Kritik – Seite 47 – Jazzclub Biberach e.V.

15.05.2009: Talking Horns

Nette Kölsche Jungs ohne Berührungsängste

 

Mit lockerem Mundwerk, erfrischendem Humor und entspannter Unkompliziertheit erfreuten die vier geistvollen „Blazzmusiker“ aus Köln ihr leider nicht gar so zahlreiches Publikum im Biberacher Jazzkeller. Fans der herausragenden Formation aus der „Champions League der Blasmusik“ hatten am Freitagabend bis zu 80km Anfahrt in Kauf genommen um eines der raren Konzerte in Deutschland zu besuchen und sie wurden nicht enttäuscht.

 

Mit Eleganz und Esprit atmete die wahlweise komponierte oder improvisierte Musik eine anmutige Leichtigkeit die zwischen beiläufiger Unbekümmertheit und druckvoll zupackendem Groove changierte. Trotz vollständigem Verzicht auf Schlagzeug oder harmonisches Begleitinstrumentarium kamen selbst stark rhythmisch geprägte Reggae- oder Funktitel („Ragapapa“, „Arme Leute Funk“) genretypisch rüber. Vom mittelalterlichen Choral (Vulpius) über eine Bach’sche Sarabande im Latino-Stil (Beitrag zum Bachfest in Leipzig) bis zu blasmusikalischen Leckereien, etwa in einer Stilparodie der süditalienischen Blaskapellen , den „Bandas“, zeigten die vier nach knapp 15jähriger Bandgeschichte bestens aufeinander eingespielten Ausnahmemusiker der „Talking Horns“ keinerlei Scheu vor den unterschiedlichsten Sujets. Musikalische Humoresken wie „Slivowitz“ oder „Autoput“ mit balkanischen Einflüssen standen neben Skurrilitäten wie „Eichhörnchenballett“ oder den „Talking Horses“. Gegrunze, Gequake, Gewieher oder Geschnaube, mit und ohne „richtige“ Instrumente, unter exponiertem Einsatz von Entenlockpfeifen, Spieldosen, umgebauten Kindertrompeten, „talking drums“ aus dem Backstage-Raum und ähnlichem zu Instrumenten umfunktioniertem „Gedöns“ hinterließen beim Publikum erst Kopfschütteln, dann Schmunzeln und Lachen, schließlich heftige Begeisterung. Die „Talking Horns“ waren unterhaltsam ohne trivial zu sein, konzertant-virtuos und dennoch nicht anstrengend, gefühlvoll ohne falsche Sentimentalität und trotz aller harmonischen Gebundenheit auch „schön schräg“ mit der nötigen klanglichen Würze.

Ob der in Innsbruck lebende Produzent der Musik zur „Sendung mit der Maus“ Andreas Gilgenberg an Flöte, Klarinetten und Saxophonen oder der im „Starlight Express“ und „Saturday Night“ – Ensemble bewährte musikwissenschaftlich studierte Publizist Stephan Schulze an Flügelhorn, Posaune, Tuba oder anderen „Spielzeugen“, der gefragte Theatermusiker und Bandleader Achim Fink „an allem, was klingt“ oder der fernseherprobte Kölner Kultmusiker Bernd Winterschladen an diversen Saxophonen, jeder Musiker der „Talking Horns“ hat nicht nur ein eigenes Charisma und eine eigene selbständige Karriere gemacht sondern im originellen künstlerischen Konzept der „sprechenden Hörner“ eine eigene überzeugende Rolle gefunden. Zum wiederholten Male dürfen die „Talking Horns“ daher auch als Botschafter deutscher Kultur über das Goetheinstitut auf eine weltumspannende Tournee.

24.04.2009: Michael Riessler & Jean-Louis Matinier

Duo Riessler – Matinier im prall gefüllten Jazzkeller.

Virtuose Lieder ohne Worte musikalischer Wanderer zwischen den Welten.

Prickelnde Spannung, kurzweilige Unterhaltung und höchster Musikgenuss waren die herausragenden Merkmale eines ungewöhnlichen Events mit Michael Riessler und Jean-Louis Matinier, zu dem der Biberacher Jazzclub geladen hatte und welches völlig ohne Worte auskam.

Samtweich, warm und zart, in ätherischer Leichtigkeit materialisierten sich die ersten Töne von Riesslers Bassklarinette im Pianissimo, wie aus dem Nichts kommende Klänge formten sich zu anmutigen, weit gespannten Melodien, die den Raum ins Kosmische zu öffnen schienen. Satte, schmatzende Tiefen, lyrisch-kantable Mitten, durchscheinend-duftige Höhen kennzeichnen den Klang des eher selten gespielten Instrumentes, das Michael Riessler nicht nur souverän beherrschte, sondern dessen Grenzen er gleichsam sprengte. Ein durch Flageolett- oder Überblastechniken immens erweiterter Tonumfang gehörte ebenso zu seinem Repertoire, wie ein durch zusätzliches Hineinsingen „a la Mangelsdorff“ in die Mehrstimmigkeit überführter Klang, der mittels alternativer Tonerzeugungstechniken unter Verwendung von Klappengeräuschen aufgebrochen und durch eine perfektionierte Zirkularatmung ins Zeitlose transzendiert nahezu unbegrenzte musikalische Ausdrucksmöglichkeiten eröffnete. Gerade eben noch verträumt, melancholisch, meditativ versunken (etwa in dem auch auf der neuen CD „Silver & Black“ zu findenden Titel „REM“ wohl in Anlehnung an die gleichnamige aktive Schlaf- bzw. Traumphase) erfolgte im nächsten Moment ein unvermittelter Ausbruch in rasante, bebopartige Unisonopassagen aus deren vertrackten Synkopenakzenten sich übergeordnete metrische und melodische Strukturen erhoben. Barock oder klassisch anmutende harmonische Begleitstrukturen aus rasend schnellen, gebrochenen Dreiklängen standen neben impressionistischen Klangflächen oder amorph-aphoristischen Motivsplittern, die, teilweise in völliger Auflösung begriffen, die Musik gewissermaßen atomisierten um sie danach wieder neu zusammenzusetzen. Die staubtrockene Akustik des übervollen Jazzkellers erschwerte jedoch mögliche Klangspielereien erheblich und ließ die losen Partikel mitunter aber auch beinahe auseinander fallen.

Zusammen mit seinem nicht minder virtuosen französischen Mitstreiter Jean-Louis Matinier am chromatischen Knopfgriff-Akkordeon gelangen dem genialen „Paganini der Bassklarinette“, dem es allerdings auch nicht an gewissen elitären Attitüden des extravaganten Künstlers mangelte und der etwa mit aufklärenden Worten im Sinne einer Moderation des Programms geizte, exquisite musikalische Preziosen von großer künstlerischer Eigenständigkeit, ja Einzigartigkeit. Stringente Unikate, Eigenkompositionen mit einer gewaltigen stilistischen Bandbreite durch alle Epochen und Genres, die selbst vor folkloristischen Einschlägen nicht gefeit waren, verbanden etwa Versatzstücke barocker Instrumentalkonzerte, klangversunkene, polyphone Orgelmeditationen auf dem Akkordeon mit swingenden oder bluesartigen Passagen. Das Ganze war immer wieder durchsetzt mit modernen, akkordeontypischen „bellow shakes“ (schnellen Balgwechseln), Kennzeichen einer höchst kultivierten Balgarbeit, die auch einer subtilen Tongestaltung zu Gute kam. Bei aller Virtuosität und bei allem Temperament blieb jedoch in Riesslers exklusiver Musik immer eine gewisse intellektuelle Unterkühltheit spürbar, die Konstruktion schimmerte durch, Transparenz und Transzendenz blieben gewahrt, das dionysisch-ekstatische Element unter sicherer Kontrolle: anspruchsvolle, klassische Moderne, gelegentlich mit leichtem Jazzeinschlag, professionell dargeboten und mit immerhin zwei Zugaben an das begeisterte Publikum abgerundet.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

 

13.03.2009: Dieter Ilg Trio

Otello – Verdi – Ilg: ein Dreigestirn der besonderen Art.

Die neue Trioformation des Freiburger Ausnahmebassisten Dieter Ilg mit Rainer Böhm und Patrice Heral gastierte am Freitag in der Biberacher Stadthalle. Der Auftritt vor gut besuchtem Haus war einfach genial. Superb. Herausragend. Jazz? Ja, auch.

Schon einmal ist es Dieter Ilg gelungen, scheinbar Unvereinbares – das deutsche Volkslied und den Jazz – in faszinierender Weise zusammen zu bringen und damit höchste künstlerische Standards zu setzen. Die Zugabe nach einem erfüllten Konzert in der Biberacher Stadthalle „Nun will der Lenz uns grüßen“ war eine Reminiszenz an diese frühere Schaffensphase eines der weltbesten Kontrabassisten.

Ilgs neues Projekt „Otello“ – gerade erst mit einer Süddeutschlandtournee angelaufen – geht einen großen Schritt weiter. Giuseppe Verdis reifstes Bühnenwerk „Otello“, nach Shakespeares entzückte und begeisterte bei seiner Uraufführung an der Mailänder Scala im Jahr 1887 ganz Europa. Komposition und Dramaturgie flossen beim späten Verdi in fruchtbarer Synthese zu einer künstlerischen Einheit zusammen. Einheitlichkeit des Materials und Glaubwürdigkeit war Verdi höchstes Gebot. Die Einheit von Zeit und Raum spielt besonders im Quartett des 2. und im Finale des 3. Aktes des „Otello“ in der Gleichzeitigkeit der Darstellung innerer Gefühle der beteiligten Figuren eine bedeutende Rolle. Die stürmischen Aktivitäten Jagos, des eigentlichen Handlungsmotors, stehen den lyrisch-kontemplativen Emotionen der anderen Akteure: Otello, Emilia und Desdemona gegenüber. Es zeugt von Ilgs sorgfältigen Studien dieser Vorlage, wenn er nicht nur nach diesen Kriterien seinen Stoff aus der Verdioper auswählt, verdichtet und zu einem neuen eigenständigen Gebilde zusammensetzt, in dem jedes Detail im organischen Gesamtzusammenhang steht, sondern überdies die musikalischen Strukturen über die Zeit hinweg transformiert, gebrochen und gespiegelt im Jazzidiom in ganzheitlicher Interpretation konzertant auf die Bühne bringt. Im „Otello“ steht im Finale des 3. Aktes ein „Concertato“, in der Musik der konzertierende Wettstreit unter Gleichen. Einer der wenigen Hinweise in Ilgs sparsamer Moderation, just vor dieser Stelle, zeigte überdeutlich den intendierten gestalterischen Zugriff des Trios. Kongenial am großen Bösendorferflügel agierend wusste Rainer Böhm immer die richtigen Kontrapunkte zu setzen, perlende Improvisationen im rasanten Bopidiom „á la Jago“ standen neben pastellartigen Klangmalereien der beiden Mitstreiter und umgekehrt.  Patrice Heral an Schlagzeug und Live-Sampler beeindruckte nicht minder mit seinen komplexen, polyphon verdichteten Strukturen in selbstverständlicher Virtuosität. Auch wenn rhythmisch-melodische Zellen den Kern der ebenso populären, wie intellektuell anspruchsvollen Musik Verdis bilden, eingängige Tanz- und Marschrhythmen, reichhaltige Harmonik oder ein dialektisches Verhältnis zwischen Tradition und Neuerung den gestalterischen Zugriff auf Verdis Musik erleichtern – was dem Dieter-Ilg-Trio 2009 hier gelang, ist nicht nur intellektuell anspruchsvoll und in hohem Maße unterhaltsam, dieses Projekt wird mit großer Wahrscheinlichkeit (Jazz-) Musikgeschichte schreiben.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

06.02.2009: Steffen Dietze & Thomas Laengerer

Jazzkonzert der anderen Art

Quer gedachte „Lebensklänge“ für Hinhörer

Selten finden sich in einer ästhetischen Darbietung professionellen Zuschnitts so wenig konventionelle Anknüpfungspunkte, die eine Annäherung zwischen Künstlern und Publikum gewährleisten. Selten sind Chiffren und Strukturen  zwischenmenschlicher Verständigung in einer lyrisch-musikalischen Live-Darbietung so gegen den Strich gebürstet worden. Und noch seltener klappen Kommunikation und Interaktion  so verschiedener Künstler untereinander und mit dem Publikum dennoch so selbstverständlich und unspektakulär wie bei dem Projekt „Lebensklänge“ von Steffen Dietze und Thomas Laengerer beim letzten Jazzclubkonzert im Biberacher Jazzkeller.

Selbstverständliches („Die Erde ist rund“) und Alltägliches („Alltag“) mischten sich mit Tiefsinnigem, etwa Erich Frieds bekanntem Gedicht über die Liebe „Es ist was es ist“, Komischem („Jodok lässt grüßen“) , Surrealem oder auch Zeitkritischem („Der Mann mit dem Gedächtnis“). Natürlich, sympathisch und unaufgeregt setzte Thomas Laengerer seine treffend gewählten poetischen Texte in Szene, parlierte, deklamierte und rezitierte engagiert und mit durchgehendem Spannungsbogen. Musikalisch gerahmt, pointiert, kommentiert oder paraphrasiert wurden die Laengerschen Worte von Steffen Dietze am leider etwas verstimmten Steinwayflügel. Dietzes Eigenkompositionen und Improvisationen, teils zur besseren Verzahnung mit den Gedichten in einzelne Patterns  und Phrasen zerlegt, korrespondierten direkt oder indirekt mit den sprachlichen Bildern, Stimmungen und Gefühlen. Ob der teils melancholische, mitunter auch etwas entrückte Grundton der gelegentlich an „Minimal Music“ oder „Pop-Rock-Fusion“, oft jedoch auch an amorphe Klangcollagen so genannter „Entspannungsmusik“ erinnernden Stücke dem Ausdrucksgehalt der lyrischen Texte geschuldet war oder ob damit autonome musikalische Aussagen im Sinne des Konzertmottos „Lebensklänge“ intendiert waren, ergab sich nicht zwingend. Dem einen oder anderen Titel hätte in seiner literarischen Umgebung vielleicht etwas mehr Biss ganz gut angestanden. Dem eher auf Wohlklänge eingestimmten, ungewöhnlich zahlreichen, Publikum wäre damit allerdings der zweifellos vorhandene ästhetische Genuss abhanden gekommen, der mit dankbarem Beifall quittiert wurde. Die Gratwanderung der neueren Musik, die Zuhörer nicht mit unnötigen Dissonanzen zu vergraulen und dennoch die künstlerische Wahrheit auszusprechen, konnte in der „textjazzigen Hommage für Querdenker und Hinhörer“ nicht besser eingefangen werden. Der gelungene Versuch, Sprache und Musik auf durchaus innovative Weise zu verbinden und somit zum Nachdenken anzuregen, sollte dem Biberacher Gespann Motivation für weitere Unternehmungen dieser Art sein.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

23.12.2008: Rootbears

Rootbears Weihnachtskonzert 2008

Zu Weihnachten gibt’s jazzige „Rootbear“-Leckereien

BIBERACH – Voll besetzt ist der Jazzkeller gewesen – samt seiner Zwischenräume, als an Heiligabend die „Rootbears“ musikalische Weihnachtsgeschenke brachten. Aber auch die Fans brachten Geschenke heran: Applaus, Begeisterung und jede Menge Sympathie.

Noch ist unerforscht, womit dieser klingende „Bären-Sechser“ sein Publikum am meisten begeistert. Ist es der abriebfeste Boygroup-Charme, wohltuendes Understatement, die Wahl der Stücke, deren nonchalante Präsentation mit dem stets prickelnden Flair der Improvisation? Oder aber der geistreich-hintersinnige Witz, der sich platitüdenfrei durchs Programm zieht und team-intern wie ein Federball weitergegeben wird?

Was die Jungs musikalisch drauf haben, zeigt sich im „Handling“ der Stücke. Swing und Jazz würzen die klingenden Weihnachtsplätzchen gleichermaßen und machen sie zu Unikaten. Gitarrenverstärkt durch Christoph Reck hat sich der Gruppenklang reizvoll verändert, was sich schon im ersten Stück zeigte, das Martin Schmid mit einem flotten E-Bass-Solo anwarf. In versiertem Dialog von Bass und Gitarre punktete Reck mit apart-herben Akkorden und Hanspeter Schmid zeigte, wie gespürvoll man eine Posaune in „gestopftem Piano“ herunterzähmen kann.

Für die landesweit verstreuten Akteure sind Proben ein Problem. Deshalb spielen sie überwiegend „alte“ Stücke. Sie klingen aber nicht aufgebacken, sondern ofenfrisch dank einfallsreicher Zubereitung. Hinter vordergründig wirkender Lässigkeit aber findet man, vor allem in den Synchronpassagen, harte Disziplin. Rüdiger Przybillas virtuose, oft synkopenträchtige Beiträge sind tonale Pyrotechnik inklusive deren Sprühpotential.

Mit „Oh Weih, oh Weih“ lieferten die Wurzelbären ihre obligate Gesangsnummer ab, bei der Peter Schmidt seine falsettierbare Stimme registerbruchfrei bis zum Knabensopran hinaufzauberte – zweistimmig unterstützt durch Magnus Schneider und Martin Schmid. Drei Alphörnern, zusammengeflanscht aus Baumarkt-Restposten, rangen die Musiker erstaunliche Töne ab. Gitarrist Heiko Grom präsentierte als Star-Gast zusammen mit Reck Saitenfeuer in beeindruckender Ausstrahlung und unaufgesetzter Qualität. Fliegender Melodieführungswechsel ließ beiden Raum für zündende Akkordeinwürfe. Im letzten Stück, dem einzigen Latin, „Swinging the Samba“, legte Peter Schmidt per Schlagzeug in zwingendem Temperament den drivenden Schritt vor – stets bassunterstützt durch Bruder Martin Schmid, der die Gruppe fest im metronomischen Griff hatte und obendrein leichtfüßige Soli beisteuerte.

Mit der zweiten Zugabe, dem von Hanspeter Schmid einkerzig posaunierten „Stille Nacht“, durch Magnus Schneider auf Piano-Plüsch gebettet, wurden die Fans auf 2009 vertröstet, wo die Bären vielleicht zweimal zuschlagen werden.

Dieter Schefold in der Schwäbischen Zeitung vom 29.12.2008