Archiv – Seite 90 – Jazzclub Biberach e.V.

23.09.2011: Masha Bijlsma Band

Masha Bijlsma Band – Tribute to Abbey Lincoln

Es hatte sich offenkundig herumgesprochen in Biberach. Masha Bijlsma, eine der profiliertesten Jazzsängerinnen Europas mit Band war auf Einladung des Jazzclubs eigens aus den Niederlanden nach Biberach angereist. Nach einem etwas verhaltenen Start auf eher niedrigem Energielevel bot das außerordentlich gut besuchte Konzert im Jazzkeller eine groß angelegte Steigerung, die vor allem im zweiten Set helle Begeisterung im überwiegend fachkundigen Publikum aufkommen ließ. Mit Mashas „Tribute to Abbey Lincoln“ brachen schließlich die letzten Dämme bei der niederländischen Spitzenformation und ungeahnte Energien und Inspirationen wurden freigesetzt. Mit einem reichhaltigen Repertoire an sängerischen Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten, von der rauchig-verhauchten Balladenstimme über kraftvoll souligen Stimmklang bis zum frechen Scatgesang, ließ Masha Bijlsma nichts anbrennen und nichts vermissen.

Ihre hochkarätige Begleitband mit dem überaus ambitionierten Kontrabassisten Henk de Ligt, dem Ausnahmepianisten und Mitglied im European Jazz Ensemble Rob van den Broeck sowie ihrem Mann Dries Bijlsma am Schlagzeug hatte Masha übrigens souverän im Griff. Ohne sichtbare Absprachen funktionierte die Kommunikation reibungslos. Ambitionierte Improvisationen eher konventioneller Machart, witzig und oft bis ins Groteske gesteigert kamen, neben verlässlichem Groove, aus der Bassabteilung. Herausragend gelang das kontrapunktisch durchwirkte Duo zwischen Singstimme und Bass in inniger Durchdringung. Aus der Klavierabteilung funkelten spielerische Improvisationen in stupender Technik. Ein breites stiltypisches Ausdrucksspektrum ließ auch hier die Grenzen zwischen Begleitung und melodischer Führungsarbeit verschwimmen.

Zu den absoluten Highlights des Abends gehörte „Go to hell“ von der legendären Nina Simone, der Hohepriesterin des Soul. Eine kapriziöse Masha wirkte hier, ihrem großen Vorbild entsprechend, launig und wandelbar, außerordentlich vielseitig und dabei überaus ausdrucksstark, vor allem aber klang Masha unverwechselbar nach Masha. Hier hat eine überaus talentierte Sängerin ihren eigenen überzeugenden Personalstil gefunden. Besonders inspiriert wirkte sie in der zugegebenen Ballade „For love with Abbey“ von der gleichnamigen CD was das Publikum zu lang anhaltendem dankbaren Applaus bewegte.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

10.06.2011: Peter Autschbach Duo

Mit viel Verve in die Sommersaison

Inspiriertes Peter Autschbach Duo begeistert rundum

BIBERACH (hs) – Vor Beginn der Sommersaison, in der nur die „Rondellkonzerte“ vor Jazz- und Livemusik-Entzugserscheinungen bewahren, ging es im Jazzkeller mit dem Peter-Autschbach-Duo nochmal so richtig ab. Die große Überraschung war aber nicht Peter Autschbach, der seit seinem letzten Biberacher Auftritt 2007 mit „Terminal A“ eine Menge Fans im Oberland hat, die heuer auch ohne große Werbung für eine stattliche Publikumskulisse sorgten. Von dem musicalgestählten (Tommy by the Who, Queen – We will rock you) Peter Autschbach durfte man exquisites Gitarrenspiel, kammermusikalische Dichte und polyphone Transparenz, durchsetzt durch virtuose Improvisationen, beseelt durch eine geradezu innige Klangkultur, um nicht zu sagen Klangfetischismus, erwarten. Allein die Töne, die er seiner Bariton-Gitarre entlockte, ließen einen in Verzückung geraten. Kristallklar in den hohen Lagen, satt und volltönend in den Mitten und Tiefen lieferte er damit das Fundament für die große Überraschung des Abends: Samira Saygili.

Klingt der Name der jungen Deutsch-Türkin schon nach den sinnlichen Freuden des Orients, so kommt die enorme stimmliche Ausdruckspalette und Bühnenpräsenz der Sängerin einer Offenbarung gleich. Nach Stationen im Staatstheater Karlsruhe (klassischer Gesang), Maastricht (Bachelor of Arts) und New York („Jazz bis zum Umfallen“) hat Samira Saygili einen eigenen hochexpressiven und dennoch natürlich wirkenden Gesangsstil gefunden, der buchstäblich unter die Haut geht. „Moanin“, „Cheek to Cheek“, „Sophisticated Lady“ und andere beliebte Standards boten den Publikum gleichermaßen Bewährtes mit hohem Wiedererkennungswert als auch Innovatives in den spezifischen Neu-Arrangements von Peter Autschbach ebenso wie in den eigenwilligen Neuinterpretationen von Samira Saygili.

Vor  allem im zweiten Set konnten die Beiden die achtstündige Autobahnfahrt vollends abschütteln und mit überschäumender Spielfreude ihr Publikum mitreißen. Zu den besonderen Highlights gehörte die Neuinterpretation des Bossa-Highlights „Girl from Ipanema“ von Antonio C. Jobim. Passend zum 80. Geburtstag von João Gilberto, dem „Vater des Bossa Nova“, der zusammen mit Jobim, vor allem durch seinen dezent-relaxten Gesang und sein synkopenreiches Gitarrenspiel den Latin Jazz auf den Weg brachte, erklang eine faszinierende Musik, fernab der unsäglichen Partymixturen mit der automatisierten Begleitung aus der Retorte irgendwelcher Synthesizer-Sequenzer. Mehrere gern gewährte Zugaben beendeten einen erfüllten Jazzabend, der süchtig machen könnte. Eine interessante Fußnote setzte der Biberacher Christof Reck alias Mister Speiche, der seine zweite selbstgebaute Jazzgitarre Peter Autschbach zum fulminanten Spiel überließ und dafür Lob und Anerkennung vom Meister wie auch vom Publikum erhielt.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

27.05.2011: Arne Huber Quartett

Arne Huber Quartett bietet höchste Quartettkultur

Gilt in der klassischen Kammermusik das Streichquartett als die Standardbesetzung schlechthin, innerhalb der sich in höchster Verdichtung schnörkellos das wichtigste Anliegen der Komponisten artikuliert, so wurde im Jazz das Quartett aus Melodieinstrument, Klavier, Bass und Schlagzeug zur universalen, repräsentativen Instrumentenzusammenstellung. Auch wenn das Klaviertrio weiter verbreitet ist, bietet die Einbindung eines reinen Melodieinstrumentes den größeren Farbenreichtum und die größere Ausdruckspalette.  Arne Huber (Kontrabass) hat mit seinem Quartett, welches er auch größtenteils mit eigenen Kompositionen versorgte, diese erweiterten Möglichkeiten erstaunlich gut genutzt und damit wohl zuerst seine hochkarätigen musikalischen Mitstreiter und dann auch das Biberacher Publikum überzeugt.

Ohne Zweifel hätte der einmal mehr herausragend agierende Rainer Böhm mit seinen genialen Improvisationen, unaufgeregter Virtuosität und brillanter Technik auch in einem Klaviertrio (z.B. zusammen mit Dieter Ilg) oder als Solist eine gute Figur gemacht. So jedoch hat der Schweizer Saxophonist und Klarinettist Domenic Landolf mit seiner hohen Spielkultur und großer Individualität den Ohren der zahlreichen Gäste im Jazzkeller eine durchaus willkommene klangliche und strukturelle Abwechslung sowie Rainer Böhm immer mal wieder rekreative Momente in der Rolle des Klavierbegleiters beschert. Auch den seit vielen Jahren in New York lebenden Schlagzeuger Jochen Rückert, dessen Projekte mit dem Marc Copland Trio, John Abercrombie, Joachim Kühn, Pat Metheny, Till Brönner und anderen Größen sich wie ein „Who’s Who“ des Jazz lesen, in eine Quartettformationen zu bekommen, zeugt von Qualitäten, die sich erst bei genauem Hinhören erkennen ließen. Arne Huber war ständig präsent, stand mit seinem Bass aber niemals im Vordergrund. Arne Huber war immer der devote Begleiter, der seine Mitstreiter mit sicherem Fundament, stimulierendem Groove und neuen Ideen versorgte. Arne Huber war aber auch derjenige, der es vermochte drei hochrangige musikalische Individualisten in jeweils eigenen stilistischen Universen zu bändigen und in einem ungemein reichhaltigen Konglomerat  in kontrapunktischer Verzahnung zusammen zu fügen. Die Vermeidung von standardisierten Patterns und hohlen Phrasen, am sinnfälligsten bei Jochen Rückert, schien dabei zu einer der Leitlinien des Quartetts zu gehören. Dabei beschritt Arne Huber mit seinen eher neutral gehaltenen Songtiteln auch nicht den einfachen Weg, dem Zuhörer vermeintliche Hör- und Verständnishilfen in Form poetischer Überschriften oder Erläuterungen zu geben aber damit zugleich die Fantasie zu fesseln. Er beließ damit der Musik ihre Magie und Universalität und kam, vielleicht sogar gerade deswegen, beim Publikum bestens an.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

13.05.2011: Paata Demurishvili

Kooperation Partnerschaftsverein und Jazzclub Biberach e.V.

Paata Demurishvili zaubert vor vollem Haus

Dreistellige Publikumszahlen finden sich im Jazzkeller nicht alle Tage. Zumal Jazz immer noch vielfach als elitäre Musik für eingefleischte Fans gilt. Der georgische Tastenmagier, der am vergangenen Freitag in Biberach zum wiederholten Male zauberhafte Fusionen aus Jazz und Klassik zu Gehör brachte, spricht jedoch mittlerweile einen breiten Fankreis an, nicht nur im Umfeld der Telawifahrer. Paata überrascht und begeistert immer wieder aus Neue.

Paata Demurishvili, dessen pianistische Grundlagen noch in der russischen Klassikschmiede gelegt wurden, nutzte die neugewonnene Freiheit nach dem Ende der Sowjetära um Brücken zum Jazz zu bauen. In der Improvisationskunst des Jazz hat er auch die künstlerische Freiheit und neue musikalische Heimat gefunden, die wirklich Neues schafft und nicht nur das alte konserviert. Als mächtiger Improvisator, der mit seiner Spontaneität heute seinesgleichen sucht, findet er immer neue Wege die Tradition klassischer, auskomponierter Klaviermusik aus dem Geiste des Jazz neu zu erfinden. Dabei ist es für ihn sekundär, ob die Inspiration aus Barock, Klassik oder Moderne erwächst. Paata kann seine schöpferischen Ideen ebenso aus Gershwins „Summertime“ oder aus Bachs Kantate über „Jesu, bleibet meine Freude“ und natürlich auch aus georgischer Folklore ziehen. Sein Zugriff ist immer originär, weil er die konstitutiven Elemente seiner Vorlagen – melodische Formeln oder Ganztonleitern beim modernen Klassiker Gershwin, harmonische Wendungen, Motive oder den polyphonen Duktus bei Bach – aus dem Augenblick heraus neu strukturiert, weiter entwickelt, kombiniert, karikiert und parodiert. Natürlich fährt der in Mannheim lebende Musiker dabei immer volles Risiko. Nicht immer sind die Ideen oder auch die Ausführung gleich genial. Ein positives Feedback aus dem Publikum steigert jedoch die Motivation und Inspiration und macht so, wie der Künstler anmerkte, jedes Konzert zu einem Unikat, unwiederholbar, authentisch, original. Welch wohltuende Alternative zu immer wieder in gleicher Weise abgenudelten Plagiaten oder gar am Schreibtisch mit minimalistischer musikalischer Substanz aber gewaltigem Technikeinsatz konstruierten Hochglanzprodukten für den Massenmarkt.

In Paatas musikalischen Preziosen findet sich ebenso Platz für Feinsinniges, Subtiles, in feinsten Nuancen Schattiertes oder auch in schlichten Kantilenen dahin Strömendes wie auch für mächtige Klang- und Akkordgebäude, vollgriffig Dramatisch-Ekstatisches in Rachmaninow-Manier: Ein Universum an Ausdrucksmöglichkeiten, welches schier unerschöpflich zu sprudeln scheint. Wann spielt er wieder in Biberach?

Gez. Dr. Helmut Schönecker