Kritik – Seite 40 – Jazzclub Biberach e.V.

10.06.2011: Peter Autschbach Duo

Mit viel Verve in die Sommersaison

Inspiriertes Peter Autschbach Duo begeistert rundum

BIBERACH (hs) – Vor Beginn der Sommersaison, in der nur die „Rondellkonzerte“ vor Jazz- und Livemusik-Entzugserscheinungen bewahren, ging es im Jazzkeller mit dem Peter-Autschbach-Duo nochmal so richtig ab. Die große Überraschung war aber nicht Peter Autschbach, der seit seinem letzten Biberacher Auftritt 2007 mit „Terminal A“ eine Menge Fans im Oberland hat, die heuer auch ohne große Werbung für eine stattliche Publikumskulisse sorgten. Von dem musicalgestählten (Tommy by the Who, Queen – We will rock you) Peter Autschbach durfte man exquisites Gitarrenspiel, kammermusikalische Dichte und polyphone Transparenz, durchsetzt durch virtuose Improvisationen, beseelt durch eine geradezu innige Klangkultur, um nicht zu sagen Klangfetischismus, erwarten. Allein die Töne, die er seiner Bariton-Gitarre entlockte, ließen einen in Verzückung geraten. Kristallklar in den hohen Lagen, satt und volltönend in den Mitten und Tiefen lieferte er damit das Fundament für die große Überraschung des Abends: Samira Saygili.

Klingt der Name der jungen Deutsch-Türkin schon nach den sinnlichen Freuden des Orients, so kommt die enorme stimmliche Ausdruckspalette und Bühnenpräsenz der Sängerin einer Offenbarung gleich. Nach Stationen im Staatstheater Karlsruhe (klassischer Gesang), Maastricht (Bachelor of Arts) und New York („Jazz bis zum Umfallen“) hat Samira Saygili einen eigenen hochexpressiven und dennoch natürlich wirkenden Gesangsstil gefunden, der buchstäblich unter die Haut geht. „Moanin“, „Cheek to Cheek“, „Sophisticated Lady“ und andere beliebte Standards boten den Publikum gleichermaßen Bewährtes mit hohem Wiedererkennungswert als auch Innovatives in den spezifischen Neu-Arrangements von Peter Autschbach ebenso wie in den eigenwilligen Neuinterpretationen von Samira Saygili.

Vor  allem im zweiten Set konnten die Beiden die achtstündige Autobahnfahrt vollends abschütteln und mit überschäumender Spielfreude ihr Publikum mitreißen. Zu den besonderen Highlights gehörte die Neuinterpretation des Bossa-Highlights „Girl from Ipanema“ von Antonio C. Jobim. Passend zum 80. Geburtstag von João Gilberto, dem „Vater des Bossa Nova“, der zusammen mit Jobim, vor allem durch seinen dezent-relaxten Gesang und sein synkopenreiches Gitarrenspiel den Latin Jazz auf den Weg brachte, erklang eine faszinierende Musik, fernab der unsäglichen Partymixturen mit der automatisierten Begleitung aus der Retorte irgendwelcher Synthesizer-Sequenzer. Mehrere gern gewährte Zugaben beendeten einen erfüllten Jazzabend, der süchtig machen könnte. Eine interessante Fußnote setzte der Biberacher Christof Reck alias Mister Speiche, der seine zweite selbstgebaute Jazzgitarre Peter Autschbach zum fulminanten Spiel überließ und dafür Lob und Anerkennung vom Meister wie auch vom Publikum erhielt.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

27.05.2011: Arne Huber Quartett

Arne Huber Quartett bietet höchste Quartettkultur

Gilt in der klassischen Kammermusik das Streichquartett als die Standardbesetzung schlechthin, innerhalb der sich in höchster Verdichtung schnörkellos das wichtigste Anliegen der Komponisten artikuliert, so wurde im Jazz das Quartett aus Melodieinstrument, Klavier, Bass und Schlagzeug zur universalen, repräsentativen Instrumentenzusammenstellung. Auch wenn das Klaviertrio weiter verbreitet ist, bietet die Einbindung eines reinen Melodieinstrumentes den größeren Farbenreichtum und die größere Ausdruckspalette.  Arne Huber (Kontrabass) hat mit seinem Quartett, welches er auch größtenteils mit eigenen Kompositionen versorgte, diese erweiterten Möglichkeiten erstaunlich gut genutzt und damit wohl zuerst seine hochkarätigen musikalischen Mitstreiter und dann auch das Biberacher Publikum überzeugt.

Ohne Zweifel hätte der einmal mehr herausragend agierende Rainer Böhm mit seinen genialen Improvisationen, unaufgeregter Virtuosität und brillanter Technik auch in einem Klaviertrio (z.B. zusammen mit Dieter Ilg) oder als Solist eine gute Figur gemacht. So jedoch hat der Schweizer Saxophonist und Klarinettist Domenic Landolf mit seiner hohen Spielkultur und großer Individualität den Ohren der zahlreichen Gäste im Jazzkeller eine durchaus willkommene klangliche und strukturelle Abwechslung sowie Rainer Böhm immer mal wieder rekreative Momente in der Rolle des Klavierbegleiters beschert. Auch den seit vielen Jahren in New York lebenden Schlagzeuger Jochen Rückert, dessen Projekte mit dem Marc Copland Trio, John Abercrombie, Joachim Kühn, Pat Metheny, Till Brönner und anderen Größen sich wie ein „Who’s Who“ des Jazz lesen, in eine Quartettformationen zu bekommen, zeugt von Qualitäten, die sich erst bei genauem Hinhören erkennen ließen. Arne Huber war ständig präsent, stand mit seinem Bass aber niemals im Vordergrund. Arne Huber war immer der devote Begleiter, der seine Mitstreiter mit sicherem Fundament, stimulierendem Groove und neuen Ideen versorgte. Arne Huber war aber auch derjenige, der es vermochte drei hochrangige musikalische Individualisten in jeweils eigenen stilistischen Universen zu bändigen und in einem ungemein reichhaltigen Konglomerat  in kontrapunktischer Verzahnung zusammen zu fügen. Die Vermeidung von standardisierten Patterns und hohlen Phrasen, am sinnfälligsten bei Jochen Rückert, schien dabei zu einer der Leitlinien des Quartetts zu gehören. Dabei beschritt Arne Huber mit seinen eher neutral gehaltenen Songtiteln auch nicht den einfachen Weg, dem Zuhörer vermeintliche Hör- und Verständnishilfen in Form poetischer Überschriften oder Erläuterungen zu geben aber damit zugleich die Fantasie zu fesseln. Er beließ damit der Musik ihre Magie und Universalität und kam, vielleicht sogar gerade deswegen, beim Publikum bestens an.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

13.05.2011: Paata Demurishvili

Kooperation Partnerschaftsverein und Jazzclub Biberach e.V.

Paata Demurishvili zaubert vor vollem Haus

Dreistellige Publikumszahlen finden sich im Jazzkeller nicht alle Tage. Zumal Jazz immer noch vielfach als elitäre Musik für eingefleischte Fans gilt. Der georgische Tastenmagier, der am vergangenen Freitag in Biberach zum wiederholten Male zauberhafte Fusionen aus Jazz und Klassik zu Gehör brachte, spricht jedoch mittlerweile einen breiten Fankreis an, nicht nur im Umfeld der Telawifahrer. Paata überrascht und begeistert immer wieder aus Neue.

Paata Demurishvili, dessen pianistische Grundlagen noch in der russischen Klassikschmiede gelegt wurden, nutzte die neugewonnene Freiheit nach dem Ende der Sowjetära um Brücken zum Jazz zu bauen. In der Improvisationskunst des Jazz hat er auch die künstlerische Freiheit und neue musikalische Heimat gefunden, die wirklich Neues schafft und nicht nur das alte konserviert. Als mächtiger Improvisator, der mit seiner Spontaneität heute seinesgleichen sucht, findet er immer neue Wege die Tradition klassischer, auskomponierter Klaviermusik aus dem Geiste des Jazz neu zu erfinden. Dabei ist es für ihn sekundär, ob die Inspiration aus Barock, Klassik oder Moderne erwächst. Paata kann seine schöpferischen Ideen ebenso aus Gershwins „Summertime“ oder aus Bachs Kantate über „Jesu, bleibet meine Freude“ und natürlich auch aus georgischer Folklore ziehen. Sein Zugriff ist immer originär, weil er die konstitutiven Elemente seiner Vorlagen – melodische Formeln oder Ganztonleitern beim modernen Klassiker Gershwin, harmonische Wendungen, Motive oder den polyphonen Duktus bei Bach – aus dem Augenblick heraus neu strukturiert, weiter entwickelt, kombiniert, karikiert und parodiert. Natürlich fährt der in Mannheim lebende Musiker dabei immer volles Risiko. Nicht immer sind die Ideen oder auch die Ausführung gleich genial. Ein positives Feedback aus dem Publikum steigert jedoch die Motivation und Inspiration und macht so, wie der Künstler anmerkte, jedes Konzert zu einem Unikat, unwiederholbar, authentisch, original. Welch wohltuende Alternative zu immer wieder in gleicher Weise abgenudelten Plagiaten oder gar am Schreibtisch mit minimalistischer musikalischer Substanz aber gewaltigem Technikeinsatz konstruierten Hochglanzprodukten für den Massenmarkt.

In Paatas musikalischen Preziosen findet sich ebenso Platz für Feinsinniges, Subtiles, in feinsten Nuancen Schattiertes oder auch in schlichten Kantilenen dahin Strömendes wie auch für mächtige Klang- und Akkordgebäude, vollgriffig Dramatisch-Ekstatisches in Rachmaninow-Manier: Ein Universum an Ausdrucksmöglichkeiten, welches schier unerschöpflich zu sprudeln scheint. Wann spielt er wieder in Biberach?

Gez. Dr. Helmut Schönecker

28.04.2011: Int. MTO Jazz-Quartett

Sonderkonzert mit internationaler Besetzung im Jazzkeller

„International MTO-Quartett“ in bester Spiellaune

BIBERACH – Nur weil ein Termin in der Süddeutschland-Tournee des Jazzquartetts kurzfristig ausgefallen war, kamen die Biberacher Jazzfans unverhofft in den Genuss einer exklusiven Darbietung auf höchstem internationalem Niveau. Um den Ausnahmetrompeter Michel T. Otto aus „LA“ fanden sich der renommierte Jazz-Pianist Olivier Hutman aus Paris, Andy McKee, Top-Bassist und langjähriger Leiter der Mingus Bigband in New York sowie der experimentierfreudige Grazer Drummer Bernd Reiter unversehens zwischen den süddeutschen Jazzhochburgen Stuttgart, Kempten und Augsburg in Biberach wieder.  Dass LA für Langenargen steht, tat der internationalen Klasse des Trompeters keinen Abbruch.

Mit frischen Songs aus dem Debut-Album des Quartetts „New German Timbres“ oder einer gerade neu entstehenden CD-Produktion, allesamt Eigenkompositionen von Michael T. Otto oder Bearbeitungen und Improvisationen über deutsches Liedgut, lieferte das Quartett im Biberacher Jazzkeller den überzeugenden Beweis dafür, dass moderner Jazz eine lebensvolle, pralle Musik mit gewaltiger Integrationskraft ist. Wer etwa hinter dem alten deutschen Volkslied „Ich hab die Nacht geträumet“ aus dem 18. Jahrhundert eine modale, etwas schwermütige Volksweise vermutet, liegt zwar nicht ganz falsch, findet sich aber mit dem gleichnamigen Titel vom MTO-Quartett nicht automatisch zurecht. Die Kunst, quasi aus jeder Vorlage originären Jazz machen zu können, spricht gleichermaßen für den Jazz als lebendige Kunstform als auch für die hoch entwickelten künstlerischen Fähigkeiten der vier Musiker. Die „German Timbres“ finden sich nicht nur in der Verwendung traditionellen deutschen Liedgutes, sondern besonders auch in der Spielweise Michael T. Ottos. Ist es die expressive, „sprechende“ Tongebung seines Kölner Hochschullehrers Malte Burba, durch dessen Hände auch andere deutsche Toptrompeter wie Joo Kraus oder Till Brönner gegangen sind oder sind es die multiphonen Klänge in der Tradition eines Albert Mangelsdorff, sind es die  ungewöhnlich hohen Pfeiftöne, die Zirkularatmung, die virtuosen 16tel-Passagen oder nur der einschmeichelnde Sound seines Flügelhorns? Technisch versiertere oder musikalisch komplettere Trompeter finden sich heute in Europa jedenfalls nur wenige. Die musikalische Eigenständigkeit der Kompositionen lebt allerdings im MTO-Quartett auch ganz stark von den musikalischen Mitstreitern, die sich im Jazzkeller aber allesamt hochmotiviert und souverän zeigten, die Spielfreude war mit den Händen zu greifen.

Helmut Schönecker

15.04.2011: Isolde Werner & Heartstrings

„Heartstrings“ – Classic meets Jazz

Isoldes Lamento vor vollem Haus

BIBERACH – Mit ihrer Konzeptformation „Heartstrings“ lockte die Ulmer Komponistin, Gitarristin und Sängerin auf Einladung des Jazzclubs zahlreiche Fans in den Biberacher Jazzkeller. Die ungewöhnliche Besetzung aus Violine, Cello, Kontrabass, Gitarre und Schlagzeug  ergab denn auch nicht nur eine aparte Klangkulisse sondern stand für das anspruchsvolle Bandkonzept, Klassik und Jazz zusammen zu bringen. Der renommierte  amerikanische Jazzschlagzeuger Bill Elgart, seit vielen Jahren in Ulm lebend, stand dabei mit seinen 69 Jahren zusammen mit dem erst 20jährigen Biberacher Kontrabassisten Matthias Werner primär für den jazzigen Anteil der Stilmischung, während Violine (Uli Karlbauer) und Cello (Veronika Frauendienst) auch in ihrer Spiel- und Zugriffsweise für den klassischen und ausnotierten Part standen. Das Bindeglied dieser grundverschiedenen Welten verkörperte die Bandleaderin Isolde Werner, die mit diversen Gitarren und eher neutral gehaltener Singstimme die divergierenden Sphären auch klanglich zusammenhielt.

Keine leichte Aufgabe war es jedoch, den musikalischen Zusammenhalt zwischen so breit gefächerten musikalischen Inspirationen und Sinnwelten zu stiften. Vielleicht war die anfängliche Angespanntheit und Unsicherheit Isolde Werners, auch in der etwas holprigen Moderation, der unbewusste Ausdruck dieser bevorstehenden Sisyphusarbeit. Piazolla-Tangos und freie Improvisationen, Barock und Moderne, Gefühl und Verstand waren zusammen zu zwingen. Wo letztere sich im Gleichgewicht befinden, so eine geläufige Definition von Strawinsky, herrscht Klassik.

Sinnfälliger konnte Isolde Werners Konzept, klassische Musik mit Jazz zu verbinden, jedenfalls gar nicht werden, als in der direkten Gegenüberstellung  des Lamentos der tragischen Königin Dido aus Henry Purcells barocker Oper „Dido und Aeneas“ aus dem späten 17. Jahrhundert und dem, durch die junge Judy Garland Ende der 1930er Jahre berühmt gemachten „Somewhere over the rainbow“ aus dem Film „Der Zauberer von Oz“.  Beide Stücke leben aus den intensiven Affekten besonders ihrer Melodik und beziehen ihre ursprüngliche musikalische Bedeutung und Wirkung aus der dramaturgischen Funktion im Werk. Während das chromatische Lamento der unglücklich verliebten Dido, der Gründerin von Karthago, über die Abreise des geliebten Aeneas, dem späteren Gründer von Rom, jedoch einem tragischen Helden-Ende zustrebt, markiert Dorothys heiter-sentimentales und diatonisch-schlichtes Aufwachlied das Happy End einer harmlosen Kindergeschichte im Traumland hinter dem Regenbogen. Die beiden so gegensätzlichen Ausdruckswelten schienen in der Interpretation durch Isolde Werners „Heartstrings“ fast gänzlich aufgehoben. Während man im Lamento die seelische Zerrissenheit einer aufgewühlten, verzweifelten Dido vermisste, fehlte – erfrischender weise – in „Somewhere over the rainbow“ das falsche Sentiment aus dem überstrapazierten Hollywood-Schinken. Der Zusammenhalt von Klassik und Jazz durch Isolde Werners Gesang und Gitarrenspiel erschien jedoch, vielleicht auch aufgrund einer suboptimalen Tagesform, nicht unbedingt zwingend. Es entstand kein Classic Jazz, auch keine jazzige Klassik und eben auch keine echte Fusion. Unterhaltend und erfrischend andersartig war das Resultat aber auf jeden Fall. Das Publikum war jedenfalls begeistert und wollte gleich zwei Zugaben, von denen es jedoch  – leider – nur eine bekam.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

18.03.2011: Wolfgang Lackerschmid & Stefanie Schlesinger

Lyric Jazz mit Wolfgang Lackerschmid & Stefanie Schlesinger

Musikalisch-poetische Aphorismen – raffiniert gewürzt und sinnlich dargeboten

BIBERACH – Die Biberacher Stadtbücherei wurde am Freitagabend in einer Veranstaltung des Jazzclubs zum Musentempel an der Schnittstelle zwischen Musik und Literatur. „Lyric Jazz“, vom renommierten Augsburger Künstlerpaar Wolfgang Lackerschmid (Vibraphon, Komposition) und Stefanie Schlesinger (Gesang, Komposition) mit lyrischen Texten von Brecht, Rilke, Lüpertz, Dempf und – etwas weniger lyrisch – von Mozart mit der Ausdruckstiefe und dem Anspruchsniveau von Kunstliedern dargeboten, erfreute und begeisterte ein bunt gemischtes, illustres Publikum im überaus passenden Ambiente des alt-neuen Gebäudes inmitten von Literatur und Vergeistigung.

Geistigem Kraftfutter gleich inspirierten die vitalen Konzentrate von Brechts „Pflaumenbaum“ oder dem „Plärrerlied“ über das von ihm eher ungeliebte Augsburger Volksfest in der poetischen Brechung ihrer Neuvertonung mit ähnlicher Wucht und Wirkungsmächtigkeit wie zu ihrer Entstehungszeit. Kraftvoll und überzeugend, sublim und humoristisch kamen auch die von Peter Dempf neugetexteten und von Lackerschmid vertonten Nummern aus der aktuellen Inszenierung des Augsburger „S’ensemble-Theaters“, dem Musiclett „Jetzt ist er tot, der Hund“ über die Liebe zwischen Bert Brecht und Paula Bannholzer mit Stefanie Schlesinger in der Hauptrolle. Die von Stefanie Schlesinger anmoderierte Nummer über die Verbannung von Paula ins Allgäuer Kimrazhofen, das nach deren Brief an Brecht „vom Nabel der Welt so weit entfernt ist, wie der große Zeh vom Verstand“ bot einen amüsanten Einblick in die Kompositionswerkstatt des Duos. Sprachklang, -rhythmus und -melodie geben der musikalischen Idee im Rahmen des gewählten Genres Form und Gestalt. Die anfängliche „Ladehemmung“ bei der Vertonung des Wortes „Kimrazhofen“ löste sich schließlich unter dem Zeitdruck der bevorstehenden Aufführung in einer jazzigen Persiflage im schwäbischen Sprachidiom in Wohlgefallen auf.

Köstlich auch die Vertonung von Mozarts letztem Brief an sein Augsburger Bäsle, „Bäsle Adieu“, von Stefanie Schlesinger. Die deftige Sprache („Sauschwanz von Drecken“) des genialen Komponisten mit den Augsburger Wurzeln löste bei ihrer Vertonung auch eine gänzlich neue Sichtweise auf viele andere Kompositionen Mozarts aus, unmittelbar demonstriert durch Lackerschmids eigenwillige Adaption der Cherubino-Arie aus Mozarts „Figaro“ für Vibraphon und Stimme. Und was für einer Stimme. In einer Mixtur aus Jazz & Kabarett mit lyrisch-warmem Sopran-Timbre interpretierte die auch in klassischem Gesang ausgebildete Stefanie Schlesinger die berühmte Hosenrolle unter völligem Verzicht auf große Opernattitüde in sympathischer, ganz natürlich wirkender, nuancenreich differenzierter Expressivität, in erfrischender Weise gegen den Strich gebürstet.

Als Zugaben gab es schließlich noch eine Hommage ans traditionelle Jazzpublikum mit Irving Berlins Jazzklassiker „Cheek to cheek“ und Antonio C. Jobims „Dindi“ in urbaner Weltläufigkeit á la Ritz nach Mitternacht zu hören, genau das Richtige zum entspannten Loslassen auf dem Weg ins Wochenende.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker