Konzert mit letztjährigen Jazzpreisgewinnern
Mit „Massive Schräge“ auf „Kaperfahrt“
BIBERACH (sz) – Nahezu alle Kompositionen der Siegerformation des letztjährigen Biberacher Jazzpreises mit dem klangvollen Namen „Massive Schräge“ wiesen ein konkretes Sujet oder auch ein persönliches Erlebnis als Inspirationsquelle auf. Lediglich zwei der drei Zugaben des Freitagabendkonzertes im Jazzkeller waren Coverversionen, darunter „Tourist“ von der Lieblingsband „Radio Head“ des adligen Pianisten Johannes von Ballestrem in einer wunderbaren Neu-Interpretation sowie eine flippige Nummer aus dem American Songbook.
Es ist eine schöne Tradition, dass die Siegerformationen des internationalen Biberacher Jazzpreises im darauffolgenden Jahresprogramm des Biberacher Jazzclubs einen Ehrenplatz bekommen. So hat nicht nur die Band die Möglichkeit, sich ohne den Wettbewerbsdruck in einem abendfüllenden Programm vorzustellen. Auch das Publikum, das bei dem Wettbewerb ja mitstimmen konnte, hat dadurch die Gelegenheit ihre Favoriten besser kennen zu lernen.
Eine ganze Reihe von oberschwäbischen Fans der höchst kreativen Berliner Formation nutzte denn auch diese Chance des Wiederhörens und das Trio „Massive Schräge“ hatte damit beinahe ein Heimspiel. Unaufgeregte Coolness bei äußerstem Abwechslungsreichtum, emotional inspiriert und intellektuell ausgefeilt gleichermaßen, barg jede der Kompositionen aus den Reihen der Bandmitglieder einen schillernden Kosmos musikalischer Preziosen. Es war für das Hörverständnis der innovativen Musiknummern sicherlich hilfreich, dass die Bandmitglieder in der jeweiligen Anmoderation Einblicke in die Entstehungsgeschichte gaben. So erfuhr das Publikum auch, dass der Anlass zu dem Stück „Kaperfahrt“, bei dem nur Bartträger wie Jan und Hein und Klaas und Pit mitfahren durften, von dem (bartlosen) Gitarristen Florian Fleischer ausging. Dass die aktuelle Interpretation der „Kaperfahrt“ in recht stillen Gewässern mündete, zeigte einmal mehr den Live-Charakter der Stücke. Immer wieder neu, aus dem Augenblick heraus, entwickeln die Stücke aus ihren bausteinartigen Fragmenten in der Improvisation eine Eigendynamik, die mal mehr mal weniger Spannung generiert, die aber immer echt und authentisch wirken.
In kontrapunktisch gewirkter Polyphonie werden die auf der „Kaperfahrt“ erbeuteten Motive und Patterns in neue Strukturen eingebunden und geben so einen intensiven Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess auf dem Weg zu einem eigenständigen Bandstil. Dabei schrecken die drei Suchenden auch nicht vor Anleihen aus der neueren (französischen) Literatur zurück. Als Vorlage diente etwa das 1500 Seiten starke Opus eines „potentiellen“ französischen Poeten, in dem der Buchstabe „e“ vollständig ausgespart wurde. Das davon inspirierte Musikstück verzichtete gänzlich (?) auf den Ton „g“ und klang schon von daher erfrischend andersartig. [gez. H. Schönecker]