Kritik – Seite 21 – Jazzclub Biberach e.V.

19.05.2017: Volker Engelberth Quintett

Fast Unvereinbares zusammengespannt

Rätselhafte Puzzlespiele mit überschäumender Spielfreude

BIBERACH – Zum ferien- und feiertagsbedingt frühzeitigen Abschluss der Halbjahres-Konzertsaison hat der Jazzclub den baden-württembergischen Jazzpreisträger des vergangenen Jahres, Volker Engelberth mit seinem neuen Quintett aufgeboten. Der in der Nähe von Köln aufgewachsene Jazzpianist und Komponist studierte bei Joerg Reiter in Mannheim und arbeitet heute neben seiner künstlerischen Tätigkeit auch als Lehrbeauftragter für Jazzklavier an der Musikhochschule Stuttgart. Überwiegend mit Titeln aus seiner jüngsten CD-Produktion „Jigsaw Puzzles“ von 2016 gab er dem enthusiastischen Publikum so manche musikalische Nuss zu knacken.

In Erweiterung seines seit 2010 bestehenden und bestens aufeinander eingespielten Trios mit dem in Biberach wohlbekannten Freiburger Bassisten Arne Huber und dem Kölner Drummer Silvio Morger, der bereits 2008 mit „Hornstrom“ den Biberacher Jazzpreis gewonnen hat, gibt es seit letztem Jahr auch das „Volker Engelberth Quintett“ mit dem in Köln lebenden Trompeter Bastian Stein und dem Jazzpreisträger des Landes Baden-Württemberg 2013, dem Ausnahmesaxophonisten Alexander „Sandi“ Kuhn. Kuhn hatte bereits 2014 mit seinem Quartett und dem damaligen Überraschungsgast Julia Ehninger das Biberacher Publikum begeistert.

Schon damals wurde Kuhn für die große Bandbreite kontrastierender Stilmittel und für sein feinsinniges Spiel mit den Erwartungen des Publikums gefeiert. Volker Engelberth hat in ihm nun einen kongenialen Partner für sein neues Quintett gefunden. Die Entdeckung des Neuen in einer gar nicht so weit entfernten Parallelwelt wurde zum gemeinsamen kompositorischen und improvisatorischen Anliegen der Preisträger. So etwa exemplarisch im Titel „Parallelism“, der eben nicht nur parallele Melodie- und Basslinien als Gestaltungsmittel verwendet, sondern auch in immer wieder aufgebrochenen, kleinräumigen Strukturen dialogisierend, in selbstverständlicher Virtuosität improvisierend in lebendigem Miteinander scheinbar Unvereinbares hinterfragt und schließlich doch zusammenbringt. Unterhaltsames nahe am Mainstream, die verträumte Melancholie klassischer Jazzballaden (besonders intensiv in „Nocturne“), knackige Grooves und nervige Funky- oder kraftvolle Rock-Rhythmen treffen auf einen swingenden Walking Bass, rasante bebopartige Melodielinien oder klassisch ästhetisierte Trompetenklänge und – welch‘ Wunder – heraus kommt durchaus keine belanglose Beliebigkeit sondern die rätselhafte Faszination ungelöster Mysterien („Unsolved Mystery“) im Rahmen und an der Front tiefsinniger, kurzweiliger, moderner europäischer Jazz-Avantgarde.

Große Disziplin, flexible Interaktion, empathisches Miteinander aller Musiker des Quintetts waren Grundlage eines ungewöhnlich dichten, intensiven Zusammenspiels. Die verschworene Gemeinschaft auf ihrer gemeinsamen Suche nach neuen Wegen zwischen frecher Frische und gediegener Konvention vermittelte vor allem Eines: Die Liebe zum Jazz als weltoffener Kunstform voller Toleranz und gegenseitigem Verständnis als Gegenentwurf einer oberflächlichen Unterhaltungsmusik, die durch endlos wiederholtes Aufkochen des Altbewährten die Seele der Musik so lange auslaugt, bis diese in den Untiefen der Unterhaltungsbranche den Tod der Ignoranz und des Überflüssigen stirbt.

Text & Foto: Helmut Schönecker

05.05.2017: Franz von Chossy Quintett

Niederländisches Crossover-Quintett begeistert im Jazzkeller

Kammermusikalische Transparenz mit Verve und Power

BIBERACH – Nahezu Unvereinbares überzeugend unter einen Hut gebracht hat Franz von Chossy mit seinem ungewöhnlich besetzten Quintett beim Freitagskonzert des Jazzclubs im gut besuchten Jazzkeller. Violine, Cello, Klarinette, dazu Klavier und Schlagzeug. Die Besetzung lässt Klassisches erwarten, Jazz eher nebenbei. Mit dem ersten Stück „Perpetual Lights“ von der prämierten CD „When the World Comes Home“ sprangen sofort Funken der Begeisterung auf das faszinierte Publikum über. Klassik wurde Jazz und umgekehrt. Anfängliche Skepsis über die Kombination Streicher im Jazz bei fehlendem Kontrabass wurde schlagartig gegenstandslos. Langanhaltender Beifall motivierte die Musiker zu weiteren Großtaten.

In kammermusikalischer Präzision und Transparenz sowie einem elektronisch modifizierten, angenehmen Wohlfühl-Sound gestaltete das Quintett Franz von Chossys stil-, grenz- und epochenüberschreitende Kompositionen über die „Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies“ ebenso eindringlich wie abwechslungsreich. Die wenigen ganz neuen Kompositionen, darunter nach der Pause ein ausladender „Full-Range-Titel“, derzeit noch ohne Namen, der auf der nächsten CD der Band erscheinen soll, ließen die Wogen der Begeisterung noch höher schlagen. Barocke polyphone Fugatoteile, quasi generalbaßbegleitete Homophonie, orchestrale Klangwirkungen und klassische thematisch-motivische Arbeit, rhapsodische Reihungen, aber auch formal rahmende Geschlossenheit um gelegentliche freiere Improvisationen ließen keine Langeweile aufkommen und hatten schon gar nichts gewaltsam Konstruiertes an sich. Organisch, leichtfüßig beschwingt, aber auch düster, bedrohlich und voller Dramatik erzählt Franz von Chossy in prallen Bildern eine epische Geschichte, die durchaus als Fortsetzung von „When the World Comes Home“ verstanden werden kann, den Staub der Jahrhunderte zu Diamanten verpresst.

„Steps of the Sun“ oder „Eternal Elephant“ waren weitere Highlights, die eine hell begeisterte Besucherin zu der Aussage verleiteten, es hier mit einer „galaktischen Musik“ zu tun zu haben. Auf ausdauernden Beifall gab es mit „Nocturne“ leider nur eine Zugabe, die jedoch das Programm so stimmig abrundete, dass sich alle Beteiligten damit zufrieden gaben.

Vom quirligen Yonga Sun (Schlagzeug), dem souveränen Jörg Brinkman (Cello), Klangtüftler Alex Simu („Spezial-B- und Double-Bass-Klarinette“), dem virtuosen und feinsinnigen Jeffrey Bruinsma (Violine) bis zum gestaltkräftigen Komponisten Franz von Chossy (Kawaiflügel) war es jedoch vor allem das homogene, fein ausziselierte Zusammenspiel des Quintetts, welches mit seiner Perfektion und Dichte die Zuhörer fesselte und die pittoresken Klangbilder überzeugend in Szene setzte. Der durch die Person Franz von Chossys vermittelte Crossover-Stil ist dabei auf einem guten Weg, zu einem weltoffenen, unverkrampften, perspektivisch neuartigen, eigenständigen Musikstil zu werden.

Text & Foto: Helmut Schönecker

 

07.04.2017: Trio ELF

Trio ELF mit „MusicBoxMusic“ im Jazzkeller

In der Ruhe liegt die Kraft

BIBERACH – Der gefragte Münchner Pianist und Komponist Walter Lang schaffte es einmal mehr mit seinem Trio ELF, bei seinem mittlerweile vierten Biberacher Auftritt in den letzten vier Jahren, eine stattliche Anzahl Fans zu mobilisieren oder neu zu überzeugen. Im prall gefüllten Jazzkeller durfte ein vom ersten Titel an hell begeistertes Publikum erleben, dass auch der ausgereifte Personalstil von Weltklasse-Musikern noch Steigerungen bereithalten kann. Das international gefeierte Trio zeigte mit der Präsentation seiner jüngsten CD „MusicBoxMusic“ erneut einen mutigen, risiko- und experimentierfreudigen sehr persönlichen Zugang zur oft geschmähten „Spieluhren- oder Automatenmusik“, mit überraschenden und teilweise verblüffenden Resultaten.

Verriet die erste Zugabe mit der geschichtsträchtigen „Mensch-Maschine“ von den weltbekannten deutschen Elektro-Rock-Pionieren „Kraftwerk“ noch die motorisch-mechanische Anfangsmotivation des Bandkonzeptes, zeigte die zweite, eifrig herbeigeklatsche Zugabe in ihrer entrückten Transzendenz die ruhige Ausdruckstiefe aus der die wahre, vielleicht durch buddhistische Meditation und regelmäßige Yogaübungen gespeiste Kraft und Energie strömt. Die resultierende friedvolle Ruhe strömte jedenfalls ungehemmt in die offenen Herzen eines wie befreit durchatmenden, dankbaren Publikums, welches anschließend auch in Scharen die mitgebrachten CDs erstand und signieren ließ.

Die Begeisterung auf beiden Seiten war sichtlich mit Händen zu greifen. Die Musiker ließen sich von dem Wohlwollen ihrer Fans auf Händen und von einem interpretatorischen Highlight zum nächsten tragen. In der raumgreifenden Weite von „Emptiness“ aus der Feder des slowakischen Bassisten Peter Cudek, kontrapunktiert durch präzise, feingliedrige Rhythmen von Gerwin Eisenhauer am Drumset oder in den kernig zupackenden, balkanisch anmutenden Bass- und Melodielinien von Walter Langs „Suq“ – jede der zahlreichen Kompositionen wies eine originelle Eigencharakteristik auf. Das weitgereiste, gerade erst von einer Tournee durch Zentral- und Nordamerika zurückgekehrte Trio verschmolz alle diese kosmopolitischen Einflüsse mit einem hohen Maß an Spielfreude und oft augenzwinkernden Humor zu frischen und erfrischenden, lebensprallen Preziosen in allen Schattierungen, zwischen unbeschwerter Heiterkeit und dem gelegentlichen Anflug melancholischer Kontemplation.

Ob durch spieluhrenhafte Ostinatofiguren in gebetsmühlenartigen Wiederholungen zu tranceähnlichen Zuständen führend oder in dramatisch-druckvoller Dynamik kulminierende Rock-, Funk- oder Hiphop-Grooves, die transparenten und mittels elektronischem Zauberkästchen klanglich modifizierten Sounds und Harmonien entwickelten eine ganz eigene magische Intensität, die unter die Haut ging und die Nackenhärchen aufzurichten vermochte. Die virtuosen und höchst inspirierten Improvisationen aller Bandmitglieder fügten sich organisch in die Stücke ein und ließen, wie sonst leider allzu oft bei namhaften Künstlern, nicht einmal den Verdacht auf bloße Effekthascherei aufkommen.

gez. H. Schönecker

17.03.2017: KA MA Quartet (Katharina Maschmeyer)

Mit Coltrane auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen

Katharina Maschmeyer Quartett in Topform

BIBERACH – Eingebettet in eine Reihe von Eigenkompositionen, die teilweise bereits beim letzten Biberacher Konzert des Quartetts 2013 ihre Uraufführung erlebten, stellte das „KA MA Quartett“ von Katharina Maschmeyer, unterstützt durch die indonesische Conga-Legende Nippy Noya, im Freitagskonzert des Jazzclubs sein im vergangenen Jahr veröffentlichtes Tribute-Album „A Love Supreme“ zu Ehren von John Coltrane vor. Wer ohne Reservierung zu dem spektakulären Konzert im Jazzkeller erschienen war, musste bereits vor Beginn mit einem der knappen Restplätze auf den Podesten und Treppenstufen vorliebnehmen.

John Coltranes berühmte viersätzige Suite „A Love Supreme“ markiert den Höhe- und Wendepunkt seines Schaffens und brachte ihn bekanntlich in die „Hall of Fame“ des Down Beat Magazins. Die intensive Emotionalität der mythischen Suite inspirierte bereits Carlos Santana und John McLaughlin, die darin eine universelle Tonsprache erkannten, in welcher „der Einzelne im Kollektiv aufgeht“. Dieser Leitgedanke hat wohl auch das „KA MA Quartett“ nach drei international gefeierten Studioalben dazu beflügelt, die bewunderte Vorlage des Ausnahmesaxophonisten Coltrane in einer eigenen Version in Form einer kultigen, limitierten Vinylauflage des Livekonzertes, aufgenommen in den renommierten Bauerstudios in Ludwigsburg, aufzulegen. Dessen Biberacher Liveversion übertraf in ihrer Intensität alle Erwartungen. Mit kraftvoller, kaum gebändigter Leidenschaft, markanten Grooves und äußerst druckvollen Patterns fetzte das Quartett den zahlreichen Fans die alles mitreißende Musik um die Ohren, welche vor allem im ersten Set die Gehörgänge erstmal ordentlich durchlüftete.

Eingeleitet von Kompositionen des funkensprühenden Gitarristen/Bassisten Nils Pollheide und des ebenso coolen wie hochvirtuosen Pianisten Philipp Rüttgers, der am Kawaiflügel, am Nordstage EX und am Synthesizer gleichermaßen brillierte, begann die Hommage an Coltrane in Anlehnung an Carlos Santana mit dem Pollheide-Stück „Universal Tone“. Es folgten die beiden ersten Sätze der Coltrane-Suite, das blueslastige „Acknowledgment“ (Anerkennung) und das eher leichtfüßig swingende „Resolution“ (Entschluss) bevor das, ob der für sensible Ohren mitunter schon grenzwertigen Lautstärke teilweise etwas gestresst wirkende Publikum in die wohlverdiente Pause entlassen wurde.

Nach derselben nahm das experimentelle Streben („Pursuance“) nach der universellen Musiksprache unter Einbeziehung lateinamerikanischer Stilelemente seinen Fortgang bevor im wieder leicht blueslastigen und melancholischen „Psalm“ der dramaturgische Höhepunkt und Abschluss der Suite erreicht wurde. Amen. Ja so sei es. Katharina Maschmeyer hat ihren Coltrane nicht nur verstanden sondern verinnerlicht und weiterentwickelt. Und vor allem bringt sie dies auch auf ihrem Tenorsaxophon, gelegentlich auch auf Bassklarinette oder Sopransaxophon in überzeugender Weise kraftvoll und in ungekünstelter Natürlichkeit an ihr Publikum. In gewissem Sinne ging nach dieser zentralen Suite aber  auch ein Aufatmen durchs Publikum. Die dichtesten und damit auch für alle Beteiligten anstrengendsten Passagen des Konzertes waren gemeistert. Danach ging es erfreulicherweise deutlich leichtfüßiger weiter. Der Ausklang des Konzertes nach fast drei Stunden war mit Titeln wie „Early Bird“ oder „Spring Thing“ entspannter, durchweg transparenter, filigraner und eigentlich auch unterhaltsamer als das Coltrane gewidmete Hauptprogramm. Die Eigenkompositionen von Rüttgers, Pollheide und Maschmeyer brauchten sich dabei hinter den berühmten Vorlagen jedoch keineswegs zu verstecken. Für den nötigen Druck und Zusammenhalt sorgte, hier wie da, der präzise zupackende Drummer Jens Otto. Für die sensible, alles einbettende Matrix war Nippy Noya zuständig. Ihm war auch ein phänomenales Conga-Festival gleich nach der Pause zu verdanken.

gez. H. Schönecker

10.03.2017: Quintessence

Junge Stars mit reifer Leistung und magischen Momenten

„Quintessence“ auf dem Weg zur Kernschmelze

BIBERACH – Ohne Umschweife stießen die fünf jungen Musiker der Gruppe „Quintessence“ aus Deutschlands Süden um den Laupheimer Pianisten und Komponisten Samuel Gapp beim Freitagskonzert des Jazzclubs direkt ins Zentrum  des zeitgenössischen Jazz vor. Ohne Berührungsängste und mit unbändiger Spiel- und Experimentierfreude verschmolzen sie im Namen des Jazz Elemente aus Pop, Rock und Avantgarde in einer speziellen Mixtur zu einer ganz individuellen Tonsprache, die offenbar dennoch unmittelbar vom Publikum verstanden und mit viel Beifall bedacht wurde. Ohne dies zuvor mitzuteilen feierte Samuel Gapp just an diesem Abend seinen 20. Geburtstag und beschenkte sich selbst und seine Gäste mit einem höchst inspirierten und inspirierenden Konzert.

Von ganz wenigen Coverversionen und Fremdkompositionen abgesehen, bestritt das muntere Quintett aus den Musikstudenten Max Diller (Trompete/Flügelhorn), Francois Heun (Alt-/Tenorsaxophon), Korbinian Kugler (Kontrabass), Jonas Kaltenbach (Schlagzeug) sowie dem mit großem Fankreis angereisten Lokalmatadoren Samuel Gapp (Komposition, Klavier) fast den gesamten Abend mit erstaunlich ausgereiften Eigenkompositionen. Eine für das jugendliche Alter der Bandmitglieder überraschend vielschichtige, abwechslungs- und spannungsreiche Musik, die niemals ins Flache oder Beiläufige abdriftete, entfaltete vielgestaltige und  facettenreiche Emotionen mit zahlreichen magischen Momenten. Dies wurde besonders deutlich etwa im Titel „Genesis“, wo in den freien Passagen das Flügelhorn von Max Diller fantastische Geschichten aus der endlosen Weite von Zeit und Raum zu erzählen hatte und, eingebettet in einer höchst filigranen und ausdifferenzierten Begleitung, dennoch niemals seinen Spannungsbogen verlor. Wie packend und geerdet der Groove des Quintetts sein kann, zeigten Stücke wie „Gravity in Space“ aus der ersten CD des hoffnungsvollen Quintetts vom vergangenen Jahr. Besonders der ebenso feinsinnige wie beherzt zupackende Mannheimer Schlagzeuger Jonas Kaltenbach aus der Drummer-Schmiede von Prof. Michael Küttner prägte mit seinem sehr differenzierten und präzisen, dabei aber auch höchst eigenwilligen Spiel nachhaltig den Bandstil. Korbinian Kugler durfte mit seinem Kontrabass nicht nur die Schöpfungsgeschichte über den „dunklen Flächen der Tiefe“ einleiten, er war mit seiner dezenten, feinfühligen Begleitung immer präsent und setzte wichtige Impulse.

Neben ausgedehnten Soloimprovisationen, aus denen vor allem Samuel Gapp mit seinen köstlichen, brillanten und immer für eine Überraschung guten Klavierpassagen herausragte, waren es vor allem die rasanten Bläserpassagen im Unisono oder in kontrapunktischer Verflechtung von Saxophon und Trompete aber auch unter Beteiligung aller anderen Musiker, die trotz aller Virtuosität und Leidenschaft auch Coolness und Souveränität ausstrahlten. Offenbar zahlt sich hier auch ein weiterer Aspekt des Bandkonzeptes aus. Die seit Jahren in großer emotionaler und empathischer Nähe verbundenen Bandmitglieder studieren mittlerweile an den Musikhochschulen Mannheim, Köln und Dresden und bringen diese unterschiedlichen künstlerischen Facetten gewinnbringend in die Bandarbeit ein. Homogenität und Vielfalt befinden sich so in einem fruchtbaren Wechselspiel. Gut So. Erst kommt die Kernschmelze, dann die Kernfusion mit der Energie zu wirklich Neuem. „Quintessence“ wird dabei sein.

gez. H. Schönecker

10.02.2017: Shane

Gewinnerband des internationalen Biberacher Jazzpreises gibt Clubkonzert

„Shane! Shane on me“

BIBERACH – Keine leichte Kost für die Konzertbesucher bot die Schweizer Siegerformation „Shane“ des Biberacher Jazzpreises 2016 auf Einladung des Biberacher Jazzclubs im nicht ganz vollbesetzten Jazzkeller. In einer unverbrieften Tradition gewährt der als Initiator und Mitveranstalter des Biberacher Jazzpreises auftretende Club den jungen Newcomer-Bands seit 1990 ein Forum, ihre musikalischen Ideen binnen Jahresfrist auch im größeren Zusammenhang, in einem abendfüllenden Preisträgerkonzert zu präsentieren. So jetzt auch die vor einem knappen Jahr in einem Herzschlagfinale in der Biberacher Stadthalle auf Platz 1 gelandeten jungen Schweizer. Obwohl oder gerade weil die Herausforderung an die Zuhörer groß war, gab es am Ende kräftigen Beifall und eine gern gewährte Zugabe.

Michael Gilsenan, der Komponist aller Stücke des Abends und neben Gabriel Wenger einer der beiden bestens aufeinander eingespielten Tenorsaxophonisten, moderierte in knapper Form in unverkennbarem Schwyzerdütsch die Stücke, die seit kurzem auch auf einer eigenen CD vorliegen. Die vielfältigen Sujets sind dabei durchaus engagiert und ihre Umsetzung trotz innovativer Strukturen durchaus sinnfällig. So wurden in dem Titel „Sarajewo“ in musikalischer Brechung vorgestellte, rot eingefärbte Granateinschläge auf der Straße in bedrückender Weise lebendig, Trauer und Verzweiflung aber auch Wut wurden fast mit Händen greifbar und standen in ihrer Eindringlichkeit natürlich im drastischen Kontrast zur entspannten Clubatmosphäre. Dieser Jazz ist definitiv keine oberflächliche Unterhaltungsmusik.

Das Spiel mit Kontrasten und Kontrapunkten steht unverkennbar im Mittelpunkt des spezifischen Bandkonzeptes. Das Aufbrechen traditioneller Formen, der permanente Strukturwechsel, das Neben- und Ineinander unterschiedlicher Stile und Patterns wird dabei befördert durch die ungewöhnliche Besetzung aus zwei Saxophonen, Kontrabass (Jérémie Krüttli) und Schlagzeug (Philipp Leibundgut). In der resultierenden Transparenz des Klanges ist allerdings auch der Hörer ständig gefordert. So gab es auch im Jazzkeller kein Ausruhen in harmonisch geschlossenen, gleichförmig dahin plätschernden standardisierten Begleitmustern, kein Sich-Treiben-Lassen in rasanten, melodischen Unisonowellen. Es gab keine Wiedererkennungseffekte aus improvisierend variierten, altbekannten Melodielinien großer Meister. Und dennoch. Ausdrucksstarke, plastische Tonfolgen in Anlehnung an oder auch inspiriert durch rhetorische Vorbilder, das „Sprechen ohne Worte“ mit einer enormen klanglichen Vielfalt sowie höchst differenzierte Grooves von Schlagzeug und Bass erreichten als Teil einer durchaus neuartigen Musiksprache unverkennbar die Herzen des Publikums.

Die technische Präzision in der Umsetzung uniformer Strukturen, rasante Unisono-Sechzehntelketten zwischen den Saxophonen über gelegentlich sogar in Walking Bass – Manier swingendem Untergrund von Bass und Schlagzeug, etwa im Titel #14 der aktuellen CD, wirkt fast kammermusikalisch. Ebenso die Intensität und Ausdruckstiefe, der mittlerweile auch in ganz Deutschland konzertierenden Band. Von „Shane“ dürfte in Zukunft noch häufiger zu hören sein: „Shane! Shane on me“.