Archiv – Seite 2 – Jazzclub Biberach e.V.

10.11.2023: Open The Box Trio

OpenTheBox statt Büchse der Pandora

„Unperfect Buildings“

BIBERACH – Selten oder gar noch nie zuvor dürfte es eine künstlerische Hommage an das „Unperfekte“ gegeben haben. Selten oder gar einzigartig ist auch der musikalische Weg, den Christian Krischkowsky mit dem neuen Album „Unperfect Buildings“ und seinem neu gegründeten Trio eingeschlagen hat. Gemeinsam mit dem Regensburger Gitarristen Andreas Dombert und dem Tübinger Kontrabassisten Axel Kühn hat der Ulmer Komponist und Schlagzeuger nun in einem CD-Release-Konzert im Jazzkeller dieses ungewöhnliche Projekt vorgestellt. Die Publikumsresonanz war durchweg positiv, die gebotene Musik frisch, authentisch und unvergleichlich.

„Helmut“ hieß der Opener des Konzertabends, „Franz-Josef-Land“ der Titel des zweiten Stückes, beide Nummern an Krischkowskys Jugendjahre in München erinnernd. Aber nicht Helmut Schmid und auch nicht Franz Josef Strauß werden darin hofiert. „Helmut“ steht für Helmut Dietl, den von Krischkowsky so bewunderten Regisseur, Drehbuchautor und Schöpfer des bis zur Komik bodenständigen Münchner Stenz „Monaco Franze“, dargestellt von dem Schauspieler Helmut Fischer. Dessen Motto „Ein bisserl was geht immer“ und dessen skurrile Authentizität passen durchaus auch zu Krischkowskys Musik. Dessen Bekenntnis zu Thelonious Monk im Titel „Please, Hold The Line, Thelonious!” verdeutlicht weiterhin seinen ästhetischen Ansatz. Monk, von seinen Zeitgenossen oft als introvertierter Exzentriker beschrieben, revolutionierte als Autodidakt mit seinem unkonventionellen Stil den Jazz wie kaum ein anderer vor ihm. Und tatsächlich interpretiert auch der Ulmer Komponist mit den „Unperfect Buildings“, wie in seinem Press-Reader angekündigt, den Kanon des Jazz ziemlich neu und ungewöhnlich.

Elaborierte Kompositionen, minutiös ausnotiert und im perfekten Timing ausgeführt erinnern an die klassische Moderne. Komplexe Rhythmen, überraschende Wendungen, plötzliche Tempo- und Dynamikwechsel sowie hoch differenzierte Formstrukturen sind ohne detaillierte Notation kaum zu meistern. Und dennoch verschafften sich die drei Protagonisten immer wieder den jazztypischen Freiraum für kreative Improvisationen, oft in spannender Interaktion zwischen einem sehr melodisch gespielten Kontrabass und meist kuschelig weichen Gitarrenklängen. Letztere klanglich aufpoliert durch verschiedene Effektgeräte.

Plastisch und anschaulich dargestellt fanden die „Dolphins near Venice“, die während der coronabedingten Produktionspause der italienischen Industrie überraschend schnell den Weg in die nun weniger schmutzige Lagune fanden, auch ihren leichten und beschwingten Weg in die Musik. Weit gespannte Melodielinien über komplexer Rhythmik in „Bird on a cherrytree“ erzeugten eine heitere, schwebende Leichtigkeit über permutatorisch organisierten Begleitfiguren in der Gitarre im Stil der „Minimal Music“. Die sehnsüchtige Suche nach dem Sinn des Lebens verbirgt sich wohl hinter dem schwermütigen „Un Giorno“ während „Strange Night In Paris“ durch zahlreiche Takt- und Rhythmuswechsel tatsächlich eine befremdliche Wirkung erzielt.

Die nach anhaltendem Applaus als Zugabe gespielte Cover-Version von „Under the Bridge“, einem der erfolgreichsten Songs der kalifornischen Crossover-Band „Red Hot Chili Peppers“, handelt im Original von dem einsamen Kampf eines Drogenentzuges. Die emotionale Tiefe und kammermusikalische Transparenz der Trioversion war völlig untypisch für eine Zugabe und unterstrich schlussendlich nochmal den unkonventionellen Zuschnitt der „unperfekten Gebäude“ und Krischkowskys bewusste „Gegen-den-Strich-Ästhetik“. Im Unterschied zur Büchse der Pandora lässt sich diese „Box“ getrost öffnen.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

Open The Box Trio

Am 10.11.2023 um 20:30 Uhr

Ort: Jazzclub Biberach

Beschreibung

Das neugegründete OPEN THE BOX TRIO interpretiert den Kanon des Jazz neu. Das Trio verbindet vertraute Klänge mit neuen Rhythmen und Einflüssen und lässt im Spannungsfeld von Komposition und Improvisaton eigenständige, organische Klangbilder entstehen. Die virtuos fließenden Gitarrenklänge von Andreas Dombert, meist ohne Einsatz zusätzlicher Effekte, sprudeln über die fantasievoll gestalteten Rhythmusgebilde von Christian Krischkowsky. Oder sie bilden die Basis für die erdigen und doch feinen Bassmelodien von Axel Kühn.

Besetzung: Andreas Dombert (git), Christian Krischkowsky (dr), Axel Kühn (b)

Foto: Nicole Müller / lichtausbeute.de

Eintritt: 19 Euro / Jazzclub-Mitglieder 15 Euro / Studenten 10 Euro / Biberacher Schüler frei

09.11.2023: Dieter Ilg Trio

Dieter Ilg Trio bietet Hochkarätiges

Jazzige Variationen über Maurice Ravel

BIBERACH – Seit vielen Jahren regelmäßig zu Gast in Biberach, ist der international renommierte Freiburger Kontrabassist Dieter Ilg im Trio mit Patrice Héral aus Montpellier am Schlagzeug und dem gebürtigen Ravensburger Rainer Böhm am Flügel mehr denn je Garant für herausragenden Trio-Jazz auf allerhöchstem Niveau. In der trotz stimmungsvoller Bistrobestuhlung leider nur locker besetzten Stadthalle stellten die drei Ausnahmekünstler nun ihr jüngstes Projekt „Ravel“ vor, elf außergewöhnliche Variationen über Kompositionen des französischen Impressionisten Maurice Ravel.

Nach Projekten über Verdi, Wagner, Beethoven und Bach, für die er hoch gelobt und mehrfach mit dem Echo Jazz und Jazz Platin Award ausgezeichnet wurde, kam Dieter Ilg auf seinen musikalischen Expeditionen durch Barock, Klassik und Romantik jetzt im Impressionismus des frühen 20. Jahrhunderts an. Ravels Musik entstand in einer Zeit, in der auch der Jazz seine ersten Schritte tat. Insofern scheint das Ziel der Reise erreicht, der Kreis beginnt sich zu schließen, umarmt vom Jazz, organisch eingebettet in die universelle Idee des Jazz als zeitgenössischer, in der Tradition wurzelnder Tonsprache.

„Nun sind Sie wach“, begrüßte Ilg nach dem exponierten Schlagzeugeinsatz Hérals und den wilden Improvisationen des bereits dritten Stückes des Konzertabends, dem „Klaviertrio in a-moll“ aus dem Jahr 1914, sein aufmerksam lauschendes Publikum, welches er nach eigener Aussage leider nur als „Glühwürmchen“ im stimmungsvoll abgedunkelten und durch Tischleuchten illuminierten Saal wahrnehmen konnte. Zuvor erklangen ein eher ruhiges Menuett als Hommage an Joseph Haydn und das im zarten Pianissimo verlöschende „Quatur“ aus Ravels zur Entstehungszeit 1904 äußerst umstrittenem Streichquartett in F-Dur.

Ein zauberhaftes, kaleidoskopartig und farbenfroh glitzerndes Klaviersolo erklang als Intro zu der „Pavane pour une infante défunte“ für Solopiano in G-Dur, ein Frühwerk Ravels. Die Komposition im langsamen, statisch wirkenden royalen Schreittanzrhythmus des 16. Jahrhunderts entstand im Andenken an die im zarten Alter von 18 Jahren an Diphterie verstorbene Prinzessin Helene von Mecklenburg-Schwerin noch während Ravels Studienzeit. Filigrane, mit diversen Besen und Schlägeln erzeugte Effekte und Rhythmen untermalten die oft auch im Unisono von Bass und Klavier erklingenden Themenfragmente, die von freieren, tonmalerischen Teilen aufgelockert wurden. Herausragend hier vor allem die solitären, gleichermaßen feinsinnigen und tiefgründigen Bass-Exerzitien Ilgs, die mit leisen, schabenden Geräuschen von Strohbesen auf Fell und silbrig flimmernden Klavierpatterns in den im dreifachen Pianissimo verhauchenden Schlussteil mündeten.

Verschiedene metrische Schichten, Polyrhythmik und –tonalität, Ganztonskalen und übermäßige Drei- und Vierklänge einer farbigen Harmonik in komplementärer Verzahnung sowie Improvisationen in teils rasanter Virtuosität kennzeichneten die meisten Kompositionen, aus denen vor der Pause besonders noch der „Versuch“ – ohne Titel – herausragte. Ein minutenlanges Schlagzeugsolo mit viel Finger- und Handarbeit aus dem sich schließlich der charakteristische Bolero-Rhythmus herausschälte, bereitete den Boden für das sich hier nur zögerlich entfaltende, im Original omnipräsente Bolero-Thema aus Ravels wohl bekanntestem Werk. Kaum herauskristallisiert verflüchtigte sich dieses auch schon wieder und steht damit sinnbildlich für Ilgs oft hintergründig humorvolle Herangehensweise.

Im zweiten Set kam der Farbenreichtum von Ravels Instrumentationskunst (berühmt geworden besonders durch die Orchestrierung von Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“) in der spezifischen Übertragung auf die Triobesetzung in verblüffender Weise zum Ausdruck. Verschiedenste Spieltechniken, melodisch, polyphon und dynamisch stark ausdifferenziert, konzertant, expressiv, lyrisch, durch Lagenwechsel ins hohe Flageolett und mehrstimmiges Spiel auf dem Kontrabass erweitert und mit zauberhaften, perlenden Tonkaskaden, gewaltigen Akkordschichtungen oder ekstatischen, oft auch humorvollen Soloimprovisationen von Rainer Böhm auf dem Flügel auf Augenhöhe zu Ilg kombiniert und durch Patrice Héral pikant gewürzt, bewirkten einen Farbenreichtum ganz eigener Art. Dem begeistert applaudierenden Publikum wurde eine Zugabe aus dem „Feengarten“ gewährt, durch welche gelegentlich nochmals Bolero-Anklänge durchschimmerten.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

Dieter Ilg Trio

Am 09.11.2023 um 20:00 Uhr

Ort: Stadthalle Biberach
(Theaterstraße 4-8, 88400 Biberach)

Beschreibung

Seit Jahren gehört Dieter Ilg zu den einflussreichsten Stimmen des europäischen Jazz. Sein internationaler Ruf beruht auf seiner elektrisierenden Vitalität im Spiel, seiner intelligenten Neugier, technischen Brillanz und sensitiven Hingabe an den Moment. Dies mündete in drei ECHO-Jazz-Preise. Zu verdanken sind die Auszeichnungen auch seinen beiden grandiosen Kollegen Rainer Böhm und Patrice Héral. Das neue Programm beinhaltet ausgeklügelte Bearbeitungen und feinste Improvisationen zu den Werken Maurice Ravels. Eine perfekt klingende Symbiose. Man muss dieses Trio erleben, zuhören allein genügt nicht.

Besetzung: Dieter Ilg (b), Rainer Böhm (p), Patrice Héral (dr)

Foto: Till Brönner

In Kooperation mit Kulturamt Biberach

20.10.2023: Stefan Schöler Trio

Stefan Schöler Trio mit Finn Wiest im Jazzkeller

Erlesener Trio-Jazz zum Hinhören

BIBERACH – Dem fleißigen Konzertbesucher bot sich in den letzten Jazzkonzerten im Rahmen der Biberacher Heimattage-Konzertreihe ein vertiefter und vergleichender Einblick in die Welt des Klaviertrios, der wohl beliebtesten Besetzung des Jazz überhaupt. Vor vollbesetztem Haus offenbarte jetzt das Stefan-Schöler-Trio mit dem aus Biberach stammenden Ausnahme-Drummer Finn Wiest im Jazzkeller eine durchaus der Avantgarde der Szene zuzuordnende Meisterleistung. Finn Wiest studiert derzeit mit einem Master-Stipendium in New York, dem Mekka des Jazz, und bestritt sein heimatliches Gastspiel mit seinem alten Trio aus den Kölner Studienjahren in bester Spiellaune.

Der nordrhein-westfälische Pianist und Komponist Stefan Schöler, nach seinem Klavierstudium in den Niederlanden und in Schweden vor allem in diversen Triobesetzungen international unterwegs, steht für einen höchst individuellen Zugang zum Jazz und zur Jazz-Improvisation. Nach klassischer Ausbildung und großen Vorbildern wie Keith Jarrett, Carla Bley oder Herbie Hancock hat er zu einem ganz eigenständigen Personalstil gefunden. Niemals überladen oder in kontemplativer Selbstdarstellung versunken, lässt er, trotz herausragender Virtuosität und munter sprudelndem Ideenreichtum seinen Mitspielern viel Raum für deren eigene Einfälle. Gepaart mit spielerischer Interaktion auf Augenhöhe und einer stringenten Dramaturgie der Stücke führte dies zu einer hohen kommunikativen Dichte und komplexen Vielschichtigkeit, die aktives und konzentriertes Hinhören erforderte und nichts mit dem „Easy-Listening“ eines für die Hotel-Lobby tauglichen „Smooth-Jazz“ zu tun hat. In kammermusikalischer Transparenz agierten hier drei Solisten mit viel Leidenschaft in gegenseitigem Respekt und auf gleicher Wellenlänge. Die stilistische Bandbreite dabei war enorm. Ob nervöser Bebop, wilder Free Jazz, quirliger Modern Swing oder relaxter Neobop, ob romantische Ballade mit melodramatischem Tiefgang, heiter beschwingtem Jazz Waltz (Kleiner Walzer), tiefsinniger Vertonung von Psalmen (Psalm 116, Johannes 16,33) oder in der rasanten Rastlosigkeit wilder und ausgedehnter Solo-Improvisationen, der individuelle Zugriff und die spezifische Trio-Charakteristik wurden genreübergreifend immer deutlich.

Schölers Kompositionen aus der 2021 produzierten CD „Wiedersehen“ dominierten das Biberacher Programm. Ausgewählte, gegen den Strich gebürstete Standards aus dem „American Songbook“, zum Ende des ersten Sets etwa Cole Porters „All of you“, jahreszeitlich passend das auf einem französischen Chanson beruhende „Autumn leaves“ im zweiten Set oder die als zweite Zugabe gespielte Ballade „My foolish heart“ rundeten die breitgefächerte Stückauswahl ab. Durchaus zeitkritisch gemeinte, neuere Kompositionen des Bandleaders, wie das zur Eröffnung gespielte „Spiellied“, „Bikini“ oder „Gelbe Blumen“, ergaben schon mal einen Vorgeschmack auf die kommendes Jahr erscheinende neue CD.

Besonders lang anhaltenden Beifall erhielten zwei ausgedehnte Schlagzeugsoli von Finn Wiest. Technisch perfekt mit treibendem Groove und scheinbar völlig unabhängig voneinander agierenden Armen und Beinen entwickelte sich eine grandiose Performance, die große Augen und offene Münder beim begeisterten Publikum verursachten, sich im äußerst reduzierten Mienenspiel des hoch konzentrierten Schlagzeugers aber kaum widerspiegelte. Lukas Keller am Kontrabass gefiel, neben gelegentlichen virtuosen Walking-Bässen und perfektem Timing besonders durch seine plastisch-melodischen Soli mit denen er sich immer wieder aus der nur dienenden Funktion in den Vordergrund spielen konnte. Alles in allem wurde dem begeisterten Publikum hier Trio-Jazz der Extraklasse geboten. Getoppt allenfalls von dem demnächst in der Stadthalle spielenden Dieter-Ilg-Trio.

Text und Fotos: Helmut Schönecker

Stefan Schöler Trio

Am 20.10.2023 um 20:30 Uhr

Ort: Jazzclub Biberach

Beschreibung

Eine Musik, die sich auf traditionelle Improvisationstechniken aus Swing und Bebop beruft, hierbei jedoch nicht auf die Errungenschaften der Modal- und Modernjazz-Improvisation verzichtet . Dabei drängt sich beim Zuhören wie selbstverständlich auf, in dieses Klanggespräch die eigene Geschichte mit hinein zu phantasieren und selbst gänzlich mitzufiebern. Aus Markus Merz‘ „Schlagzeugschmiede“ hervorgegangen: Finn Wiest, Abiturient des Wieland-Gymnasium.

Besetzung: Stefan Schöler (p), Finn Wiest (dr), Lukas Keller (b)

https://stefanscholer.com/ensembles/stefan-scholer-trio/

Eintritt: 19 Euro, Jazzclub-Mitglieder 15 Euro, Studenten 10 Euro, Schüler frei