Kritik – Seite 39 – Jazzclub Biberach e.V.

17.09.2010: Tango Transit

Jazzkonzert mit Tango Transit

Tango Power aus Hessen

Auch wenn es in der Fußball-Bundesliga für die Frankfurter derzeit nicht so gut läuft, die drei erfolgreichen Frankfurter Tangospezialisten von „Tango Transit“ haben beim letzten Jazzclubkonzert, trotz langem Staunachmittag auf der A8, eine Dynamik und künstlerische Präsenz an den Tag gelegt, die nur aus einer völligen Besessenheit heraus, aus bedingungsloser Liebe zum Tango, zum Jazz, zur Musik überhaupt erklärbar scheint. Nur aus dieser Hundertprozent-Einstellung resultieren echte Siege. Gäbe es eine Tango-Bundesliga, die drei von „Tango Transit“ wären ganz vorne dabei.

Der Akkordeonist und Komponist aller Titel des kurzweiligen Konzertabends, Martin Wagner, musikalischer Dreh- und Angelpunkt in stupender Virtuosität zelebrierter Tangomania, hat hier offenbar den Nerv der Zeit und des begeisterten Biberacher Publikums getroffen. Mit geschlossenen Augen verklärt lauschend schien die Seele von Astor Piazzolla durch den gut besetzten Jazzkeller zu schweben. Dessen Emotionalität und Temperament gepaart mit Wagners brillanter Griff- und Balgtechnik auf seinem modernen Victoria-Akkordeon aus der traditionsreichen italienischen Instrumentenbaufirma, ermöglichte Unerhörtes.  „Bellow shakes“ vom zarten Vibrato bis zum aufgeregten Tremolo, rasante Passagen höchster chromatischer Dichte (á la „Hummelflug“) oder weitgespannte Arpeggien über den gesamten Tonumfang führten jedoch keineswegs zur Vernachlässigung einfühlsamer, sorgfältig modellierter, oft auch tangogemäß melancholischer Melodien. Die Inspiration für die Kompositionen, durchaus nicht nur Tangos, kam aus allen Lebenslagen. Formal-Rational wie in der „Suite – Part I-III“ oder außermusikalisch angestoßen wie in „Fat Cat“ oder bei den Frankfurter „Ostpark Elefanten“ blieben auch das augenzwinkernde, spielerische Element („Waltz for Angie“) und weitere nette Verrücktheiten („chromasomatic lunatic“) nicht auf der Strecke.

Bei aller strukturellen Dominanz des Bandleaders hätte ohne die beiden begnadeten Mitstreiter an Kontrabass (Hanns Höhn) und Schlagzeug (Andreas Neubauer) Entscheidendes gefehlt. Differenziert und kraftvoll groovend, straff und doch meist weit entfernt von tangotypischer Einfachheit, lebendig, spritzig und durch viele Soloeinlagen geadelt, kurbelte Andreas Neubauer in organischer Verwachsenheit mit dem Ganzen permanent die Stimmung an. Ein Kontrabassist, der auch und immer wieder höchst melodisch agiert, seinem Instrument eine immens breite Klang- und Ausdruckspalette entlockt und die Musik mehr mitlebt als spielt mutiert vom Begleiter unversehens zum kongenialen Komplizen, der Impulse gibt, dialogisiert, kommentiert. Hanns Höhn vermochte mit seinem nuancierten Spiel die Aufmerksamkeit, nicht nur in seinen meisterhaften Improvisationen, immer wieder auf sich zu ziehen und trug so nicht unerheblich zum homogenen Gesamtbild bei: tangolastiger spannender Modern Jazz. Erst nach zwei Zugaben durften die Hessen von der Bühne.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

 

 

11.06.2010: Hornstrom

Konzert mit der Siegerformation des Biberacher Jazzpreises 2008

Genial daneben

„Hornstrom – Die Badekappenband“ aus Köln ist ihrem innovativen Konzept, mit dem sie 2008 unter starker Konkurrenz den 1. Platz beim Biberacher Jazzpreis erringen konnte, treu geblieben. Ihr jüngstes Konzert im Biberacher Jazzkeller war erneut irgendwie daneben, das aber so richtig genial.

Dass die bedingungslose Suche nach dem Neuen in der Musik auch durchaus Skurriles, ja Abwegiges, mitunter aber auch nur Banales zu Tage fördern kann, liegt in der Natur der Sache. Wer ohne jedes Risiko diese Sache angeht, produziert eben bestenfalls durchschnittlichen Mainstream. Gerade im Jazz führt dies jedoch keinen Schritt weiter. Das endlos wiederholte Aufkochen des Altbewährten laugt die Seele dieser Musik so lange aus, bis sie in den Untiefen der Unterhaltungsbranche den Tod der Ignoranz und des Überflüssigen stirbt.

Ob in Songtiteln wie „Hundekot“ von der neuesten, noch nicht erschienenen Hornstrom-CD die wahre Inspiration fürs Schöne und Gute lauert, soll einmal dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall kommt in solcherart Alltäglichem das Wahrhaftige zum Zuge, dissonante Cluster (= „Ton-Haufen“) der beiden rotbemützten Posaunisten (Tobias Wember, Philipp Schug) haben etwas sinnfällig Anrüchiges an sich und verführen eben gerade deshalb nicht zum gedankenlosen reintreten. Nicht nur schöner Schein und monetäre Zweckdienlichkeit stehen im Fokus musikalischer Eingebung, das Neue der mehrfach prämierten Formation findet sich hier in den pejorativen Feuchtgebieten der Alltagskultur wieder – „endlich sinnfrei“, wie eine besonders provokative Komposition des Abends, wohl in Anspielung auf ihren ausschließlich künstlerischen Selbstzweck hieß.

Weitere Titel wie der „Abschied vom Hochbett“, „Trauerlied für einen Goldfisch“, „Ballade für eine Wolke über dem Zoo“ ließen auch den beiden Mitstreitern mit den gelben Badekappen in der „Backline“, dem gerade von einem längeren USA-Aufenthalt zurückgekehrten Stammschlagzeuger Silvio Morger oder dem, neben Tobias Wember, auch für die meisten Kompositionen verantwortlichen Markus Braun am Kontrabass viel Raum für innovative, zupackende Grooves irgendwo zwischen Jazz, Rock, Minimal Music, Drum `n` Bass oder auch zeitgenössischer Kammermusik. Die freche Frische dieser unkonventionellen Herangehensweise ließ den Konzertabend, der, auf nur ein langes Set verdichtet, besonders kurzweilig seinem um eine Zugabe verlängerten Ende zustreben.

 

07.05.2010: Susan Weinert Global Players Trio

„Global Players Trio“ mit Susan Weinert im Jazzkeller

Eine exklusive Mischung aus hochenergetischem Kammerjazz und artifiziellem Funk-Rock-Hop aus der musikalischen Champions League erfreute und begeisterte das Publikum vor ausverkauftem Haus beim Freitagskonzert des Biberacher Jazzclubs mit dem „Global Players Trio“ um die international gefragte Star-Gitarristin Susan Weinert im Jazzkeller.

In ihrer 28jährigen Bandkarriere sind Susan und Martin Weinert zu einer homogenen künstlerischen Interaktionseinheit verwachsen, deren flexibler gestalterischer Zugriff jedes der angepackten Sujets zu einer unnachahmlichen Weinert’schen Melange eines spannungsreichen, ebenso dichten wie vielgestaltigen Personalstils transformiert. Die renommierte Ausnahmegitarristin und der nicht minder geniale Kontrabassist haben zu einer telepathisch anmutenden Verständigung gefunden, die den Unterschied zwischen Improvisation und Komposition zerfließen lässt. Zu einem seltenen Glücksfall in der Triobesetzung der „Global Players“ gehört der global aktive Perkussionist David Kuckhermann, der dem eingespielten Team an Virtuosität und Gestaltungskraft in Nichts nachstand.

„Ich hab‘ erst nach fünf Minuten bemerkt, dass mir die Kinnlade runtergefallen war“, schilderte eine ebenso verblüffte, wie begeisterte Zuhörerin nach einer Solonummer (Red & Blue) David Kuckhermans auf einer „Riq“, einem tamburinähnlichen türkisch-arabischen Rhythmusinstrument, welches er in höchster Meisterschaft beherrschte. Ebenso ungewöhnlich erschienen die klanglichen Möglichkeiten einer, per Luftpumpe genau auf die anderen Instrumente abzustimmenden Rahmentrommel. Aus seinen exotisch anmutenden Schlaginstrumenten indischer, iranischer, afrikanischer oder südamerikanischer Herkunft (Cajon), meist Hand- oder Fingertrommeln, zauberte der feinsinnige Rhythmusmann eine facettenreiche klangliche Vielfalt deren schillernde Farbigkeit einmal mehr die gestalterischen Beschränkungen des konventionellen Drumsets sinnfällig werden ließ.

Die unbekümmerte stilistische Offenheit, das Einschmelzen divergierender Strömungen der globalisierten Musikkultur, die intensiver Vernetzung aller musikalischen Bestandteile bei gleichzeitiger Beschränkung auf ein in Perfektion beherrschtes akustisches Instrumentarium sowie dessen klangliche Aufbereitung durch ein Sammelsurium von Effektgeräten und live-elektronischen Hilfsmitteln zeigte einen überzeugenden ästhetischen Weg, Einheit in die Vielheit oder Ordnung ins multikulturelle Chaos zu bringen. Künstlerische Fortentwicklung, ohne auf das Bewährte zu verzichten, ermöglicht dem Global Players Trio ungeahnte Brückenschläge, etwa die Verbindung akustischer Gitarrenklänge mit Verzerrer-Effekten aus dem Rockshop oder eben die Verbindung zwischen subtilem Kammerjazz und sattem Power-Rock. Herausragende Highlights in einem kurzweiligen Programm waren der pittoreske Titel „Island“ (Assoziationen zum jüngsten Ausbruch des Eyafjallajökull sind trotz ihrer Offensichtlichkeit sicherlich rein zufällig), eine packende Hommage an Joe Zawinul mit „Go on“, ein Auftragswerk zu einer Ausstellungseröffnung von Pablo Picasso oder „Blue Horizon“, ein afghanisches Musikstück im 7/8-Takt, legen beredtes Zeugnis einer nimmermüden, sich ständig neu erfindenden und dennoch bei sich selbst bleibenden Musik ab. Genial, wie in einem Brennspiegel eingefangen, strahlte der Titel „Innere Ruhe“, im Andenken an den jung verstorbenen Bruder von Martin Weinert, eine Ruhe in differenzierter Erfülltheit aus, die überhaupt nichts Einschläferndes an sich hatte und gewissermaßen alles auf den Punkt brachte. Endloser Beifall, Zugaben, allseitige Zufriedenheit: Weinert Come back.

24.04.2010: Biberacher Jazzpreis 2010 (Konzert: Bigband St. Raphael)

Biberacher Jazzpreis für „Help!“

Vier junge Schweizer loten Grenzen aus

BIBERACH – Pulsierender Beat spannender Sound: Das Schweizer Quartett „Help!“ gewinnt den Biberacher Jazzpreis 2010. Dotiert ist er mit 2000 Euro sowie einem Exklusivvertrag bei einem weltweiten Musikvertrieb. Platz zwei belegt das Leipziger Duo Stiehler/Lucaciu (1000 Euro), auf Platz drei kommt der Berliner Pianist Lorenz Kellhuber.

Von unserem Mitarbeiter Bernd Guido Weber

40 Bands und Solisten aus fünf Ländern haben sich beworben, die Jury hat drei ausgewählt. Cornelius Claudio Kreusch hat in diesem Jahr den Vorsitz. Er ist Gewinner des ersten Bi­beracher Jazzpreises 1990, startete danach eine steile Karriere. In der Jury sind auch Joo Kraus (Tab Two), Dr. Helmut Schönecker (Jazzclubvorsitzender Biberach), Musikdirektor Andreas Winter, Biberach, und Professor Frank Sikora von der Swiss Jazz School Bern. Die Zuhörer dürfen ebenfalls abstimmen.

Impressionistisch. Expressiv. Romantisch. So kann man die Musik der drei Finalisten umschreiben. Den Anfang macht der Jüngste, der 20-jährige Lorenz Kellhuber aus Berlin. Er hat gleich nach der Realschule die Aufnahmeprüfung zum Jazzstudium bestanden. Mit einer freien Improvisation beginnt er, ruhig, klar, attackierendes Finale. Stück zwei ist „Never let me go“, ein Standard. Hingetupfte, gefühlvolle Klänge, scharfe Betonungen. Der Bösendorfer darf zeigen, was in ihm steckt. Viel Beifall.

Die nächsten dreißig Minuten bestreiten „Help!„. Kennen gelernt haben sie sich 2007 auf der Swiss Jazz School Bern. Die Studenten loten Grenzen aus. Wunderbarerweise klingt das nie anstrengend, immer spannend. Jonathan Maag am Tenorsax beginnt. Pulsierende, versetzte Rhythmen, die eskalieren. Eine ruhige Phase mit zerzupften Melodien. Dann verdichtet zu neuen Sounds, bis das Sax strahlend herauskommt. Eine eigene, kraftvolle Sprache.

Völlig anders ist das Duo Sascha Stiehler/Antonio Lucaciu aus Leipzig. Die beiden 22-Jährigen machen richtig schönen kammermusikalischen Jazz. Labsal für romantische, empfindsame Seelen. Das Altsax von Lucaciu geht elegisch auf Stiehlers Klangmalereien ein. Eine Liebeserklärung ans Vogtland. Eine Hymne an „Opas Garten in Rumänien“. Eine Winterreise in drei Sätzen, wenn auch nicht ganz passend zur bunten Blütenpracht draußen vor der Stadthalle. Hätte es einen Sonderpreis für die besten Instrumentalisten gegeben – sie hätten ihn verdient.

Vor der Preisverleihung spielt die Bigband St. Raphael aus Heidelberg, geleitet von Peer Hübel, der am Wieland-Gymnasium sein Abitur gemacht hat. Die jungen Musikerinnen und Musiker, einer der Trompeter ist erst zehn, sorgen für eine faustdicke Überraschung. Voller Sound, griffige Arrangements, dazu ein modernes Repertoire. Amy Winehouse, Pussycatdolls. Und Hits aus der Soulküche. Ein gutes Stück zum Drive tragen die drei Sängerinnen bei, alle mit viel Potenzial. Amelie Suermann bringt „Big Spender“ von Shirley Bassey. Großer Applaus für Bigband, Solisten, Dirigenten. Zugabe.

Und dann gibt’s Geld und Lobesworte. Biberachs Kulturdezernent Dr. Jörg Riedlbauer freut sich, dass sich Jury und Publikum in der Bewertung so einig sind. C.C. Kreusch rät „Help!“ in einer etwas selbstgefälligen Laudatio, das Ausrufezeichen im Namen wegzulassen. Und danach den Namen ganz zu ändern. Die Schweizer nehmen’s mit einem Lächeln. Gewinner.

 

Schwäbische Zeitung, 26. April 2010