Kritik – Seite 41 – Jazzclub Biberach e.V.

25.02.2011: Christoph Stiefel Inner Language Trio

„Fortunas Lächeln“ begeistert Biberacher Jazzfans

Erlesene Permutationen, vielschichtig kreisend, auf mehreren Ebenen im Austausch und in wechselnder Kombination unterschiedlichen Zielen zustrebend, bot auf Einladung des Jazzclubs Christof Stiefels gefeiertes „Inner Language Trio“ aus der Schweiz einem hell begeisterten Publikum im Biberacher Jazzkeller.

Rhythmisch gleiche mit melodisch gleichen Teilen (Talea und Color) unterschiedlicher Länge werden in der Isorhythmik so kombiniert, dass sich die Phasen überschneiden und sich gegeneinander verschoben (z.B.  drei Taleae mit zwei Colores) periodisch wiederholen. Diese in der Motettenkomposition des Spätmittelalters weit verbreitete Technik auf den Jazz übertragen zu haben, darf ohne Zweifel dem Züricher Pianisten Christof Stiefel zugestanden werden, der den Konzertabend auch fast ausschließlich mit isorhythmischen Kompositionen seiner letzten CD „Fortuna’s Smile“ bestritt. Auch wenn bei den seriellen Komponisten des 20. Jahrhunderts oder  in der Abteilung „Minimal Music“ additive Reihungen und isorhythmische Schichtungen in vielerlei Formen zu finden sind, hatte diese eher pejorativ-schematische Kompositionstechnik im Jazz bislang nicht Fuß fassen können. Dem kreativen Prozess  eine rationale Grundlage zu geben, ist im Jazz hingegen von Anfang an eine konstituierende Grundlage gewesen. Die Harmonieschemata als harmonisch-formale Rahmen mit tonalem oder modalem Bezug werden seit nunmehr über einem Jahrhundert mehr oder weniger kreativ jazztypisch ausgestaltet, ohne grundsätzlich in Frage gestellt zu werden, der Free Jazz blieb eine Episode ohne nennenswerte Folgen. Von außen inspirierte Einfälle, akkord- und skalenbezogene Improvisationsschulen, Tanzrhythmen oder Stilmixturen dominieren bis heute das musikalisch-improvisatorische Geschehen. Das essentiell Neue ist immer schwieriger aufzuspüren, der Mainstream verschlingt alles.

Genau hier setzt das quasi revolutionäre Konzept von Christof Stiefel an. Die Wurzeln einer sich zunehmend vom Wort lösenden Rhythmik in der spätmittelalterlichen isorhythmischen Motette bieten ihm einen interessanten  Anknüpfungspunkt für sein intelligentes Spiel mit der Kombination rhythmischer und melodischer Modelle, die ungewöhnliche Zusammenklänge zum Ergebnis und eben nicht als Ausgangsbasis haben. Das klangliche Resultat, hochkonzentriert und virtuos dargeboten, ließ das faszinierte Publikum, welches intuitiv das unerhört innovative Konzept Stiefels zu erfassen schien, in wahre Begeisterungsstürme ausbrechen und am Ende mehrere Zugaben herbei klatschen. Die komplexe Konstruktion und Kombination in den Stücken führte verblüffender weise nicht zu sperrigen Gebilden für das Studierzimmer. Unterhaltsam, abwechslungsreich, spannend, zwischen filigraner Transparenz und hochkomplex verdichteten, oft bis ins Ekstatische gesteigerten Passagen wechselnd, ließ das Trio mit dem satt groovenden Thomas Lähns am Bass und dem energiegeladenen Lionel Friedli am Schlagzeug keine Wünsche offen.

Lebendige Kammermusik und Jazz sind für dieses „Inner Language Trio“ mit seiner ureigenen Musiksprache ebenso wenig Gegensätze wie Verstand und Gefühl. In diesem Sinne ist der ästhetische Zugriff  Stiefels klassisch zu nennen und wie bei den Neoklassizisten um Strawinsky findet auch er das Neue nicht durch ängstliches Bewahren oder völlige Ablehnung des Alten sondern durch lebendige Auseinandersetzung mit und Fortentwicklung der Tradition. Die praktische Umsetzung dieser Ideen in einer Live-Performance stellt höchste Anforderungen an die Musiker des Trios, welche eine an afrikanische Rhythmen erinnernde Vielschichtigkeit mit der melodischen Vielschichtigkeit und Komplexität europäischer Polyphonie verbindet und mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks zusammenhält. Durchaus keine leichte Kost aber mit großer Überzeugungskraft und absoluter Glaubwürdigkeit technisch perfekt serviert, wirkte „Fortuna’s Lächeln“ stimulierend, inspirierend und vor allem rundum begeisternd. Von diesem Stiefel bitte mehr.

 

20.02.2011: Joo Kraus & Tales in Tones Trio

Joo Kraus spielt JacksonSongs

Der Trompeter und das „Tales in Tones Trio“ präsentierten ihre eigenen Arrangements

Von Günter Vogel

BIBERACH – Joo Kraus mit Trompete und Flügelhorn, das in den Jahren 20O1, 2003 und 2006 mit dem Jazzpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnete „Tales in Tones Trio“ mit Ralf Schmid am Klavier, Veit Hübner am Bass und dem Schlagzeuger Torsten Krill haben sich am Sonntag in der Stadthalle großer Songs der Popmusikgeschichte angenommen. Diese hatten sie in eigene Arrangements verpackt, Jazz, Hip-Beat und Soul stilistisch beigemischt und zu untereinander optimal abgestimmten rhythmischen Figuren gestaltet.

Das Publikum hörte Songs von Paul Simon, Burt Bacharach, Peter Gabriel und Stevie Wonder. Über allem aber schwebte der Geist von Michael Jackson, seine Melodien durchdrangen den Abend, darum gruppierten sich die anderen Komponisten. Folgerichtig heißt die neue CD der Gruppe auch „Songs from Neverland“. Die vier Musiker transportierten die diffizilen harmonischen Figuren fein abgestimmt, kristallisierten spezifische Rhythmusfolgen raffiniert heraus.

Joo Kraus plauderte zwischen den einzelnen Musikfolgen über die Gruppe, ihre seit 15 Jahren vom Pop der 80er geprägte Musik und sang auch selbst. Das war zwar mehr Sprechen auf Tonhöhe, traf aber ausdrucksintensiv den jeweiligen Stückcharakter. Er zeigte sich auch als sprachgewandter Rapper, lediglich bei den ganz langsamen Songs versickerte die Stimme mangels Tragfähigkeit etwas.

Kraus wechselte zwischen dem Strahlklang der Trompete und dem abgedämpften gedeckten Ton des Flügelhorns, mit dem er einen eher intimen Klangcharakter kultivierte. Denn eine der Stärken der Gruppe waren die lyrisch-weichen Songs, die sie mit gefühlvoll-gespannten Adagios in die erwartungsvoll geöffnete Zuhörerohren tanzen ließen, gaben leiseren Songs mit kammermusikalischem Touch bildhafte Gestaltung. Andererseits spielten sie auch einen mitreißenden Beat.

Ihr Klanggefühl war immer kultiviert, hatte die nötige Portion Dezenz. Es war ein Abend künstlerisch-zivilisierter Popmusik mit großer stilistischer Bandbreite, harmonisch, verbindlich und einfach schön.

 

Schwäbische Zeitung, 22. Februar 2011

23.01.2011: Stützles Halbe Stompers

Friede, Freude, Jazz & Weißwurst

Familiäres Dixieland Jazz – Event mit „Stützles Halbe Stompers“ 

BIBERACH – Ohne Zweifel hat sich der Dixieland-Jazz, zumal in einer so gediegenen Form, wie ihn die „Stützles Halbe Stompers“ zelebrieren, neben Volks- und Blasmusik einen festen Platz beim musikalischen Frühschoppen erobert. Die letzten Gäste mussten beim traditionellen Weißwurst-Frühschoppen des Biberacher Jazzclubs regelrecht eingeparkt werden, selbst auf Podesten und Treppenabsätzen war der Platz knapp geworden. Musikfans aus mindestens drei Generationen hatten sich versammelt um die junggebliebenen oberschwäbischen Oldtimer um Trompeter und Bandleader Ekke Wall aus Riedlingen jazzen hören.

 

Louis Armstrong, Fats Waller, Jelly Roll Morton und andere Größen des frühen Jazz waren mit ihren bekanntesten Titeln „Oh when the saints“, „Honeysuckle Rose“, „Kansas City Stomp“ und vielen anderen, allesamt in Arrangements von Ekke Wall vertreten. Besonders der unkonventionellen, schlagzeuglosen Rhythmusgruppe war ein erfreulich transparenter Band-Sound zu verdanken, der vor allem die stimmungsvollen – leider viel zu seltenen – Kollektivimprovisationen der klassischen Frontline aus Klarinette, Trompete und Posaune hervorragend zur Geltung kommen ließ. Die Soli durchzogen alle Stimmen und lagen bei allen Stompers spielerisch und stilistisch auf hohem Niveau. Stiltypisch beklatschte das Publikum dankbar jedes solistische Hervortreten.

 

Verblüffend nahe an das Vorbild Fats Wallers, auch was Leibesumfang und Lebensfreude angeht, vor allem aber in der intensiven, ausdrucksstarken Art zu Singen, kam Ekke Wall, der selbst seine rasantesten Trompetensoli so unaufgeregt und selbstverständlich rüberbrachte, wie seine launige Moderation. Der Funke sprang vernehmlich über zwischen allen Musikern und Publikum, so dass ein friedlich, fröhliches Jazz- und Weißwurstfest auch nicht ohne Zugabe zu Ende gehen durfte.

 

Gez. Dr. H. Schönecker

 

21.01.2011: Alexander Braun „JazzZoneTrio“

Jazziger Auftakt der Konzertsaison beim Jazzclub Biberach

Alexander Brauns „JazzZoneTrio“

BIBERACH – Einen Auftakt nach Maß für die Jazzsaison 2011 des Jazzclubs Biberach legte das „JazzZoneTrio“ von Alexander Braun auf die Bretter der Bühne im gut gefüllten Jazzkeller.  Gediegener „Smooth Jazz“ in dessen positivem Wortsinn, heiter swingender Mainstream-Jazz mit gefälligen Harmonien und eingängigen Melodien, unterhaltsamen Improvisationen und frischem, lockeren Groove ließen eine stimmungsvolle „JazzZone“ im urbanen Ambiente aufblühen.

Im Tetrapack beiläufig moderiert vom Bandleader erklangen bekannte Standards aus der großen Broadwaymusical- und Songtradition von George Gershwin, Cole Porter, Richard Rodgers oder Kurt Weill mit hohem Unterhaltungswert. Auf besonderes Interesse und entsprechenden Applaus stießen aber auch eine Reihe von Eigenkompositionen Alexander Brauns aus denen besonders „Spanish Waltz“ mit hörbar angenehmen Erinnerungen an einen Urlaub auf La Gomera oder „My Inner Voice“ in wohltuend divergentem Groove als inspirierte Preziosen herausragten.

Gelegentliche musikalische Ausflüge in den Latin Jazz, wie in „Corcovado“ von A.C. Jobim oder im „Elisamba“ mit Anklängen an Beethovens Dauerbrenner „Für Elise“ wirkten eher als Konzession ans breite Publikum wohingegen die Streifzüge durch Bebop und Hardbop (Thelonius Monk, Miles Davis, Lee Morgan)  oder zu Herbie Hancock deutliche Synergien freisetzten und frischen Wind entfachte. Vor allem die zweite Zugabe, Watermelon Man, ließ Musiker und Publikum gleichermaßen befreit durchatmen.

In der Reihe „Local Jazz Heroes“ standen dem Biberacher Jazzpianisten Alexander Braun, der an der Bruno-Frey-Musikschule unterrichtet, zwei routinierte Jazzmusiker zur Seite. Für den treibenden Groove sorgte das Ulmer Jazz-Urgestein Hans Peter Gruber, der seit den frühen 60er Jahren die Jazzszene der Region mitprägte. Mit sattem Bassklang legte der Donzdorfer Peter Funk am Kontrabass nicht nur ein sicheres Fundament sondern trat ganz in der Tradition klassischer Klaviertrios auch immer wieder mit Improvisationen solistisch hervor. Der Gesamtsound erwies sich als transparent und ausgewogen und trug gleichermaßen zur Spielfreude der Musiker und zum Hörgenuss des Publikums bei.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

23.12.2010: Rootbears

Bärige Bescherung nach Noten

Zum traditionellen Kult-Auftritt der smarten Doppel-Twens kam dieses Jahr Frischluft ins Programm. Nach 20 Jahren Jazzkeller-Enge ward die Schützenkeller-Halle adäquate Voliere für ihre dynamischen Töne und frei fliegenden Bonmots. Sie fasst gut zwei Jazzkellerfüllungen. Trotzdem waren noch Stehplätze gefragt.

Gespeist wird ihr unikater Stil durch ein „Vieltakt“-Gemisch aus mentaler Vernetzung, Gespür für Rampen-Appeal, Spielfreude, Spontaneität und musikalische Dialogfähigkeit. Selbst offensivem Jazz lassen sie eine Grundmenge Swing, sichern so der Abfolge stilgetreuen Fluss.

Rüdiger Przybilla (Saxophon), Hanspeter Schmid (Posaune), Magnus Schneider (Piano, Akkordeon), Christoph Reck (Gitarre), Martin Schmid (Bass), Peter Schmidt (Schlagzeug) sind die Akteure. Das Programm war eines ihrer besten. Markant akzentuiert: Experimentelles, Schmeichel-Sound, Latin-Würze. Harte Probenarbeit war erahnbar, wurde aber durch routinierte Lässigkeit süffig gemacht. In dichter Folge zeigten die Solisten Highlights. Das Saxophon glänzte durch eruptives Improvisationsfeuerwerk bei Solopassagen wie durch Akkuratesse im – oft synkopisierten – Paarlauf mit der Posaune, die ihrerseits sonore Wärme einbrachte, durch griffige Ansatztechnik, die Kunst des Diminuendo und füllige Soli bestach. In bläserfreien Stücken wie „Wave“ zeigte der Gitarrist, der seine Instrumente teils selbst baut, packende Gestaltungsideen und technische Brillanz, die das Akkordeon spielerisch leicht aufnahm, mit raumgreifenden Imrovisationsgirlanden die fast endlose Weite, filigrane Aussage und Dosierbarkeit dieses Klangtyps demonstrierte. Durch Pep, Drive und stringenten Schub sorgten die Rhythmus-Brüder Peter und Martin Schmid für das bärentypische Pulsieren der Stücke. Martin trat mit behänden Soli, wie in „My Romance“ akustisch an die Rampe und Peter überzeugte erneut durch die Beherrschung seiner Technik und deren Einsatz der nie in Dominanz ausuferte. Das Schützenfest-Stück stammt aus der Feder des Gitarristen und der Pianist schöpfte in „Waltz for Debby“ alle Dimensionen aus.

Gags wie Einschub von doubletime-Schlägen und die Umtopfung des Walzer-Mittelteils in den 4/4-Takt fehlten ebenso wenig wie die umlaufenden humorigen Sprüche. Selbst auf die Bären-Groteske war Verlass. Jeder musste bei „Tochter Zion“ ein Fremdinstrument spielen. Und es klang absolut singbar. Wohlhabend müssen sie geworden sein. Denn beim obligaten Rätsel gab es Preise diesmal „sackweise“. Nach drei Stunden und zwei Zugaben ging man rootbear-selig heim.

Dieter Schefold

Originaltext für die Schwäbische Zeitung