Archiv – Seite 105 – Jazzclub Biberach e.V.

14.10.2005: Boogie Project

Temperamentvoller Boogie& Bluesabend im Jazzkeller

„Boogie Project“ aus Freiburg heizt kräftig ein

Mit einer kleinen Verspätung, dafür aber von Null auf Hundert in 4 Sekunden begann der höchst temperamentvolle Boogie & Bluesabend  mit dem Freiburger Trio „Boogie Project“ um den in Biberach wohl bekannten Sizilianer Enzo Randazzo im ordentlich besetzten Jazzkeller.

Nach einem anstrengenden Tag in der Unfallchirurgie, seiner letzten Operation um 18.00h  und anschließender PKW-Fahrt von Offenburg nach Biberach sowie einer Odyssee durch die verwinkelte Altstadt, trat er mit wenigen Minuten Verspätung, nur mit einem Noten- statt seinem Arztköfferchen bewaffnet in den Jazzkeller, hin vor ein gespannt wartendes, dankbar applaudierendes Publikum und sofort auf die Bühne. Nach knapper Begrüßung der erleichterten Musikerkollegen, einer kurzen erklärenden Entschuldigung sowie viermaligem Aufstampfen mit dem Fuß begann das Boogie-Mobil des Mark Wunderlich seine rasante Fahrt aufzunehmen. Aus dem Stand verfiel der aufgeweckte Eleve von Thomas Scheytt in ein schwindelerregendes Tempo, heizte so kräftig ein, dass bereits nach wenigen Stücken die mitgebrachten Schweißtücher zum Einsatz kommen mussten.

Singend, spielend und stampfend verarbeitete Wunderlich seinen eigenen Arbeitstag und riss in diesem unglaublichen Energieausbruch seine Bandkollegen ebenso mit wie das begeisterte Publikum. Ab dem zweiten Set lief dann alles so richtig rund. Sentimentale Bluestitel, inspirierte Swingstücke, fetzige Boogie-Woogies und gegen Ende hin immer mehr mitreißende Rock`n`Roll  Nummern brachten die Stimmung fast zum Kochen. Die ungehemmte Spielfreude entlud sich über einem bereitwillig mitgehenden Publikum. Mitwippen, Mitklatschen, Mitsingen war angesagt.

Solchermaßen angesteckt ließ auch der Klasse-Blues-Gitarrist Kai Linde nichts anbrennen und forderte mit den frechen Vamps seiner beseelten Improvisationen das Publikum mehrfach zu Begeisterungsrufen und Sonderapplaus heraus. Der Bandleader Enzo Randazzo agierte meist sachdienlich und eher unauffällig am Schlagzeug, sobald er aber eine Einlage auf seinem multifunktionalen Waschbrett inszenierte, gab es kein Halten mehr: Tuten, Klingeln, Klappern, Ratschen, Rasseln, Scheppern und Scheuern in atemberaubenden Abfolgen sorgten erst für verblüfftes Kopfschütteln und dann aber für heftige Begeisterung, die sich auch durch kleinere rhythmische Koordinationsprobleme in den allerschnellsten Boogienummern nicht abkühlte. Unzählige Zugaben im dadurch auf die doppelte Länge des ersten angewachsenen zweiten Set machten Musikern und Zuhörern gleichermaßen Freude.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

17.06.2005: Manfred Junker Quartett

Manfred Junker Quartett im Jazzkeller

Durch erdigen Blues zu kosmischer Transzendenz

Natürlich hätten die sensiblen Vollblutmusiker um den Konstanzer Gitarristen Manfred Junker und den Rottweiler Bassisten German Klaiber ein viel größeres Publikum verdient gehabt, eben gerade weil ihre Musik nicht „auf den Marktplatz taugt“ und ohne falsches Pathos sofort zur Sache kommt. Die vier wackeren Schwaben, darunter mit Jochen Feucht und Matthias Daneck gleich zwei ehemalige Biberacher, taten am Freitagabend im sehr moderat gefüllten Jazzkeller demonstrativ nichts, was über eine direkte aber einfühlsame Interpretation ihrer Musik hinausging, das aber richtig gut.

Keine bekannten Standards, keine abgelutschten Genres, keine Effekthascherei oder überflüssige Schnörkel, kein leeres Virtuosentum oder billiges Andienen ans Publikum, null Bühnenshow, ergo: keine Ablenkung vom Eigentlichen und Wesentlichen, vom künstlerisch-musikalischen Kern der Dinge, vom reinen, bewegten Spiel der Töne. Inspiriert und beseelt, in unverfälschtem Natursound, ganz ohne Elektronik, nur mit akustischen Instrumenten, Gitarre und Kontrabass, Saxophon, Schlagzeug und einem Minimum an Verstärkung entfalteten die Kompositionen und Arrangements des Bandleaders eine geradezu kammermusikalische Intensität, ohne auch nur den Hauch von Angestrengtheit zuzulassen und vor allem ohne in die gefährliche Sprödigkeit dieses Genres zu  verfallen. In Jochen Feucht hat Junker einen kongenialen Partner gefunden, einen feinsinnig-expressiven Saxophonisten der bei aller musikalischen Präsenz und selbstverständlichen Virtuosität sich nicht in den Vordergrund spielt und das vielschichtige Gitarrenspiel Junkers überdeckt. Zwei ausdrucksstarke und dennoch dezente Frontmänner, die in gegenseitigem Respekt agieren und auch noch Platz für die voll emanzipierten Hintermänner lassen, arbeiten am gemeinsamen Ziel: an guter, ehrlicher Musik. Von entrückten Soli, sorgfältig elaborierten Unisonopassagen, meist zwischen Gitarre und Saxophon, von artifiziell kontrapunktischen oder beiläufig dialogisierenden Passagen, von einprägsamen Ostinati zu flüchtigen Aphorismen reichte die strukturelle Palette einer Musik, die gerade soweit vom Mainstream entfernt war um das Nachdenken darüber zu befördern. Das hintersinnige Spiel mit verschiedenen Genres ersetzte in Junkers Quartett den platten Eklektizismus der Einfallslosen, die mit Bombast und Abwechslung bis zum Abwinken, mit fremdem, unverdauten Material doch nur ihre eigene innere Leere kaschieren. Junkers Musik hat etwas, was heute selten geworden ist: sie hat etwas zu sagen. In der zugegebenen Ballade „Quietude“ von der neuen CD „Directions“ schien dieses Etwas gar in kosmische Dimensionen vorzustoßen: „Friede sei mit euch“.

Dr. Helmut Schönecker