Archiv – Seite 95 – Jazzclub Biberach e.V.

05.02.2010: Manfred Junker – German Klaiber Duo

Junker & Klaiber im Jazzkeller

Mit Charlie Chaplin im Biberacher Rampenlicht

Zurückhaltende Bescheidenheit und grelles Rampenlicht scheinen so recht nicht zusammenzupassen. Auch wenn die Rampe im Jazzkeller nicht allzu hoch und die Bühnenbeleuchtung eher gedämpft war, das Konzert mit den beiden bescheidenen Herren auf der Bühne kam nicht glamourös und extrovertiert daher und auch das Publikum war nicht allzu zahlreich erschienen. Ganz im Stile ihrer musikalischen Vorlagen, die fast ausschließlich aus Charlie-Chaplin-Filmen entnommen waren, auch ganz im Stil des eher schüchternen Gentleman-Tramps, dessen musikalische Qualitäten hinter seinen herausragenden Schauspiel- und Regiefähigkeiten eher unspektakulär erschienen, Manfred Junker an den Gitarren und German Klaiber am Kontrabass wählten einmal mehr genau das ihrem eigenen Musikstil gemäße Sujet.

 

Tief empfundene Melodien mit einem Schuss Melancholie und Sentimentalität, erst einmal ihrer verkitschten Hollywood-Symphonik entkleidet, gewannen durch Junker und Klaiber eine subtile Plastizität und Präsenz, fanden in unverstellter Direktheit ihre Würde wieder. Durch die beiden sensiblen Musiker fand Chaplins Musik, ihrer filmischen Funktion ledig, gewissermaßen zu sich selbst. Die sorgsame Freilegung des Ursprünglichen, verbunden mit der dezenten Verfremdung im Jazzidiom ließ dabei wirklich Neues aus dem Geist des Alten entstehen: im etwas eigenwilligen aber überzeugenden „Manfred Junker Stil“.

 

Filigran und verspielt, in leichter, fast spinnenmäßiger Behändigkeit und dabei doch völlig unspektakulär, gestalteten German Klaiber und Manfred Junker ihre Soloparts und Improvisationen in einer so selbstverständlichen Virtuosität, dass diese bereits wieder beiläufig wirkte. Die Arrangements ließen dabei musikalische Strukturen anklingen, die zwischen aphoristischer Prägnanz und amorpher Unbestimmtheit sich stilistisch nur schwer fassen ließen, ja mitunter etwas Chamäleonhaftes annahmen.

 

Neben Titeln aus dem Film „König von New York“ oder „Der große Diktator“ waren es vor allem das bekannte „Eternally“ aus Chaplins „Im Rampenlicht“ oder das legendäre „Smile“ aus „Moderne Zeiten“, welche den Weg ins Innerste der verzückten Zuhörer fanden. Junker ist seinem musikalischen Konzept über die Jahre hinweg treu geblieben und hat es weiter ausdifferenziert. Die großen Melodiker unserer Zeit, Cole Porter, Richard Rodgers (herausragend interpretiert dessen „Funny Valentine“ – zur Einstimmung auf den Valentinstag) und nun eben auch Charlie Chaplin bilden Junkers roten Faden ins Kerngehäuse der Musik. Das große Publikum scheint ihm dennoch dahin nicht folgen zu wollen, steht wohl eher auf Lautes und Spektakuläres. Die anwesenden Gäste fanden jedoch mit Junker & Klaiber ihren Frieden und gingen nach dem Konzert entspannt in den Schneesturm hinaus.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

 

04.12.2009: Gypsy Affair

Gypsy Affair im Jazzkeller Biberach

Retardierend meditativer Zigeunerjazz zum Loslassen

Trotz aller gitarristischen Virtuosität der beiden renommierten Faltas aus Memmingen, Bobby – Mitbegründer des legendären „Schnuckenack Reinhard Quintetts“ mit seinem Sohn Lancy, stand das retardierend meditative Moment des modern swingenden Zigeunerjazz im Vordergrund. Zwischen Lagerfeuer-Romantik, Sentimental-Besinnlichem, allzu eingeschliffener Spielfiguren, flächig weichem, aber unspezifischem Klangbrei betagter Röhrenverstärker kam keine wirkliche Leidenschaft auf beim gut besuchten Jazzclubkonzert im Biberacher Jazzkeller.

Allbekannte Jazzstandards wie „Satin Doll“ oder, als Hommage an den großen Verwandten der Faltas, Django Reinhardt, dessen „Minor Swing“ oder „Troublant Bolero“ zu den Höhepunkten des Abends zählten, erklangen in überwiegend gefälliger Aufmachung, meist unterhaltsam plätschernd, oft meditativ, in einlullender Vorhersehbarkeit. Abgeklärter Zigeunerjazz zum Ausklang der Arbeitswoche, gewissermaßen zum Loslassen und Abhängen ließ manches müde Auge zufallen. In wenig abwechslungsreichen Arrangements und bereits nach wenigen Titeln bekannten Abläufen, resultierte die größte Spannung aus der Erwartung, ob die Übergänge zwischen den Improvisationsteilen denn auch reibungslos klappen würden.

Dennoch gelangen mit fortschreitendem Abend immer wieder inspirierte Interpretationen mit Reminiszenzen an temperamentvollere Zeiten. Mit zum Besten gehörten die Kontrabassimprovisationen von Peter Bockius, dessen Genius in variabel eingesetzter, vielseitiger Stilistik immer wieder aufblitzte. Dezent begleitend agierte der Ulmer Peter Gruber am Schlagzeug, mit Stöcken, Besen, oft auch nur mit Händen und Füßen übernahm Gruber auch die spritzig witzige Moderation.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

 

20.11.2009: Ensemble DRAj

Ensemble DRAj im Jazzkeller

 

Klezmer der etwas anderen Art

 

Außerordentlich Spannendes war beim letzten Jazzclubkonzert mit dem Ensemble DRAj angesagt: Jiddischer Klezmer in rein deutscher Besetzung, ganz ohne jiddische oder israelische Wurzeln, im jahrtagsträchtig bedeutungsschweren November, in einem Tempel der Unterhaltungsmusik und des Jazz, nur Gesang, Akkordeon und Cello – sonst nichts. Das hätte auch schief gehen können. Gleich ein ganzer Zugabenblock bewies,  dass dem aber nicht so war.

Bereits die ersten anmutigen Celloklänge von Ludger Schmidt oder die zarten Töne aus der tiefsten Seele des schon etwas angejahrten Akkordeons von Ralf Kaupenjohann ließen bereits erahnen, dass es bei den konzertanten Angelegenheiten des Ensemble DRAj vor vollem Hause um hochsensible Emotionalität, um feinfühlige musikalische Annäherungen an das fragile Sujet in Respekt und Würde gehen würde. Bei diesem Klezmer wurde nicht einfach drauflos plagiiert und eine temperamentvolle, ja leidenschaftliche Musik zu bloßen Unterhaltungszwecken im kulturellen Niemandsland umfunktioniert. Spätestens als die Sängerin und agile Hauptakteurin des Abends, ihre Stimme erhob, waren alle Zweifel weggewischt, nichts kulturell Authentisches geboten zu bekommen. Durch den stiltypisch offenen Stimmsitz und die bei aller Virtuosität natürliche Stimmgebung, korrekte Aussprache und höchst überzeugenden Ausdruck in Verbindung mit einer souveränen Moderation und augenfälliger Bühnenpräsenz brachte die exzellente Manuela Weichenrieder den Klezmer als integeres Lebensgefühl einer großen Kultur auf den sprichwörtlichen Punkt.  Dies war allerdings auch zwingende Voraussetzung für die genreübergreifende künstlerische Auseinandersetzung, die sich vor allem in den komplementären Begleitstimmen von Cello und Akkordeon manifestierte. Immer wieder gelang es den beiden kongenialen Musikern Ludger Schmid und Ralf Kaupenjohann Kontraste zu setzen, zu verstärken, zu kommentieren, zu illustrieren, zu verdeutlichen und damit eine lebendige stilistische Auseinandersetzung herbeizuführen. Die bildhaften Texte der jiddischen Lieder, wie etwa den heimwehgeplagten Sänger, der sich auf den roten Strahlen der Abendsonne, die sich auf den Blättern einer Birke brachen, in die Heimat zurück tragen ließ,  waren dabei willkommene Inspirationsquelle für eine ganz und gar unkonventionelle Begleitung, die trotz aller genretypischen Anleihen im Klezmer und trotz aller Textausdeutung eine hohe künstlerische Eigenständigkeit unter Einbindung weiterer zeitgenössischer Musikrichtungen aufwies und dabei immer wieder große Nähe zum nach allen Seiten offenen europäischen Jazz der Gegenwart demonstrierte.  Ensemble-DRAj-Klezmer ist eine spannende Musik, die auch und gerade in ihren eher melancholischen und nachdenklichen Teilen zu schlagender Intensität findet, fesselt und rundum überzeugt.

06.11.2009: Jürgen Seefelder – Ingrid Jensen Quintett

Seefelder-Jensen-Quintett begeistert rundum

Gleich zum Auftakt ihrer Europatournee 2009 kamen die in New York lebende kanadische Startrompeterin Ingrid Jensen mit ihrem amerikanischen Mann und Schlagzeuger Jon Wikan in den Biberacher Jazzkeller. Jürgen Seefelder, Saxophonprofessor an der Musikhochschule Mannheim nutzte seine guten persönlichen Kontakte zu Jensen aus ihrer Zeit am Brucknerkonservatorium in Linz um zu diesem Anlass ein exklusives deutsch-amerikanisches Quintett zusammenstellen. Wenn moderner Hardbop, wie er derzeit in New York en Vogue ist, die Speerspitze der Jazz-Avantgarde bildet, dann waren die Biberacher am Freitagabend ganz vorne dabei. Der aus Ravensburg stammende Ausnahmepianist Rainer Böhm, derzeit ebenfalls Wahl-New Yorker, sowie Thomas Stabenow (Mannheim) am Kontrabass komplettierten das Quintett, das nicht nur fünf Spitzenmusiker sondern auch fünf geniale Komponisten zu einem abwechslungsreichen, originellen Programm zusammenbrachte.

Böhms jüngste CD-Produktion „Red Line“ war dabei Quelle einiger hoch interessanter Kompositionen, in deren Mittelpunkt selbstredend zuerst seine ungewöhnliche pianistische Virtuosität und der kreative Einfallsreichtum beim Improvisieren stand, die aber auch einen innovativen Musikstil ganz eigenen Zuschnitts boten. Sehr profiliert und souverän, in den Soloteilen gar mit einem ordentlichen Schuss Humor versetzt, in den begleitenden Teilen dynamisch leider etwas stark zurückgenommen, konnte Thomas Stabenow in „Waterproof“ sowie in einer märchenhaften Komposition über allzu oft wechselnde Lebensabschnittsgefährtinnen eigene Akzente setzen. Jürgen Seefelder, der Initiator des fulminanten Projektes zeigte an seinen Keilwerth-Saxophonen ein breites technisches und stilistisches Spektrum sowie einen markanten, eher abgeklärt wirkenden Stil, den er aber in dem hochkarätigen Umfeld vehement verteidigen musste. Jon Wikan gab sich bopmäßig druckvoll und dynamisch zupackend, in seinen eigenen Kompositionen geradezu überschäumend. In der akustischen Besetzung wirkte dies jedoch mitunter etwas zu dominant, vor allem auf Kosten von Flügel und Kontrabass.

Ingrid Jensens hoch verdichteter, stark rhetorisch geprägter, höchst ausdrucksvoller Improvisationsstil schien dabei noch mal eine Klasse für sich. Jensen ist ohne Zweifel musikalisch nicht mehr auf der Suche. Ihr ebenso cooler wie vitaler Personalstil ist eine ganz eigene Marke der Premiumklasse. Souveräne relaxte Höhen, kraftvolle und dynamische Mitten und samtig schnurrende Tiefen, besonders wenn sie von der Trompete aufs Flügelhorn wechselte, vor allem aber ein kompromissloser gestalterischer Zugriff auf die ganze Formation waren kennzeichnend für Jensen. In dem als Zugabe gebotenen Titel „Cowboy“ ihrer Schwester Christine lief das Quintett noch mal zur Hochform auf und begeisterte rundum.

Gez. Helmut Schönecker