Kritik – Seite 60 – Jazzclub Biberach e.V.

22.02.2002: Eva-Maria Ogrzewalla 

„Eva-Maria Ogrzewalla“ im Biberacher Jazzkeller

„Mit dem Eisbären auf dem fliegenden Teppich“

Wer Inspiration und Themen zur freien Improvisation so demonstrativ aus dem Publikum schöpft, wie dies die in Ulm lebende Pianistin Eva-Maria Ogrzewalla bei ihrem Konzert im gut besuchten Biberacher Jazzkeller am Freitagabend tat, muss natürlich auch auf weniger gut verwertbare Stichworte gefasst sein. Auf diese Art Kreativität schlägt außerdem die jeweilige Tagesform voll durch. Gleichwohl birgt das damit eingegangene Risiko auch die Chance zu Ungewöhnlichem, zu Überraschendem allemal. Ob sich jedoch die mit Plattheit gepaarte Ironie einer Aussage über das „schöne Wetter“ am Veranstaltungstag aus dem Stehgreif so ohne weiteres musikalisch umsetzen ließe, darf wohl bezweifelt werden. Das musikalische Resultat der Aussage war auf jeden Fall entsprechend. Der pädagogische Hinweis der Solistin auf die möglichst bildhafte Beschaffenheit der zu liefernden Stichworte brachte denn auch bald die erhofften Resultate, etwa den brillanten Spruch vom „Eisbären auf dem fliegenden Teppich“. Dessen musikalische Umsetzung mittels sphärisch-schwebender Klänge auf dem Synthesizer, die sich in der Simulation der Flugbewegungen durch auf- und abschwingende, in ganztonaler Schwebe gehaltenen Skalen und Läufen sowie etwas heftigeren tiefen Tönen für den Eisbären auf dem gleichzeitig bearbeiteten Flügel manifestierte, brachten dem Publikum ein erstes Erfolgserlebnis. Die musikalisch-künstlerische Verbindung von drei aus dem Auditorium gelieferten Akkorden geriet jedoch unversehens wieder zur aphoristischen Pflichtübung mit eher geringem musikalischen Aussagewert.

Die während der Pause vom kreativ entflammten Publikum ausgefüllten Spickzettel brachten im zweiten Set Exkurse in die Jahreszeiten Winter und Herbst. Die zufälligen Anklänge an das berühmte Vorbild mündeten – so ist das wohl mit spontanen Eingebungen – in durchaus an Vivaldi gemahnende stürmisch auf- und abwehende Skalen. Besonders stimmungsvoll äußerte sich der Herzenswunsch der Solistin nach „Wind und Wellen“. Witzig und skurril gerieten die Ausführungen über das Huhn, vielleicht mit leichten Anklängen an Mussorgskys „Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen“, in der Synthesizer-Version von Tomita.

Eva-Maria Ogrzewallas Vorlieben für 3er-Metren, sizilianische Volksweisen und argentinische Tangos brachten zwischen den frei improvisierten Teilen zumeist eine melancholische Note ins Spiel. Ihr Gespür für schlichte aber intensive Melodien, für das Weglassen überflüssigen virtuosen Beiwerks und die Beschränkung auf das Essentielle gab dem Abend etwas nachdenklich Seriöses, das jedoch – frei nach Hölderlins „Menschenbeifall“ – nicht „auf den Marktplatz taugt.“ So gab es denn auch nur eine knappe Zugabe zu hören.

Gez. Helmut Schönecker

08.12.2001: Saxofourte 

„Saxofourte“ im Biberacher Jazzkeller – Konzertkritik

Erlesenes vor übervollem Hause – „Saxofourte“ im Jazzkeller

Mit Bach, Bernstein, Gershwin, Piazolla und anderen großen Namen, mit bekannten Kompositionen, eingängigen Melodien, mit zartem Schmelz und warmem Timbre, hoher Virtuosität und einer Extraportion Sentiment, also den Ingredienzien für ein Erfolgsrezept schlechthin, haben die Akteure beim Konzert des schwäbisch-bayrischen Saxophonquartetts „Saxofourte“ aus Ulm im Biberacher Jazzkeller beinahe alle Dämme brechen lassen. Vier heftig erklatschte und gern gewährte Zugaben zeugten von der Kurzweil des Konzertabends ebenso wie von der Begeisterung des aus weitem Rund höchst zahlreich in Biberach zusammengeströmten Publikums.

Die Fahrt hatte sich gelohnt. Exakt aufeinander eingespielt, bis zur Selbstaufgabe homogen in Ausdruck und Gestaltung, dabei witzig und originell, bewährt und dennoch unkonventionell, boten die vier Saxophon-Virtuosen souverän gespielte Eigenarrangements zeitloser Highlights der Musikgeschichte als Ohrenschmaus, als vorweihnachtliche musikalische Leckereien für Genießer. Herausragend die Medleys aus Bernsteins „West Side Story“ und Gershwins „Porgy and Bess“ mit dem anrührend melancholischen „Summertime“.

Als Primus inter Pares erwies sich der Altsaxophonist Dieter Kraus, der, mit seinem Instrument wie verwachsen, ihm in seidenweichem Klang eine Palette an Affekten in vokaler Eindringlichkeit entlockte, die an ganz große Saxophonisten der Jazz-Ära á la Johnny Hodges erinnerten. Die Melodien wurden hier, trotz aller Professionalität nicht einfach nur heruntergespielt, sondern sensibel und plastisch modelliert, zu seltenen und brillianten Kostbarkeiten geschliffen, die „unter die Haut“ gingen. Voll und warm tönte das Baritonsaxophon von Ralf Ritscher, der überwiegend für das Fundamentale in den Stücken zuständig war, wenn sich nicht gerade polyphone Linien zu barocken Ornamenten rankten. Guntram Bumiller (Tenorsaxophon), der auch für die launige Moderation sorgte sowie Thomas Sälzle (Sopransaxophon) komplettierten den Satz und spielten sich auch im klanglichen Kontrapunkt gegenseitig die Bälle zu.

In einem eigens für „Saxofourte“ komponierten „Bravour-Ländler“ von Christoph Well kulminierte der Spielwitz und die Begeisterung zum bayrischen Finale, in dem wohl kaum ein Auge trocken blieb. Für eingefleischte Jazzfans der einzige Wermutstropfen war der gegen Null tendierende Jazzanteil des Klassik-Pop-Programms sowie das vollständige Fehlen von freieren, jazztypisch improvisierten Passagen.

Gez. Helmut Schönecker

17.11.2001: Biberacher Jazzpreis 2001 (Konzert: BuJazzO & Peter Herbolzheimer)

Schwäbische Zeitung 19.11.2001

Kritik von SZ-Mitarbeiter Raimund Kast

Erstklassiger Jazznachwuchs

BIBERACH – Er hat sich zu einem der bekanntesten Jazzpreise der Republik entwickelt: der 1990 erstmals vergebene Biberacher Jazzpreis. Zu den Trägern des mit 2500 Mark dotierten Preises gehören inzwischen so renommierte Musiker wie der in New York lebende Pianist Cornelius Claudio Kreusch oder Saxofonist Max Tiller. Auch bei der elften Auflage, die am Samstag in der Biberacher Stadthalle zu Ende ging, waren wieder vielversprechende Nachwuchsformationen zu hören.

Wiederum war die Beteiligung enorm. Bis aus der Schweiz und Italien hatten sich Bands beworben und Demobänder geschickt. Drei waren schließlich vom ausrichtenden Biberacher Jazzclub zum Finale in die Stadthalle geladen worden: Das Münchner Quartett „max-bab“, die niedersächsische „Groove Connection“ und das Trio Gromer-Brütsch-Klein aus Stuttgart stellten sich in Kurzbeiträgen den vier Juroren sowie dem mit einer fünften Stimme ausgestatteten Publikum vor – und alle drei hätten den ersten Preis verdient gehabt!

Hätte das Publikum allein entscheiden dürfen, dann wären die drei Stuttgarter im Wettbewerb um den Siegerscheck als klarer Sieger hervorgegangen. Pianist Peter Gromer, Bassist Mathias Klein und Schlagzeuger Florian Brütsch boten energetischen, zupackenden Fusion Jazz, wobei sich besonders Pianist Peter Gromer mit seinem heftig akzentuierenden Anschlag in den Vordergrund spielte. Freilich wirkte die Musik der drei trotz aller technischen Perfektion ein wenig zu „seelenlos“, fehlte es an spielerischer Ausdrucksstärke, um auch die Jury auf ihre Seite ziehen zu können. Was die individuelle Note betrifft, hinterließ die sechsköpfige „Groove Connection“ den stärksten Eindruck: spannender Modern Jazz mit hochkarätigen Soli.

Den rundesten, ausgereiftesten Beitrag lieferten freilich die vier Bayern von „max-bab“, die mit dem Tenor- und Sopransaxofonisten Max von Mosch auch den profiliertesten Solisten des Abends in ihren Reihen hatten. Auch „max-bab“ bewegte sich auf dem weiten Terrain zwischen Fusion und Modern Jazz, wobei sich gerade in den beiden vorgetragenen Eigenkompositionen Max von Mosch mit seinem von Jan Garbarek inspirierten, technisch ausgereiftem Spiel im Mittelpunktstand. In einem knappen und spannenden Wettbewerb hatten sie zum Schluss zu Recht die Nase vorne.

Viel Zeit zum Feiern blieb den vieren allerdings nicht. Pianist Benedikt Jahne und Schlagzeuger Kai Busenius mussten gleich beim anschließenden Galakonzert mit Peter Herbolzheimer und dem Bundesjugendjazzorchester noch mal ran. Das 1987 als Talentschmiede für junge Nachwuchsjazzer gegründete Orchester stellte sich mit einem abwechslungsreichen Programm aus Modern Jazz, Blues und Latin, aus Kompositionen ehemaliger Bandmitglieder und Jazzstandards vor und begeisterte die zahlreichen Zuhörer durch spielerische Homogenität, hochkarätige Solisten und fein ausgewogene Arrangements. Ein Highlight des Abends: ihre Version von „Body and Soul“, bei der die 21 jungen Musiker der Band Verstärkung durch fünf Sängerinnen und Sänger bekamen, die ein stimmliches Feuerwerk zündeten. Und der immer zu einem Späßchen aufgelegte Leader Peter Herbolzheimer, ein Vollblutjazzer besten Formats, konnte seinen jungen Solisten nur immer wieder anerkennend auf die Schultern klopfen: sie boten Jazz vom Feinsten und hatten sich den Beifall ebenso verdient wie zuvor die drei Finalisten des Wettbewerbs.