Traditioneller Saisonauftakt – Jazz und Heimat – Teil 2
Hardt Stompers in überschäumender Spiellaune
BIBERACH – Die Traditional Jazz Band aus dem Ländle, mit ihrem Bandleader, Conférencier, Trompeter und Sänger Günter Friedhelm aus Bad Schussenried bestritt den Saisonauftakt zum Herbstprogramm des Jazzclubs in allerbester Spiellaune. Obwohl das Konzert im Jazzkeller am ersten verregneten Herbsttag des Jahres nicht alle Fans aus der guten Stube locken konnte, tat dies der Stimmung keinen Abbruch. Die Gute-Laune-Musik aus den Anfängen der Jazzhistorie funktioniert offenkundig nicht nur im Festzelt, auf Partys oder beim Frühschoppen.
In seiner launigen Anmoderation, augenzwinkernd angereichert durch eine kabarettreife Gesellschaftskritik im Stile des „Derbleckens“ auf dem Nockherberg, rechtfertigte der Frontmann mit den bajuwarischen Wurzeln und der Louis Armstrong-Stimme die „kulturelle Aneignung“ des Jazz, der ja seit Jahren auch in Biberach eine neue Heimat gefunden hat. Der „kulturbürokratischen Auflage“ des „Ministeriums zur Vermeidung kultureller Aneignung“, nur noch einen „traditionellen“ Jazztitel im Konzert spielen zu dürfen, entging die Band listig durch eine Fülle von Zugaben.
Und tatsächlich fanden sich reihenweise Musiknummern aus den archaischen Anfängen des Jazz in den amerikanischen Südstaaten vor weit über hundert Jahren im Konzertprogramm der Hardt Stompers. Weiße, schwarze, kreolische, karibische Einflüsse in Ragtime, Blues, Dixieland oder Calypso flossen, ganz nach dem Vorbild der ursprünglichen Melange dessen, was eben heute Jazz heißt, organisch zu einer munter groovenden Wohlfühlmusik zusammen. Und tatsächlich entspricht genau dies auch den Intentionen der Jazz-Avantgarde unserer Zeit, vielleicht vom reinen Wohlgefühl abgesehen, welches eher in der Popmusik zuhause ist. Die improvisatorische Auseinandersetzung mit den vielfältigen Stilen und Erscheinungen der Gegenwart geht jedoch im Jazz – damals wie heute – über eine schlichte Neuinterpretation von Cover-Songs weit hinaus. Das Original wird rücksichtslos zerlegt, gegen den Strich gebürstet und spielerisch wieder neu zusammengesetzt. Im Grunde wie beim Legospielen mit neuer oder gleich ganz ohne Bauanleitung. Geradezu genial geschah genau dies in dem neu komponierten bzw. getexteten „Fernsehturm Shuffle“ zu Ehren des Stuttgarter Funkturms, der just im Geburtsjahr des Trompeters fertiggestellt wurde. Solchermaßen verstanden wirkt Tradition, ganz im Sinne von Igor Strawinsky, als „lebendige Kraft, welche die Gegenwart anregt und belebt“.
Die sechs gestandenen Musiker, die unlängst ihr 40jähriges Bühnenjubiläum mit der neuen CD „When My Dreamboat Comes Home“ feierten, haben dabei durchaus unterschiedliche Zugangsweisen und Charakteristiken entwickelt und ausgebaut. Der meist im Hintergrund in der Akkordbegleitung dienende Banjospieler Peter Maisenbacher blühte regelrecht auf, wenn er seinen sonoren Bluesgesang mit der Gitarre begleiten durfte. An Klarinette, Sopransaxophon, Querflöte und Gesang fand Manfred Schütt auch in den virtuosesten Passagen immer den passenden Sound während der Youngster Frank Richling in ausgedehnten und mit viel Sonderapplaus bedachten Schlagzeugsoli seine Erfüllung fand. In monolithischer Erdschwere trug Karl-Otto Schmidt an Tuba und abgespecktem Kontrabass die fundamentale Verantwortung in der launigen Truppe. Der „Ländle-Jazzer“ Wolfgang Schenk hatte am meisten Spaß, wenn im wilden Portamento der Zug seiner Posaune heiß lief und Günter Friedhelm bringt in Stimm- und Kornettklang offenkundig ein Armstrong-Gen zum Einsatz.
Nach der letzten von vielen Zugaben ließ sich ein erstes Fazit aus der Konzertreihe anlässlich der Biberacher Heimattage ziehen: „Jazz und Heimat“ gehen genauso zusammen wie „Jazz und Tradition“. Der Jazz ist schon vor vielen Jahren nicht nur in Biberach angekommen, sondern er hat hier eine neue Heimat weit jenseits nur oberflächlicher „kultureller Aneignung“ gefunden.
Text und Fotos: Helmut Schönecker