24.04.2009: Michael Riessler & Jean-Louis Matinier – Jazzclub Biberach e.V.

24.04.2009: Michael Riessler & Jean-Louis Matinier

Duo Riessler – Matinier im prall gefüllten Jazzkeller.

Virtuose Lieder ohne Worte musikalischer Wanderer zwischen den Welten.

Prickelnde Spannung, kurzweilige Unterhaltung und höchster Musikgenuss waren die herausragenden Merkmale eines ungewöhnlichen Events mit Michael Riessler und Jean-Louis Matinier, zu dem der Biberacher Jazzclub geladen hatte und welches völlig ohne Worte auskam.

Samtweich, warm und zart, in ätherischer Leichtigkeit materialisierten sich die ersten Töne von Riesslers Bassklarinette im Pianissimo, wie aus dem Nichts kommende Klänge formten sich zu anmutigen, weit gespannten Melodien, die den Raum ins Kosmische zu öffnen schienen. Satte, schmatzende Tiefen, lyrisch-kantable Mitten, durchscheinend-duftige Höhen kennzeichnen den Klang des eher selten gespielten Instrumentes, das Michael Riessler nicht nur souverän beherrschte, sondern dessen Grenzen er gleichsam sprengte. Ein durch Flageolett- oder Überblastechniken immens erweiterter Tonumfang gehörte ebenso zu seinem Repertoire, wie ein durch zusätzliches Hineinsingen „a la Mangelsdorff“ in die Mehrstimmigkeit überführter Klang, der mittels alternativer Tonerzeugungstechniken unter Verwendung von Klappengeräuschen aufgebrochen und durch eine perfektionierte Zirkularatmung ins Zeitlose transzendiert nahezu unbegrenzte musikalische Ausdrucksmöglichkeiten eröffnete. Gerade eben noch verträumt, melancholisch, meditativ versunken (etwa in dem auch auf der neuen CD „Silver & Black“ zu findenden Titel „REM“ wohl in Anlehnung an die gleichnamige aktive Schlaf- bzw. Traumphase) erfolgte im nächsten Moment ein unvermittelter Ausbruch in rasante, bebopartige Unisonopassagen aus deren vertrackten Synkopenakzenten sich übergeordnete metrische und melodische Strukturen erhoben. Barock oder klassisch anmutende harmonische Begleitstrukturen aus rasend schnellen, gebrochenen Dreiklängen standen neben impressionistischen Klangflächen oder amorph-aphoristischen Motivsplittern, die, teilweise in völliger Auflösung begriffen, die Musik gewissermaßen atomisierten um sie danach wieder neu zusammenzusetzen. Die staubtrockene Akustik des übervollen Jazzkellers erschwerte jedoch mögliche Klangspielereien erheblich und ließ die losen Partikel mitunter aber auch beinahe auseinander fallen.

Zusammen mit seinem nicht minder virtuosen französischen Mitstreiter Jean-Louis Matinier am chromatischen Knopfgriff-Akkordeon gelangen dem genialen „Paganini der Bassklarinette“, dem es allerdings auch nicht an gewissen elitären Attitüden des extravaganten Künstlers mangelte und der etwa mit aufklärenden Worten im Sinne einer Moderation des Programms geizte, exquisite musikalische Preziosen von großer künstlerischer Eigenständigkeit, ja Einzigartigkeit. Stringente Unikate, Eigenkompositionen mit einer gewaltigen stilistischen Bandbreite durch alle Epochen und Genres, die selbst vor folkloristischen Einschlägen nicht gefeit waren, verbanden etwa Versatzstücke barocker Instrumentalkonzerte, klangversunkene, polyphone Orgelmeditationen auf dem Akkordeon mit swingenden oder bluesartigen Passagen. Das Ganze war immer wieder durchsetzt mit modernen, akkordeontypischen „bellow shakes“ (schnellen Balgwechseln), Kennzeichen einer höchst kultivierten Balgarbeit, die auch einer subtilen Tongestaltung zu Gute kam. Bei aller Virtuosität und bei allem Temperament blieb jedoch in Riesslers exklusiver Musik immer eine gewisse intellektuelle Unterkühltheit spürbar, die Konstruktion schimmerte durch, Transparenz und Transzendenz blieben gewahrt, das dionysisch-ekstatische Element unter sicherer Kontrolle: anspruchsvolle, klassische Moderne, gelegentlich mit leichtem Jazzeinschlag, professionell dargeboten und mit immerhin zwei Zugaben an das begeisterte Publikum abgerundet.

Gez. Dr. Helmut Schönecker