Archiv – Seite 94 – Jazzclub Biberach e.V.

20.01.2006: Katrin Weber Trio

Katrin Weber Trio im Jazzkeller Biberach

Engagierter Frauenjazz aus Wien

Den Auftakt zur aktuellen „Jazz 4Three“ – Veranstaltungsreihe des Biberacher Jazzclubs gestalteten drei außergewöhnliche Wiener Musikerinnen mit einem ungewöhnlichen Bandkonzept und vielen musikalischen Überraschungen vor einem begeisterten Publikum.

Auffällig andersartig waren alle Titel des Konzertes, die zum großen Teil der vom Katrin Weber Trio unlängst in Wien präsentierten neuen CD „Mrs. Wisenheimer“ entstammten. Engagierte, teils sozialkritische, meist leidenschaftliche, höchst ausdrucksvolle Stücke voller Poesie in einer auf Transparenz angelegten Besetzung aus Klavier, Gesang, Saxophon und Schlagzeug klangen in einem Maße anders geartet, das sich gleichermaßen aus der charismatischen Persönlichkeit Katrin Webers und der im Jazz recht seltenen, reinen Frauenbesetzung erklären dürfte. Die bemerkenswerte stilistische Bandbreite, von kabarettreifen Darbietungen (etwa über Katrin Webers Lieblingsbeschäftigung – dem Kochen bzw. Essen), deutschen Schlagern über sensible Jazzballaden hin zu populären Lovesongs, ist bereits in der Vita der aus Tuttlingen stammenden Bandleaderin und Komponistin angelegt.

Mit großer Professionalität zelebrierten die drei Damen ihr Programm, dessen improvisatorische Anteile sich jedoch auf die hochkarätige Saxophonistin Ilse Riedler beschränkten. Was sie bot, gehörte jedoch mit zum Feinsten der europäischen Jazzküche. Als feste Größe im Jazz Orchestra Wien und im europäischen  Jazz Orchestra Paris brachten ihre Improvisationen einen Hauch der großen weiten Welt in den Jazzkeller. Selbstverständliche Virtuosität, ein megaausdruckstarker Ton und eine Fülle musikalischer Einfälle wurde nur durch die äußerlich eher unbeteiligte Haltung etwas getrübt. Aber das explizite Aussparen von showhaftem Getue gehörte wohl auch mit zum Bandkonzept und wirkte angenehm wohltuend in einem immer stärker auf Äußerlichkeiten ausgerichteten medialen Umfeld. In die selbe Kategorie fiel die viel beschäftigte Drummerin Margit Schoberleitner, die völlig nach innen bzw. auf die Musik gerichtet, doch immer für den richtigen Groove sorgte und in Verbindung mit der linken Hand Katrin Webers den fehlenden Bass vergessen machte.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

08.01.2006: Jazzmo Dixie Gang

Frühschoppen mit JAZZMO DIXIE GANG im überfüllten Jazzkeller

„Miss Henna hat den Bogen raus“

Auch noch die Stehplätze waren besetzt, als eine kraftvoll fröhliche New Orleans Musik das neue Veranstaltungsjahr des Jazzclubs standesgemäß eröffnete. Die Stuttgarter „JAZZMO DIXIE GANG“ hatte den Bogen raus und fand am Sonntagmorgen schnell den Draht zum hell begeisterten Publikum des traditionellen Weißwurst-Frühschoppens im Jazzkeller.

Originärer Dixieland-Jazz, wie er in einer Livedarbietung im deutschen Süden selten authentischer zu hören ist, verbreitete vom ersten Ton an bis weit in den Nachmittag hinein Frohsinn und gute Laune. Eine gelungene Mischung aus bekannteren und weniger bekannten Titeln, darunter als besonderes Schmankerl und auf ausdrücklichen Wunsch aus dem Publikum die legendäre „Miss Henna“, unnachahmlich präsentiert vom vergeistigten Pianisten und Bandleader Hans Jürgen Bock, auch „Specht“ genannt. Hans Joachim Weiß, der souverän seinen Kontrabass traktierte, durfte hier sogar mit dem Bogen spielen und der launige Moderator und Schlagzeuger Bernd Menne, der in diesem Titel pausieren durfte, fand auch hier die richtigen Worte „Hans hat bei Henna den Bogen raus“.

Den Bogen raus hatten aber auch die anderen Bandmitglieder, die in einem gleichermaßen kraftvoll-eleganten und dennoch filigranen Stil ihre häufig selbst gemachten Arrangements überzeugend präsentierten. Winfried Schmid entlockte seiner Klarinette virtuose Passagen in der für den Oldtime Jazz typischen Klanglichkeit und umgarnte mit seinen Arabesken die in sicherem Timing kernig artikulierten Melodien von Joachim Berkemer an der Trompete, der seinerseits auf dem gut strukturierten harmonischen Fundament des Posaunisten Hans Stotz und des kunstfertig multiinstrumental agierenden Joachim Hepting (Banjo, Gitarre, Kazoo, Pfeife und Gesang) balancierte.

Nach drei Sätzen und zwei Zugaben, zum Schluss gar noch dem unsterblichen Ohrwurm von „Satchmo“ Louis Armstrong von der „Wonderful World“ entließen sie ein zufriedenes Publikum in einen strahlenden Sonntagnachmittag.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

09.12.2005: Tango-Logia Quintetto

„Tango-Logia“ aus München im Biberacher Jazzkeller

Vom morbiden Charme toter Engel und verstorbener Großväter

Ein Jazzkonzert mit einem fünfstimmigen Fugato zu beginnen und mit dem musikalischen Andenken an den verstorbenen Großvater der argentinischen Tangolegende Astor Piazzola zu beschließen, zeugt trotz des jugendlichen Alters des neu formierten Quintetto „Tango-Logia“ aus München von großem Selbstbewusstsein und tiefem Verständnis für die Musik Piazzolas und des Tango überhaupt. Vier erklatsche Zugaben legten am Freitagabend im Jazzkeller ein beredtes Zeugnis davon  ab, dass dies beim Publikum auch ankam.

Der gastgebende und veranstaltende Jazzclub Biberach hatte mit dieser Musikrichtung ein nur sehr lose mit dem Jazz verwandtes Genre in seine Veranstaltungsreihe aufgenommen. Improvisation spielte, wenn überhaupt, dann nur eine sehr untergeordnete Rolle. Selbst der mit warmen und zarten Saxophonklängen sowie großer Virtuosität überzeugende Fabian Pablo Mueller spielte durchgehend nach Noten. Die versierte Violinistin Rebecca Schneider aus Stuttgart war ihm eine kongeniale Partnerin, dialogisierend oder in homophoner Zweistimmigkeit, ebenso sensibel und ausdrucksstark wie der sympathisch zurückhaltende Bandleader und ebenso notengetreu. Gitarrist Karl Epp, Kontrabassspieler Steffen Müller und der junge Mischa Ljeonchik aus Minsk am frisch gestimmten Steinwayflügel komplettierten das Quintett mit einem soliden rhythmisch-harmonischen Unterbau ohne jedoch eigene Akzente setzen zu können. Der ausgezeichneten Ensembleleistung des Quintetts tat dies allerdings keinen Abbruch.

Voll musikalischer Poesie und sinnlicher Ausstrahlung gerieten die besonders im zweiten Set dominierenden Balladen zu kleinen inspirierten Kostbarkeiten, luden zu entrücktem Zuhören, zum Loslassen des alltäglichen Einerleis ein. Den programmatischen Charakter dieser Musik unterstrichen „Die Vier Jahreszeiten“ in lockerer Anlehnung an Vivaldis berühmtes Vorbild. Vor allem „La Primavera“, der Frühling, der nach Piazzolas „Maria de Buenos Aires“ und dem „Tod eines Engels“ zum Ende des Konzerts in Ermangelung weiterer Stücke nochmals als Zugabe erklang, geriet in der Wiederholung zu dem Highlights des Abends, in dem sich selbst die anfänglich eher verhaltene Leidenschaft der spröden Schönen an der Geige in ein gelöstes Lächeln verwandelte.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

11.11.2005: The Double-You Be

Walter Bittners „Double You-Be“ im Biberacher Jazzkeller

Extravagante musikalische Flausen im Kopf

Da wo die „Flausen im Kopf“ am größten waren, war auch die Musik am interessantesten. Skurrile, witzige, abwechslungsreiche und packende Collagen der Formation „Double You-Be“ aus Walter Bittners Augsburger Musikwerkstatt mischten beim jüngsten Jazzclubkonzert ihr Biberacher Publikum kräftig auf, stürzten es in ein wonnevoll kurzweiliges Wechselbad der Gefühle.

Vorprogrammierte musikalische Patterns und Loops, über Drumpads vom Schlagzeuger und Bandleader Walter Bittner gesteuert und – Apple sei Dank – ohne störende Latenzen virtuos mit den meist afro-lateinamerikanischen Live-Grooves des kuriosen Quintetts gemischt, erzeugten eine spannungsgeladene, höchst eigenwillige Mixtur mit schier unglaublicher stilistischer Bandbreite. Moderne Dance- und Hip Hop-Grooves vermengten sich organisch mit samba- und salsaartigen Rhythmen, klassische Horn- und Saxophonklänge verbanden sich wie selbstverständlich mit futuristischen Sample- und Synthi-Sounds der Techno-Branche zu ungewöhnlichen Klang-Konglomeraten als ästhetische Vorboten einer neuen Cross-Over-Ära. Nur an wenigen Stellen, wo Konzentration und Gestaltungskraft der Bittner-Truppe nachließen, drohte das divergierende Substrat in seine Einzelteile zu zerfallen und ließ vereinzelt eklektizistische Tendenzen aufzublitzen.

Die charismatische Frontfrau Ute Legner steuerte neben ihrem mannigfaltigen Gesang, der von Schnarch- und Grunzlauten über diverse Scat- und Rap-Einlagen, teils im Dialog mit dem virtuos-expressiven Saxophonisten Bobby Palleis, zu ausdrucksstarken Kantilenen reichte, auch einige Horneinlagen bei. Vom letzten Titel des Abends abgesehen durfte sie  ihr Horn jedoch nur zu rhythmischen Bläserakzenten oder zur optischen Auflockerung einsetzen. Helmut Tröndle, am Flügel, an den Congas oder an diversen Perkussionsinstrumenten sowie als Komponist einiger Titel war, ebenso wie Klaus Füger am Kontrabass, so etwas wie der dienstbare Geist der Formation, immer präsent, verlässlich, dabei dezent im Hintergrund. Seine eher konventionellen Kompositionen offenbarten aber, wie viele der langsameren Titel und Balladen, allen voran der eher unterkühlt wirkende „Love Song“,  auch eine der Schwächen von Bittners Konzeption. Expressive Inspiriertheit, sensible Untertöne oder tief empfundene Emotionalität sind Befindlichkeiten, die sich auf diese Weise nur schwer transportieren lassen.

Nach verhaltenem Beginn waren ab „Flash Beat“, dem letzten Titel vor der Pause, die Fünf wie „vom Blitz getroffen“, energetisch angereichert, inspiriert. Die Dramaturgie gegen Ende des zweiten Sets, unter anderem als programmatisches Highlight „Riddles on my mind“ oder „New Orleans 2nd line“ von der neuen CD, sowie eine ganze Reihe hochmotivierter Fans brachten schließlich den Jazzkeller beinahe zum Kochen und dem Publikum zwei gern gewährte Zugaben.