Archiv – Seite 108 – Jazzclub Biberach e.V.

30.04.2004: Jazz Pistols  

Gutgelaunte Jazz Pistols im Jazzkeller

Psychedelischer Fusion Jazz wie aus der Pistole geschossen

Schnörkellos, direkt und unmittelbar, geradeheraus und ungeschützt, offen, ehrlich und dabei ziemlich laut, das waren die dominierenden Eigenschaften der Jazz Pistols aus dem Rhein-Neckar-Raum, die im gutgefüllten Jazzkeller die letzte Aprilnacht verheizten und dabei ihre aus weitem Rund angereiste Fangemeinde hell begeisterten.

Kein geruhsamer Wochenausklang, kein seicht plätschernder Unterhaltungs-Swing, kein vergeistigtes Flechtwerk musikalischer Ornamentik oder anderweitiges Drumherum waren angesagt. Stattdessen bauten die Jazz Pistols eine schnelle Direktschaltung auf, zu jener Stelle hinter dem Solarplexus an der gemeinhin das Zentrum des Fühlens angesiedelt ist. Musik für den Bauch, aus dem Bauch und wohl auch von Herzen kommend. Völlig „straight“, mehr dem Funk und Rock denn dem Jazz verpflichtet, höchst leidenschaftlich und mit einer Überfülle von Eindrücken aus einer gerade abgeschlossenen mehrwöchigen Afrika-Tournee angereichert, fesselten die drei Instrumentalvirtuosen ihr Publikum irgendwo zwischen  Zawinuls Birdland, Chick Coreas Spain und einigen Bela Fleck – Titeln mit lebendig groovenden Eigenkompositionen. Vor allem der mit einer nimmermüden „Mannemer Gosch“ ausgestattete Thomas „Lui“ Ludwig durchglänzte mit seinen trollig-originellen An- und Abmoderationen und seinen zupackenden Drum-Grooves im Stile des frühen Phil Collins den unkonventionellen Auftritt der Jazz Pistols.

Es gibt wenige gute Fusionbands in unseren  Tagen, die Jazz Pistols gehören aber unzweifelhaft zu den besten Formationen dieses Genres, das seine musikalische Heimat zwischen Jazz und Rock findet. Ein offenes Herz für gute Musik jeglicher Coleur und die künstlerische Ausdruckskraft und Energie scheinbar so Widersprüchliches wie Jazz und Rock zusammen zu zwingen machen das Trio zu etwas ganz Besonderem. Gitarren-, Bass- und Schlagzeug-Soli im Stil der ganz großen Rockheroen sind für die Jazz Pistols ebenso eine Selbstverständlichkeit wie die perfekte Beherrschung eines Hightech-Equipments allererster Güte. Schimmerten bei Stefan „Ivan“ Schäfer (Fender und Ibanez-Gitarren) Vorbilder wie Jimi Hendrix und Carlos Santana durch, zeigte sich der ehemalige Berklee Stipendiat Christoph Victor Kaiser (sechssaitiger Fodera-E-Bass)  den Basslegenden Jaco Pastorius und John Patitucci verpflichtet. Die von Kaiser perfektionierte spezielle Spielweise des „tapping“ erlaubte ihm auf seinem Sechssaiter Basslinien mit Harmonien zu verbinden und somit echt polyphon zu spielen, ohne dass der Sound ins mulmige  abrutschte. Schäfer ließ in seinen  rasanten Improvisationen nicht nur die Herzen aller Gitarristen höher schlagen. Erst nach zwei Zugaben durften die temperamentvollen Jazz Pistols von der Bühne. (gez. Dr. H. Schönecker)

03.04.2004: Biberacher Jazzpreis 2004 (Konzert: TubaTuba!)

Biberacher Jazzpreis 2004

„Ich will einen eigenen Sound kreieren“

Von unserer Mitarbeiterin Petra Flaischlen

BIBERACH – Das „Laia Genc Trio“ steht strahlend auf der Bühne in der Biberacher Stadthalle. Dave Bargeron und Michel Godard von der Jazzcombo „TubaTuba!“ überreichen der Band aus Köln den Biberacher Jazzpreis 2004. Das Trio musste sich am Samstagabend beim Preisträgerkonzert mit dem „Schultze Trio“ aus Braunschweig und den „Jujuphonics“ aus Graz messen. Die Gewinner wurden von Publikum und Jury gemeinsam bestimmt.

„Ich bin ziemlich überrascht. Ich habe überhaupt nicht mit dem ersten Preis gerechnet!“, sagt Friedrich Störmer, Bassist des „Laia Genc Trios“. Viel Zeit zum Proben haben die drei Musikstudenten aus Köln nicht gehabt. Für Drummer Nils Tegen, der kurzfristig abgesagt hatte, musste Mirek Pyschny, ein Freund von Bandleaderin Laia Genc, einspringen. Bassist Friedrich Störmer war erst am Vortag von einer USA-Reise zurückgekehrt. „Deswegen werde ich heute abend wahrscheinlich auch nicht mehr groß feiern gehen. Ich habe noch ziemlichen Jetlag …“, sagt er.

Der Biberacher Jazzpreis findet seit 1990 im Turnus von zwei Jahren statt. Jazzmusiker aus ganz Deutschland, aus Biberachs Partnerstätten, aus Österreich und aus der Schweiz können daran teilnehmen. Bedingung ist lediglich, dass die Bandmitglieder nicht älter als 25 Jahre sind.

Dr. Helmut Schönecker, Musiklehrer am Wieland Gymnasium Biberach und selbst ein „Jazzer“, hat den Biberacher Jazzpreis mit ins Leben gerufen. „Dieser Preis ist sozusagen mein Baby!“, erklärt er. „Die ersten Jahre mussten wir noch bangen, dass wir genügend Bewerbungen zusammenbekommen, dieses Jahr konnten wir aus über 30 Teilnehmern auswählen!“ Der Wettbewerb befinde sich auf einem ausgesprochen hohen Niveau und werde immer anspruchsvoller, so Schönecker. „Die deutschen Jazzer können auch auf internationaler Ebene mithalten. Bei den jungen Bands gibt es eine breite Spitze“, ist er sicher.

Preis in Jazzkreisen bekannt

Der erste Preis ist mit 1200 Euro dotiert. „Wir werden das Geld aufteilen und wieder in unsere Musik investieren“, sagt Laia Genc. Die Band hatte schon durch andere Musiker aus Köln vom Biberacher Jazzpreis gehört und auf gut Glück ihr Demoband einge­schickt. „Der Biberacher Preis ist bei Jazzmusikern sehr bekannt“, sagt Laia Genc. Mit 25 Jahren wurde sie gerade noch zum Wettbewerb zugelassen. Den Stil ihrer Musik möchte sie in keine Kategorie einordnen: „Ich wollte mit der klassischen Besetzung, Piano, Schlagzeug und Bass, einen eigenen Sound kreieren!“

„TubaTuba!“ begeistert

Zum Jazzpreis 2004 waren, laut Veranstalter, circa 100 Zuhörer gekommen. Die Preisverleihung fand in der Pause des Galakonzerts von „TubaTuba!“ statt, die ihr Publikum mit Variationen amerikanischer und europäischer Jazzstücke begeisterten. Die Demonstration der „Circular-Breathing­Methode“ von Michel Godard sorgte für donnernden Applaus.

Andreas Winter, Biberacher Musikdirektor und Jurymitglied, unterstreicht die Bedeutung des Biberacher Jazzpreises: „Ein erster Preis hier bedeutet auch im Ausland viel. Aus allen Preisträgern der letzten Jahre ist etwas geworden und auch Laia Genc wird ihre Fußstapfen hinterlassen.“

Schwäbische Zeitung / Biberach – Stadt und Land

  1. April 2004

„Wir sind heute ganz vorne mit dabei!“

Interview von Petra Flaischlen

BIBERACH – Seit 1990 bekommen junge Talente den Biberacher Jazzpreis verliehen. Beim Preisträgerkonzert am vergangenen Samstag überzeugte die Kölner Musikstudentin Laia Genc mit ihren Klavierimprovisationen. SZ-Mitarbeiterin Petra Flaischlen sprach mit Dr. Helmut Schönecker, der den Jazzpreis mit ins Leben gerufen hat.

Wie hat sich der Jazzpreis seit 1990 entwickelt? 

Das Niveau ist sicherlich um einiges gestiegen. Wir sind heute ganz vorne mit dabei! In den ersten Jahren waren noch viele Bands aus der Region dabei. Heute ist die Spitze so hochkarätig und inter­national, dass die Biberacher ein wenig verdrängt werden. Man muss aber auch bedenken, dass sie sich hier mit Studenten von Musikhochschulen messen müssen.

Wie sieht die Jazzszene in Biberach aus? 

Die Biberacher Szene sieht gut aus. Es gibt hier viele fantastische Musiker. In der aktuellen Big Band des Wieland Gymnasiums gibt es eventuell sogar Kandidaten für den nächsten Jazzpreis.

Wie schätzen Sie die Karrierechancen der diesjährigen Preisträgerin Laia Genc ein? 

Ich kann natürlich nicht in die Zukunft, sondern nur in die Vergangenheit schauen: Cornelius Claudio Kreusch, der Gewinner von 1990, zählt heute auch in den USA zu den ganz Großen! Momentan lebt er in New York und hat zahlreiche CDs auf dem Markt.

Wollen Sie beim nächsten Jazzpreis Änderungen vornehmen? 

Natürlich wäre es fürs Publikum attraktiver, wenn noch mehr Bands beim Preisträgerkonzert auftreten würden. Das ist aber aus Kostengründen momentan leider nicht möglich. Wir sind immer noch auf der Suche nach Sponsoren für den Jazzpreis.

Schwäbische Zeitung

  1. April 2004

 

02.04.2004: Local Heroes / Ehemalige Biberacher Jazzer

Jamsession ehemaliger Jazzbiber als Auftaktveranstaltung zum Jazzpreis 2004

Andy Herrmann Trio setzte hohe Standards

Die Veranstaltung „Back Home Biberach“ am Vorabend der Endausscheidung zum Biberacher Jazzpreis soll nach Auskunft der Veranstalter vom Jazzclub Biberach in dieser Koppelung eine neue Tradition begründen und die aus Biberach stammenden Jazzer in regelmäßigen Abständen aus der Fremde auf heimisches Terrain zurückholen.

Um es vorweg zu sagen: der Auftakt war vielversprechend. Mit lyrisch-filigranem Jazz der Referenzklasse gab der Pianist Andy Herrmann, im Trio mit Matthias Daneck am Schlagzeug und dem Münchner Kontrabassisten Henning Sieverts beim ersten Biberacher Jazzgipfel seit vielen Jahren gleich im ersten Set die Standards vor, legte die Meßlatte überraschend hoch. Mit präzise gearbeiteten Eigenkompositionen in gediegener Interpretation, mit sensibel ausformulierten poetischen Motiven besonders in den solitären Improvisationen des Bandleaders sowie mit einer hochdifferenzierten, transparenten Klanglichkeit unterstrich das herausragende Klaviertrio seine Ambitionen auf einen Spitzenplatz in der Szene.

Mit weiteren musikalischen Schwergewichten der nationalen und internationalen Jazzszene, Immanuel Brockhaus, Jochen Feucht und Frank Sikora betraten im zweiten Set keinesfalls nur „local heroes“ die Bretter der Bühne im vollbesetzten Jazzkeller. Die musikalische Eigenständigkeit und Souveränität der drei Ex-Biber, die allesamt namhafte eigene Bands betreiben oder solistisch tätig sind, führte aber erfreulicherweise nicht zu musikalischen Profilierungsversuchen Einzelner auf Kosten der Mitspieler. In bester Jam-Tradition und feinfühliger Rücksichtnahme fanden teils stark kontrastierende musikalische Ansätze zu einem hochinteressanten stilistischen Konglomerat zusammen, welches innere Gegensätze in musikalische Hochspannung verwandelte und es immer wieder vermochte, nicht nur Freude und Begeisterung zu wecken, sondern darüber hinaus „erfüllte Augenblicke“ zu schaffen, in denen einfach alles stimmte und überzeugte.

Besonders erfreulich war auch das Wiedersehen und Wiederhören von Musikern aus der früheren Biberacher Jazzszene (Thomas Kapitel, Wolfgang Mayer) sowie das Hinzutreten aufstrebender junger Musiker (Alexander Braun, Andreas Hämmerle, Ulrich Reck) in einer echten Jam-Session, an der bis zu 10 Musiker beteiligt waren. Das „Realbook“ erwies einmal mehr seine verbindende Kraft und vereinte verschiedene musikalische Generationen und Kulturen. Den roten Faden legte an diesem kurzweiligen Abend Matthias Daneck, der als einziger von Anfang bis zum späten Ende auf der Bühne saß, trefflich groovte, ein solides rhythmisches Fundament legte, immer wieder Akzente setzte und auch nicht mit immer wieder faszinierenden und stimulierenden Soloeinlagen geizte: Schwerarbeit, die sich durchaus lohnte und die Appetit auf weitere lokale Jazzgipfel dieser Art machte.

 

gez.

Dr. Helmut Schönecker

 

 

 

Jamsession ehemaliger Jazzbiber als Auftaktveranstaltung zum Jazzpreis 2004

 

Andy Herrmann Trio setzte hohe Standards

 

Die Veranstaltung „Back Home Biberach“ am Vorabend der Endausscheidung zum Biberacher Jazzpreis soll nach Auskunft der Veranstalter vom Jazzclub Biberach in dieser Koppelung eine neue Tradition begründen und die aus Biberach stammenden Jazzer in regelmäßigen Abständen aus der Fremde auf heimisches Terrain zurückholen.

 

Um es vorweg zu sagen: der Auftakt war vielversprechend. Mit lyrisch-filigranem Jazz der Referenzklasse gab der Pianist Andy Herrmann, im Trio mit Matthias Daneck am Schlagzeug und dem Münchner Kontrabassisten Henning Sieverts beim ersten Biberacher Jazzgipfel seit vielen Jahren gleich im ersten Set die Standards vor, legte die Meßlatte überraschend hoch. Mit präzise gearbeiteten Eigenkompositionen in gediegener Interpretation, mit sensibel ausformulierten poetischen Motiven besonders in den solitären Improvisationen des Bandleaders sowie mit einer hochdifferenzierten, transparenten Klanglichkeit unterstrich das herausragende Klaviertrio seine Ambitionen auf einen Spitzenplatz in der Szene.

 

Mit weiteren musikalischen Schwergewichten der nationalen und internationalen Jazzszene, Immanuel Brockhaus, Jochen Feucht und Frank Sikora betraten im zweiten Set keinesfalls nur „local heroes“ die Bretter der Bühne im vollbesetzten Jazzkeller. Die musikalische Eigenständigkeit und Souveränität der drei Ex-Biber, die allesamt namhafte eigene Bands betreiben oder solistisch tätig sind, führte aber erfreulicherweise nicht zu musikalischen Profilierungsversuchen Einzelner auf Kosten der Mitspieler. In bester Jam-Tradition und feinfühliger Rücksichtnahme fanden teils stark kontrastierende musikalische Ansätze zu einem hochinteressanten stilistischen Konglomerat zusammen, welches innere Gegensätze in musikalische Hochspannung verwandelte und es immer wieder vermochte, nicht nur Freude und Begeisterung zu wecken, sondern darüber hinaus „erfüllte Augenblicke“ zu schaffen, in denen einfach alles stimmte und überzeugte.

 

Besonders erfreulich gestaltete sich das Wiedersehen und Wiederhören von Musikern aus der früheren Biberacher Jazzszene (Thomas Kapitel – E-Bass, Wolfgang Mayer – Saxophon) sowie das Hinzutreten aufstrebender junger Musiker (Alexander Braun – Piano, Andreas Hämmerle – Piano, Ulrich Reck – Gitarre) in einer echten Jam-Session, an der bis zu 10 Musiker beteiligt waren. Das „Realbook“ erwies einmal mehr seine verbindende Kraft und vereinte verschiedene musikalische Generationen und Kulturen. Den roten Faden legte an diesem kurzweiligen Abend Matthias Daneck, der als einziger von Anfang bis zum späten Ende auf der Bühne saß, trefflich groovte, ein solides rhythmisches Fundament legte, immer wieder Akzente setzte und auch nicht mit immer wieder faszinierenden und stimulierenden Soloeinlagen geizte: Schwerarbeit, die sich aber durchaus lohnte und die Appetit auf weitere lokale Jazzgipfel dieser Art machte.

 

gez.

Dr. Helmut Schönecker

 

05.03.2004: Falk Zenker

Konzentrierter Falk Zenker Solo im Jazzkeller

Funktionale Klangarchitektur aus der digitalen Trickkiste

Der Weg ins meditative Nirwana war oftmals nicht allzu weit, wenn  der Gitarrist Falk Zenker am Freitagabend im Jazzkeller an den Knöpfchen seiner Soundmaschinen drehte oder mit diversen Fußschaltern seinen digitalen Live – Sampler bediente, um den Raum bis unter die Decke mit sphärischen Klängen zu fluten. Ein veritabler Musiker mit beachtlichen spieltechnischen Fertigkeiten auf der Gitarre machte sich aber nur vordergründig auf die Suche nach dem ultimativen Sound.

Gleich zu Beginn des Jazzclubkonzertes versetzte Zenker sein Publikum einigermaßen unerwartet ins tiefste Mittelalter, als er die filigranen Melodien eines Hallelujas aus den Zeiten des gregorianischen Chorals kirchentonaler Klangversunkenheit  entriss um eine musikalische Brücke über mehr als 1000 Jahre musikalischer Klanglichkeit zu spannen. Behutsam garnierte er die auf der akustischen Gitarre höchst sensibel und plastisch herausgearbeiteten Melodien der ursprünglich einstimmig unbegleiteten Männergesänge mit arpeggierten, den Raum weitenden Gitarrenakkorden. Mit perfekt polyphonem Spiel umrankte er im zweiten Titel die parallelen Quarten und Quinten der frühen organalen Mehrstimmigkeit mit motettischen Arabesken, die er schließlich, durchaus jazztypisch, vermittels modaler Improvisationen aufbrach und damit auf die Musik der Gegenwart bezog. Zenker zeichnete dabei nicht nur den historischen Weg in die Mehrstimmigkeit und in die bis heute ungebrochen anwachsende Bedeutung der Klanglichkeit nach, und er eröffnete damit, durchaus hintergründig und doppelsinnig, nicht nur das Konzertprogramm, sondern dem Publikum auch mottoartig sein persönliches Anliegen: hypertrophe Klangsinnlichkeit als künstlerischer Selbstzweck.

Es folgten zumeist experimentelle Kompositionen, wie etwa das als quasi therapeutische Unterwassermusik funktional konzipierte „Liquid Cinema“, mit den sicherlich gewollten Anklängen an hoch- und tieffrequente Walgesänge oder esoterische Werke, wie „Grasgeflüster“  und „Windspiel“ unter Einsatz einer afrikanischen Grasharfe oder einer Kalimba. Ob diese aber nur einen psychedelisch-exotischen Weg über die Grenzen des eigenen Ichs hinaus darstellen oder ob sie gar in philosophischer Geistestiefe eine sublime Kritik an inhaltsleerer Klanglichkeit vieler Gegenwartskompositionen verkörpern sollen, muss sich der in den klanglichen Untiefen versunkene Hörer wohl selbst beantworten. In seinen vorgeschalteten Präludien hat Zenker jedenfalls deutlich genug darauf hingewiesen, dass seine kunstvollen Klangarchitekturen keinesfalls nur oberflächliche, angenehm klingende dabei aber unbeseelte ästhetische Illusionen sind. Zenkers Musik hatte gleichermaßen Kraft und Tiefe.

06.02.2004: The Shin

Jazz aus Georgien mit „The Shin“ im Biberacher Jazzkeller

Musikalischer Parforceritt kaukasischer Cowboys

Sichtbare Spielfreude auf Seiten der vier georgischen Musiker und offenkundiger Hörgenuss beim zahlreich erschienenen Publikum vermittelten ein tiefes Glücksgefühl nicht nur beim veranstaltenden Jazzclub. Die Guitar-Nights versprechen zum Erfolgsmodell zu werden.

 

„The Shin took Five“ hieß, in Anspielung auf das berühmte, doch etwas stereotype „Take Five“, eine der herausragenden Eigenkompositionen des inspirierten Konzertabends. Außer dem 5er Takt gab es jedoch keine Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Stücken, im Gegenteil, da wo in „Take Five“ mit minimalistischen Mitteleinsatz und häufigen Wiederholungen ein Ohrwurm installiert wird, da herrschte bei „The Shin“ kreative Vielfalt in jeglicher Hinsicht. Egal ob in dem einleitenden Kosakenritt oder in dem Song von dem Kartoffelbauern, der es auf dem Markt in der großen Stadt gleich mit 20 Ganoven aufnimmt, in den pittoresken Kompositionen der georgischen Band fand sich eine Überfülle von originellen Einfällen in praller Daseinsfreude, voller Temperament und Leidenschaft. Besonders sinnfällig die Stelle, wo der Karren mit den Kartoffeln umfällt – dargestellt vom tadellos agierenden Schlagzeuger Ray Kaczynski, der mit großer theatralischer Geste beinahe sein Set über den Haufen warf.

 

Die klangliche Varianz der Standard-Besetzung aus meisterlich gespielter akustischer Gitarre (ZaZa Miminoshvili), virtuos gezupftem Fretless E-Bass (Zurab J. Gagnidze), Schlagzeug und Gesang war auch für Vollprofis ungewöhnlich. Unter Einsatz aller denkbaren spieltechnischen Mittel und mit einem gehörigen Schuss Exotik bereiteten die vier Musiker mit großer Sorgfalt und ästhetischem Feingefühl einen süffig-prickelnden Klang-Cocktail zu, erzeugten einen eigenständigen, höchst charakteristischen Sound, irgendwo zwischen Folklore, Weltmusik und Jazz. Die modulationsfähige, sympathische Stimme des Sängers Mamuka Ghaghanidze, der vor allem auch mit hierzulande im professionellen Gesang weniger gebräuchlichen Falsetttechniken charmante Effekte erzielte, krönte den prächtigen Klangeindruck. Entstand eben noch der Eindruck von sentimentalem Klezmergesang, groovte es im nächsten Moment in erdiger Bluesrockmanier, glaubte man gerade noch den Ruf des Muezzin aus seinem Minarett zu vernehmen, lockte gleich darauf die inspirierteste Jazzballade in ganz andere Weltgegenden und Etablissements. All diese Mannigfaltigkeit wurde jedoch zusammengehalten durch ein Musikgefühl, auf welches nur der, wenn auch vielstrapazierte, Ausdruck „Vollblutmusiker“ passt. Die aufregende, vielschichtige Musik von The Shin machte durchaus Appetit auf mehr „kaukasische Kultur“. Was immer sich auch ursprünglich dahinter verbergen mag, dergestalt aufbereitet, bietet diese Musikauffassung eine außerordentliche Bereicherung der westlichen Kulturszene oder wo sonst kann man originären Jazz hören, der höchstens beiläufig mal amerikanisch klingt? Erst nach zwei Zugaben, völlig „geschafft“ und durchgeschwitzt, durften die ihrerseits vom Biberacher Publikum begeisterten Georgier die Bühne verlassen.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

23.01.2004: Fabro

Oliver Fabro mit Flamenco-Jazz im Biberacher Jazzkeller

Virtuos-virtuelle spanische Impressionen

Eigentlich war nichts daran Spanisch. Ein Lörracher – Oliver Fabro und zwei Riedlinger – Harry und Wolfgang Eisele – suggerierten dem zahlreich erschienenen Publikum im Biberacher Jazzkeller dennoch in überzeugender Weise spanisches Flair, Temperament und Leidenschaft. Das Trio aus Gitarre, Flügel und einem Sammelsurium an weiteren Instrumenten überzeugte dabei mit seiner beseelten Musik auch Skeptiker.

Leider nur zwei balladenhafte Titel enthielt das vielseitig abwechslungsreiche Programm, diese aber boten Herausragendes: echte, tiefe Emotionen, Sehnsucht ohne Künstlichkeit. Das Publikum saß völlig entrückt und verzückt und brauchte Sekunden nach dem Verklingen des Schlussakkordes um die verklärte Stimmung durch profanen Beifall wieder aufzulösen. Geschickt platziert, nur eines pro Set,  bewahrten diese verträumten Stücke das begeisterte Publikum immer wieder vor dem Abheben. Unter Einsatz spanischer Klatschtechniken aus der Flamencoecke, den Palmas, durch eine höchst virtuos gespielte spanische Gitarre, durch rasende Unisonolinien zwischen Gitarre oder Mandoline und Klavier, durch erfrischende Rhythmen aus dem magischen Dreieck zwischen Spanien, Irland und Südamerika sowie durch leidenschaftliche Improvisationen im Jazzidiom schlug das sichtlich inspirierte Trio zu seinem 15-jährigen Jubiläum alle Anwesenden in seinen Bann, ließ Wogen der Begeisterung aufbranden.

Natürlich tötet eine durchlaufende Bassdrum sofort jeden Samba, Rumba, Son oder Bossa Nova und treibt Puristen zur Verzweiflung. Und natürlich lässt die bunte Vielfalt und ungenierte Mischung verschiedenster Stilmerkmale sofort den Verdacht des Eklektizismus und der Effekthascherei aufkommen. Natürlich fragt sich der Hörer mit geschultem Ohr, ob rasante Staccatopassagen im Unisono aller drei Musiker denn überhaupt sein müssen, wenn sie denn nicht tatsächlich sauber, synchron und wie selbstverständlich daherkommen. Aber wo Fabro draufsteht ist offenkundig auch Fabro drin: Alle ästhetischen Bedenken blieben nur äußerlich und wirkten aufgesetzt, weil die Kraft und Lebendigkeit der Musik sich ihre eigenen Wege bahnte und weil die persönliche Integrität der Musiker aus den Ingredienzien ihres Materials über alle Genres hinweg etwas Neues und Eigenständiges zusammenschmolz, den höchst phantasievollen Personalstil á la „Fabro“.

Ob in einer spanischen Malaguena, einem argentinischen Tango, einem irischen Reel oder einem kubanischen Son, der rhythmische Hauptmacher Wolfgang Eisele an der selbstgebauten Basstrommel und unzähligen weiteren Perkussionsinstrumenten hielt die Fäden in der Hand. So ganz nebenbei spielte der Multiinstrumentalist auch noch Querflöte, Sopran- und Altsaxophon oder die zweite Gitarre, niemals aber bloß die zweite Geige: ebenso wie sein Bruder am Piano ein profunder Aktivposten, über dem sich der souveräne Fabro zu musikalischen Höhepunkten aufschwingen konnte.