Kritik – Seite 37 – Jazzclub Biberach e.V.

11.05.2012: Lorenz Kellhuber Trio

Lorenz Kellhuber Trio im Jazzkeller

Junger Trio-Jazz vom Feinsten

„Schwere schöne Standards“ spielt das Lorenz Kellhuber Trio, so die Ankündigung im Programmflyer des Jazzclubs. Aber die Überraschung über die im Freitagskonzert des Biberacher Jazzclubs dann gebotenen „Standards“ war groß. Klingt beim Begriff „Standard“ immer auch „normal“ oder gar „gewöhnlich“ mit, war genau dem aber hier nicht so. Die „Standards“ vom Lorenz Kellhuber Trio waren außerdem, von einer einzigen Ausnahme abgesehen (Cole Porters „Everything I love“) auch keine „Standards“ im Sinne der guten alten Improvisationsvorlagen aus Schlager und Musical, wie im Jazz so oft üblich. Die gebotenen Stücke waren fast ausnahmslos Eigenkompositionen. Das Besondere daran: die Eigenkompositionen Kellhubers wirkten trotz ihres individuellen Zuschnitts und innovativen Charakters wie bewährte Kompositionen großer Meister. Sie überzeugten nicht nur durch perfekte Virtuosität und Präzision in der Ausführung, sie waren eingängig, abwechslungsreich, stets ausdrucksvoll und voller Esprit. Dabei gelang Kellhuber, Finalist beim Biberacher Jazzpreis 2010, eine perfekte Mischung aus „innerer Romantik“ und „äußerem Maß“, die niemals aus der Balance kam.

Die stilistische Bandbreite war dabei beachtlich, selbst vor einem waschechten Blues zeigte das Trio keine Berührungsängste. Natürlich geriet aber auch diese archaische Jazzform unter dem Zugriff Kellhubers zu einer vielschichtigen, stilübergreifenden Hommage an viele berühmte Vorbilder. Vom majestätischen Klanggemälde im vollgriffigen Klaviersatz zu rasant perlenden Klangkaskaden und filigranen Arabesken reichte die pianistische Palette des erst 22jährigen Musikers. Trotz seines jugendlichen Alters hatten die Kompositionen keinesfalls Container- oder Baustein-Charakter wie so oft in der Branche. Kellhubers Stücke sind prächtigen, gut durchdachten architektonischen Komplexen vergleichbar, mit langen, gut strukturierten Fluchten, die ungewöhnliche Perspektiven bieten oder sich unversehens zu lichtdurchfluteten Sälen oder schattigen Patios öffnen und zum Verweilen einladen.

Arne Huber am Kontrabass und Gabriel Hahn am Schlagzeug, die beiden Routiniers im jungen Trio, gaben Kellhuber den nötigen Rückhalt und die unaufdringliche Basis für seine Höhenflüge. Die beiden renommierten Musiker trugen aber durch ihre bewusste Zurückhaltung in erheblichem Maße zu einem überzeugenden, ja ausgereift wirkenden Triokonzept im homogenen Miteinander gleichberechtigter Partner bei. Das Publikum zeigte sich beeindruckt und begeistert und wurde mit mehreren Zugaben, darunter eine witzige Persiflage von Gabriel Hahn über den Pippi Langstrumpf-Song, belohnt.

gez. Dr. H. Schönecker

04.05.2012: Weber + Kirberg

Niveauvolles Weber-Kirberg Duo im Jazzkeller

Mit Hölderlin von Tuttlingen über Wien zu Monk und Ellington

Katrin Weber ist schon ein besonderes Chamäleon. Was sie anfasst, nimmt unweigerlich ihr ganz spezielles Kolorit an. Worin dieses aber genau besteht, lässt sich gar nicht so leicht ermessen. Und auch die Begeisterung im Publikum wurde da und dort durch verwundertes Amüsement oder nachdenkliches Zurücklehnen aufgelockert. Die bekanntesten Standards der Jazzgeschichte von George Gershwin, Duke Ellington oder Thelonius Monk werden unter Webers Zugriff und durch ihre freche Übersetzung oder auch Neutextung im schwäbisch-wienerischen Sprachidiom zu kabarettistischen Kabinettstückchen, die auch im neuen Gewand jazzig grooven und zum beschwingten Mitwippen animieren.

Aber auch das genaue Gegenteil davon hat sie zu bieten. Feinsinnige Poesie, wie etwa Friedrich Hölderlins „Hälfte des Lebens“, zu Ehren ihres 80jährigen Vaters subtil in eine modern wirkende modale Eigenkomposition übertragen, war etwas ganz Besonderes und hochgradig Eigenständiges. Nicht ganz frei von Brüchen, voller Inversionen und Chiffren, wie die lyrische Vorlage eben auch, hat Katrin Weber und ihr kongenialer Partner Thiemo Kirberg an der akustischen Gitarre den lyrischen Ton genau getroffen und die helle Ungeduld der Jugend mit ihren von Küssen trunkenen Schwänen ebenso eingefangen, wie die düstere Furcht vor dem klirrend kalten Winter eines sonnenlosen Alters.

Der Düsseldorfer Gitarrist Kirberg, wie die aus Tuttlingen stammende Katrin Weber in Wien lebend, verkörperte in seinem fulminanten Spiel ein komplette Begleitband mitsamt Solisten und bewies einmal mehr, dass Weniger oft Mehr ist. Aus rhythmisch präzisen Begleitpatterns mit häufig lateinamerikanischem Einschlag wechselte er nahtlos in atemberaubende Improvisationen und verschaffte so seiner singenden Partnerin ein verlässlich groovendes Fundament oder in seinen hochvirtuosen Solopassagen auch die nötige Luft zum Atmen.

In routinierter Interaktion entstand so ein vielschichtiges Konglomerat heterogener Teile in einem eigenwilligen, transparenten Personalstil, eben in dem typischen Weber-Jazz, der Extreme versöhnt und mit „gelben Birnen“ und „wilden Rosen“ das reife Land in den See hängen lässt.

gez. Dr. H. Schönecker

20.04.2012: Bartmes feat. Fola Dada

Bartmes und Fola Dada begeistern im Jazzkeller

Psychedelische Soundfetischisten mit jazzigem Groove

Selten finden sich im Jazz Bandkonzepte, die den Parameter Sound so exzessiv in musikalische Struktur und Improvisation einbeziehen. Die Formation „Bartmes“ hat beim Freitagskonzert des Jazzclubs im Jazzkeller einem begeisterten Publikum ein solch ungewöhnliches Konzept vorgestellt. Traditionell gibt es im Jazz harmonische, melodische oder rhythmische Vorgaben innerhalb deren struktureller Grundlagen der Jazzmusiker Raum für spontane Einfälle findet, die er vielfach variiert und von unnötigem Beiwerk entkleidet. Jo Bartmes (Hammond, Pfeifen, Gesang) hat ins Zentrum seiner vierköpfigen Formation den Sound der Hammondorgel und eines Original-Leslie-Tonkabinetts aus dem Jahr 1958 gestellt.

 

Auch wenn er aus Gründen besserer Transportierbarkeit nicht die legendäre B3 zum Konzert nach Biberach mitgebracht hat, gelang ihm in Verbindung mit den rotierenden Leslie-Lautsprechern eine weitgehende Annäherung an den Kultsound der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Bartmes hat sich jedoch nicht damit begnügt, nostalgisch dem alten Sound zu frönen oder alten Wein in neue Schläuche zu füllen, er hat durch Pfeifen, Singen und weitere Effekte das Klangspektrum erweitert sowie neue Formen und Strukturen in großer stilistischer Vielfalt ausgetüftelt. Als besonders gelungen darf die Einbeziehung von Frank Spaniol mit seiner Bassklarinette gelten. In Verbindung mit einer ganzen Batterie von Effektgeräten, die über Fußschalter betätigt eine Klangbearbeitung in Echtzeit ermöglichten, schaffte er eine immense Erweiterung des von Natur aus schon besonders vielseitigen Klanges der Bassklarinette. Unterstützt durch ein digitales Delay, welches ihm ermöglichte ganze Passagen aufzunehmen und zeitversetzt wiederzugeben, konnten so komplexe Form- und Klangstrukturen etwa im Stile der Minimal Music im Baukastenprinzip aufgebaut und der kleinen Besetzung quasi orchestrale Vielschichtigkeit entlockt werden. Auch wenn Bartmes zur Begleitung nur einen Schlagzeuger, Sebastian Merk, mit packenden modernen Grooves, aufgeboten hatte, entstand niemals der Eindruck hier fehle der Musik eine Akkordbegleitung. Jenseits endlos retournierter Standardbegleitpatterns entstand hingegen ein lebendiges Klangband, dem es an nichts mangelte. Den fehlenden Basspart ersetzte ganz nebenbei die Orgel.

 

Über dem komplexen instrumentalen Unterbau entfaltet sich Fola Dadas stimmungsvoller Gesang. Mal selbständig das melodische Geschehen anführend, mal vokal unterstützt von Jo Bartmes, mal als bloßer Soundeffekt im vielschichtigen Klanggebäude wirkt die Stuttgarter Sängerin und Dozentin Fola Dada, die auch aus Projekten mit Helmut Hattler bekannt ist, immer souverän, immer soulig, immer intensiv emotional und treffsicher groovend. Die meisten Titel des Abends entstammten der neuen CD „modular soul“ und stießen auch in der Liveversion auf große Begeisterung. Zwei Zugaben mussten unbedingt noch her, obwohl die Musiker wegen weiterer Auftritte gleich nach dem Konzert statt ins Hotel auf die Autobahn mussten.

 

gez. Dr. Helmut Schönecker