Biberacher Jazzpreis 2022 – Preisträgerkonzert im Jazzkeller
Vincent Meißner Trio gibt sich die Ehre
BIBERACH – Vor gerade einmal sechs Monaten haben die jungen Musiker um den Leipziger Pianisten und Komponisten Vincent Meißner in der Gigelberghalle den Biberacher Jazzpreis 2022 gewonnen. Einer langjährigen Tradition folgend wurden sie nun vom Jazzclub Biberach zu einem abendfüllenden Konzert im Jazzkeller geladen. Eine willkommene Gelegenheit für das interessierte Publikum sich ausgiebig mit den neuen Konzepten und Ideen auseinanderzusetzen, welche die Jury beim damaligen Herzschlagfinale dazu bewogen hat, im hochkarätigen Teilnehmerfeld gerade dieses Trio zum Gewinner zu küren.
Mit Kompositionen aus ihrer Debut-CD „Bewegtes Feld“, die zur Enttäuschung vieler Fans leider bereits vergriffen war, konnte das deutsch-schweizerische Trio schnell die Brücke zum faszinierten Publikum schlagen. Von Beginn an schienen die Funken zu sprühen, wenn der erst 22jährige Vincent Meißner in die Tasten griff. Von Energiekrise weit und breit keine Spur, ganz im Gegenteil. Der junge Sachse, der mittlerweile in Leipzig bei Michael Wollny studiert, entließ aus scheinbar unerschöpflichen Tiefen immer wieder neue Eruptionen an gestaltkräftigen Motiven und ausdrucksvollen Ideen mit Überzeugungskraft.
Das Kraftwerk des Trios wurde jedoch aus gleich drei Quellen gespeist. Henri Reichmann am Schlagzeug konnte – trotz geliehener Becken und auf dem für ihn ungewohnten Drumset des Jazzclubs – die komplexen, sich oft vielschichtig überlagernden Rhythmen, in den unterschiedlichsten, noch dazu häufig wechselnden Metren und Taktarten druckvoll mit prallem Leben füllen, eigene Akzente setzen und mit komplementären Ideen ausgestalten. Dabei blieb er immer ein berechenbarer Teamspieler, der sich niemals in den Vordergrund drängte und seinen Partnern stets ihre gestalterischen Freiräume beließ.
Der technisch und musikalisch brillante Kontrabassist Josef Zeimetz aus Basel komplettierte das agile Trio und lieferte das harmonische Fundament unter konsequenter Vermeidung von Standardpatterns. Sein Bass-Spiel war eigentlich ein Melodiespiel in tiefer Lage, meist kontrapunktisch verzahnt mit seinen Mitspielern, oft aber auch im rasanten Unisono mit der linken Hand des Pianisten. Dies kann in der gebotenen Virtuosität nur in elaborierten Kompositionen und nach ausgiebigem Üben funktionieren. Dass dies mit jazztypischer Spontanität und improvisatorischen Freiräumen einhergeht ist dabei keineswegs selbstverständlich. Es spricht vielmehr für einen gelungenen Mix aus festen Strukturen und Formabläufen, höchster Präzision, Disziplin und technischer Meisterschaft der Akteure. Dass über all dieser Komplexität und Dichte die Spielfreude nicht zu kurz kam, war dem Trio deutlich anzusehen und auch an den begeisterten Reaktionen aus dem Publikum abzulesen.
Die Unbestimmtheit vieler Musiktitel, wie „Stadt, Land, Fluss“, „Rot, Gelb, Grün“, „Da Sein – Hier Sein“ oder auch „Gegenstand unserer Wahrnehmung“ richtet die Aufmerksamkeit und Fantasie des Zuhörers zunächst auf die musikalischen Strukturen. Dass sich darin aber auch Motive aus Popsongs verbergen – so eine ungelöste Rätselaufgabe von Vincent Meißner für das Publikum – ist im Jazz nichts Unbekanntes. Dass sich diese aus dem originalen Zusammenhang gelösten Motive organisch mit eigenen Motiven und Melodien verbinden und in der Tradition motivisch-thematischer Arbeit ausdifferenzieren oder variieren erklärt einerseits die Schwierigkeit für die Zuhörer sie dem Original zuzuordnen, verweist jedoch auch auf die Ernsthaftigkeit und den künstlerischen Anspruch, der hinter dem spielerischen Umgang mit dem verwendeten Material waltet. Für diesen ambitionierten Zugang steht übrigens auch die Tatsache, dass eine zwölftönige Komposition des französischen Komponisten Pierre Boulez, die Nummer 10 „Lointain. Calméaus“ aus dessen jeweils 12 Takte langen Miniaturen „12 Notations für Klavier“ aus dem Jahr 1945 zur Aufführung oder besser „Ausgestaltung“ gelangte und dabei ebenso wie Whitney Houstans „I wanna dance with somebody“ unverfroren und jazztypisch „unter die Räder“ kam. Am Ende stand einmal mehr die Erkenntnis: Aus allem lässt sich Jazz machen.
Text und Fotos: Dr. Helmut Schönecker