26.02.2010: Jochen Feucht – Karoline Höfler – Laurence Schneider – Jazzclub Biberach e.V.

26.02.2010: Jochen Feucht – Karoline Höfler – Laurence Schneider

Kooperation  Jazzclub – Stadtbücherei

Kulinarische Poesie und Jazz mit Fingerfood

Erlesene Fingerfood-Kreationen der Vorstandsmitglieder des Biberacher Jazzclubs, exquisite Rezitationen kulinarischer Texte von Laurence Schneider und bestens darauf abgestimmte Kompositionen und Improvisationen von Jochen Feucht (Saxophon, Bassetthorn) und Karo Höfler (Kontrabass)  haben im Veranstaltungsraum der Stadtbücherei  die Erwartungen von Publikum und Veranstaltern mehr als erfüllt.

Die fachkundige Auswahl literarischer Texte über die verschiedenen Aspekte des  Essens und Trinkens, vom Grießbrei über rohe Zwiebeln zu frischen Feigen im ersten Teil sowie vom unerfahrenen Weinsäugling zum erfahrenen Weinkenner im zweiten Set, fand unter dem Motto „Genuss mit Schuss“ auf einer ersten kulinarischen Grundlage aus liebevoll zubereiteten Häppchen eine vortreffliche Entsprechung in der sensiblen und kreativen musikalischen Umsetzung all dieser Aspekte.

Hatten die ersten Besucher noch den leichten Rauchgeruch des Büchereibrandes in den feinen Nasen, wurde dieser alsbald durch würzigen Räucherlachsgeschmack oder deftigen Knoblauchduft aus der Fingerfood-Abteilung überdeckt.  Nach einem knappen musikalischen Aperitif von Henry Texier (Solo-Saxophon) rezitierte Laurence Schneider das „kulinarische Liebeslied“ des österreichischen Schriftstellers Hermann Broch, kommentiert und stimuliert durch freie Klangimprovisationen von Jochen Feucht und Karo Höfler. Das „Lied vom Grießbrei“, dessen Autorin Keto von Waberer darin durchaus autobiographische Tiroler Kindheitserlebnisse in einer heilen Internatswelt (mit viel Grießbrei ? ) verarbeitet,  wird durch einen verqueren „Turnaround“ des Jazzopas und einstigen Revoluzzers Ornette Coleman konterkariert .  Die inneren Gemeinsamkeiten zwischen dem „Zwiebelgestank“ eines anonymen Dichters, einem sich vor lauter Gestank abwendenden Herrgott im Deckenfresko und dem nachfolgenden Kontrabasssolo erschlossen sich nicht so leicht, waren wohl eher metaphysischer Art. Erst in der Abfolge der weiteren Texte  von Eduard Mörike („Alles mit Maß“), Gottfried Keller („Pankraz der Schmoller“) und Walter Benjamins („Frische Feigen“)  in der Kombination mit Kompositionen („Kardamom“) und Improvisationen von Jochen Feucht wird deutlich, dass hier der Weg vom edlen, maßvollen Genießer zum sinnlich enthemmten, zur Völlerei neigenden Schlemmer nachgezeichnet wird. Die Zwiebelblähungen lösen sich organisch und klangvoll auf durch das krampflösende Kardamom und nach dem maßvollen Genuss ohne Reue werden zur Belohnung als Nachtisch frische, süße Feigen gereicht.

Nach einer lukullischen Pause spielte Jochen Feucht das musikalische „Welcome“ zum goldflüssigen zweiten Set. Franz Josef Degenhards „Weintrinker“ und Egberto Gismontis Komposition „Aqua e Vino“, Herders „Die Rebe richtet sich vom Boden auf“,  Texte und Musik zu „Don Quijote“ sowie einige vinerable Anekdoten über alte Meister der Musik ließen die drei Akteure auf der Bühne zur Hochform auflaufen. Laurence Schneider schmatzte und schlürfte theatralisch im Takt ihrer an Metaphern reichen Texte (unnachahmlich dabei das entrückte Schlürfen roter Krabbenschwänzchen), die beiden Musiker swingten locker mit Thelonius Monk oder groovten zupackend in Jochen Feuchts Kompositionen „meje“ zu „Papaya und abgefahrenen Autoreifen (René Freund) oder Oskar Meyer-Elbings „Goldene Regeln für Weinsäuglinge“, ein köstlicher Schmaus für Geist, Leib und Seele. Solche Kooperationen dürften öfter stattfinden.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker