Archiv – Seite 106 – Jazzclub Biberach e.V.

10.11.2000: Martin Auer Quartett 

Konzertbericht vom 10.11.2000

Martin Auer Quintett spielte NewComJazz im Biberacher Jazzkeller

Von intergalaktischen Almdudlern und französischen Hinterradlagern

An guter Laune, an kreativen Einfällen, an virtuosen Improvisationen und an begeistertem Applaus gab es wahrlich keinen Mangel beim Konzert mit dem Martin Auer Quintett im Biberacher Jazzkeller. Mit einer bis zum Bersten angefüllten Spielleidenschaft und motiviert bis in die Fußspitzen zauberten vor allem Martin Auer auf seiner Trompete und Florian Trübsbach auf Alt- und Sopransaxophon unerhörte Töne aus ihren Instrumenten. Während Martin Auer noch einige Takte Anlaufzeit benötigte bis die musikalischen Ideen frei strömten, fetzte der Gewinner des Biberacher Jazzpreises 1994 und bayrischer Staatspreisträger 2000, Florian Trübsbach, vom ersten Ton an den spärlichen Zuhörern auch ohne Verstärkung beinahe die Ohren weg. Immer auf hundert Prozent, selbst in Balladen drängend und intensiv, mit einer atemberaubend virtuosen Spieltechnik und einem emotionalen Ausdruck, der ihn alles um sich herum vergessen ließ, fand Trübsbach sofort den Zugang zum Publikum, den richtigen Ton ohnehin.

Fast ausschließlich mit überwiegend hochinteressanten Eigenkompositionen irgendwo zwischen Hard- und Neobop, Funk, Latin und Third Stream atmete jedes Stück eine Vitalität und Expressivität die beinahe greifbar den Raum füllte. Ob der Opener mit dem Titel „Enttäuschungen“ vergangene leidvolle Erfahrungen verarbeitete oder als zarte Kritik am nicht gar so zahlreich erschienenen Publikum zu verstehen, war blieb unbeantwortet. Die phantasievollen Titel wie „Intergalaktischer Almdudler“, „Hingehenkt“, „Fisadé“ oder „Hinterradlager“ fanden alle ihre musikalische Entsprechung in ebenso kreativen Arrangements und Improvisationen. Ohne Probe wirkte der „Ersatzmann“ für den kurzfristig ausgefallenen Schlagzeuger Bastian Jütte dennoch so sicher und überzeugend, ja inspirierend, dass keine Wünsche offen blieben. Freilich, kammermusikalischer Jazz, wie in der Vorankündigung zu lesen, war das nicht. Eine Vergeistigung oder auch nur eine Abstraktion auf ein höheres Reflexionsniveau war dieser Musik nicht abzugewinnen, dafür war einfach die Power und die Bodenhaftung zu groß. Höchstes musikalisches Niveau kann jedoch getrost bestätigt werden, auch ohne die Hintergrundinformation, dass der Drummer den Abend zuvor mit den Bamberger Symphonikern bestritt.

27.10.2000: Lilly Thornton Quartett 

Konzertkritik vom Jazzkonzert mit Lilly Thornton am 27.10.2000

Lilly Thornton Quartett mit Vocal Jazz im Biberacher Jazzkeller

Technische Perfektion bei gedämpfter Leidenschaft

Erst die drei Zugaben machten den Konzertabend mit dem Lilly Thornton Quartett perfekt. Der Weg zum Blues war lang an diesem trübseligen Herbstabend im Biberacher Jazzkeller. Wohlüberlegt, glatt und perfekt wirkten alle Kompositionen und Arrangements. Die technische Raffinesse, die improvisatorische Versiertheit und der schier unerschöpfliche Einfallsreichtum des Tausendsassa Ulli Möck am Piano, die dezent aber verlässlich groovende Backline aus German Klaiber am Kontrabass und Dieter Schumacher am Schlagzeug waren das Trampolin auf dem der unumstrittene Star des Abends, die in der Schweiz heimische Lilly Thornton, ihre Luftsprünge vollführen sollte. Aber irgendwie wollte oder konnte die europaweit renommierte Jazz- und Soulsängerin nicht so richtig die Handbremse lösen.

Souveränes Timing, stiltypische Intonation und ein faszinierendes Timbre in der sonoren und wandelbaren Stimme ließen jedes Stück zum reinen Genuss werden, gediegen, edel und irgendwie schweizerisch. Aber die Höhepunkte, die erfüllten Augenblicke, in denen alles stimmte und die Musik nicht nur irgendwie nett dahinströmte sondern auch mitriss, die ließen auf sich warten.

Erstmals nach der Pause im zweiten Set kam Hoffnung auf. Ein mitreißender Soultitel ließ die Emotionen hochschnellen, die Stimme kam in jene Lagen und Lautstärken, in der sie zu funkeln und zu leuchten begann. Die drei männlichen Mitarbeiter der Sängerin strahlten mit dem heftig applaudierenden Publikum um die Wette. Einige nett gemachte Pop- und Rocktitel, darunter auch die Titelmelodie aus „Raumschiff Enterprise“, nahmen den Flammen jedoch schnell wieder die Nahrung. Allzu gefällig – auch die Beatles ließen aus der Ferne grüßen – ging es weiter, viel zu schnell dem Ende entgegen. Und nur wer Lilly Thornton näher kannte, etwa von ihren letzten Biberach-Konzerten vor nunmehr schon einer ganzen Reihe von Jahren, wartete immer noch auf mehr, auf den eigentlichen Durchbruch zur gewohnten Begeisterung und Leidenschaft. Spät, fast schon zu spät, mit der ersten bluesigen Zugabe flog dann doch noch der Deckel vom Topf. Mit sicherem Gespür für das Besondere erklatschte sich das Publikum gleich zwei weitere Zugaben, die ohne lange Ziererei auch bereitwillig gegeben wurden.

Gez. Helmut Schönecker

29.09.2000: Batlen 

Konzertbericht vom 29.09.2000 im Jazzkeller

Vorgezogene Eröffnung der Italienischen Woche mit BATLEN im Jazzkeller

Mit dem Schirokko im Rücken als Föhnsturm über die Alpen

Mediterrane Einflüsse aus den südlichen und östlichen Anrainerstaaten sowie das unnachahmliche italienische Melos der jungen asticianischen Formation BATLEN haben am Freitagabend im Jazzkeller einen heißen musikalischen Föhnsturm entfacht und eigens für die vorgezogene Eröffnung der Italienischen Woche in Biberach dem Sommer noch einmal die Tür geöffnet.

Kompakte bebop-artige Unisonopassagen, feurige südländisch wirkende Melodien und wilde Improvisationen mit gelegentlichen Free Jazz  oder Rock – Einsprengseln, alles auch Markenzeichen der in Biberach wohlbekannten„I.I.I“, hatten deren Saxophonist Beppe Di Filippo und der Drummer Pietro Ponzone mit im Gepäck, als sie in neuer Quartettformation als BATLEN die Fahnen des piemontesischen Jazz in Biberach hochhielten. Die große Routine, die unglaubliche Präzision im Zusammenspiel und die innige musikalische Interaktion dieser beiden musikalischen Weggefährten übertrug sich wie selbstverständlich auch auf die beiden Neuen. Oscar Casavecchia an diversen Saxophonen konnte mit dem Routinier di Filippo, von gelegentlichen Stimmungstrübungen am Sopransaxophon abgesehen, ganz gut mithalten und Roberto Maceratini mit seinem wunderschönen, sechssaitigen Vollholzbass gab dem Ganzen Fundament und Seele.

Gerade noch rechtzeitig zum Konzert konnten die in spartanischem Englisch mit dem Publikum kommunizierenden italienischen Musiker ein knapp abendfüllendes Programm zusammenstellen. Diese rund 10 Titel hatten es jedoch in sich. Die Ökonomie im Umgang mit dem musikalischen Material spielte in den zahlreichen Ostinatoteilen zwar eine nicht unbedeutende Rolle, gelegentlich wiederholten sich auch einzelne Passagen innerhalb der Improvisationen, der sympathischen Ausstrahlung, dem knackigen Groove, dem natürlichen Fluss der Melodien tat dies jedoch keinen Abbruch. Überhaupt wirkt die unverkrampfte Einstellung der „Oltre Montagni“ – der jenseits der Alpen lebenden Menschen – gegenüber schönen und bekannten Melodien und musikalischen Vorlagen, die besondere italienische Fähigkeit zum warmen und natürlichen Ausdruck des Selbstverständlichen gerade auf die oft kompliziert, hintersinnig und überkritische teutonische Zugangsweise zum Künstlerischen überaus befruchtend. Seit vielen Jahrhunderten und immer wieder aufs Neue können uns die Italiener etwas geben, das sie selbst im Überfluß besitzen: natürliche Leidenschaft, sympathische Offenheit und die Fähigkeit die Seele baumeln zu lassen. Auch in diesem Sinne steht zu hoffen, dass die italienische Woche in Biberach mehr öffentliche Resonanz findet als dieses hoffnungsvolle Eröffnungskonzert.

 

Gez. Helmut Schönecker

15.09.2000: Jörg Hegemann

Klassepianist Jörg Hegemann im Jazzkeller

Mit Volldampf „Boogie-Woogie“

Das Cover seiner neuesten CD „Steam Driven Boogie“ ziert eine alte Dampflokomotive. Wer aber der Meinung auflag, hier einen nostalgischen Bummelzug in die 20er und 30er Jahre  besteigen zu müssen, der wurde beim ersten Konzert des Biberacher Jazzclubs in der neuen Saison im Jazzkeller rasch eines Besseren belehrt. Inspiriert durch den neuen Flügel „mit Biss“, durch ein übervolles Haus mit einem immer bereitwilliger mitgehenden Publikum und voll sprühender Begeisterung für seine eigene Musik legte der Wittener Boogie-Woogie-Pianist Jörg Hegemann, völlig zurecht als einer der Besten seines Fachs in Deutschland gefeiert, vom ersten Stück an eine unglaubliche Dynamik vor. Durchaus vergleichbar mit der Dynamik eines, mit über 100 Stundenkilometern durch die Gegend donnernden, 100 Tonnen schweren Dampflokomotiven-Ungetüms hämmerte Hegemann über zwei Stunden lang pure Stimmung in den Saal und gab damit ein überzeugendes Debut im oberschwäbischen Süden Deutschlands. „Mehrere Kilo Gewichtsverlust während eines solchen Solokonzertes“, so Hegemann, „sind bei mir durchaus normal“. Genügte Louis Armstrong noch ein großes, weißes Taschentuch, so musste bei Hegemann ein großes Handtuch die Schweißbäche trocknen. Besonders unterhaltsam gestaltete er die diversen Solobreaks: die kurzen, oft nur eintaktigen Pausen in der Begleitstimme genügten um mit einem blitzschnellen Handgriff die verrutschen Augengläser zurechtzurücken. Schwer zu entscheiden ob künstlerische oder physische Notwendigkeit die Anordnung der durchaus überzeugenden und stiltypischen Breaks verursacht haben. Oder sollte auch die historische Entstehung dieser stimulierenden Breaks solch profane Ursachen gehabt haben?

Im Stil der „Boogie Kings“ der 30er Jahre, Albert Ammons, Meade Lux Lewis und Jimmy Yancey, mit großer pianistischer Akkuratesse und fulminantem „Drive“, gestaltete Hegemann aber nicht nur die Oldies, sondern eben auch seine eigenen Kompositionen, wie „Djangos Groove“ – ein witziger Shuffle zu Ehren seines Bassisten Reinhard Kroll. Die Wucht seines kraftvoll pulsierenden Klavierspiels teilte sich dem Publikum unmittelbar mit. Kaum jemand konnte sich dem Mitwippen, Fingerschnippen oder gar Mitklatschen entziehen und die mitgebrachten CD’s waren schneller weg als warme Semmeln. Selbstverständlich durfte Hegemann nicht ohne zahlreiche Zugaben den Klavierdeckel zuklappen. That’s Boogie-Woogie!

Gez. Helmut Schönecker

16.06.2000: Brass Mission 

Konzertbericht vom Jazzkonzert am 16.06.00 im Jazzkeller der JMS Biberach

Skurille Blasmusik mit „Brass Mission“ im Jazzkeller Biberach

Crazy chicken in a strange world oder „Verrückte Hühnchen in einer fremden Welt“

Eigentlich verrückt: Jazz, Blues und Salsa hieß es im Untertitel der Vorankündigung für das Jazzkonzert mit dem Frankfurter Blechbläserquintett „Brass Mission“ um Jürgen Roth, von dem auch die meisten Kompositionen des kurzweiligen Abends im Biberacher Jazzkeller kamen sowie dem charismatischen Mitbegründer Jürgen Roth, der seine Brötchen hauptsächlich in der hessischen Kultband „Rodgau Monotones“ – einer Art deutscher Blues Brothers Band – verdient.

Einen „Bossa chemical“, nicht ganz so synthetisch wie der Name vermuten ließe, und einen einzigen, etwas bemühten Salsa zu späterer Stunde, und keinen einzigen traditionellen Blues, der den Namen verdient hätte, konnte man im Programm finden. Und wer unter Jazz eine spontane, großteils improvisierte Musik mit viel Swing, Drive oder auch Groove suchte, der wurde bei „Brass Mission“ auch nicht fündig.

Irgendwo im Niemandsland zwischen alternativer Blasmusik, klassischer Kammermusik, Rhythm & Blues, Funk und Soul, vielleicht auch Rock angesiedelt, zauberten die drei Trompeter (wahlweise Flügelhörner), ergänzt und getragen von Posaune und Tuba einen ziemlich neuen Stil, durchaus keinen neuen Sound. Diese Instrumentenzusammenstellung ist im klassischen Bereich längst ausprobiert und klanglich ausgelotet worden. Aber mit dem in Jazz, Pop & Rock äußerst ungewöhnlichen, vollständigen Verzicht auf Schlagzeug und (!) traditionelle Begleitinstrumente wie Gitarre und Piano wirkten die fünf agilen Blechbläser wie ein Lösungsmittel, das die melodisch-strukturellen Elemente aus ihren ursprünglichen Stilzusammenhängen herauslöste und sie in elementarer Form gänzlich neu zusammenmixte.

Sollte etwa der erwähnte „Bossa chemical“ das genialische Leitmotiv von „Brass Mission“ darstellen? Sollte bei der alchemistischen Prozedur wirklich eine neue Substanz, ein neuer Stil entstehen?

Dass die fünf Musiker über der Sache stehen, zeigten sie mehrfach, unter anderem in einer höchst witzigen Persiflage auf „Star Wars“ & Co.: dem „Mission Theme“, der Filmmelodie zu einem 2024 zu drehenden Film (über die Band-Historie ?). Und um Selbstironie waren sie, besonders in den launigen Ansagen, ebenfalls nie verlegen. Sind die Fünf tatsächlich auf einem neuen Weg oder sind sie nur – so das Akronym zweier Kompositionen des Abends – „verrückte Hühnchen in einer fremden Welt?“ Die nicht allzu zahlreichen Konzertbesucher konnten sich ein Bild davon machen. Wenigstens sie wissen jetzt, dass hinter dem Begriff „Jazz“ auch heute immer noch Überraschungen lauern.

 

gez. Helmut Schönecker

19.05.2000: Patrick Tompert Trio 

Zupackender Modern Swing mit dem Patrick Tompert Trio

Kreative Eruptionen

Mit einem zupackenden Opener und der originellen Eigenkomposition “Sam`s Blues” setzte Patrick Tompert in seinem beherzt aufspielenden Trio die Standards für einen kurzweiligen Konzertabend im Jazzkeller der Jugendmusikschule: sicheres Timing, bluesig swingender Groove, virtuose Improvisationen, interessante Arrangements. Jede der folgenden Komposition löste sich mehr aus der anfänglichen Routine in eine ebenso eigenwillige wie kreative Kür, die mit sicherem Gespür den stilistischen Rahmen absteckte und zu einer lebendigen Interaktion der in distinguiertes Schwarz gekleideten Musiker führte.

Eigenkompositionen und Arrangements bekannter Standards klangen gleichermaßen wie aus einem Guss. Nicht nur die ausgewogene Balance der klassischen Klaviertrio-Besetzung, mit zum Glück nur akustisch gespieltem Flügel, sondern wohl auch die gemeinsame musikalische Wellenlänge der Musiker bot die Gewähr für einen höchst differenzierten modernen Swing. Für den kurzfristig ausgefallenen Davide Perocca spielte sensibel und melodiös, wenn auch zunächst noch etwas verhalten der Kontrabassist German Klaiber, am Schlagzeug überzeugte in gewohnter Souveränität und Präzision Werner Braun.

Seele und Motor des Trios war jedoch zweifellos Patrick Tompert. Seine phantasievollen Improvisationen mit immer wieder überraschenden Wendungen, seine brilliante Fingerakrobatik, die stimulierenden Synkopierungen der linken Hand, die glitzernden Glissandi und vor allem sein Sinn fürs musikalisch Ganze, für die richtige Mischung aller Elemente, durchströmten eine lebendige Musik, die das Publikum animierte und begeisterte. Dass Tompert dabei recht trocken und zurückhaltend blieb, entsprach in gewissem Sinne auch dem Charakter der Musik des Trios, die eben nicht billig anpreisend, effektheischend, oberflächlich oder  bloss unterhaltend sein wollte und diesem Anspruch durchaus genügte..

 

gez. H. Schönecker