Kritik – Seite 30 – Jazzclub Biberach e.V.

24.10.2014: TimeOut & Miles&More

Das Üben hat sich gelohnt

Junger Chor Eberhardzell „TimeOut“ gibt erstes abendfüllendes Konzert mit Klassikern der Jazzgeschichte

 

Der Weg zum Jazz ist gewiss kein leichter. Nicht umsonst hat der vor zehn Jahren als „Junger Chor Eberhardzell“ gegründete Chor „TimeOut-Auszeit“ diese Zeit gebraucht, um sich an ein abendfüllendes Konzert mit dem Motto „Jazz’n’Joy“ zu trauen. Und diese Arbeit hat sich zweifellos gelohnt.

Mit musikalischer Unterstützung durch die Jazzband „Miles & More“ mit Musikern aus der Region gab es zum Jubiläum ein reichhaltiges Prograrnm aus allen Bereichen des Jazz zu hören. Im Biberacher Jazzkeller, gewissermaßen vor einem Publikum erklärter Jazzliebhaber, und einen Tag später im „Heimspiel“ in der Eberhardzeller Umlachtalhalle gab es mit den Top-Charts des Jazz Gehöröl satt und reichlich Beifall von einem begeisterten Publikum.

Die Mischung aus Instrumentaltiteln von „Miles & More“, Solo-Darbietungen und A-cappella-Chornummern im Wechsel mit eigens vom Chorleiter arrangierten Titeln für Solo, Chor und Band sorgten für einen unterhaltsamen, abwechslungsreichen, spannenden musikalischen Hochgenuss.

Herausragend bei den Solodarbietungen waren vor allem Danijela Hammas Interpretation von „Georgia on my mind“ (nur in Eberhardzell), Jasmin Mohns „Summertime“ und Sigrun Riefs „My foolish heart“. Besonders schwierig, aber auch besonders eindrucksvoll waren die synkopierten Chorsätze zu den Solonummern, die im Zusammenspiel mit den Musikern von „Miles & More“ für jazzige Phrasierungen und einen bigbandmäßigen, jazztypischen Gesamtsound sorgten.

Im Dauereinsatz als Frontmann am Saxofon, als Gesangssolist sowie als Chorsänger hat der Bad Waldseer Michael Dümmler seine diversen Jobs mit Bravour gemeistert. Lediglich seine Tanzeinlagen zum Jazz-Waltz in den abgetragenen Schuhen von Sammy Davis Junior gerieten etwas verhalten.

Lobende Worte gingen an Chorleiter Helmut Schönecker. Der Chor bedankte sich für die Arbeit der vergangenen zehn Jahre, in denen er mit viel Herzblut, Engagement und Ausdauer den Chor durch die verschiedensten Stilrichtungen geführt und mit speziell zugeschnittenen Arrangements bekannten Liedern und Songs eine eigene Note verliehen hat.

 

Bärbel Stirner

 

17.10.2014: Paata Demurishvili

Georgischer Alleskönner im Pestalozzisaal

Musikalische Hommage auf eine Städtepartnerschaft

BIBERACH – In einer Kooperation zwischen Partnerschaftsverein und Jazzclub Biberach ist es gelungen, den georgischen Klaviervirtuosen Paata Demurishvili im Rahmen der georgischen Wochen erneut für ein Konzert in Biberach zu engagieren. Demurishvili, der in Heidelberg wohnt und lange Jahre an der Musikhochschule Mannheim „Classik & Jazz“ – Improvisation unterrichtete, betrachtet Biberach nach eigenem Bekunden als eine Art zweiter Heimat. Und das zahlreich angetretene Biberacher Publikum bringt ihm offenkundig auch bei seinem nunmehr vierten Biberacher Konzertauftritt größte Sympathien entgegen.

Das Eröffnungsstück, eine Uraufführung und Hommage auf die langjährige Partnerschaft zwischen der georgischen Stadt Telawi und Biberach war als freie Improvisation angelegt. Im feinsten Pianissimo – zuvor mussten allerdings wegen des Verkehrslärms erst noch die Fenster geschlossen werden – beginnt der Meister mit brillantem Anschlag in singendem Spiel seine Motive und Spielfiguren miteinander zu verweben. Zarten Keimen gleich sprießen immer neue Ideen, spüren in suchendem Kreisen der ästhetischen Essenz dieser ungewöhnlichen Partnerschaft nach. Kaukasische Folkloreeinflüsse und scharfe Jazzharmonien gehen eine fruchtbare Synthese ein, fein ausdifferenzierte Melodielinien tauchen aus spätromantisch anmutenden Wohlklängen und Arpeggien empor, glitzernd-perlende Tonkaskaden überspannen in weitem Bogen architektonische Zäsuren.

Das zweite Stück des Abends, eine Eigenkomposition mit dem Titel „Event“, gerät offenbar spontan ins Programm. Das Martinshorn vorbeifahrender Einsatzfahrzeuge findet sich wie zufällig zu Beginn und als Reminiszenz am Ende des Stückes in klangmalerischen Quartmotiven wieder. Dazwischen ist so richtig was geboten, die musikalischen Ereignisse überstürzen sich geradezu. Aber am allerbesten kommt Paata Demurishvili immer dann rüber, wenn sein rechter Fuß wie von selbst anfängt kräftig mitzuwippen, wenn rasende Beboplinien und rachmaninowmäßige, vollgriffig sich auftürmende, klangmächtige Akkordgebirge in jazztypischen Synkopierungen die klassische Zurückhaltung und kontrollierte Ausgewogenheit hinwegfegen. Natürlich darf seine berühmt gewordene Variante des Bach’schen C-Dur-Präludiums, garniert mit Versatzstücken der Gounod’schen Ave-Maria-Melodie, Einsprengseln aus Liszts „Liebestraum“ und weiteren klassischen Motiven ebenso wenig fehlen, wie die geistvollen Variationen über den wohl der Jahreszeit geschuldeten Jazzstandard „Autumn leaves“.

Im zweiten Programmteil zelebrierte Demurishvili sein beliebtes Wunschkonzert. Aus den abgegebenen Wunschzetteln resultierten fast schon zu erwartende Paraphrasen über allseits bekannte Titel wie „Take Five“ oder die obligatorische „Mondscheinsonate“. Von einem gut vorbereiteten Konzertbesucher wird diese vorhersehbare Auswahl jedoch um den – für Paata durchaus überraschenden – Wunsch nach einer Improvisation über das deutsche Volkslied „Sah ein Knab‘ ein Röslein steh’n“ erweitert. Einfach köstlich, mit welcher Eleganz sich der unerschrockene Tastenmagier auf diese Aufgabe einlässt und den Bogen vom traditionellen deutschen Volkslied zum modernen Jazz schlägt. Überschwänglicher Beifall wird durch zwei Zugaben und warme Worte vom Meister belohnt. Der Abend hat sich rundum gelohnt.

gez. Dr. H. Schönecker

23.05.2014: Maohl’s Gift

„Maohl’s Gift“ im Jazzkeller

Auf der Suche nach dem roten Faden

BIBERACH – Glücklicherweise haben sie ihn noch nicht gefunden, den berühmten roten Faden. Die Wiener Jazzformation „Maohls‘ Gift mit ihrer neuen CD „In search of the red thread“ im Gepäck erwies sich für das Biberacher Konzertpublikum als erfreulicher Aktivposten und in Anlehnung an die doppelte Bedeutung des englischen Begriffes als eine Vergnügen, Kurzweil und Leben spendende musikalische „Gabe“ des Bandleaders und Komponisten Markus Ohler. Eine Gabe, die allerdings auch den notwendigen Biss hatte. Zwar war dieser nicht so gefährlich, wie der einer Giftschlange, geringe Mengen Gift können jedoch durchaus als Arznei wirken, was hier tatsächlich zu funktionieren schien. Überschäumende Lebensfreude, stilistische Offenheit, mannigfaltige Strukturen und heftige Interaktionen, auf starker Flamme aufgekocht von drei Wiener Musikern und mit Ohler einem gebürtigen schwäbischen Frontmann am Saxophon, verabreichten ihren gut aufgelegten Gästen im Jazzkeller ein kräftiges Lebenselixier. Kein gediegener Barjazz an der Grenze zur seichten Unterhaltung zum besseren Vergessen, keine meditative Wohlfühlmusik zum Auspannen, sondern kernige, kräftig zupackende „Grooves“ und „Moves“ mit avantgardistischen Tendenzen, expressiven Improvisationen und spannenden Dialogen ließen in einer erfrischenden Darbietung nichts anbrennen.

Die kantige Polyphonie der vier Individualisten, parallel geführte Hochgeschwindigkeitspassagen zwischen Gitarre (HP Freudenthaler) und Saxophon (Markus Ohler), ein harter, direkter Sound des schmatzenden, rustikalen Baritonsaxophons im Wechsel mit eher runden und weichen mitunter aber auch spitzen und schrillen Klängen des Es-Alt-Saxophones über eine mal nur im Hintergrund harmonisch füllende dann wieder eher rocktypisch verzerrte Lead-Gitarre, über blitzschnelle Dynamik-, Tempo- und Rhythmuswechsel – das stilistische Füllhorn von „Maohl’s Gift“ schien nie leer zu werden. Die musikalischen Ideen sprudelten in einer ansteckenden Lebendigkeit und Ausgelassenheit, die den Zuhörern immer wieder Sonderapplaus und begeisterte Zurufe entlockten. Ein niemals schematisch wirkender Unterbau aus Kontrabass (Bernd Klug) und Schlagzeug (Hubert Bündlmayer) trieb das Blut durch die Adern der energiegeladenen Bandmitglieder.

Suchen Musiker und Bands meist mühsam und oft auch vergeblich nach einem eigenen, charakteristischen Stil mit möglichst hohem Wiedererkennungswert um sich vom Mainstream abzusetzen und als etwas Besonderes zu profilieren, so haben „Maohl’s Gift“ den permanenten Wandel, den fliegenden Wechsel zum gestalterischen Prinzip erhoben. Den roten Faden zu finden, hieße danach, die Suche nach dem Neuen, nach dem Ungewöhnlichen aufzugeben, Neugierde durch Reife zu ersetzen, vielleicht sogar dazu, das Vergangene zu verklären und der Gegenwart den Rücken zu kehren. Hoffentlich finden sie ihn nie, den roten Faden.

gez. H. Schönecker

09.05.2014: Howard Levy & Chris Siebold

Howard Levy und Chris Siebold im Jazzkeller

Musikalische Weltklasse in Biberach

BIBERACH – Wer bisher der Ansicht war, dass die Mundharmonika als Volksinstrument oder auch als „Bluesharp“ eher für die einfacher strukturierte Musik gedacht und in ernst zu nehmender Musik nicht weiter von Bedeutung sei, der wurde beim Jazzclub-Highlight des Jahres eindeutig eines Besseren belehrt. Musikalische „Weltklasse in Biberach“ konnte man in der Vorankündigung werbewirksam lesen und das war keinesfalls übertrieben.

Für die Fachwelt und für langjährige Biberacher Jazzkonzertbesucher verbindet sich mit den Namen „Howard Levy“ und „Chris Siebold“ die Aufforderung, für ein Konzert im Biberacher Jazzkeller alles stehen und liegen zu lassen, um sich die weite Anfahrt in die kulturellen Zentren der Welt zu sparen und im eigenen Städtchen Musik auf Weltklasse-Niveau zu erträglichen Preisen geboten zu bekommen. Der Ausverkauf der mitgebrachten CDs bereits zur Pause zeugt von der Begeisterung des Publikums, gleich zwei Zugaben und das ehrliche Lob vom New Yorker Meister an der Harmonika für die stimmungsvolle Örtlichkeit („Be glad to have such an outstanding room“) und ein aufmerksames und beifallfreudiges Publikum zeugen von der Begeisterung der Musiker.

Howard Levy, einer der „weltbesten Mundharmonika-Virtuosen“ macht auf seinem einfachen Instrumentchen das Unmögliche möglich. Mehrstimmige, polyphone Kompositionen von Bach oder Beethoven, traditionelle und moderne Jazztitel, Paraphrasen über Beatles-Songs (Michelle), und vieles mehr, mit Witz und Tiefe – alles wurde möglich und alles konnte rundweg überzeugen. Nur mit zwei diatonischen Mundharmonikas und gelegentlich einem als Resonator dienenden Wasserglas ausgestattet, gelang es Levy – physiologisch eigentlich unmöglich – zwei unabhängige Stimmen und auch noch dazu alle denkbaren und undenkbaren chromatischen und enharmonischen Zwischentöne zu spielen. Hunderte von CD-Produktionen, eigene oder unter seiner Mitwirkung entstandene, gleich mehrere Grammys sowie unzählige internationale Preise und gefeierte Konzerte zeugen vom internationalen Kaliber dieses Ausnahmekünstlers.

Chris Siebold ist ein sympathischer Meister auf seinen sechs Saiten, wie Levy ebenfalls in vielen Stilen zuhause und daher der kongeniale Partner schlechthin. Einfühlsam, hochvirtuos und niemals um eine musikalische Antwort verlegen unterstützt und dialogisiert er mit Levy, der auch schon mal während eines Stückes zum Flügel wechselt oder gar beide Instrumente gleichzeitig spielt.

Bis ganz zum Schluss hob sich Chris Siebold eine herausragende Blues-Gesangs-Einlage auf, die das Publikum wegen ihrer Intensität und bluestypischen Charakteristik verblüffte und den Wunsch nach mehr aufkommen ließ. Ein äußerst kurzweiliges Konzert hinterließ von beiden Künstlern den bleibenden Eindruck, dass sie mit ihrem musikalischen Latein noch lange nicht am Ende sind und sich auch nicht auf einen engen Stilbegriff festlegen wollen. Ganz wie im Jazz eben.

gez. H. Schönecker