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Kategorie: Kritik
10.02.2012: Little Martin & The Roosters
Little Martin & The Roosters zu Gast beim Jazzclub Biberach
Heftige Bluesinfektionen im Jazzkeller
Keine Frage: Little Martin alias Martin Schönke und seine Profitruppe aus München haben den Blues! Bekanntlich kann man den Blues ja nicht einfach nur so runter spielen. Wer den Blues lediglich spielt, kommt von außen, geht eben nur spielerisch, akademisch oder gar pädagogisch und analytisch an den Blues heran. Das kann naturgemäß nicht funktionieren. Den richtigen Blues muss man im Blut, in den Genen haben. Oder man muss schon mal so weit unten gewesen sein, alles Leid der Menschheit persönlich im Rinnstein unserer Gesellschaft kennen gelernt und sich aus diesen Niederungen aus eigener Kraft wieder empor gekämpft haben. Dann und erst dann hat man den Blues und kann diesen auch glaubhaft, überzeugend, intensiv interpretieren oder gar leben, einfach spielen geht nicht.
Eine überraschend große Bluesgemeinde hat im Biberacher Jazzkeller den ausgebufften urbayrischen „Bluesern“ aus München ihre Lebensweisheiten begeistert abgenommen, sich vom typischen Bluesfeeling abholen lassen, mitgegroovt und mitgelebt und sich mit den unverwüstlichen Tönen des „Chicago Blues“ ein neues Lebenselixier verabreichen lassen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit einem unpässlichen Mikrofon und einer zunächst etwas düsteren Bühnenbeleuchtung stand mit einem Ersatz aus dem Fundus des Jazzclubs und mit der Routine von rund 120 Konzerten pro Jahr dem Siegeszug des Blues nichts mehr im Weg. Mit der archaischen Urgewalt einer Musik, die sich wie ein Rückgrat durch Jazz, Rock und Pop zieht und die sich dennoch ihre ursprüngliche Kraft bis heute bewahrt hat packte der bayrische Roosters-Blues sein Publikum mit Macht. Nicht nur die bekannteren Blues-Standards sondern mit der gleichen Überzeugungskraft auch die Eigenkompositionen von Martin Schönke schlugen eine Brücke in die Herzen der Zuhörer, die alsbald von einer heftigen Bluesinfektion ergriffen wurden.
Der Blues, auch der von „Little Martin“ kommt beileibe nicht virtuos daher. Im Gegenteil, je weniger Töne, desto treffender sitzen diese und dann braucht es auch nicht mehr davon. Die entspannte Unaufgeregtheit, ja geradezu Abgeklärtheit vor allem des Bandleaders an Gitarre und Mikrofon vermochte jene inspirierte „Coolness“ rüber zu bringen, die spätestens seit den Blues Brothers Filmen zu einem eigenen Blues-Kult geführt hat. Eine „Coolness“, die paradoxerweise das Blut zum Kochen bringt und ungeahnte Energien freisetzt. Unterwegs im Auftrag des Blues verschaffen Little Martin & The Roosters hoffentlich noch vielen Menschen eine musikalische Frischzellenkur.
Gez. Dr. Helmut Schönecker
03.02.2012: Cécile Verny Quartett
Konzert im Jazzkeller
Cécile Verny Quartet zeigt sich von seiner inspirierten Seite
BIBERACH – Ihr musikalisches Erfolgsrezept trägt noch so gut wie vor 12 Jahren, als sie ebenfalls im Jazzkeller ihr Biberach-Debüt gaben. Neben der ivorisch-französischen Namensgeberin mit der überaus expressiven Stimme spielen Bernd Heitzler (Bass), Andreas Erchinger (Klavier, Keyboards) und Lars Binder (Schlagzeug) seit über 20 Jahren in der Stammbesetzung zusammen. Die Texte von Cécile Verny, gelegentlich auch eine poetische Vorlage des visionären englischen Dichters William Blake, geben den drei komponierenden Mitmusikern das Sujet, den Anlass und die Inspiration zu ihren Kompositionen.
Die Seele der musikalischen Geschichten ist in der Ausführung unzweifelhaft die in Freiburg lebende französische Sängerin mit den westafrikanischen Wurzeln, deren sympathische, emotionsbetonte Moderation dem überaus zahlreich erschienenen Publikum auch willkommene Verstehenshilfen gab. Genussvoll entrücktes Zuhören, anfeuernder Applaus und Begeisterungsrufe aus dem Publikum trieben das Quartett zu inspirierten Darbietungen, die kaum vernehmbar darunter litten, dass der Kontrabass von Bernd Heitzler angesichts der arktischen Temperaturen beim Transport einem Frostschaden erlag. Die unbürokratische Soforthilfe seitens der Bruno-Frey-Musikschule, die kurzfristig ein Schülerinstrument zur Verfügung stellen konnte, half größere Probleme zu vermeiden.
Anders als in vielen traditionellen Quartettformationen mit Gesang versteht sich Cécile Verny nicht nur als Impulsgeberin oder pittoresken Rahmen für ausgedehnte, extrovertierte Instrumentalimprovisationen in linearer Reihung sondern bestimmt zu jeder Zeit das musikalische Geschehen mit. Das ist umso bemerkenswerter als die drei Begleiter nicht nur auf höchstem musikalischem Niveau agieren sondern als komponierende Musiker auch nicht der Gefahr inhaltsleerer Tonkaskaden oder langweiliger Verkettungen von Standardfiguren unterliegen. Cécile Verny improvisiert und scattet in allen Registern und Stilrichtungen, sie interpretiert höchst expressiv in allen Dynamikvarianten. Um es kurz zu machen, sie singt einfach wunderschön und bringt ihre künstlerischen Anliegen überzeugend zum Publikum rüber. Der Gewinn zahlreicher Preise und Wettbewerbe auch auf europäischer Ebene ist Beweis und Ausdruck dessen. Die zumeist dezenten Begleiter wussten die ihnen gewährten Freiräume durchaus virtuos zu nutzen. Bernd Heitzler im Wechsel zwischen Kontra- und E-Bass sowie akustischer Bassgitarre, Andreas Erchinger an Steinwayflügel und diversen Keyboards, oft sogar gleichzeitig. Und auch Lars Binder erweiterte das perkussive Klangspektrum um afrikanische Trommeln und weitere Effekte, ohne daraus gleich einen Kult zu machen. Ein runde Sache, die durch mehrere Zugaben einen begeisternden Abschluss fand.
Gez. Dr. H. Schönecker
13.01.2012: Erste Deutsche Stubenjazz Combo
Erste Deutsche Stubenjazz Combo eröffnet das Biberacher Jazzjahr
Volle Pulle Stubenjazz vor vollbesetztem Haus gab es zum Auftakt des Jazzjahres beim Jazzclub Biberach. Eine gestandene, sechsköpfige Boy Group um den Jazztrompeter Michael T. Otto und ein zünftiges österreichisches Maderl als singende Frontfrau verbreitete im stimmungsvollen Ambiente des Jazzkellers vom ersten Ton an kurzweiliges Amüsement und hintersinnigem Esprit auf seiner haarsträubenden Gewalttour vom originären deutschen Volkslied zum Jazz und zur Moderne und auch wieder zurück.
Dem begeisterten Publikum gefiel offenkundig die unerschrockene Herangehensweise der musikalischen Grenzgänger aus dem Bodenseeraum. Im älplerischen Klanggewand erkannten vor allem die älteren Besucher unschwer die Melodien einer längst verflossenen Jugendbewegung, gediegenes und bewährtes deutsches Liedgut aus der guten alten Zeit. Lange nicht mehr Gehörtes ließ erst aufhorchen um sich dann doch sofort wieder in neuen Zusammenhängen aufzulösen. Motive und Melodien, oft mit Ohrwurmcharakter, tauchten ab, verloren sich im dichten Klanggeflecht, tauchten wieder auf, um schließlich gegen den Strich gebürstet, neu gewandet und von neuem Leben erfüllt erneut ihre Wirkung zu entfalten.
Ein phänomenaler Tonumfang, höchste, fast instrumental anmutende Virtuosität, ein natürliches und doch unglaublich wandelfähiges Timbre sowie eine voll entfaltete künstlerische Ausstrahlung ließen Junia Vente zum musikalischen Zentralgestirn in der Männerriege werden. Auch wenn der Komponist, Arrangeur und Flügelhornist Michael T. Otto unzweifelhaft die musikalische Führung und Verantwortung inne hatte und viele wunderschöne, jazztypische Improvisationen auf seinem Kuhlo-Flügelhorn beisteuerte, stand die ebenso charismatische wie unaufdringlich sympathische Sängerin unangefochten im Brennpunkt des Geschehens. Ihr musikalischer Werdegang, nach klassischem Musikstudium in Österreich, einigen Semestern Jazzgesang an der Musikhochschule Mannheim sowie einem Abschluss am Berklee College of Music in Boston mit Gesang und Klavier mündete nach einem weiteren Studium der Arabistik, Philosophie und Sprachwissenschaften an der Universität Wien in der Mitgliedschaft des renommierten Wiener Kammerchors und im Arnold Schönberg Chor – und eben auch in der „Ersten Deutschen Stubenjazz Combo“. Ein Glücksfall, nicht nur für die Stubenjazz Combo, deren musikalische Erfolgsgeschichte steil nach oben führt (nächste Auftritt in der Unterfahrt in München). Nicht gering zu schätzen sind auch die weiteren Bandmitglieder. Herausragend virtuos am Knopfgriffakkordeon Harald Oeler, stilsicher an der Gitarre Johannes Deffner, der auch eigene Arrangements beisteuerte, an der Posaune und als Moderator Uli Binetsch, dessen musikalische Anfänge als Keyboarder bei „Tab Two“ oder in der „Jazzkantine“ fast schon vergessen sind und schließlich der grundsolide groovende Heiner Merk am Kontrabass.
23.12.2011: Rootbears
„Rootbears“ verbreiten musikalische Festfreude
Jazzkonzert im Schützenkeller-Saal bietet weihnachtliche Klänge der besonderen Art
Das Jazzkonzert der sechs „Rootbears“ am Tag vor Heiligabend hat in Biberach inzwischen fast Kult-Status. Selbst der Schützenkeller-Saal war am Freitag schon wieder zu klein. Schon gehen Planungsgedanken Richtung Stadt-, dann Donauhalle.
Die Kennung ihrer Unverwechselbarkeit: eine Föderation ausgeprägter Individualisten zu deren Schließanlage der Notenschlüssel passt. Stilsicherheit, Spielwitz, pulsierende Spontaneität, Qualität die mit souveräner Beiläufigkeit kredenzt wird. Nichts konnten 22 Jahre der Vitalität ihrer pulsierenden Boygroup-Dynamik anhaben. Würze durch Bonmot-Einwürfe in Leckerli-Qualität sind die Sahnehäubchen ihrer profilierten Bühnenpräsenz.
Ulrich Kuhn, mit ausgewachsenem Holzinstrument, vertrat diesmal Stammbassist Martin Schmid und begeisterte auf Anhieb. Perfekter Stallgeruch, kongeniale Vernetzung mit dem Habitus der Meute und Spielfreude brachte seine aufhorchenswerte Qualität zur Geltung. Christoph Reck (Gitarre), Hans-Peter Schmid (Posaune). Peter Schmidt (Schlagzeug), Magnus Schneider (Piano und Akkordeon) und Rüdiger Przybilla (Saxofon) schufen wieder ein packendes Programm, das trotz teils weihnachtsferner Thematik (Berlusconi) gediegenes Festgefühl nicht störte; schmackhaft angerichtet mit Schmiss, Latinwürze, einer Prise Elegie, Happening und dem bekanntem Gag-Pingpong nebst unvermeidlicher und unlösbarer Rätselfrage.
Profilstarke Arrangements, duo-, trio-, oder quartett-akzentuierte Präsentationen formten aparte Klangbilder. Dann wieder verströmte die Vollbesetzung ihr mitreißendes Sprühpotenzial. Bekannte Stücke wurden bärentypisch umgeschneidert: „Ihr Kinderlein kommet“ zum Beispiel durch Mollpassagen reizvoll „verschwermütigt“.
Das Bläserduo bestach im „Paarlauf“ durch Akkuratesse im Dialog, dann durch temporeiche Echoeffekte. Die Posaune zeigte strömende Wärme, gespürvollen Ansatz und gekonntes Pianissimo. Mit eruptiven Improvisationen und fetzigen Kapriolen riss der Saxofonist vom Hocker und brillierte als verruchter Barsänger.
Exakter Einsatz von Synkopen zog sich wie ein liebgewordener Sprachstil durch viele Passagen. Erneut zeigten die Bären mit „Oh des wär schee“ choreographie-verstärkt ihre Vokalisten-Qualitäitm Stil von „Rißtal-Harmonists“.
Bei „Tochter Zion“ spielte jeder tapfer ein ihm fremdes Instrument als ob er es könne. Der Gitarist heizte seine selbst gebauten Instrumente zu voller Klangblüte hoch, griff bestechende Harmonien, ließ Läufe funkeln. Piano und Akkordeon zeigten per Könnerhand bestechende Klangflüsse, quirlende Girlanden, rhythmisches Klangbett. Das von Haus aus brave Akkordeon hörte man hemmungslos swingen. Freude kam auf, wenn der Gast Bassist Zupf-Orgien zelebrierte und das Funkeln seiner Augen die Finger begleitete.
Der Schlagzeuger konnte zu einem temperamentvollen Solo überredet werden und gab dem Team mit unaufdringlicher aber bestimmender Technik sichere Tempi und packenden Drive. Erst nach der zweiten Zugabe, der einkerzig flambierten, piano unterplätscherten „Stille Nacht-Paraphrase“ der Posaune ging man „bärenbeschwingt“ nach Hause.
Dieter Schefold
09.12.2011: Jazzchor Konstanz
Jazzchor Konstanz im Jazzkeller Biberach
Entfesselte Choristen aus Konstanz in Feierlaune
Wenn eines unabdingbar ist, bei einem Chor, der sich mit so kniffligen Dingen wie Jazz befasst, dann ist es die Freude an dieser lebendig groovenden Musik, an der harmonischen und rhythmischen Präzision ihrer Ausführung oder an einem stilistischen Parforceritt durch das gesamte 20. und 21. Jahrhundert. Und selbstverständlich sind Noten, wie meist im Jazz, auch im Jazzchor nicht gerade angesagt. Schon gar nicht, wenn die Disziplin der Ausführung auf intensive Probearbeit schließen lässt. Jedenfalls gingen die rund 20 Kompositionen alle problemlos auswendig.
Der Jazzchor Konstanz hat unter der sensiblen Leitung von Martin Rodler und begleitet durch Uli Stier (Saxophon) und Jürgen Waidele (Klavier) bei seinem Konzert im Jazzkeller Biberach ein volles Haus völlig in seinen Bann geschlagen. Mit Highlights der Jazzmusik von Burt Bacherach (Close to you) und Irving Berlin (Blue Skies) über Lennon/MacCartney (Norwegian Wood), Tower of Power (Diggin on James Brown) und Stevie Wonder (Don’t you worry) bis Joe Zawinul (Birdland) zauberten die Badener ein Feuerwerk der guten Laune in die trübe Vorweihnachtszeit. Selbst vor einigermaßen vertrackten Instrumentaltiteln wie „Take Five“ konnten die entfesselten Choristen nicht die Finger lassen. Von stilsicheren Improvisationen durch Saxophon und Klavier aufgelockert, meist in voller Chorstärke, aber auch im Trio oder im Sextett, in vielfältig wechselnden Besetzungen ging der Konzertabend äußerst kurzweilig und unterhaltsam vorüber. Nicht zuletzt einer launigen Moderation durch einen der Tenöre zu verdanken, der auf sympathische Weise unverbindlich verbindende Worte zwischen den einzelnen Titeln fand, war das Stimmungsbarometer den ganzen Abend auf ein Hoch eingestellt.
Ja, schon, manchmal war die Grenze zum allzu schmalzigen Schmachtfetzen in Sichtweite, die Grenzen zum Pop zuweilen fließend. Die augenzwinkernde Selbstkritik und vor allem die immer wieder aufleuchtenden Jazz-Licks von Jürgen Waidele, der übrigens auch als veritabler, lebenserfahrener Jazzsänger durchgehen kann, sowie Uli Stier mit seinen raumgreifenden Improvisationen sorgten jedoch immer wieder für die erforderliche, jazzige Bodenhaftung.
„Mas que nada“, was soll’s, Spaß und Begeisterung bei Ausführenden und Publikum waren, nicht nur in dem gleichnamigen Latin-Jazz-Titel von Jorge Ben Jor, enorm. Zwei fetzige Zugaben und danach noch eine Jam-Session in voller Setlänge gaben Zeugnis über eine durchaus glückliche Konstellation: Badener und Schwaben, Chor und Jazz, Konzert und Partystimmung. Hätte der Bus der munteren Truppe nicht noch die letzte Fähre über den Bodensee erreichen müssen, hätte vielleicht erst der Morgenkaffee dem lustigen Treiben ein Ende gesetzt.
Gez. Schönecker
