburin und Gitarre oder mit der klassischen Klavierbegleitung (Alexander Matt), die Hauptsache bildete immer ein nahezu perfekter sonorer Satzgesang. Vom satten Bass bis zum schlanken Falsett-Tenor mischten sich höchst individuelle Stimmen zu einem homogenen Ganzen, aus dem sie aber zur Darstellung besonderer Affekte immer wieder effektvoll hervortreten durften. Auf diese Weise entstanden ebenso dichte wie abwechslungsreich interpretierte musikalische Preziosen von großer Kunstfertigkeit. Das Publikum zeigte sich begeistert und erklatschte gleich drei Zugaben, darunter der schon den ganzen Abend als Requisite auf der Bühne präsente „kleine grüne Kaktus“ und eine als weinerlicher Abschiedsgesang beginnende, mitreißende, fingerschnippende „Barbara Ann“.

 

gez. Dr. Helmut Schönecker

13.10.2006: Andrea Mayer Quartett

Andrea Mayer Quartett im Biberacher Jazzkeller

Ella Fitzgerald in prickelnder Lebendigkeit statt kalter Plastination

Wer ist Andrea Mayer? Das nette Mädchen von nebenan? Eine Allerweltssängerin, passend zu einem Allerweltsnamen? Schon die ersten Töne ihrer warmen, volltönenden Stimme ließen keinen Zweifel daran aufkommen, hier stand die Reinkarnation von Ella Fitzgerald auf der Bühne! In sonorer, klarer Altlage aber auch bis in die höchsten Höhen ihres unglaublichen Stimmumfanges mit charakteristischem natürlichen Timbre, in ihrem unbestechlichen Timing und dem vorzüglichen Scat-Gesang der wohl größten Jazzsängerin aller Zeiten kaum nachstehend, stellte die sympathische Ausnahmesängerin einem begeisterten Biberacher Publikum ihre Anfang des Jahres auf CD gebrannte Hommage an die Queen of Jazz vor. Und wie ihr großes Vorbild mit den renommiertesten Formationen ihrer Zeit, dem Oscar Peterson Trio oder der Count Basie Band tourte, so kam auch die in Freiburg lebende Jazzdiva mit einem illustren Trio nach Biberach.

 

Einer der besten jungen Jazzpianisten Europas, der gebürtige Ravensburger Rainer Böhm, sowie  die beiden arrivierten und viel gefragten Begleitmusiker German Klaiber am Kontrabass und der in Biberach wohlbekannte Matthias Daneck am Schlagzeug unterstützten die unlängst auch vom Südwestfernsehen portraitierte Sängerin. Neben Ella Fitzgerald vor allem den längst zu beliebten Standards geadelten Kompositionen Duke Ellingtons verpflichtet, mit starkem Hang zum Blues und zur Ballade, zeigte sich das Quartett hoch motiviert und in bester Spiellaune.

 

Der Gefahr im Gedenken an die ganz Großen bloßen Retro-Jazz abzuliefern, entging die Truppe durch ironische Brechungen und durch manchen musikalischen Witz der Hintermannschaft. Neckische Spielereien untereinander, vor allem zwischen Daneck und Böhm lockerten die Stücke nicht nur auf sondern verliehen ihnen Geist und Seele. Auch wenn in diesem teils recht übermütigen Spiel das eine oder andere musikalische Angebot zur Zusammenarbeit unter die Räder kam, so etwa in Andrea Mayers vergeblichem Versuch zu einem musikalischen Dialog zwischen ihren Scat-Motiven und Böhms wilden Klavierarabesken  in Billy Strayhorns „Take the A-Train“ zu kommen, ergab sich unter dem Strich eine prickelnde Lebendigkeit und eine durchaus konstruktive Auseinandersetzung mit dem musikalischen Material auf höchstem künstlerischen Niveau. Der Eindruck, dass hier dem Altbewährten Respekt gezollt, gleichzeitig aber auch keine falsche Ehrfurcht oder gar der Wille zur Konservierung zu erkennen war, hob die Musik des Quartetts in wohltuender Weise von vielen traditionell geprägten Nostalgikern ab. Hier gab es keine Plastination á la Gunther von Hagen zu erleben, der mit den Mitteln modernster Technik den fast lebensechten Organismus für die Ewigkeit präparierte; es gab keine auf Hochglanz gebrachte, zombiemäßig untote Remakes in inhalts- und ausdrucksleerer ästhetischer Klarsichthülle zu hören. Hier wurde aus dem Geist des Alten etwas Neues erschaffen, etwas originär Eigenständiges aus dem immer wieder die perlenden Klavierkaskaden Böhms, die sich in Permanenz wandelnden, stimulierenden Drum-Grooves von Daneck oder die in sinnlicher Klanglichkeit schwelgenden Bassimprovisation Klaibers hervorleuchteten um mit dem tief empfundenen Bluesgesang Andrea Mayers zu korrelieren. Zwei gerne gewährte Zugaben beendeten einen langen, kurzweiligen Jazzabend.

 

22.09.2006: OBBD Oldtime Blues & Boogie Duo

OBBD im Jazzkeller

Blues und Boogie gehen unter die Haut

Alte Bekannte und bewährte Erfolgsmodelle im Jazz sind offenbar nicht automatisch auch sichere Garanten für ein volles Haus im Jazzclub Biberach. Mitreißender, emotionsgeladener Blues und Boogie Woogie vom „Original Blues & Boogie Duo“ mit Ignaz Netzer an der Blues Harp, Stimme und Gitarre sowie Thomas Scheytt am Piano, ließ die etwas schüttere Publikumskulisse jedoch schnell in Vergessenheit geraten.

Die beiden Katzenliebhaber vermochten es nicht nur, ihren begeisterten Zuhörern eindrucksvoll zu vermitteln, welche Aufregungen und Stimmungen sich aus dem Zusammenleben mit dem Kater „Nero“ oder der Katze „Bessy“ ergeben können, sie gaben gleichzeitig einen authentischen Einblick in das, was den guten Blues seit seinen Anfängen vor über 100 Jahren auszeichnet: Er gibt einen Spiegel der Seele des Interpreten ab. Die locker-launigen Moderationen von Altmeister Netzer wirkten dabei wie Gebrauchsanleitungen zum verständigen Hören. Dies war auch insofern durchaus hilfreich, als die überwiegend blueslastigen  Musiknummern so angenehm und gefällig daherkamen, dass durchaus die Gefahr bestand, sie in den nur unterhaltsamen Untergrund zu verdrängen, gänzlich abzuschalten und sich kritik- und bewusstlos auf Wolke 7 davontragen zu lassen. Die professionelle Abgeklärtheit und zarte Ironie des Heilbronner Bluesspezialisten mit seinem erdigen Blues-Gesang, der Mundharmonika und Gitarre virtuos kombinierte, ließ einen aber die Bodenhaftung nicht verlieren.

Thomas Scheytt aus Freiburg war am Freitagabend vor allem der „dienstbare Geist“, der mit seiner stupenden Spieltechnik und viel Fingerspitzengefühl die ungewöhnliche Mixtur aus Gitarre und Piano sensibel klanglich auslotete, niemals nur duplizierte, sondern immer sinnvoll ergänzte, Kontrapunkte setzte, begleitete und stimulierte. Dass er auch ganz anders kann, hat er in mehreren Soloeinlagen eindrucksvoll vorgeführt.

 

 

12.05.2006: Christoph Dangelmaier Trio

E-Bass-Virtuose Dangelmaier beim Jazzclub Special

Klassischer Triojazz auf hohem Niveau

Einen bunten Cocktail an eingängig-unterhaltsamen Jazztiteln, Eigenkompositionen und Standards, in professioneller Zubereitung, je nach Bedarf gerührt oder geschüttelt, bekamen die zahlreichen Gäste beim Jazzclub Special am vergangen Freitag im Jazzkeller präsentiert. Als eines der Highlights im Halbjahresprogramm „Three4You“ angekündigt, konnte das Trio des Stuttgarter Bassvirtuosen Christoph Dangelmaier rundum begeistern.

Als besonderer Glücksfall für das Trio erwies sich die technisch brillante Pianistin Gee Hye Lee aus Korea, die mit der größten Selbstverständlichkeit auch die avancierteren Kompositionen eines Keith Jarrett oder Bill Evans, den führenden Pianostars des Modern Jazz nicht nur aufgriff und nachspielte, sondern auch die gestalterische Kraft besaß, daraus etwas Eigenständiges zu fertigen. Leider ließ ihr das im Übrigen durchaus ehrenvolle Bandkonzept der vollen Gleichberechtigung und die virtuose Präsenz ihrer Mitstreiter, neben dem Namensgeber am Kontra- oder E-Bass der ebenfalls aus Stuttgart stammende Jogi Weiss am Schlagzeug, nicht immer den nötigen Raum zur vollen Entfaltung ihrer Möglichkeiten. Andererseits ergaben sich neben enthemmten Soloimprovisationen auf diese Weise auch hochkomplexe Strukturen in polyphoner Dichte. Wo so viel geballte Energie auftritt, ist das Vorhandensein von Leitplanken zur Vermeidung klanglicher Exzesse unabdingbar. Dass daraus mitunter eine gewisse Gleichförmigkeit in den formalen Abläufen resultierte, hingegen nicht. Wo Standards nur noch als Steinbruch für melodisches oder harmonisches Abraummaterial betrachtet werden, deren genussvolle Filetierung zum Eigenwert gerinnt, macht sich oft eine inhaltliche Leere bemerkbar. Nicht so jedoch in der einem begeisterten Publikum gerne gewährten Zugabe „Autumn leaves“, in der Thema und Akkorde sich als Leitmotiv durch eine gänzlich neue Komposition hindurch zogen, in gewisser Weise dem Verfahren klassischer Variationenkompositionen vergleichbar. Engagierter, intelligent gemachter und abwechslungsreicher Modern Jazz, kein stilistisches Neuland aber lebendige Tradition in gediegener Ausarbeitung.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker