Archiv – Seite 4 – Jazzclub Biberach e.V.

01.12.2023: Rolf Richie Golz

Ausverkauftes Finale der Heimattage-Konzertreihe im Jazzkeller

Rolf Richie Golz fasziniert und begeistert mit seinen „Bildern für Piano Solo“

BIBERACH – Eine lebhafte Fantasie, starke Empathie, eine außergewöhnliche Beobachtungs- und Auffassungsgabe gegenüber äußeren Eindrücken sowie die künstlerischen Mittel zur deren Umsetzung kennzeichnen den Biberacher Komponisten und Jazzpianisten Rolf Richie Golz. In der Region und weit darüber hinaus beileibe kein Unbekannter und wohl auch dank einer großen Schar begeisterter Klavierschülerinnen und – schüler, war bereits sein Trio-Konzert im Januar, zur Eröffnung der Konzertreihe anlässlich der baden-württembergischen Heimattage in Biberach, vorzeitig ausverkauft. Und auch zum Abschlusskonzert dieser Konzertreihe des Jazzclubs reichten die Plätze im Jazzkeller nicht aus, um all die begeisterten Fans zu fassen. Und ebendiese entließen den umjubelten Künstler auch erst nach der dritten Zugabe von der Bühne.

Als sympathischer, unverkrampft auftretender Moderator seiner eigenen Kompositionen vermochte es Golz, die Intentionen seiner „Bilder für Klavier“ anschaulich zu erklären. Indem er die Umstände der Entstehung seiner Stücke, etwa eine Reise an die Ostsee, nach Litauen, mit dem Besuch der kurischen Nehrung mit ihren riesigen Sanddünen („Dünen“) oder die Eindrücke eines ganz normalen Samstags – „Saturday Afternoon“ – im oberschwäbischen Ingoldingen umriss. Solchermaßen eingestimmt lauschten viele Zuhörer, oft sogar völlig entrückt mit geschlossenen Augen den musikalischen Eindrücken dieser Szenerien. Der leise rieselnde Sand auf der größten Düne Europas wurde pittoresk durch flirrende, glitzernde Tonkaskaden in Musik umgesetzt, die umtriebigen Schwaben mit ihren riesigen, lärmenden Traktoren und deren samstägliche Aktivitäten rund um Haus und Garten, inspirierten den künstlerischen Langschläfer zu heftigen, übereinander getürmten Akkorden á la Schostakowitsch und wilden, hektischen, ja aggressiven, mitunter bedrohlich klingenden Passagen im fortissimo. Plastisch herausgearbeitete, oft weit gespannte Melodielinien etwa in „Dijon“ (im Gedenken an eine Jugendliebe) und einprägsame Akkordpatterns über vertrackten Rhythmen („Fifty Eights“ – ein zusammengesetzter 50/8-Takt anlässlich seines 50. Geburtstages) wechselten mit virtuosen, oft wohl auch ganz freien Improvisationen in einer breiten stilistischen Palette.

Klassische, romantische oder impressionistische Stilelemente neben solchen aus Pop, Rock und Jazz fließen bei Rolf Richie Golz zu einem authentischen Individualstil zusammen, zu einer farbigen, kaleidoskopartigen und gut nachvollziehbaren „Cross Over Piano Music“, die man gerne auch auf einer, leider bisher noch nicht erschienenen CD oder wenigstens in einem Streamingdienst hören würde. Lässt doch der pittoreske Erlebnischarakter dieser Musik sie auch für musikalische Laien gut hör- und fühlbar werden, auch wenn die blues- oder jazzlastigen Zugaben, etwa in den „Reflections“ von Keith Jarrett, die Puristen unter den Jazzfans mitunter doch noch etwas mehr inspiriert haben dürften.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

Rolf Richie Golz

Am 01.12.2023 um 20:30 Uhr

Ort: Jazzclub Biberach

Beschreibung

Nachdem das Jazzkonzert mit seinem Trio im Rahmen der Biberacher Heimattage Anfang des Jahres in Windeseile ausverkauft war und viele Fans in die Röhre schauen mussten, gibt es jetzt eine Neuauflage mit seinem aktuellen Piano Solo-Programm „Bilder für Klavier“. Der Biberacher Pianist Rolf Richie Golz stellt auf Einladung des Jazzclubs im Jazzkeller eine Reihe ausnotierter, bildhafter Titel mit unterschiedlich umfangreichen Improvisationsanteilen vor. Sein individueller Stilmix aus Pop-, Rock-, Jazz- und klassischen Elementen führt in eine kreative „Cross Over Piano Music“ mit pittoreskem Erlebnischarakter, ohne dabei in das Genre der „Programm-Musik“ abzugleiten.

Foto: Steffen Dietze

Eintritt: 19 Euro / Jazzclub-Mitglieder 15 Euro / Studenten 10 Euro / Biberacher Schüler frei

17.11.2023: Andy Herrmann Quartett

Andy Herrmann Quartett präsentierte „Sincerity“

BIBERACH – Bereits zum zweiten Mal im Rahmen der diesjährigen Konzertreihe des Jazzclubs anlässlich der Biberacher Heimattage stand Andy Herrmann auf der Bühne des erneut vollbesetzten Jazzkellers. Diesmal mit seinem seit 2016 bestehenden Quartett aus Arne Huber am Bass, Samuel Leipold an der Gitarre und Bastian Jütte am Schlagzeug und mit seinem neuesten Projekt „Sincerity“ im Gepäck. Stand bei seinem letzten Konzert noch das traditionelle „All American Songbook“ im Mittelpunkt des Geschehens, so war dieses Mal der aktuelle New-York-Stil, inspiriert von Pat Metheny und Lyle Mays, angereichert mit diversen europäischen Gestaltungselementen Gegenstand der erlesenen Darbietungen.

Polymetrisch angelegt, nach dem Vorbild einer spätmittelalterlichen Praxis in der „Mensuralmusik“ und gleichermaßen verwandt mit der komplexen afrikanischen Rhythmik, die ebenfalls die Gleichzeitigkeit verschiedener, sowohl gerader als auch ungerader Metren, zusammengehalten nur durch einen „Timekeeper“ kennt, waren die ungewöhnlichsten und wohl auch interessantesten Kompositionen des Bandleaders. Eine Reihe von Titeln erinnerten an die für Musiker besonders schwierige, für Komponisten oft aber auch recht produktive Coronazeit. „Omikron“ und vor allem das zupackende „Deltakron“ in seiner beinahe schon verstörenden Komplexität boten davon einen, von manchem jedoch eher als zwiespältig empfundenen Nachgeschmack. Weitere Nummern aus der Debüt-CD des Quartetts, „The Child in Me“ lockerten das Programm auf.

In der „Mensuralmusik“ der frühen Renaissance, aus der Zeit noch vor der Einführung von Taktstrichen, gab es das dreiteilige tempus perfectum, durch einen Kreis dargestellt und das durch einen Halbkreis dargestellte zweiteilige tempus imperfectum (eine Reminiszenz dazu ist das heute noch übliche C als Symbol für den 4/4 Takt). Im Zusammenwirken beider metrischer Ebenen entstand ein abwechslungsreiches, eigenartig schwebendes, besonders die niederländische Vokalpolyphonie charakterisierendes, relativ freies Rhythmusgefühl, welches dort vor allem durch die differenziertere Wortausdeutung seine Berechtigung fand. Die Transformation dieses Prinzips auf die stilistisch komplexe Gegenwartsmusik führt bei Andy Herrmann ebenfalls zu einer schwebenden Leichtigkeit und zu einer prickelnden, vielseitigen Rhythmik. Diese bildet eine durchaus willkommene Abwechslung zu den eher gleichförmig hämmernden Dance-Beats der letzten Jahre und Jahrzehnte. Ein 13/8-Takt kombiniert mit einem 13/4-Takt im fliegenden Wechsel mit einem 7er-Takt in den Improvisationsteilen und gleichzeitig unterlegten geraden Rhythmen im Schlagzeug scheint nur auf den ersten Eindruck konstruiert und steril. Wenn aber alle Mitwirkenden auf einer Wellenlänge zusammengefunden haben, ergibt sich daraus ein faszinierender und stimmiger Groove, der sich über den bloßen Tanzcharakter vieler moderner Rhythmen erhebt und gepaart mit der erweiterten Tonalität und Harmonik des Modern Jazz auf den Hörer eine befreiende Wirkung ausübt.

Apropos Groove. Der typische aus der Dance-Szene bekannte Drum-’n‘-Bass-Groove war ebenfalls eine der Inspirationsquellen, der Andy Herrmann ein Experiment mit dem Einsatz zweier zusätzlicher Keyboards und entsprechender Computersoftware bzw. einem Sequenzer im „Groovy Song“ widmete. Der hochdekorierte Münchner Drummer Jütte schien dabei allerdings deutlich unterfordert. Das Zusammenspiel mit den elektronischen Taktgebern wirkte angespannt und war nicht wirklich erfrischend. Immerhin trauten sich die Künstler nach elektronischer Tempovorgabe dem Stück ein „unbegleitetes“ Intro voranzustellen und schafften es doch tatsächlich, sich durch den späteren Einsatz der KI nicht völlig aus dem Takt bringen zu lassen. Handgemacht und analog hat wohl im Live-Betrieb durchaus noch seine Vorzüge. Eine KI-freie Polymetrik ist der elektronisch getakteten Polyphonie künstlerisch allemal überlegen. Gewissermaßen als Wiedergutmachung durfte Jütte danach aber noch ein ausgedehntes, hoch-virtuoses und entsprechend umjubeltes Schlagzeugsolo zelebrieren.

Als Hommage an Herrmanns anwesende Mutter erklang gegen Ende des kurzweiligen Konzertes noch der Titel „First Date“. Zuvor verarbeitete er in dem eindrucksvollen und eindringlichen Titel „Hambuscht“ über den gleichnamigen Kinderschreck aber noch ein frühes Kindheitstrauma auf einem Äpfinger Bauernhof, bei dem auch eine Spieluhrmelodie eine dominierende Rolle spielte. Danach erklang als Zugabe noch eine stimmungsvolle Komposition von Pat Metheny, „Straight On Red“.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

Andy Herrmann Quartett

Am 17.11.2023 um 20:30 Uhr

Ort: Jazzclub Biberach

Beschreibung

Die eigenwilligen Kompositionen des Hochdorfer Pianisten Andy Herrmann oszillieren zwischen getragenen Melodien und einem manchmal kühlen, manchmal verträumten Modern Jazz, der durch das packend agierende Rhythmusduo immer wieder mit neuem Schwung versorgt wird. Detailreich und fein aufeinander abgestimmt agiert das ANDY HERRMANN QUARTETT, zu verschworener Einheit verschmolzen, aus der die Solisten wie selbstverständlich hervortreten und den Zuhörer in ihren Bann ziehen.

Besetzung: Andy Herrmann (p), Samuel Leipold (git), Arne Huber (b), Bastian Jütte (dr)

Foto: Gerhard Richter

Eintritt: 19 Euro / Jazzclub-Mitglieder 15 Euro / Studenten 10 Euro / Biberacher Schüler frei

Beppe Gambetta

Am 16.11.2023 um 20:00 Uhr

Ort: Gemeindehaus St. Martin

Beschreibung

Der Gitarrist und Sänger Beppe Gambetta wurde in Genua geboren und begann seine musikalische Ausbildung in einem Orchester für  klassische Plektrum-Gitarre. In Auseinandersetzung mit verschiedenen europäischen und amerikanischen Spieltechniken entwickelte er anschließend seinen eigenen unverwechselbaren Stil. Als Solist absolvierte Beppe Gambetta ausgedehnte Tourneen in Europa, Kanada, USA, Argentinien und Australien und entdeckte bzw. propagierte dabei das „Flatpicking“ und andere traditionelle Techniken auf der Gitarre.

Eintritt 19 Euro – ermäßigt 15 Euro
Vorverkauf: Stadtbuchhandlung

Foto: Hans-Bernd Sick

In Kooperation mit Städte Partner Biberach e.V.

10.11.2023: Open The Box Trio

OpenTheBox statt Büchse der Pandora

„Unperfect Buildings“

BIBERACH – Selten oder gar noch nie zuvor dürfte es eine künstlerische Hommage an das „Unperfekte“ gegeben haben. Selten oder gar einzigartig ist auch der musikalische Weg, den Christian Krischkowsky mit dem neuen Album „Unperfect Buildings“ und seinem neu gegründeten Trio eingeschlagen hat. Gemeinsam mit dem Regensburger Gitarristen Andreas Dombert und dem Tübinger Kontrabassisten Axel Kühn hat der Ulmer Komponist und Schlagzeuger nun in einem CD-Release-Konzert im Jazzkeller dieses ungewöhnliche Projekt vorgestellt. Die Publikumsresonanz war durchweg positiv, die gebotene Musik frisch, authentisch und unvergleichlich.

„Helmut“ hieß der Opener des Konzertabends, „Franz-Josef-Land“ der Titel des zweiten Stückes, beide Nummern an Krischkowskys Jugendjahre in München erinnernd. Aber nicht Helmut Schmid und auch nicht Franz Josef Strauß werden darin hofiert. „Helmut“ steht für Helmut Dietl, den von Krischkowsky so bewunderten Regisseur, Drehbuchautor und Schöpfer des bis zur Komik bodenständigen Münchner Stenz „Monaco Franze“, dargestellt von dem Schauspieler Helmut Fischer. Dessen Motto „Ein bisserl was geht immer“ und dessen skurrile Authentizität passen durchaus auch zu Krischkowskys Musik. Dessen Bekenntnis zu Thelonious Monk im Titel „Please, Hold The Line, Thelonious!” verdeutlicht weiterhin seinen ästhetischen Ansatz. Monk, von seinen Zeitgenossen oft als introvertierter Exzentriker beschrieben, revolutionierte als Autodidakt mit seinem unkonventionellen Stil den Jazz wie kaum ein anderer vor ihm. Und tatsächlich interpretiert auch der Ulmer Komponist mit den „Unperfect Buildings“, wie in seinem Press-Reader angekündigt, den Kanon des Jazz ziemlich neu und ungewöhnlich.

Elaborierte Kompositionen, minutiös ausnotiert und im perfekten Timing ausgeführt erinnern an die klassische Moderne. Komplexe Rhythmen, überraschende Wendungen, plötzliche Tempo- und Dynamikwechsel sowie hoch differenzierte Formstrukturen sind ohne detaillierte Notation kaum zu meistern. Und dennoch verschafften sich die drei Protagonisten immer wieder den jazztypischen Freiraum für kreative Improvisationen, oft in spannender Interaktion zwischen einem sehr melodisch gespielten Kontrabass und meist kuschelig weichen Gitarrenklängen. Letztere klanglich aufpoliert durch verschiedene Effektgeräte.

Plastisch und anschaulich dargestellt fanden die „Dolphins near Venice“, die während der coronabedingten Produktionspause der italienischen Industrie überraschend schnell den Weg in die nun weniger schmutzige Lagune fanden, auch ihren leichten und beschwingten Weg in die Musik. Weit gespannte Melodielinien über komplexer Rhythmik in „Bird on a cherrytree“ erzeugten eine heitere, schwebende Leichtigkeit über permutatorisch organisierten Begleitfiguren in der Gitarre im Stil der „Minimal Music“. Die sehnsüchtige Suche nach dem Sinn des Lebens verbirgt sich wohl hinter dem schwermütigen „Un Giorno“ während „Strange Night In Paris“ durch zahlreiche Takt- und Rhythmuswechsel tatsächlich eine befremdliche Wirkung erzielt.

Die nach anhaltendem Applaus als Zugabe gespielte Cover-Version von „Under the Bridge“, einem der erfolgreichsten Songs der kalifornischen Crossover-Band „Red Hot Chili Peppers“, handelt im Original von dem einsamen Kampf eines Drogenentzuges. Die emotionale Tiefe und kammermusikalische Transparenz der Trioversion war völlig untypisch für eine Zugabe und unterstrich schlussendlich nochmal den unkonventionellen Zuschnitt der „unperfekten Gebäude“ und Krischkowskys bewusste „Gegen-den-Strich-Ästhetik“. Im Unterschied zur Büchse der Pandora lässt sich diese „Box“ getrost öffnen.

Text und Fotos: Helmut Schönecker