Archiv – Seite 93 – Jazzclub Biberach e.V.

22.10.2010: Ruth Sabadino & Boogaloo

„Sax and the City“ im Jazzkeller Biberach

Wuchern mit attraktiven Pfunden

BIBERACH – Schön gemütlich eng war es beim Freitagabendkonzert im Biberacher Jazzkeller mit der Stuttgarter Jazzformation „Boogaloo“ und ihrem aktuellen Programm „Sax and the City“. Stühle, Podeste und Treppenabsätze zusammen reichten nur knapp zum Sitzen. Offenbar hatten viele der begeisterten Kids aus dem Vormittagsprogramm „Jazz for Kids“ in der Stadtbücherei ihre Eltern zu dem Abendkonzert im Jazzkeller animiert.

Als Moderatorin, Vokal- und Saxophonsolistin dominierte die agile Ruth Sabadino die Formation, deren künstlerisches Konzept des „saxy Jazz“ sich ganz der Präsentation ihrer Person verschrieben hatte. Beachtlich waren stilistische Breite und Umfang des Repertoires. Der mit rhythmisch-vokaler Publikumsunterstützung dargebotene Titel „Jack the Ripper“ oder die Titelmelodie aus „Stahlnetz“ waren einige der wenigen Anklänge an das über die Jahre bewährten Krimiprogramms von „Boogaloo“, mit dem die Formation auch schon früher das Biberacher Publikum beglückt hatte. Das neue Programm „Sax and the City“ wuchert effektvoll mit den attraktivsten Pfunden der Formation, Ruth Sabadino. Die Bühnenpräsenz des blonden Multitalents und der „Late-Night-Groove“ der Begleitband machten auch vor den Höhepunkten der Jazzgeschichte, Armstrongs „What a wonderful world“, Mancinis „Peter Gunn“, Ellingtons „Tuxedo Junction“, dem jiddischen „Bei mir bist du scheen“ und anderen Ohrwürmern keinen Halt. Als angenehm, gefällig und unterhaltsam erwies sich das musikalische Resultat, wobei das expressive Saxophon die vokalen Einlagen fast noch toppen konnte.

Ohne die Leistung der rührigen Bandleaderin schmälern zu wollen, kam dennoch bei den musikalischen Soloeinlagen ihrer drei Mitstreiter ein erfrischend neues Moment hinzu. Besonders Uli Möck gefiel, wenn er nicht gerade mal wieder neckisch die musikalischen Vorgaben von Ruth Sabadino parodierte, durch witzige und pianistisch ausgefeilte Improvisationen, die immer wieder auch mit chromatisch dichten und harmonisch hochinteressanten Voicings den konventionellen Rahmen erweiterten. Beständig und verlässlich groovend tauchten dennoch auch Christoph Sabatino am Drumset und Kurt Holzkämper am Kontrabass immer wieder zu einem befreienden Solo an die Oberfläche. Besonders in Fats Dominos „I’m walking“ hatte der Drummer einen seiner Höhepunkte. Nicht ohne Zugabe durften Ruth und die Boogaloos den oberschwäbischen Nebel wieder verlassen.

Gez. Dr. H. Schönecker

 

22.10.2010: Ruth Sabadino & Boogaloo (Jazz für Kinder)

Veranstaltungsreihe „Jazz für Kinder“ – Mitmachkonzert in der Stadtbücherei

Bei „Jazz for Kids“ ist echt was los

BIBERACH (sz) – 120 begeisterte Dritt- und Fünftklässler aus Warthausen und Biberach verfolgten die nunmehr bereits fünfte Veranstaltung in der Reihe „Jazz für Kinder“, die in einer Kooperation zwischen Stadtbücherei und Jazzclub Biberach e.V., gefördert durch die Baden-Württemberg-Stiftung, Landesbank und Landesjazzverband Baden-Württemberg  am vergangenen Freitag erfolgreich über die Bühne ging.

Dicht gepackt auf bunten Sitzteppichen und –würfeln hingen 240 staunende Augen und Ohren des jungen Publikums an den vier Musikern von „Boogaloo“, die ein besonders junges, kurzweiliges  Programm zusammengestellt hatten. Ob bei der Musik zur „Sendung mit der Maus“, „Pippi Langstrumpf“, „Wicki“ oder auch „Speedy Gonzales“, der schnellsten Rennmaus der Welt, Ruth Sabadino nahm die Kids buchstäblich bei der Hand und führte sie mit bekannten Melodien durch die unbekannte Welt des Jazz. Eine der Altersgruppe gerechte, schnelle und witzige Moderation unter Einbeziehung der Kids brachte eher beiläufig die entscheidenden Informationen über die immer noch häufig als zu anspruchsvoll empfundene Musik an die aufmerksamen Zuhörer. Im Mittelpunkt stand dabei  immer die packende Darbietung handgemachter, improvisierter Musik. Bei den zahlreichen Mitmachteilen wurde es zwar mitunter ziemlich lebhaft, Klatschen, Mund-Perkussion, rhythmisches Bewegen oder auch Singen klappten aber bei den Kids ganz selbstverständlich.

Erwartungsgemäß stieß das Schlagzeug von Christoph Sabadino besonders bei den Jungs auf große Aufmerksamkeit. Durchaus überraschend für die Künstler war jedoch der hohe Anteil von Schülern, die bereits ein Instrument erlernen. Vor allem junge Pianisten, Flötisten und Gitarristen gab es in großer Zahl, doch auch Geige oder Saxophon waren gut vertreten. Im lockeren Gespräch holte sich Ruth Sabadino immer wieder die Aufmerksamkeit ihrer jungen Zuhörer, verblüffte durch besonders virtuose und ausdrucksstarke Saxophonsoli oder den fliegenden Wechsel zwischen Instrument und Singen. Bei Uli Möck am Piano vermuteten manche Kids gar, er hätte 20 Finger, so gut wie er mit den 88 Tasten des Klaviers zurechtkomme. Die Verwandschaft des Kontrabasses von Kurt Holzkemper mit einer Hornisse (wegen des langen Stachels) hinderte diesen nicht daran, „das dicke Möbelstück“  übers Knie zu legen und zur allgemeinen Freude gitarrenmäßig zu bespielen.

Im Anschluss an die knapp 90minütigen Darbietungen mit lautstark geforderten Zugaben gab es dann Gelegenheit zum Fragen, Instrumente anfassen und kennenlernen, Autogramme einholen oder die Musiker auch mal ganz aus der Nähe zu sehen. Von dichten Trauben umlagert bewiesen diese engelsgleiche Geduld mit den wissbegierigen Nachwuchskünstlern.

[SZ, Lokalteil Biberach, 25.10.2010]

08.10.2010: Sonny Blues

Polnische Woche – Konzert im Jazzkeller

Sonny Blues mit Bluesharp-Battles

Schwer zu sagen, worin das Geheimnis so vieler polnischer Musiker besteht, Jazz oder Blues von seinen Wurzeln und ursprünglichen Intentionen her zu erfassen und damit in höchst authentisch wirkender Weise überzeugend zu interpretieren. Einmal mehr lieferte die polnische Gruppe „Sonny Blues“ aus der Biberacher Partnerstadt Schweidnitz im Rahmen der polnischen Woche anlässlich des 20jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft dafür den klingenden Beweis. Die sechs Musiker um Roman Bednarz mit Sängerin Renata Król erweckten im Freitagabendkonzert des Jazzclubs  völlig unakademisch, unverstellt, urig, erdig, ja dreckig und schlammig im Sinne des „Hoochie Coochie Man“ Muddy Waters, dessen  berühmten Blues „Got my Mojo Working“ in verblüffend echter Form wieder zu neuem Leben.

In weitgehend konventionellem Zuschnitt, gerahmt von gesungenem  Chorus mit locker eingestreuten Improvisationsfolgen erklangen zumeist Klassiker der Blueshistorie. Nach etwas verhaltenem Beginn spielte sich Sonny Blues zunehmend frei. Renata Król ließ auch an ihrer Mimik erkennen, dass sie sich zunehmend wohler fühlte, die Gitarristen Artur Wojtusiak und Waldek Mucha schlugen zunehmend beherzter in die Saiten und scheuten auch keine harten, verzerrten Rocksounds oder schweren Bluesrock. Bandleader und Bassist Roman Bednarz groovte souverän, unterstützt durch ein zupackendes Schlagzeug und farbige Perkussion, während der größte Aktikvposten des Abends, der Bluesharp bzw. Mundharmonikaspieler „Pako“ regelrecht zur Hochform auflief.  Mit dem Gitarristen, der immer wieder zur Blusharp wechselte, lieferte er sich regelrechte „Bluesharp-Battles“, spannende, ausdrucksstarke Dialog-Improvisationen, die für kurzweiligen Hörgenuss sorgten. Nach einer gern gewährten Zugabe und dem Ende des offiziellen Programms fanden sich die spielfreudigen Musiker unkompliziert zu einer kleinen Jamsession zusammen und ermöglichten damit einen geselligen Ausklang des erfolgreichen Abends, zusammen mit polnischen und deutschen Gästen.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

17.09.2010: Tango Transit

Jazzkonzert mit Tango Transit

Tango Power aus Hessen

Auch wenn es in der Fußball-Bundesliga für die Frankfurter derzeit nicht so gut läuft, die drei erfolgreichen Frankfurter Tangospezialisten von „Tango Transit“ haben beim letzten Jazzclubkonzert, trotz langem Staunachmittag auf der A8, eine Dynamik und künstlerische Präsenz an den Tag gelegt, die nur aus einer völligen Besessenheit heraus, aus bedingungsloser Liebe zum Tango, zum Jazz, zur Musik überhaupt erklärbar scheint. Nur aus dieser Hundertprozent-Einstellung resultieren echte Siege. Gäbe es eine Tango-Bundesliga, die drei von „Tango Transit“ wären ganz vorne dabei.

Der Akkordeonist und Komponist aller Titel des kurzweiligen Konzertabends, Martin Wagner, musikalischer Dreh- und Angelpunkt in stupender Virtuosität zelebrierter Tangomania, hat hier offenbar den Nerv der Zeit und des begeisterten Biberacher Publikums getroffen. Mit geschlossenen Augen verklärt lauschend schien die Seele von Astor Piazzolla durch den gut besetzten Jazzkeller zu schweben. Dessen Emotionalität und Temperament gepaart mit Wagners brillanter Griff- und Balgtechnik auf seinem modernen Victoria-Akkordeon aus der traditionsreichen italienischen Instrumentenbaufirma, ermöglichte Unerhörtes.  „Bellow shakes“ vom zarten Vibrato bis zum aufgeregten Tremolo, rasante Passagen höchster chromatischer Dichte (á la „Hummelflug“) oder weitgespannte Arpeggien über den gesamten Tonumfang führten jedoch keineswegs zur Vernachlässigung einfühlsamer, sorgfältig modellierter, oft auch tangogemäß melancholischer Melodien. Die Inspiration für die Kompositionen, durchaus nicht nur Tangos, kam aus allen Lebenslagen. Formal-Rational wie in der „Suite – Part I-III“ oder außermusikalisch angestoßen wie in „Fat Cat“ oder bei den Frankfurter „Ostpark Elefanten“ blieben auch das augenzwinkernde, spielerische Element („Waltz for Angie“) und weitere nette Verrücktheiten („chromasomatic lunatic“) nicht auf der Strecke.

Bei aller strukturellen Dominanz des Bandleaders hätte ohne die beiden begnadeten Mitstreiter an Kontrabass (Hanns Höhn) und Schlagzeug (Andreas Neubauer) Entscheidendes gefehlt. Differenziert und kraftvoll groovend, straff und doch meist weit entfernt von tangotypischer Einfachheit, lebendig, spritzig und durch viele Soloeinlagen geadelt, kurbelte Andreas Neubauer in organischer Verwachsenheit mit dem Ganzen permanent die Stimmung an. Ein Kontrabassist, der auch und immer wieder höchst melodisch agiert, seinem Instrument eine immens breite Klang- und Ausdruckspalette entlockt und die Musik mehr mitlebt als spielt mutiert vom Begleiter unversehens zum kongenialen Komplizen, der Impulse gibt, dialogisiert, kommentiert. Hanns Höhn vermochte mit seinem nuancierten Spiel die Aufmerksamkeit, nicht nur in seinen meisterhaften Improvisationen, immer wieder auf sich zu ziehen und trug so nicht unerheblich zum homogenen Gesamtbild bei: tangolastiger spannender Modern Jazz. Erst nach zwei Zugaben durften die Hessen von der Bühne.

Gez. Dr. Helmut Schönecker