Kritik – Seite 35 – Jazzclub Biberach e.V.

01.02.2013: United Blues Experience

Überfüllter Jazzkeller im Blues-Fieber

Souveräne Bühnenpräsenz und ein kurzer Draht zum Publikum waren, neben einer urtypisch erdigen Bluesstimme, angesagtem Gitarrensound, sattem Bass und einer herausragenden Bluesharp-Spielerin, die Zutaten zu einem außergewöhnlichen Bluesabend vor ausverkauftem Haus und hell begeisterten Fans des polnisch-fränkisch-oberbayrischen Trios „United Blues Experience“ im Biberacher Jazzkeller.

Der Blues ist „in“. Immer noch oder schon wieder. Nicht nur als stimmungsvolle, hoch willkommene Alternative zur allerorten tobenden oberschwäbischen Fasnet. Bluesfans bezeichnen den Blues gerne als Rückgrat der Jazz-, Rock- und Popmusik. Sie haben offenkundig recht damit. Augen- oder besser ohrenfällig demonstrierten dies die drei „Blueser“ um Sänger und Gitarrist Wolfgang Bernreuther, dem musikalischen Kopf der hochinfektiösen Truppe. Nicht nur in den gelegentlichen Ausflügen in verwandte Metiers, etwa zu Fleetwood & Mac oder Jimi Hendrix, auch nicht im bewussten Anknüpfen an den Wurzeln des New Orleans- oder Chicago-Blues eines Champion Jack Dupree oder Willie Dixon, die enorme stilistische Bandbreite des Blues spiegelte sich vor allem in den abwechslungsreichen Eigenkompositionen von Bernreuther und Kossowska selbst. Überhaupt Beata Kossowska. In der „wunderbaren Welt der Mundharmonika“ völlig zu Recht als „First Lady der Bluesharp“ bezeichnet, wirkte sie als kongeniale Partnerin von Bernreuther und versetzte das Publikum in atemlose Spannung.

Als multilinguale Sängerin lieferte sie eine sympathische klangliche und sprachliche Abwechslung zu Bernreuther. Als polnische Bluesharp-Virtuosin von Weltrang fetzte sie aber in ihren Improvisationen mit unbändigem Temperament und tiefer Leidenschaft alles andere in den Hintergrund. Sichtlich in ihrem Element, motiviert und inspiriert durch ein begeistert mitgehendes, johlendes und pfeifendes Publikum, zeigte die auf internationalen Festivals und als Herausgeberin einer Mundharmonika-Schule geadelte Bluesmusikerin auf ihrer Hohner „Pro Harp MS“ und einer ganzen Kiste weiterer Hohner-Mundharmonikas für alle Lagen und Tonarten, was auf diesem unscheinbaren, liebevoll Bluesharp genannten Instrumentchen musikalisch alles möglich ist. Von langgezogenen melancholischen Kantilenen zu rasanten Skalen oder akkordischen Tonrepetitionen schien das spieltechnische Repertoire der Kossowska so unerschöpflich wie ihr Atem, der den Tönen die Seele und dem Blues das ewige Leben einhauchte. Über dem sonor groovenden Kontrabass von Rudi Bayer, der auch perkussive Elemente zum Geschehen beisteuerte, bildete dieser Blues mit zeitgemäßen Texten über das Leben und die Liebe das reinste Lebenselixier, pure Lebenskraft gegen seichten Pop oder akademisch konstruierte Kunstmusik. Möge er noch lange leben.

gez. Dr. H. Schönecker

25.01.2013: Massive Schräge

Konzert mit letztjährigen Jazzpreisgewinnern

Mit „Massive Schräge“ auf „Kaperfahrt“

BIBERACH (sz) – Nahezu alle Kompositionen der Siegerformation des letztjährigen Biberacher Jazzpreises mit dem klangvollen Namen „Massive Schräge“ wiesen ein konkretes Sujet oder auch ein persönliches Erlebnis als Inspirationsquelle auf. Lediglich zwei der drei Zugaben des Freitagabendkonzertes im Jazzkeller waren Coverversionen, darunter „Tourist“ von der Lieblingsband „Radio Head“ des adligen Pianisten Johannes von Ballestrem in einer wunderbaren Neu-Interpretation sowie eine flippige Nummer aus dem American Songbook.

Es ist eine schöne Tradition, dass die Siegerformationen des internationalen Biberacher Jazzpreises im darauffolgenden Jahresprogramm des Biberacher Jazzclubs einen Ehrenplatz bekommen. So hat nicht nur die Band die Möglichkeit, sich ohne den Wettbewerbsdruck in einem abendfüllenden Programm vorzustellen. Auch das Publikum, das bei dem Wettbewerb ja mitstimmen konnte, hat dadurch die Gelegenheit ihre Favoriten besser kennen zu lernen.

Eine ganze Reihe von oberschwäbischen Fans der höchst kreativen Berliner Formation nutzte denn auch diese Chance des Wiederhörens und das Trio „Massive Schräge“ hatte damit beinahe ein Heimspiel. Unaufgeregte Coolness bei äußerstem Abwechslungsreichtum, emotional inspiriert und intellektuell ausgefeilt gleichermaßen, barg jede der Kompositionen aus den Reihen der Bandmitglieder einen schillernden Kosmos musikalischer Preziosen. Es war für das Hörverständnis der innovativen Musiknummern sicherlich hilfreich, dass die Bandmitglieder in der jeweiligen Anmoderation Einblicke in die Entstehungsgeschichte gaben. So erfuhr das Publikum auch, dass der Anlass zu dem Stück „Kaperfahrt“, bei dem nur Bartträger wie Jan und Hein und Klaas und Pit mitfahren durften, von dem (bartlosen) Gitarristen Florian Fleischer ausging. Dass die aktuelle Interpretation der „Kaperfahrt“ in recht stillen Gewässern mündete, zeigte einmal mehr den Live-Charakter der Stücke. Immer wieder neu, aus dem Augenblick heraus, entwickeln die Stücke aus ihren bausteinartigen Fragmenten in der Improvisation eine Eigendynamik, die mal mehr mal weniger Spannung generiert, die aber immer echt und authentisch wirken.

In kontrapunktisch gewirkter Polyphonie werden die auf der „Kaperfahrt“ erbeuteten Motive und Patterns in neue Strukturen eingebunden und geben so einen intensiven Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess auf dem Weg zu einem eigenständigen Bandstil. Dabei schrecken die drei Suchenden auch nicht vor Anleihen aus der neueren (französischen) Literatur zurück. Als Vorlage diente etwa das 1500 Seiten starke Opus eines „potentiellen“ französischen Poeten, in dem der Buchstabe „e“ vollständig ausgespart wurde. Das davon inspirierte Musikstück verzichtete gänzlich (?) auf den Ton „g“ und klang schon von daher erfrischend andersartig. [gez. H. Schönecker]

11.01.2013: Pöhlmann Rädle Hagenlocher

Pöhlmann-Rädle-Hagenlocher Trio im Jazzkeller Biberach

Entschleunigungs-Jazz zum Jahresauftakt

BIBERACH [hs] – Wer es über die Feiertage und den Jahreswechsel hinweg nicht geschafft hatte, der konnte zum musikalischen Jahresauftakt des Jazzclubs Biberach das Versäumte noch reichlich nachholen. Eine musikalische Entschleunigungskur in Reinform bot das Pöhlmann-Rädle-Hagenlocher Trio dem treuen Biberacher Jazzclub-Publikum beim traditionellen Freitagabendkonzert.

Eine transparente Klangstruktur ergab sich bereits aus der Besetzung des Trios, das mit Saxophon, Klavier und Kontrabass bewusst auf Rhythmusinstrumente verzichtete und überdies unverstärkt zum Konzert antrat. Um dieser ungewöhnlichen Besetzung gerecht zu werden, komponierte der Kontrabassist Michael Pöhlmann alle Stücke für sein Freiburger Modern Jazz Trio selbst. Trotz einer erstaunlichen Bandbreite bei den gewählten Sujets, vom Wiener „Schmäh“ im ¾-Takt über die spanische Habanera „Barcelona“ hin zu einer elaborierten Schubertsonate und einem Tribut an Charles Mingus und Stevie Wonder, ließen der typische Grundklang und der gestalterische Zugriff doch immer die Handschrift des Komponisten erkennen. Resultat war ein gediegen-unterhaltsamer, gemäßigter Modern Jazz, dem man gelegentlich etwas mehr Temperament, weniger strukturelle Fesseln und weniger Ernsthaftigkeit gewünscht hätte. Hier ging es nicht um quirlig-lebendige, urbane Jazz-Avantgarde, die da und dort auch mal kratzt und beißt. Hier ging es auch nicht um leidenschaftlich-eruptive Improvisationen, gespeist aus zerrissenen Seelen globalisierter Großstadtmenschen. Und um intellektuelles Spiel mit kontrapunktisch gewirkten Stilaphorismen ging es eben auch nicht. Gut abgehangene romantisch-impressionistische Melancholie bot jedoch den Rahmen für die kollektive kontemplative Versenkung ins kammermusikalische Nirvana der ausgelassenen Töne: bodenständige Entspannung in ländlicher Idylle, erhabener Friede in edler Einfalt und stiller Größe, klassisch eben.

Als das wohlwollende Publikum die zweite Zugabe erklatschte, huschte das erste Lächeln über die Gesichter der erstaunten Musiker. Das erste auswendig gespielte Stück des Abends löste schließlich doch noch die Fesseln, die Improvisationen wurden freier, die Stimmung entspannter und freundlicher. Der Pianist Tobias Rädle und der Saxophonist Jörg Hagenlocher liefen „vom Eise befreit“ in fast schon „wild“ zu nennenden Improvisationen zur Hochform auf. Schade, dass der Abend hier bereits zu Ende ging.

 

gez. Dr. H. Schönecker

30.11.2012: Jazzchor Stuttgart

Stuttgarter Jazzchor gibt eine Lehrstunde für den Chorgesang

Hohe Chorkultur im jazzigen Untergrund

BIBERACH – Mit einem repräsentativen Querschnitt aus seinem Fünf-Stunden-Repertoire hat sich der „Jazzchor Stuttgart“ unter seiner Chorleiterin Christiane Holzenbecher am Freitagabend im nahezu ausverkauften Jazzkeller einem begeisterten Biberacher Publikum vorgestellt. Mehrere Zugaben, darunter der immer noch witzige „Hafer- und Bananen-Blues“ aus der legendären SDR-Ära vom „Äffle & Pferdle“ und, für ein Jazzkonzert durchaus ungewöhnliche, stehende Ovationen, waren untrügliche Zeichen für einen rundum gelungenen Jazz-Chorabend im Oberland.

Die sechzehn Chorsängerinnen und Sänger, darunter mit Gerhard Ruf auch ein ehemaliger Biberacher, zeigten sich, trotz akustisch recht schwieriger Bedingungen für A-Cappella-Chorgesang, hochmotiviert, mit zunehmend fortschreitendem Abend auch selbst sichtlich begeistert und durch die enthusiastischen Publikumsreaktionen zu Höchstleistungen inspiriert. Die stilistische Bandbreite für einen Jazzchor war außerordentlich. Von Renaissance- bis zu Rock-  und HipHop-Titeln, mit Beat-Boxing-Untergrund und diversen Soloeinlagen, teils mit eigenen gerappten Texten auf Deutsch und Englisch, war für jeden Geschmack etwas geboten. Selbst vorweihnachtliches und weihnachtliches Liedgut durfte nicht fehlen. Besonders eindrucksvoll gelang, neben dem „Christmas Love Song“ von „Manhattan Transfer“ ein Xmas-Carol, das Andrea Figallo, ein langjähriges Mitglied der britischen A-Cappella-Formation „Flying Pickets“ (und demnächst bei den „Wise Guys“) auf einem Chor-Workshop für den Stuttgarter Chor eigens komponiert und einstudiert hatte.

Wöchentliche Proben, mehrere Chorwochenenden und Workshops mit renommierten Dozenten, unter anderem auch mit Mitgliedern von „Manhattan Transfer“, den „King’s Singers“ oder den „Flying Pickets“, bilden beim Jazzchor Stuttgart die Basis für ein hochkarätiges, selbstverständlich komplett auswendig dargebotenes Programm, das zumindest in Biberach nicht nur eingefleischten und durchaus zahlreich im Publikum vertretenen Choristen großen Respekt abnötigte. Besonders temperamentvoll gelangen die Stücke, die teils experimentell die gewohnte Chorformation aufbrachen und in alternierenden Gruppierungen rappten, beat-boxten und in wechselnder Kostümierung theatralisch gestikulierten.

Selbstverständlich durften auch die typischen Jazznummern nicht fehlen. „Tuxedo Junction“, „Take Five“ oder der Stevie Wonder Hit „Sir Duke“ ließen auch die Jazzfans auf ihre Kosten kommen. Wohlige Schauer verursachten jedoch besonders die leisen Töne. Sauber intonierte Jazzharmonien im Pianissimo sind ein Stilmittel, das in dieser Qualität und Intensität nur von bestens aufeinander eingespielten Chören zu bewältigen ist. In einer so transparenten und schonungslos direkten Akustik wie im proppenvollen Jazzkeller, kann diese Leistung, die noch dazu ohne Einsatz technischer Hilfsmittel erfolgte, gar nicht genug gewürdigt werden. Neben dem Ohrenschmaus fürs Publikum lieferte der Jazzchor Stuttgart hier auch eine Lehrstunde für den Chorgesang ab.

gez. Dr. Helmut Schönecker