Archiv – Seite 107 – Jazzclub Biberach e.V.

27.04.2001: Thomas Scheytt & Enzo Randazzo 

Konzertbericht „Thomas Scheytt“ – Dr. Helmut Schönecker, Lilienweg 1, 88436 Eberhardzell

Thomas Scheytt oder die hohe Kunst des Boogie-Spiels

Der vielbeschäftige Freiburger, der jetzt auf nachdrückliche Einladung des Jazzclubs zum wiederholten Male in Biberach zu hören war, ist kein schweißtriefender, hemdsärmliger Power-Boogie-Klavierspieler sondern als löbliche Ausnahme in der Szene ein wahrer Meister filigran durchgestalteter, dynamisch differenzierter, sensibel modellierter und vor allem mit einem feinen Gespür für agogische Temposchwankungen und gleichwohl mitreissend groovendem Timing gesegneter Pianist der Extraklasse. Den schlagenden Beweis hierfür lieferten zahlreiche mitwippende Füsse, Köpfe oder sonstige Körperteile und eine vielfach nur mühsam gezügelte Lust zum Mittanzen. Ein sorgfältig aufbereiteter, nur sparsam verstärkter Flügelklang mit sonorem Bass und knackigen Höhen komplettierte das Bild des souveränen Unterhaltungskünstlers. Scheytts für diese Stilrichtung ungewöhnliche Gestaltungs- und Ausdruckstiefe, seine ebenso virtuose Bein- wie Fingerarbeit, sein Gespür fürs Publikum und sein überaus kultivierter Anschlag machen aus Boogie, Pianoblues und Ragtime ein elegantes künstlerisches Hochglanzprodukt, dem jede Künstlichkeit abgeht.

Ein mit allen Extras der Luxusklasse ausgestattetes Edel-Waschbrett, fast schon eine Art „Rhythmus-Waschmaschine“, mit Klingeln, Hupen, diversen Metall- und Holzblöcken, Mikrobecken und fingerhutbestückten Spezialhandschuhen, virtuos gemeistert von dem sizilianischen Schlagzeuger Enzo Randazzo, brachte vor allem in den Stepptanzartigen Soloeinlagen nicht nur überschäumende Heiterkeit ins zahlreich erschienene Publikum sondern entfachte regelrechte Beifallsstürme. Am Drumset wirkte Randazzo als dezenter, zweckdienlicher Begleiter, der äußerst aufmerksam und ohne merkliche Verzögerungen auf die feinen agogischen Nuancen Scheytts reagierte.

Zwar nicht ganz 1:1 aber dennoch in einem selten ausgewogenen Verhältnis von Musikdauer und Länge der Beifallskundgebungen zeigte sich ein dankbares, beinahe ergebenes Publikum mit zahlreichen auswärtigen Fans, die teilweise Anfahrtswege über 100km in Kauf genommen hatten. Wenigstens teilweise – so ein weiblicher Fan aus Stuttgart – wurden diese Mühen jedoch durch die moderaten Eintrittspreise und die Bombenstimmung und vollständig natürlich durch die höchst selten zu erlebenden niveauvollen Solo- bzw. Duoauftritte des Freiburger Boogie-Stars (Boogie Connection) im Biberacher Jazzkeller wieder wettgemacht.

Gez. H. Schönecker

02.02.2001: Duo Kappa Golz 

Auftaktveranstaltung zu „The Art of the Duo“ im Jazzkeller

Duo Kappa-Golz hinter den Spiegeln

Zum zweiten Mal steht ein Halbjahresprogramm des Biberacher Jazzclubs unter einem Motto. Nach den “Piano Nights” im letzten Halbjahr 2000 heißt es jetzt „The Art of the Duo“ . Den Veranstaltungsreigen, in dem noch vier weitere Duos unterschiedlicher Besetzung und Stilrichtung folgen werden, eröffnete das in der Region nicht unbekannte Duo aus Rolf Richie Golz am Piano und Matthias Kappa an diversen Percussion-Instrumenten. Die beiden hatten sich vor Jahren im Studio Herzel bei je eigenen Aufnahmen kennen- und schätzen gelernt und beschlossen, ihre Ideen fortan gemeinsam in Musik zu setzen.

Vom verhaltenen Anfang bis zu den befreienden Zugaben lag bei dem Konzert im Jazzkeller eine typische Besetzungsproblematik aller Duos offen zutage. Die Interaktion mit dem immer gleichen Gegen- und Mitspieler setzt, vor allem in freieren, improvisatorischen Teilen ein blindes gegenseitiges Verständnis voraus, andernfalls ergeben sich Brüche und Lücken.

Kappa und Golz haben sich diese Arbeit beileibe nicht leicht gemacht und sie sind dabei auch sichtlich in Hitze geraten. Anstatt sich auf einen gemeinsam entwickelten Stil zu beschränken und stimmige, durchgängige Interpretationen davon zu liefern, haben sie sich im breiten Rund von Vergangenheit und Gegenwart eine eklektizistische Mischung aus Klassik, Pop und Rock aber auch Blues und Jazzelementen patchworkartig zusammengeklaubt und in einerseits frappierende andererseits aber bereits wieder erfrischende Konstellationen gebracht, die durch mitunter jedoch allzu gleichförmige ostinate Begleitformeln á la „Minimal Music“ nur lose zusammengehalten wurden.

Gerade in dieser unkonventionellen, auf den ersten Eindruck fast dilletantisch anmutenden Montage so gegensätzlicher musikalischer Schnipsel schien aber die eigentliche künstlerische Aussage des Duos zu liegen: der Klassik durch den Jazz einen Spiegel vorzuhalten, oder den Blues durch die Rockbrille zu betrachten. Im Lichte des einen wird das andere zur Parodie und umgekehrt. Der Titel der jüngsten gemeinsamen CD-Produktion des Duos „Spiegelbilder“ schien hier nicht nur im Blick auf die beiden sich gegenseitig widerspiegelnden Interpreten Programm zu werden. Denn nicht nur bei Alice beginnt hinter den Spiegeln das Wunderland, in dem alles so anders, so verdreht und verquer daherkommt, dass es gerade dadurch der Wirklichkeit einen Spiegel vorhält, auch Kappa und Golz gelingt es, das Gewohnte, Althergebrachte in eine Form zu bringen, die ein neues Licht darauf wirft, die neue unkonventionelle Hörweisen fordert und die Grenzen niederreißt um neue Perspektiven zu eröffnen.

Gez. Helmut Schönecker

09.12.2000: Candies ’n‘ Dandies 

„Candys and Dandys“ mit Unterhaltungsshow im Jazzkeller

Girls, Girls, Girls & Boys, Boys, Boys

A cappella ist in. “Unplugged” ist in. Eine gute Bühnenshow ist in. Boys und Girls sind in. Und Pop ist sowieso immer in. Alle Ingredenzien zu einem ganz großen Knüller hatten sich also versammelt beim Konzert der „Candys and Dandys“ am Samstagabend im Jazzkeller. Ein nachmittäglicher Sonderauftritt auf dem Biberacher Christkindlesmarkt hat wohl ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen das Publikum in Scharen anzulocken. Und niemand hatte es zu bereuen. Auch wenn Konzentration und Intonation im Verlauf des zweistündigen Auftritts der vier Damen und vier Herren doch merklich nachließen oder der Pianist der agilen Truppe gegen später seine Schäfchen nicht mehr an der rhythmischen Leine halten konnte, der Gesamteindruck war umwerfend.

Für jeden der sorgfältig ausgewählten Songs gab es eine eigene Choreographie und auch effektvolle Standbilder für die Fotografen wurden nicht vergessen. Gewürzt mit komödiantischen Elementen, die stellenweise gar an Szenen aus der „Commedia dell Arte“ erinnerten, entstand eine Art „Gesamtkunstwerk“ ganz eigenen Zuschnitts. Besonders der „Maskensong“ mit seinen roboterhaften Trippeleinlagen und den nach Vorbild des antiken Chores mit Halbmasken ausgestatteten Akteuren rief allgemeine Erheiterung hervor. Und auch wenn sich der Jazzanteil an dieser Unternehmung unter die kritische Marke zurückgezogen hatte, gab der Beifall und die drei erklatschten Zugaben dem Erfolgsrezept der „Candys and Dandys“ recht.

Ab und zu eine balladenhafte Einlage, mit durchaus anspruchsvollen, und auch schwierig zu singenden verqueren Farbharmonien aus der Jazzabteilung, ab und zu eine improvisiert wirkende Scat-Einlage und in der Hauptsache natürlich viel Pop – darunter auch so berühmte Evergreens wie „Girls, Girls, Girls“ von ABBA oder „Ein kleiner grüner Kaktus“ von den Comedian Harmonists – ergaben genau die Mischung, die ankommt. Die Assessoires, wie etwa die nahezu komplette Gärtnerausrüstung zur Kaktuspflege, aber auch witzig-unkonventionelle Arrangements und amüsante szenische Einlagen ließen das Original zumeist schnell vergessen. In Sachen Mimik und Gestik nehmen es die Candys und Dandys locker mit diversen Kabarettisten auf und Singen können sie auch besser.

 

Gez. Helmut Schönecker