Kritik – Seite 45 – Jazzclub Biberach e.V.

04.12.2009: Gypsy Affair

Gypsy Affair im Jazzkeller Biberach

Retardierend meditativer Zigeunerjazz zum Loslassen

Trotz aller gitarristischen Virtuosität der beiden renommierten Faltas aus Memmingen, Bobby – Mitbegründer des legendären „Schnuckenack Reinhard Quintetts“ mit seinem Sohn Lancy, stand das retardierend meditative Moment des modern swingenden Zigeunerjazz im Vordergrund. Zwischen Lagerfeuer-Romantik, Sentimental-Besinnlichem, allzu eingeschliffener Spielfiguren, flächig weichem, aber unspezifischem Klangbrei betagter Röhrenverstärker kam keine wirkliche Leidenschaft auf beim gut besuchten Jazzclubkonzert im Biberacher Jazzkeller.

Allbekannte Jazzstandards wie „Satin Doll“ oder, als Hommage an den großen Verwandten der Faltas, Django Reinhardt, dessen „Minor Swing“ oder „Troublant Bolero“ zu den Höhepunkten des Abends zählten, erklangen in überwiegend gefälliger Aufmachung, meist unterhaltsam plätschernd, oft meditativ, in einlullender Vorhersehbarkeit. Abgeklärter Zigeunerjazz zum Ausklang der Arbeitswoche, gewissermaßen zum Loslassen und Abhängen ließ manches müde Auge zufallen. In wenig abwechslungsreichen Arrangements und bereits nach wenigen Titeln bekannten Abläufen, resultierte die größte Spannung aus der Erwartung, ob die Übergänge zwischen den Improvisationsteilen denn auch reibungslos klappen würden.

Dennoch gelangen mit fortschreitendem Abend immer wieder inspirierte Interpretationen mit Reminiszenzen an temperamentvollere Zeiten. Mit zum Besten gehörten die Kontrabassimprovisationen von Peter Bockius, dessen Genius in variabel eingesetzter, vielseitiger Stilistik immer wieder aufblitzte. Dezent begleitend agierte der Ulmer Peter Gruber am Schlagzeug, mit Stöcken, Besen, oft auch nur mit Händen und Füßen übernahm Gruber auch die spritzig witzige Moderation.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

 

20.11.2009: Ensemble DRAj

Ensemble DRAj im Jazzkeller

 

Klezmer der etwas anderen Art

 

Außerordentlich Spannendes war beim letzten Jazzclubkonzert mit dem Ensemble DRAj angesagt: Jiddischer Klezmer in rein deutscher Besetzung, ganz ohne jiddische oder israelische Wurzeln, im jahrtagsträchtig bedeutungsschweren November, in einem Tempel der Unterhaltungsmusik und des Jazz, nur Gesang, Akkordeon und Cello – sonst nichts. Das hätte auch schief gehen können. Gleich ein ganzer Zugabenblock bewies,  dass dem aber nicht so war.

Bereits die ersten anmutigen Celloklänge von Ludger Schmidt oder die zarten Töne aus der tiefsten Seele des schon etwas angejahrten Akkordeons von Ralf Kaupenjohann ließen bereits erahnen, dass es bei den konzertanten Angelegenheiten des Ensemble DRAj vor vollem Hause um hochsensible Emotionalität, um feinfühlige musikalische Annäherungen an das fragile Sujet in Respekt und Würde gehen würde. Bei diesem Klezmer wurde nicht einfach drauflos plagiiert und eine temperamentvolle, ja leidenschaftliche Musik zu bloßen Unterhaltungszwecken im kulturellen Niemandsland umfunktioniert. Spätestens als die Sängerin und agile Hauptakteurin des Abends, ihre Stimme erhob, waren alle Zweifel weggewischt, nichts kulturell Authentisches geboten zu bekommen. Durch den stiltypisch offenen Stimmsitz und die bei aller Virtuosität natürliche Stimmgebung, korrekte Aussprache und höchst überzeugenden Ausdruck in Verbindung mit einer souveränen Moderation und augenfälliger Bühnenpräsenz brachte die exzellente Manuela Weichenrieder den Klezmer als integeres Lebensgefühl einer großen Kultur auf den sprichwörtlichen Punkt.  Dies war allerdings auch zwingende Voraussetzung für die genreübergreifende künstlerische Auseinandersetzung, die sich vor allem in den komplementären Begleitstimmen von Cello und Akkordeon manifestierte. Immer wieder gelang es den beiden kongenialen Musikern Ludger Schmid und Ralf Kaupenjohann Kontraste zu setzen, zu verstärken, zu kommentieren, zu illustrieren, zu verdeutlichen und damit eine lebendige stilistische Auseinandersetzung herbeizuführen. Die bildhaften Texte der jiddischen Lieder, wie etwa den heimwehgeplagten Sänger, der sich auf den roten Strahlen der Abendsonne, die sich auf den Blättern einer Birke brachen, in die Heimat zurück tragen ließ,  waren dabei willkommene Inspirationsquelle für eine ganz und gar unkonventionelle Begleitung, die trotz aller genretypischen Anleihen im Klezmer und trotz aller Textausdeutung eine hohe künstlerische Eigenständigkeit unter Einbindung weiterer zeitgenössischer Musikrichtungen aufwies und dabei immer wieder große Nähe zum nach allen Seiten offenen europäischen Jazz der Gegenwart demonstrierte.  Ensemble-DRAj-Klezmer ist eine spannende Musik, die auch und gerade in ihren eher melancholischen und nachdenklichen Teilen zu schlagender Intensität findet, fesselt und rundum überzeugt.

06.11.2009: Jürgen Seefelder – Ingrid Jensen Quintett

Seefelder-Jensen-Quintett begeistert rundum

Gleich zum Auftakt ihrer Europatournee 2009 kamen die in New York lebende kanadische Startrompeterin Ingrid Jensen mit ihrem amerikanischen Mann und Schlagzeuger Jon Wikan in den Biberacher Jazzkeller. Jürgen Seefelder, Saxophonprofessor an der Musikhochschule Mannheim nutzte seine guten persönlichen Kontakte zu Jensen aus ihrer Zeit am Brucknerkonservatorium in Linz um zu diesem Anlass ein exklusives deutsch-amerikanisches Quintett zusammenstellen. Wenn moderner Hardbop, wie er derzeit in New York en Vogue ist, die Speerspitze der Jazz-Avantgarde bildet, dann waren die Biberacher am Freitagabend ganz vorne dabei. Der aus Ravensburg stammende Ausnahmepianist Rainer Böhm, derzeit ebenfalls Wahl-New Yorker, sowie Thomas Stabenow (Mannheim) am Kontrabass komplettierten das Quintett, das nicht nur fünf Spitzenmusiker sondern auch fünf geniale Komponisten zu einem abwechslungsreichen, originellen Programm zusammenbrachte.

Böhms jüngste CD-Produktion „Red Line“ war dabei Quelle einiger hoch interessanter Kompositionen, in deren Mittelpunkt selbstredend zuerst seine ungewöhnliche pianistische Virtuosität und der kreative Einfallsreichtum beim Improvisieren stand, die aber auch einen innovativen Musikstil ganz eigenen Zuschnitts boten. Sehr profiliert und souverän, in den Soloteilen gar mit einem ordentlichen Schuss Humor versetzt, in den begleitenden Teilen dynamisch leider etwas stark zurückgenommen, konnte Thomas Stabenow in „Waterproof“ sowie in einer märchenhaften Komposition über allzu oft wechselnde Lebensabschnittsgefährtinnen eigene Akzente setzen. Jürgen Seefelder, der Initiator des fulminanten Projektes zeigte an seinen Keilwerth-Saxophonen ein breites technisches und stilistisches Spektrum sowie einen markanten, eher abgeklärt wirkenden Stil, den er aber in dem hochkarätigen Umfeld vehement verteidigen musste. Jon Wikan gab sich bopmäßig druckvoll und dynamisch zupackend, in seinen eigenen Kompositionen geradezu überschäumend. In der akustischen Besetzung wirkte dies jedoch mitunter etwas zu dominant, vor allem auf Kosten von Flügel und Kontrabass.

Ingrid Jensens hoch verdichteter, stark rhetorisch geprägter, höchst ausdrucksvoller Improvisationsstil schien dabei noch mal eine Klasse für sich. Jensen ist ohne Zweifel musikalisch nicht mehr auf der Suche. Ihr ebenso cooler wie vitaler Personalstil ist eine ganz eigene Marke der Premiumklasse. Souveräne relaxte Höhen, kraftvolle und dynamische Mitten und samtig schnurrende Tiefen, besonders wenn sie von der Trompete aufs Flügelhorn wechselte, vor allem aber ein kompromissloser gestalterischer Zugriff auf die ganze Formation waren kennzeichnend für Jensen. In dem als Zugabe gebotenen Titel „Cowboy“ ihrer Schwester Christine lief das Quintett noch mal zur Hochform auf und begeisterte rundum.

Gez. Helmut Schönecker

25.10.2009: The Guernsey Jazz Collective

The Guernsey Jazz Collective zum Weißwurstfrühschoppen im Jazzkeller

Keine stehende Jazzformation sondern eine Gelegenheitsband, anlässlich des Biberachbesuchs im Rahmen der Guernseywoche von Pianist Hendri Liebenberg eigens zusammengestellt, verbarg sich hinter dem wohlklingenden Namen „The Guernsey Jazz Collective“. Nur teilweise handelte es sich bei dem Quartett um professionelle Musiker, das Programm sah auf den ersten Blick aus, wie von einer Schülerband zusammengestellt. Gängige Standards aus dem Realbook, der „Jazzbibel“ für alle angehenden Jazzmusiker, in beliebig wirkender Anordnung, die Improvisationen in einer klar definierten Abfolge ohne effektvoll herausgespielten Sonderapplaus.

Dieser erste Eindruck war aber nur der verhaltene Beginn, die morgendliche Aufwärmphase einer immer freier und beherzter aufspielenden Band, die schließlich zum pulsierenden Mittelpunkt einer lebhaften, unterhaltsamen Veranstaltung, ganz in der Tradition des bayrischen Weißwurstfrühschoppens wurde. Die zahlreichen Gäste aus Guernsey und ihre Biberacher Gastgeber, Freunde und Bekannte von Partnerschaftsverein und Jazzclub sowie eine ganze Reihe Biberacher Musiker und viele Jazzfans kamen immer mehr in Stimmung, das Weißbier floss in Strömen und die Party nahm ihren Gang bis weit in den Nachmittag hinein.

Die Improvisationen wurden immer freier und frecher, besonders der Schlagzeuger aber auch der Trompeter (im Hauptberuf Bankier) liefen zur Hochform auf, der junge Bassist (frisch gebackener Highschool-Absolvent) übertraf sich selbst, und als zur finalen Jamsession mit Michael Nover (Saxophon) und Peter Zoufal (Gitarre) auch noch zwei gestandene Biberacher Musiker auf die Bühne kamen um mit den Insulanern zu „jammen“ war endgültig das Eis gebrochen.

Leider war das Programm der Gäste aus Guernsey so dicht gestrickt, dass keine Verlängerung der Session möglich war. Ansonsten hätte sicherlich eine Zugabe die andere abgelöst und weitere anwesende Musiker hätten ihren Weg auf die Bühne gefunden um zur internationalen Verbrüderung beizutragen.

Dr. Helmut Schönecker, Originaltext für die Schwäbische Zeitung, 28. Oktober 2009

23.10.2009: Voice Affair

Jazz- und Gospelchor „Voice Affair“ im Biberacher Jazzkeller

Dap, dap, dudap, da dudadam, dum

Viele begeisterte Freunde fand der Jazzchor „Voice Affair“ aus dem Raum Ravensburg/ Bodensee bei seinem Gastspiel im Biberacher Jazzkeller, und er hat sich wohl auch neue Freunde gemacht. Auf Einladung des Jazzclubs waren die 18 Sängerinnen und Sänger des ausgewogen besetzten Chores unter Leitung ihrer amerikanischen Chorleiterin Lib Briscoe auf die Bretter der kleinen Jazzbühne gestiegen, auf der es in der Folge aber auch nicht viel enger zuging als im proppenvollen Zuschauerraum.

Mit Chorpodesten, Tonmeister und Begleitcombo angereist und mit sichtlicher Freude am eigenen Tun, zeigte „Voice Affair“ von Anfang an in kompromissloser Deutlichkeit, dass Singen hier mit ganzheitlichem Anspruch, mit durchaus künstlerischen Ambitionen und trotz Amateurstatus semiprofessionell betrieben wird. Homogener, ausgewogener Chorklang, der gleichermaßen aus der einheitlichen paritätischen Besetzung, guter Stimmbildung und sorgfältiger Arbeit des mitgereisten Mannes am Mischer resultierte, gepaart mit rhythmischer Präzision und sicherer Intonation auch in jazztypisch eher schrägen Harmonien, führten zu einem Chorevent der Extraklasse.

Mit natürlich und ungekünstelt wirkenden Stimmen traten auch die Solisten aus den Reihen des Chores ihre Aufgaben an. Zu einem der Höhepunkte im ersten Set wurde die Einlage einer „boy group“ im Stile der Comedian Harmonists, bei der besonders der Tenor auch Showqualitäten entwickelte und sich als Countertenor gar in Sopranlagen vorwagte.

Die Begleitcombo aus Saxophon/ Flöte, Klavier, Bass und Schlagzeug (Harald Weishaupt, Klaus Bermetz, Pit Niermann und Florian Loebermann) lieferte durchweg ein dezent groovendes Fundament, ohne den Stimmen die Schau zu stehlen und trug in ihren versierten instrumentalen Einlagen zur Auflockerung bei. Die Improvisationen wirkten eher elaboriert und konnten – oder sollten – in ihrer Intensität nicht mit der atmosphärischen Dichte der A-Cappella-Passagen des Chores mithalten.

Vermittelt durch ein ästhetisch perfektes Dirigat erreichte die Chorleiterin Lib Briscoe eine organische Verschmelzung mit dem sensibel reagierenden Chor, der, ohne Ablenkung durch Notenblätter, als perfektes Instrument noch auf kleinste Fingerzeige ihrerseits reagierte. Nur so konnte die kleinräumige Flexibilität in der Dynamik, die transparente Differenziertheit in den komplexen Arrangements und die enge Verzahnung mit der Instrumentalbegleitung funktionieren.

Stilistisch hatte der Chor keinerlei Berührungsängste. Spirituals und Gospels, Jazz, Latin oder Pop, auf Englisch, Portugiesisch oder Deutsch gesungen, trugen eine lebendige Wärme und beseelte Innerlichkeit in sich, die wohl Verdienst der Chorleiterin ist. Zwei Zugaben rundeten das Programm ab.

 

Dr. Helmut Schönecker, Originaltext für die Schwäbische Zeitung, Oktober 2009

10.10.2009: Herrmann-Bodenseh-Daneck Trio (Jazz für Kinder)

„Jazz für Kinder“ – 3. Auflage 2009

Herrmann-Bodenseh-Daneck-Trio in pädagogischer Mission

Bereits zum dritten Mal innerhalb eines Jahres organisierte der Jazzclub Biberach e.V. in Zusammenarbeit mit dem Landesjazzverband eine Sonderveranstaltung in der Reihe „Jazz für Kinder“. Mit finanzieller Unterstützung durch die Landesstiftung Baden-Württemberg und die LBBW konnten erneut professionelle Jazzmusiker für ein interaktives Gesprächskonzert bzw. für einen Workshop zum Mitmachen, speziell für Kinder gewonnen werden. Nach den Schülerinnen und Schülern des Wieland-Gymnasiums und den Grundschülern aus Mettenberg kamen dieses Mal die Kinder der musikalischen Früherziehung und der Orientierungsstufe an der Musikschule zum Zuge.

 

Mit erwartungsvollen Gesichtchen und staunenden Augen, fest an der Hand ihrer Väter, Mütter oder auch Großeltern, kamen die jüngsten Musikschüler von Angelika Glöggler am Samstagvormittag in den Neubausaal.  Ein riesiger schwarzer Flügel, eine ziemlich große „Geige“ und ein ungewöhnlich kleines Schlagzeug standen da wartend herum. Die erste Überraschung – die Musiker sahen auch nicht anders aus als das normale Publikum, kein dunkler Anzug, keine Krawatten oder Fliegen sondern ganz normale Klamotten, anscheinend auch ganz normale Leute zum Anfassen. Das klassische Jazz-Klaviertrio setzte sich zusammen aus Andreas Herrmann (Klavier), Markus Bodenseh (Kontrabass) und Matthias Daneck (Schlagzeug). Mit pädagogischer Raffinesse hatte der gebürtige Biberacher Daneck, der auch die verbale Kommunikation mit den Kindern übernahm, ein allseits bekanntes Kinderlied gewählt um daran aufzuzeigen, was Jazz von anderer Musik unterscheidet: vor allem Improvisation und Rhythmusgefühl.  Unterstützt durch die Erwachsenen sangen die Kinder, zunächst noch etwas gelangweilt, vereinzelt aber auch schon ziemlich „cool“ dreinblickend, das bekannte Kinderlied – pardon, den Song – „Alle meine Entchen“. Mit der Langeweile war es jedoch schon bald vorbei, als zum Singen noch das Klatschen auf den 2. und 4. Schlag, dem jazztypischen Offbeat kam. Und als dann noch jeder der Musiker eine virtuose Improvisation nach der anderen über das harmlose Kinderlied hinlegte, war es vollends vorbei mit der anfänglichen Beschaulichkeit, die zweite Überraschung war gelungen: ein harmloses, langweiliges Kinderliedchens hatte sich durch das Zauberwort „Jazz“ in eine spannende und unterhaltsame Musik verwandelt, bei der man aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Höchst informativ war dann auch die Verpackung des Liedchens in verschiedene Rhythmen. Von Bossa, Samba, Walzer und Tango hatten die Kids zwar noch nicht soviel Ahnung, dies tat der Begeisterung jedoch keinen Abbruch. Am Ende der kurzweiligen Unternehmung durften dann auch noch die Instrumente besichtigt und die Stars angefasst werden. Was möchte man mehr von einem normalen Samstagvormittag?

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker