Archiv – Seite 90 – Jazzclub Biberach e.V.

09.11.2007: Louisiana Funky Butts

Funky Butts heizen im Jazzkeller kräftig ein

Jazzbiber mit Brachialgewalt wachgerüttelt

Acht musikalische Energiebündel aus dem schwäbischen Unterland haben am Freitagabend im Jazzkeller das zunächst mit der gewohnten Zurückhaltung eher brav agierende Biberacher Publikum von anfänglicher Verblüffung über schmunzelnde Zustimmung schließlich zu wahren Begeisterungsstürmen getrieben. Die „Louisiana Funky Butts“ haben mit ihrem progressiven Bandkonzept in Biberach offene Türen eingerannt. Das hat hier gerade noch gefehlt.

 

Kam das überraschend stark vertretene jugendliche Publikum wohl vor allem aufgrund von Schlagworten wie „Modern Street Groove“, „Funk“ und „HipHop“ in den stimmungsvoll angerichteten Jazzkeller, so wussten auch die anderen Gäste schnell, was Sache ist. Unmittelbar, direkt, offen, ja brutal und schonungslos kamen die Funky Butts sofort zum Thema. Fürs Vorspiel, für feinere Nuancen und differenzierte Untertöne blieb keinerlei Raum. Mit der Urgewalt einer 100köpfigen Guggenmusik, dabei aber mit der Präzision einer eingespielten Profi-Bigband, messerscharfen Bläsersätzen, sattem Bass vom leicht verstärkten Sousaphon, treibendem Groove von den „Marching Percussions“, rhythmischer Hochspannung und Sprachwitz aus der Rap- und HipHop-Ecke, haben die Sieger des deutschen Streetband-Wettbewerbes in Leipzig um ihren Commander Betman eine ziemlich scharfe Soße angerührt.

 

Die konsequente Marching Band-Besetzung mit dem vollständigem Verzicht auf Harmonieinstrumente wie Gitarre oder Klavier aber eben auch auf ein konventionelles Drumset, ließ den Sound der Truppe nicht nur äußerst transparent erscheinen sondern erhöhte auch die Energiedichte und Präsenz der Musik in geradezu unglaublicher Weise. Die einzelnen Musiknummern, darunter neben Funk und HipHop auch der eine oder andere Salsa, etwa aus der Feder des kubanischen Buona Vista Social Club, sowie zahlreiche Traditionals und Eigenkompositionen, waren durchweg in witzige, skurrile, ungewöhnliche Arrangements eingekleidet. Die sprachgewaltige Moderation und vor allem der authentisch wirkende sprachnahe Gesang des Bandleaders ragte dabei hervor, selbst gegenüber genialen Soloimprovisationen, vor allem von Phil „The Bone“ Buck an der Posaune, dem süditalienischen Wahl-Stuttgarter Toni Riba am Saxophon  oder dem in den höchsten Tönen herumjubelnden spanischen Trompeter Don Flor. Die improvisierten „Battles“ zwischen Riba und Buck gehörten zum modernen musikalischen Straßenkampf und selbst das originelle Outfit von Lady Doughdap, dem einzigen weiblichen Bandmitglied, ausgerechnet am urgewaltigen Baritionsaxophon, fügte sich nahtlos ins musikalische Straßenbild.

 

12.10.2007: Rolf Richie Golz

Rolf Richie Golz beim Heimspiel im Jazzkeller

Harmonisches Pianospiel im Kreis der Freunde

Eine stattliche Zahl an Fans, Schülern und Freunden des Biberacher Pianisten Rolf Ritchie Golz fanden beim Freitagabendkonzert des Jazzclubs Biberach einen hoch motivierten, fast schon aufgekratzt wirkenden heimischen Künstler in allerbester Spiellaune vor. Der Lokalheroe hat mit diesem gelungenen Abend seinen Fankreis unter den Besuchern wohl sogar noch erweitern können.

In einer außerordentlichen stilistischen Bandbreite, von fetzigen Boogie- und Bluespiano-Titeln zu filigranen Kompositionen mit barocken und klassischen Anklängen, von meditativ klangmalerischen Stücken zu leichtem Piano-Pop im Stile eines Billy Joel oder Elton John, von romantischen Lyrizismen zu fantasievoll kreativem Modern Jazz á la Keith Jarrett, vom dezent unterhaltsamen Bar- oder Cocktailjazz bis hin zu vollgriffig konzertanten Virtuosennummern war alles vertreten, was allgemein gefällt und populär ist. Nahezu alles was im modernen Jazz, ja überhaupt in der Klaviermusik Rang und Namen hat, wurde von dem lange Zeit unterschätzten Biberacher Künstler intellektuell und emotional verarbeitet und in abwechslungsreiche, keinesfalls eklektische Eigenkompositionen eingegossen.  Ecken und Kanten der Golzschen Stücke waren dabei bewusst geglättet, und bereits die Abfolge der klangsinnlichen Konglomerate war immer auf Ausgleich bedacht. Auf Euphorie folgte Melancholie, auf Regen Sonnenschein. Keine Frage. Diese Ausgewogenheit hatte einen großen Anteil an dem entspannt unterhaltsamen, abgerundeten Konzertabend, der im Publikum Glücksgefühle und Zufriedenheit hinterließ, der dankbaren Applaus und mehrere Zugaben nach sich zog.

Diese programmatische Ausgewogenheit hat aber möglicherweise auch die Chance vertan, durch geschickte Dramaturgie das Publikum an- und aufzuheizen oder gar zu richtigen Begeisterungsstürmen hinzureißen. Technisches und musikalisches Potential dazu ist bei Golz überreichlich vorhanden. Die prinzipienhafte Angewohnheit jedoch, immer wieder Druck aus dem Kessel zu nehmen, vielleicht auch in der Absicht mit den eigenen Kräften ökonomisch hauszuhalten, führte konsequent zu einer eher kontemplativen Grundhaltung der Golzschen Musik. Die introvertierte Verzücktheit, die sich in Golz’ Mienenspiel und Körpersprache äußerte, die auch im häufigen Mitsingen oder Mitsummen der Melodielinien zum Ausdruck kam, verkörperte jedoch auch die ausbalancierte Harmonie aller Teile des Ganzen, das ästhetische Streben nach dem musikalisch Schönen, das mehr beinhaltet als nur den schönen Schein.

22.09.2007: Terrence Ngassa Afro Quintet 

Terrence Ngassa Afro Quintet im Jazzkeller

Afrikanischer Startrompeter trifft Biberacher Jazzpreisgewinnerin

Was sich in der Konzertankündigung wie ein beliebiges stilistisches Sammelsurium eben aus Afro, Ethno, Jazz und Funk las, fand im jungen afrikanischen Trompeter und Bandleader Terrence Ngassa einen musikalischen Brennspiegel, der die einzelnen Bestandteile der bunten Mischung  aufschmolz und mit großer gestalterischer Kraft in neue Strukturen überführte. Der aus Kamerun stammende Ngassa, aufgrund seines ausdrucksstarken Trompetenspiels oft mit dem jungen Louis Armstrong verglichen, verkörpert einen faszinierenden Musikstil, der klar erkennbar zu seinen westafrikanischen Wurzeln steht und  sich dennoch neuen Einflüssen nicht verschließt.  Seine stark ethnisch gefärbten gesanglichen Einlagen kamen, unverstärkt und klanglich unverfälscht, besonders sympathisch herüber. Ein erfreulicher Nebeneffekt bestand darin, dass er während des Singens besonders seine virilen Mitstreiter zur kontemplativen Zurückhaltung zwang. Resultat war eine, trotz packender Grooves und knackiger Präsenz, stark ausdifferenzierte, lebendige Musik mit großem Dynamikumfang und Ideenreichtum. In den transparenten Arrangements aus der Feder Ngassas kamen, nach anfänglicher Zurückhaltung, vor allem dialogische Improvisationen zwischen der Trompete und dem herausragenden Maxim Begun am Saxophon sowie natürlich zu der durch brillant perlendes Spiel und sensibler Begleitung gefallenden Laia Genc.

Die Gewinnerin des Biberacher Jazzpreises 2004, von deren damaligen Mitstreitern nur der geniale Drummer Mirek Pyschny in der aktuellen Formation vertreten war, war Ngassa und Begun eine kongeniale Partnerin. Ihre Freude an dem hochwertigen Steinwayflügel im Jazzkeller war mit Händen zu greifen, ihre Spielfreude durchwirkte alle Stücke und bildete eine glitzernde, stimulierende Matrix aus der mit zunehmender Dauer des gut besuchten Konzertabends ein pulsierendes und schimmerndes, immer wieder von kreativen Blitzen durchzucktes organisches Geflecht musikalischer Ideen wurde.

Das anfänglich ebenfalls noch etwas zurückhaltende Publikum lief, durch Ngassa immer wieder zum Mitmachen animiert, schließlich ebenfalls zur Hochform auf, feuerte das Afro Quintet mit begeisterten Ausrufen, animierenden Pfiffen und heftigem Beifall zu immer höheren Leistungen an. Jetzt fetzte auch Ngassa auf seiner „sprechenden“ Trompete bis in die höchsten Lagen, lieferte sich packende Improvisationsduelle mit dem über sich hinaus wachsenden Maxim Begun. Der Offenburger Daniel Speer am Kontrabass steuerte, neben einigen durchaus beeindruckenden solistischen Einlagen, ein dezent groovendes Fundament zur Musik bei. Erst nach mehreren Zugaben und heftigen Beifallsstürmen durfte das Quintet von der Bühne.

 

22.06.2007: Blue Honky Tonk

Süddeutschlandpremiere: Blue Honky Tonk mit Überraschungsgast im Jazzkeller

Unverbrauchter Cross-Over Boogie-Woogie aus dem Wilden Osten

„Schnee von gestern“, dürfte die vorherrschende Aussage zahlreicher Boogie-Woogie Gegner gelautet haben. Diese sind dann allerdings auch gar nicht erst beim Konzert mit „Blue Honky Tonk“ aus Dresden im Biberacher Jazzkeller erschienen. Wer jedoch dabei war, weiß es jetzt besser: Es gibt einen direkten Weg von den 1920er Jahren in unsere Zeit und er heißt „Blue Honky Tonk“.

Dass die Liebe Grenzen überwindet ist eine alte Weisheit. Dass die Liebe zur Musik auch unvereinbar scheinende musikalische Gegensätze verbinden und selbst aus den abenteuerlichsten Stilkombinationen noch neue Kräfte schöpfen kann, nachdem doch ganze Heerscharen  von Sinn suchenden Musikern den leergefegten Markt schon unzählige Male abgegrast haben, ist zumindest überraschend.

Die agilen Jungs aus dem Osten mit ihrem Überraschungsgast, einer musikalisch wie optisch reizvollen jungen Dame namens Manuela Kre?ek, die unverkennbar den Blues in ihren Genen trug, boten einen unverfälschten Zugang zur längst überholt geglaubten Tradition der goldenen Zwanziger.

So weit, so tüchtig, so gewöhnlich. Genau dies tun schließlich seit über 80 Jahren viele andere, auch studierte und technisch brillante Musiker. Für eine gute Stimmung sorgt der pianistische Tanzblues in seinem überschaubaren Formenkanon allemal und staunende Bewunderung für das virtuose Tastengeklingel gibt es vom Publikum gratis.

Wenn es „Blue Honky Tonk“ mit Matthias Rethberg am Piano und Stephan Heisigs am Schlagzeug  dabei belassen hätte, wäre der erste Gig im Süden Deutschlands vielleicht auch schon der letzte gewesen. So aber darf man sicher sein, von dem neuen Gespann noch einiges zu hören. Die scheinbar beiläufige Integration eines Bach’schen Präludiums aus dem Wohltemperierten Klavier in eine unverschämt gut und souverän groovende Eigenkomposition des Pianisten und Bandleaders war eines der sinnfälligsten Beispiele der beherzt-offenen und ungeniert direkten Vorgehensweise des sympathischen Quasi-Trios. Unversehens in der Tradition eines „Jacques Loussier“, der mit seinem „Play Bach“ auch heute noch großen Anklang findet, blieb „Blue Honky Tonk“ auf dieser Stufe jedoch nicht stehen. Nicht das berühmte Original eines anderen mit ein paar eigenen Zutaten, eine neue, eigenständige Komposition lag hier vor, eine Komposition, die sich künstlerisch mit der Tradition auseinandersetzt und dabei ab und zu auch einige Versatzstücke an die Oberfläche spült, nur um diese sofort wieder in den aktuellen Gestaltungsprozess einzubringen. An anderer Stelle war es die Montage von traditionellen Boogie-Rhythmen á la Jelly Roll Morton mit modernen hiphop-artigen Drum-Grooves, die eine ästhetische Auseinandersetzung erzwang. Alles in allem wirkten die drei trotz vielstündiger Anreise erfreulich frisch und unverbraucht, sympathisch, offen, mitreißend und so durften sie auch nicht ohne die erhofften Zugaben von der Bühne herunter.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

11.05.2007: Christian Krischkowsky Quintett

Christian Krischkowsky Quintett im Jazzkeller

Wie Phönix aus der Asche des traditionellen Jazz und Rock

Ein Bandkonzept, das Innovation als Vermeidungsstrategie von Konventionellem betrachtet, überkommene Strukturen radikal zertrümmert und aus den nur allzu bekannten Bruch- und Versatzstücken unkonventionell und ohne Berührungsängste Neues generiert, kann nur als rebellisch bezeichnet werden. Krischkowskys Weg zu neuen Ufern führte aber im Biberacher Jazzkeller zunächst buchstäblich ins Blaue.

Natürlich schmerzt es den Freund der traditionelleren Jazzmusik, wenn lieb gewordene Klischees, kaum dass sie irgendwo aufblitzen, wieder zerlegt oder gar zerfetzt werden und auf dem Abfallhaufen der Geschichte landen.  Natürlich wird der Entspannung und Unterhaltung suchende Zuhörer zunächst einmal verwirrt oder gar verstört auf ständig gebrochene Versprechen reagieren. Aber manchmal wurden die vor vielen Jahren oder Jahrzehnten gewachsenen und mittlerweile völlig verkrusteten Organismen durch das Quintett des Ulmer Schlagzeugers Christian Krischkowsky eben auch sorgfältig filetiert, ihre Erstarrung aufgebrochen und ihr musikalisches Potential in neue, innovative Architekturen eingewoben.

Der „Schritt ins Blaue“ (Stepping In The Blue, Part I & II) oder Kompositionen wie „Rebirth“ oder „TS Bremen“, auch Titelsong der letzten, preisgekrönten CD der Formation, verweisen dabei unmissverständlich auf das rastlose Unterwegssein, auf eine künstlerische Suche, die auch dem mitsuchenden Publikum bestenfalls sporadisch eine Eisscholle zum Ausruhen bietet („Greetings from Spitzbergen“) und nicht wirklich zu einem Zielhafen führt. Diejenigen Zuhörer, die sich auf diese Reise ins Unbekannte einließen, kamen dabei zu immer neuen Orten („Kilimandscharo“), in immer neue Situationen („Bull Rider“, „Late Night Talk“) und in Kontakt zu immer neuen Personen, wobei ein „Mister Sergej“ eine etwas dubiose Rolle spielte.

Geradezu exemplarisch konkretisiert sich das kluge Konzept des Bandleaders Christian Krischkowsky in seiner Komposition „Chili“, die einen ebenso erfrischenden wie die Aufmerksamkeit fordernden Konzertabend beendete. In ungewöhnlicher Komplexität, befördert auch durch die ausgewogene Besetzung des Quintetts aus Andrej Lobanow (Trompete), Florian Riedel (Saxophone und Bassklarinette), Marc Schmolling (Piano) sowie Chris Lachotta (Kontrabass)  in dem keinem der Mitspieler solistischer Vorrang gewährt wurde, keiner eine nur begleitende Rolle übernehmen musste, fügten sich, ästhetischen Aphorismen gleich, Relikte aus der reichhaltigen Jazz- und Rocktradition, gut gewürzt mit Elementen der musikalischen Avantgarde, zu etwas unverkennbar Neuem zusammen. Die Matrix, in der sich Tradition und Avantgarde durchdrangen war dabei unverkennbar eine rhythmisch geprägte. Nicht nur als Komponist, auch als Drummer hielt Krischkowsky bei allem Stil-Pluralismus mit druckvollem Beat in hoher Energiedichte die künstlerischen Fäden in der Hand.