Kritik – Seite 53 – Jazzclub Biberach e.V.

03.12.2004: Horstmann Wiedmann Daneck Trio

Horstmann-Wiedmann-Daneck-Trio zum „Jazzclub Special“ im Jazzkeller

Innovatives Klang-Multiversum mit Sinn und Seele

Der erste Eindruck, einer „Symphonie für Fußschalter und Effektgeräte“ beizuwohnen, täuschte glücklicherweise beim Jazzclub Special am vergangenen Freitag. Bei freiem Eintritt für die Mitglieder gab es ein auserlesenes Schmankerl zu verkosten: „Billy the Kid“ vom Horstmann-Wiedmann-Daneck-Trio.

Wo weniger begabte Musiker sich allzu oft hinter einer synthetischen Klangflut verstecken und mit aufgesetzten Effekten ihre Einfallslosigkeit kaschieren, haben die drei großen Jungs, Thomas Horstmann, Martin Wiedmann und Matthias Daneck,  sich eine elementare Spielfreude bewahrt und die Hightech-Modelleisenbahn aus den Kinderjahren durch eine Hightech-Musikausrüstung aus diversen Effektgeräten, Synthesizern, Samplern, Modulatoren und fast armdicken Kabelsträngen ersetzt. Das Vergnügen im Umgang mit diesen, teilweise gar selbst entwickelten Spielgeräten kam bei den mitunter nur verblüfften, überwiegend aber hell begeisterten Zuhörern durchaus an. Experimentierfreunde, einmal nicht mit dem Rücken zum Publikum, sowie musikalische Innovationen mit Sinn und Seele gingen eine fruchtbare Symbiose ein.

Eberhard Webers polyphone Exerzitien mit dem digitalen Delay aus den 1980ern fanden ebenso ihren Niederschlag, wie die Klangmodulationen der klassischen elektronischen Musik von Stockhausen und Eimert aus den 50ern. Elemente aus der Techno- und Trance-Szene, in Verbindung mit Rap-Samples aus den 90ern und Klangschichtungen a la Luigi Nono aus den 60er und 70ern ergaben in Verbindungen mit den Motivschichtungen der „Minimal Music“ aus der selben Ära ein durchaus reflektiert wirkendes Konglomerat aus verschiedenen klanglichen und strukturellen Ebenen, ein zum Teil hochkomplexes Gebilde, wie in aufwändiger Arbeit am Computer zusammengestellt, nur eben kombiniert mit einer stringenten Livedarbietung im Jazzidiom für zwei Gitarren und Schlagzeug, die für sich genommen schon meisterlich erschien.

Die kundigen Zuhörer durften zum „Jazzclub Special“ an einer faszinierenden musikalischen Avantgarde teilhaben, in der das Neue nicht blutleer und abstrakt, aufgesetzt oder akademisch daherkam, sondern eine sympathisch-offene Emotionalität, Freude am eigenen virtuosen Tun, Humor in der Sache, kritische Reflexion und naive Sentimentalität gleichermaßen ausstrahlte. Eine musikalische Avantgarde, die den Status gehobener Unterhaltung lange hinter sich gelassen hat und dennoch erfrischend und unmittelbar die Sinne anspricht, angenehme Empfindungen hervorruft, zum Abschalten und Nachdenken anregt.

 

gez. Dr. Helmut Schönecker

12.11.2004: Frieder Berlin Trio

Steinway-Präsentation anlässlich des Musikschul-Jubiläums

Selbst der Drummer flippte aus und – lächelte

Eine geradezu unglaubliche stilistische Bandbreite umfasste das Programm des „Frieder Berlin Trios“ beim Flügel-Einweihungskonzert des Biberacher Jazzclubs anlässlich der Steinway-Präsentation zum 50jährigen Jubiläum der Bruno-Frey-Musikschule.

Vom in klassischer Werktreue interpretierten Ragtime bis zum stilsicher interpretierten Mainstream-Titel des modernen Jazz, vom tief empfundenen klassischen Blues zu soulig groovenden R&B-Titeln, von allseits bekannten Standards aus der Song- und Musicaltradition George Gershwins und Richard Rodgers zu sauber gearbeiteten Eigenkompositionen mit hohem Unterhaltungswert reichte die Titelauswahl des universellen Künstlers und seiner beiden dienstbaren Begleiter an Kontrabass und Schlagzeug, Peter Schmid und Hansi Schuller.

Doch wofür steht Frieder Berlin in künstlerischer Hinsicht? Wer ist Frieder Berlin? Der klassisch ausgebildete Schulmusiker und Musikwissenschaftler, der erfolgreiche SWR-Musikredakteur und Moderator oder das geigende Mitglied der jungen süddeutschen Philharmoniker? Oder ist Berlin primär der engagierte Musikproduzent seines renommierten Labels „Satin Doll Productions“, der Multi-Instrumentalist, dessen musikalischer Weg von der Saulgauer Schwaaz Vere’s Jazzgang über Erwin Lehns Stuttgarter Hochschul-Bigband bis zu verschiedenen eigenen Jazzformationen führt? Der souveräne Ausnahmemusiker mit den „Soul Fingers“, so der Titel seiner jüngsten CD-Produktion, kann und will es trotz all seiner vielseitigen Betriebsamkeit nicht verleugnen: Er ist in erster Linie ein begeisterter Musiker geblieben, der sich im Nahkampf mit dem Publikum immer wieder aufs Neue dem unmittelbaren Live-Feedback stellt. Angesichts der Titelwahl bedeutet das für ihn aber auch, sich dem unterhaltsamen und emotionalen Aspekt der Musik zu öffnen, Abstraktion und Akademisierung zu meiden, dem Publikum zu Gefallen sein und sich vom Brot aller Künstler zu nähren, dem Beifall.

Den ultimativen Kick dürfte er in Biberach zunächst nicht bekommen haben, zu brav und verhalten fielen die anfänglichen Reaktionen des Publikums aus, das analog zu den agierenden Musikern erst gegen Ende des Konzertes auftaute.  War es die Ehrfurcht vor dem im fabrikneuen Mattglanz sanft erstrahlenden Steinway, der Berlin mit spitzen Fingern und solider Virtuosität aber ohne feurige Ausstrahlung zu Werke gehen ließ? War es die kühle Präzision und Professionalität des routinierten Technikers, die sich auf dem sensiblen Edelinstrument in Salon-Jazz und elaborierten Variationen verlor, statt sich in künstlerischem Selbstverwirklichungsdrang in wilde Improvisationen zu stürzen, oder waren es etwa die ausgefeilten, hochkomplexen Arrangements des Bandleaders, deren buchstabengetreue Umsetzung Konzentration und Kraft gebunden haben? Wie auch immer. Nach der Pause ging es stetig aufwärts, ein virtuoser Höhepunkt jagte den nächsten, eine gefällige Melodie wurde von der nächsten abgelöst und eine spezifische Interpretation von Gershwins Megaklassiker „I got rhythm“ als erste der heftig herbeigeklatschten Zugaben, brachte – so ein verzückter Zuhörer – den Abend auf einen Punkt:  „Selbst der Drummer flippte aus und – lächelte.“

gez. Dr. Helmut Schönecker

29.10.2004: Martin Müller & Trio feat. Viviane de Farias

Martin Müller & Trio – featuring Viviane de Farias

Wie sanfter Regen auf meinen Rosen

Ausdrucksstark und poetisch, bildhaft und randvoll mit Samba begeisterte Martin Müller an der Brasilguitar mit seinem Trio und der charismatischen brasilianischen Sängerin Viviane de Farias die zahlreich erschienenen Gäste im jüngsten Konzert des Biberacher Jazzclubs.

Wer nicht bereits als Fan brasilianischer Musik in den Jazzkeller gekommen war, der ist auf jeden Fall als solcher gegangen. Die Poesie und das Temperament dieser Musik und die Überzeugungskraft der Vollblutmusiker, die sie weihevoll zelebrierten schlugen jeden Hörer unmittelbar in ihren Bann. Des Bandleaders perlend-virtuoses Gitarrenspiel, besonders in den solistisch den beiden Sets des aktuellen Programmes „Rua Baden Powell“ vorangestellten Präludien,  holte die Leute im profanen Alltag ab um sie sogleich in eine glutvolle brasilianische Traumwelt zu entführen. Martin Müller und sein Trio, bestehend aus dem ehemaligen Biberacher Saxophonisten und Landes-Jazz-Preisträger Jochen Feucht, dem Ex-Bassisten der Fantastischen Vier – Marcus Bodenseh sowie dem Schlagzeuger Dirik Schilgen, spielten sich in wechselnder Besetzung, vom Solo bis zum Quintett, vor allem mit Titeln von Baden Powell, Antonio Carlos Jobim (u.a. „Regen auf meinen Rosen“) sowie Eigenkomposition von Martin Müller in die Herzen eines aufnahmebereiten, dankbaren Publikums. Selten gab es im Jazzkeller Musik mit so viel Seele zu hören, gespielt von Interpreten, die ihren Stil und ihren inneren Frieden gefunden haben, die musikalisch überzeugen, weil sie von ihrem eigenen Weg überzeugt sind.

Ob sich die verdienstvolle Rektorin der Karlsruher Musikhochschule, Fany Solter, vor einigen Jahren die weitere Karriere ihres eigens aus Ipanema, der Wiege des Bossa Nova in Rio de Janeiro nach Karlsruhe importierten, höchst talentierten angehenden Opernstars Viviane de Farias so vorgestellt hat, wie es letztlich kam, ist nicht überliefert. Nach einem Studium in der renommierten Karlsruher Opernklasse, einem Stipendium an der Akademie Schloss Solitude und einigen Jahren im Opernbetrieb fand die Ausnahmekünstlerin glücklicherweise zu ihren Wurzeln zurück. Virtuose Stimmakrobatik, vom einfühlsam vorgetragenen, schlichten Samba, reanimiert aus dem Geist der brasilianischen Favelas zu schwindelerregenden jazzigen Scatpassagen, von der unverkrampft natürlichen Interpretation der „musika popular de brasiliera“ zur witzigen Koketterie mit den Koloraturen ihrer Opernkarriere, bildet die Basis für eine unwiderstehliche Musik, wie etwa das als zweite Zugabe gegebene „Manha de carneval“, unnachahmlich, unerreicht, reinste Magie und bestimmt die beste Interpretation am Markt. Die eloquente Moderation des Bandleaders und seiner unkompliziert natürlichen Frontfrau taten ein Übriges um den Abend zu einem besonderen Erfolg werden zu lassen.

09.10.2004: M.u.T. – Männer und Tenöre

Ungewöhnliches Konzert

Sechs befrackte Herren lassen die „Comedians“ aufleben

BIBERACH – Ein ungewöhnliches Konzert boten sechs befrackte Her­ren mit professioneller Präzision und viel Charme zum Entzücken ei­nes begeisterten Publikums. Das Biberacher Debüt der Gruppe als Veranstaltung des Jazzclubs war harmoniesattes Beispiel für exzellent einstudierten Ensemblegesang.

Der Jazzkeller war viel zu klein für das große Publikumsinteresse; die Gruppe hätte einen größeren Raum, wie den an diesem Abend nicht anderweitig gebrauchten Pestalozzisaal verdient gehabt.

Die Tenöre Thomas Mentzel und Peter Schmidt, die Baritone Ralph Kolars und Markus Stürzenhofecker, der Bass Klaus Hinrichs und der ausgezeichnete Pianist Alexander Matt konzertieren seit 2003 mit musikalischen Leckerbissen mit dem Schwerpunkt auf die Original-Songs der Comedian Harmonists. Sie begeistern ihr Publikum mit einem flotten Ensemblesound, Musikalität, mit Witz, wenn nötig auch mit durchaus ironischem Pathos, mit manchmal ungewöhnlichen Arrangements.

Ralph Kolars sprach zwischen den Gesangsnummern überleitende Texte. Sie sangen leichthändig, mit schön geführten Naturstimmen, präziser Intonation, kontrolliert sparsa­mem Vibrato, guter Sprachverständlichkeit; sie gestalteten hintersinnig und vordergründig, breitflächig und ziseliert, brachten ihr Publikum in Stimmung. Immer wieder schön, die Highlights der legendären Comedian Harmonists zu hören: „Veronika der Lenz ist da“„ ,Mein kleiner grüner Kaktus“, „Schöne Isabella“, „Ein Freund…“, unmöglich alle aufzuzählen. Rap der Dreißiger, als er noch nicht so hieß und kunstvoll gesungen und nicht – wie heute – bloß plump geschrieen wird.

Dazu Ausflüge in andere Genres: Zum Einstieg eine Allemande aus der Renaissance mit höchst modernem Text. Das Volkslied „In einem kühlen Grunde“ dann lyrisch und gefühlsbetont, „Can’t buy me love“ sehr schottisch, elegisch „The lonesome road“, klassisch ein „Ungarischer Tanz“ von Brahms und das berühmte „Menuett“ von Boccherini.

Die sechs befrackten Herren sangen englische und deutsche Texte, auch Vokalisen, immer stilsicher, ästhetisch, gelegentlich körpersprachlich unterstützt durch angedeutete Tanzschritte und sparsame Requisiten. Das gut gelaunte Publikum ging begeistert mit und erklatschte sich zwei Zugaben, natürlich von den Comedian Harmonists.

 

Günter Vogel, in der Schwäbischen Zeitung vom 11. Oktober 2004