Archiv – Seite 106 – Jazzclub Biberach e.V.

08.12.2001: Saxofourte 

„Saxofourte“ im Biberacher Jazzkeller – Konzertkritik

Erlesenes vor übervollem Hause – „Saxofourte“ im Jazzkeller

Mit Bach, Bernstein, Gershwin, Piazolla und anderen großen Namen, mit bekannten Kompositionen, eingängigen Melodien, mit zartem Schmelz und warmem Timbre, hoher Virtuosität und einer Extraportion Sentiment, also den Ingredienzien für ein Erfolgsrezept schlechthin, haben die Akteure beim Konzert des schwäbisch-bayrischen Saxophonquartetts „Saxofourte“ aus Ulm im Biberacher Jazzkeller beinahe alle Dämme brechen lassen. Vier heftig erklatschte und gern gewährte Zugaben zeugten von der Kurzweil des Konzertabends ebenso wie von der Begeisterung des aus weitem Rund höchst zahlreich in Biberach zusammengeströmten Publikums.

Die Fahrt hatte sich gelohnt. Exakt aufeinander eingespielt, bis zur Selbstaufgabe homogen in Ausdruck und Gestaltung, dabei witzig und originell, bewährt und dennoch unkonventionell, boten die vier Saxophon-Virtuosen souverän gespielte Eigenarrangements zeitloser Highlights der Musikgeschichte als Ohrenschmaus, als vorweihnachtliche musikalische Leckereien für Genießer. Herausragend die Medleys aus Bernsteins „West Side Story“ und Gershwins „Porgy and Bess“ mit dem anrührend melancholischen „Summertime“.

Als Primus inter Pares erwies sich der Altsaxophonist Dieter Kraus, der, mit seinem Instrument wie verwachsen, ihm in seidenweichem Klang eine Palette an Affekten in vokaler Eindringlichkeit entlockte, die an ganz große Saxophonisten der Jazz-Ära á la Johnny Hodges erinnerten. Die Melodien wurden hier, trotz aller Professionalität nicht einfach nur heruntergespielt, sondern sensibel und plastisch modelliert, zu seltenen und brillianten Kostbarkeiten geschliffen, die „unter die Haut“ gingen. Voll und warm tönte das Baritonsaxophon von Ralf Ritscher, der überwiegend für das Fundamentale in den Stücken zuständig war, wenn sich nicht gerade polyphone Linien zu barocken Ornamenten rankten. Guntram Bumiller (Tenorsaxophon), der auch für die launige Moderation sorgte sowie Thomas Sälzle (Sopransaxophon) komplettierten den Satz und spielten sich auch im klanglichen Kontrapunkt gegenseitig die Bälle zu.

In einem eigens für „Saxofourte“ komponierten „Bravour-Ländler“ von Christoph Well kulminierte der Spielwitz und die Begeisterung zum bayrischen Finale, in dem wohl kaum ein Auge trocken blieb. Für eingefleischte Jazzfans der einzige Wermutstropfen war der gegen Null tendierende Jazzanteil des Klassik-Pop-Programms sowie das vollständige Fehlen von freieren, jazztypisch improvisierten Passagen.

Gez. Helmut Schönecker

17.11.2001: Biberacher Jazzpreis 2001 (Konzert: BuJazzO & Peter Herbolzheimer)

Schwäbische Zeitung 19.11.2001

Kritik von SZ-Mitarbeiter Raimund Kast

Erstklassiger Jazznachwuchs

BIBERACH – Er hat sich zu einem der bekanntesten Jazzpreise der Republik entwickelt: der 1990 erstmals vergebene Biberacher Jazzpreis. Zu den Trägern des mit 2500 Mark dotierten Preises gehören inzwischen so renommierte Musiker wie der in New York lebende Pianist Cornelius Claudio Kreusch oder Saxofonist Max Tiller. Auch bei der elften Auflage, die am Samstag in der Biberacher Stadthalle zu Ende ging, waren wieder vielversprechende Nachwuchsformationen zu hören.

Wiederum war die Beteiligung enorm. Bis aus der Schweiz und Italien hatten sich Bands beworben und Demobänder geschickt. Drei waren schließlich vom ausrichtenden Biberacher Jazzclub zum Finale in die Stadthalle geladen worden: Das Münchner Quartett „max-bab“, die niedersächsische „Groove Connection“ und das Trio Gromer-Brütsch-Klein aus Stuttgart stellten sich in Kurzbeiträgen den vier Juroren sowie dem mit einer fünften Stimme ausgestatteten Publikum vor – und alle drei hätten den ersten Preis verdient gehabt!

Hätte das Publikum allein entscheiden dürfen, dann wären die drei Stuttgarter im Wettbewerb um den Siegerscheck als klarer Sieger hervorgegangen. Pianist Peter Gromer, Bassist Mathias Klein und Schlagzeuger Florian Brütsch boten energetischen, zupackenden Fusion Jazz, wobei sich besonders Pianist Peter Gromer mit seinem heftig akzentuierenden Anschlag in den Vordergrund spielte. Freilich wirkte die Musik der drei trotz aller technischen Perfektion ein wenig zu „seelenlos“, fehlte es an spielerischer Ausdrucksstärke, um auch die Jury auf ihre Seite ziehen zu können. Was die individuelle Note betrifft, hinterließ die sechsköpfige „Groove Connection“ den stärksten Eindruck: spannender Modern Jazz mit hochkarätigen Soli.

Den rundesten, ausgereiftesten Beitrag lieferten freilich die vier Bayern von „max-bab“, die mit dem Tenor- und Sopransaxofonisten Max von Mosch auch den profiliertesten Solisten des Abends in ihren Reihen hatten. Auch „max-bab“ bewegte sich auf dem weiten Terrain zwischen Fusion und Modern Jazz, wobei sich gerade in den beiden vorgetragenen Eigenkompositionen Max von Mosch mit seinem von Jan Garbarek inspirierten, technisch ausgereiftem Spiel im Mittelpunktstand. In einem knappen und spannenden Wettbewerb hatten sie zum Schluss zu Recht die Nase vorne.

Viel Zeit zum Feiern blieb den vieren allerdings nicht. Pianist Benedikt Jahne und Schlagzeuger Kai Busenius mussten gleich beim anschließenden Galakonzert mit Peter Herbolzheimer und dem Bundesjugendjazzorchester noch mal ran. Das 1987 als Talentschmiede für junge Nachwuchsjazzer gegründete Orchester stellte sich mit einem abwechslungsreichen Programm aus Modern Jazz, Blues und Latin, aus Kompositionen ehemaliger Bandmitglieder und Jazzstandards vor und begeisterte die zahlreichen Zuhörer durch spielerische Homogenität, hochkarätige Solisten und fein ausgewogene Arrangements. Ein Highlight des Abends: ihre Version von „Body and Soul“, bei der die 21 jungen Musiker der Band Verstärkung durch fünf Sängerinnen und Sänger bekamen, die ein stimmliches Feuerwerk zündeten. Und der immer zu einem Späßchen aufgelegte Leader Peter Herbolzheimer, ein Vollblutjazzer besten Formats, konnte seinen jungen Solisten nur immer wieder anerkennend auf die Schultern klopfen: sie boten Jazz vom Feinsten und hatten sich den Beifall ebenso verdient wie zuvor die drei Finalisten des Wettbewerbs.

18.05.2001: Schlaier Hirt Duo 

Juicy Chamber Jazz im Jazzclub Biberach

Alles im Fluß bei Schlaier und Hirt

Ein amorphes Kontinuum von Tönen, sich gelegentlich zu mysteriösen Aphorismen verdichtend, indifferent und vielfältig interpretierbar, kennzeichnet den skurrilen „Juicy Chamber Jazz“ des Ulmer Jazz-Duos aus Manne Schlaier (Gitarre) und Thomas Hirt (Saxophon, Flöte), welches im Biberacher Jazzkeller einem erlesenen Publikum seine Aufwartung machte.

Eine mitunter impressionistisch wirkende Unbestimmtheit schien vor allem bei Hirt zum Prinzip erhoben. Glatte, schwer fassbare modale Tonfolgen klangen teilweise wie rückwärts abgespielt, absichtlich verfremdet, in virtuoser Leere dahinplätschernd, nahezu unkenntlich in ihrer Flüchtigkeit, unfassbar und dennoch durchweg groovend. Sporadische Konkretionen zerplatzten sofort nach ihrem Erscheinen wie Seifenblasen, kaum zu fassen und darin vergleichbar manchen Gefühlen, die sich beim Versuch einer Ausformulierung dem Zugriff entziehen, wie Träume die beim Aufwachen zerstieben, irrational und unwirklich.

Federleichte Visionen, artifiziell und minutiös elaboriert in verwaschenen Strukturen über funktionslosen Harmonien der Gitarre, gegliedert bestenfalls durch Ostinatobildungen oder klangliche Abstufungen, besitzen kammermusikalischen Charakter nicht nur als elitäres Etikett. Sie regen an, sie inspirieren, sie polarisieren. Ihr Unterhaltungswert ist dennoch eher niedrig, selbst in den improvisierten Teilen erscheint die Spontaneität planvoll, die Treffpunkte der beiden monologisierenden Interpreten abgesprochen, ja gewaltsam. Einfaches Loslassen und in die Musik hineingleiten wird absichtsvoll verhindert, der Hörer immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen: Die Frage ob Schlaier und Hirt hier einen künstlerischen Königsweg in die tieferen Schichten des Unterbewussten gefunden haben oder dem Publikum nur Kunstfertigkeit vorgaukeln, musste sich jeder Zuhörer selbst beantworten, so er sich dazu in der Lage sah. Dass die Musiker selbst jeder Eindeutigkeit aus dem Weg gehen, etwa kam kaum ein Titel ohne offenen Schluß aus, machte die Antwort nicht leichter. Die erklatschte und gnädig gewährte Zugabe sowie eine großzügig gewährte 5 sekundige Dreingabe zeugten dann aber doch vom spielerischen Charakter der Unternehmung.

Gez. Helmut Schönecker