Biberacher Jazzpreis 2022 – Herzschlagfinale in der Gigelberghalle
Vincent Meißner Trio aus Leipzig gewinnt im Fotofinish
BIBERACH – Mit nur einem halben Punkt Vorsprung kann sich das Leipziger Jazztrio um Vincent Meißner im hochklassigen Finale des internationalen Biberacher Jazzpreises 2022 knapp gegen seine Konkurrenten durchsetzen. Auf Rang 2 folgt das ungewöhnliche Duo „Lightville“ aus München, welches auch den Kompositionspreis erhält. Der Publikumspreis geht mit deutlichem Vorsprung an das Duo „Duolog“ aus Schweinfurt, welches es insgesamt auf Rang 3 schafft. Ebenfalls nur knapp abgeschlagen folgt das Duo „Dimension“ aus Backnang auf Rang 4. Der fünfte Finalist, das Augsburger Trio „Flo & Fauna“, konnte wegen einer Coronaerkrankung des Keyboarders nicht zum Finale antreten.
Aus der vierköpfigen Jury (Rebecca Trescher, Prof. Jürgen Seefelder, Oliver Hochkeppel, Dr. Helmut Schönecker) war zu vernehmen, dass die Qualität der Wettbewerbsbeiträge in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat und damit bereits die Vorauswahl zu einem schwierigen Unterfangen wurde. Die stilistische Bandbreite der fünf Finalisten, die in einem aufwendigen Verfahren aus rund 30 Bewerbern ausgewählt wurden, ließ bereits darauf schließen, dass hier sehr individuelle Ansätze auf hohem technischem und künstlerischem Niveau zu beurteilen sein werden. Liegt es in der Natur des Jazz, dass stilistische Offenheit und Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sujets zum Wesenskern gehören, so ist aber vor allem die lebendige Improvisation ein wesentlicher Bestandteil.
„Duolog“ aus Unterfranken wollten erklärtermaßen die „einengenden Grenzen des Jazz“ erweitern. Im Bereich Sound ist Ihnen das zweifellos gelungen. Zeitgemäß mit Vocoder, Harmonizer und weiteren elektronischen Helferlein ausgerüstet, durch perfektes „mundgemachtes“ Beatboxing ergänzt, konnten sie die Brücke zum zeittypischen Dancefloor-, HipHop und Technosound schlagen. Ihre Besetzung schien damit mindestens zum Quartett erweitert. Der druckvolle Sound, eine hohe Energiedichte, meisterliche technische Umsetzung sowie die Kombination von Elektronik und natürlichen Instrumenten, wie etwa der ungewöhnlichen Akkordina überzeugten und begeisterten – vor allem das Publikum. Der Jury war dies nur ein dritter Rang wert. Zu konventionell blieben die Strukturen, zu patternhaft der Aufbau, zu weit weg vom Jazz das Resultat.
Genau ins Schwarze traf dagegen das junge Leipziger Trio mit seinem technisch und musikalisch brillanten Schweizer Kontrabassisten Josef Zeimetz, der noch vor der Preisverleihung in den Zug nach Basel steigen musste. Trotz des undankbaren ersten Startplatzes spielten sich die (Wahl-) Sachsen schnell frei und fanden zu einem abwechslungsreichen, ausdrucksvollen und hochenergetischen Spiel. Aus spontan erfundenen Motiven Ideen zu entwickeln, in höchster Präzision und technischer Meisterschaft zu komplexeren Gebilden auszuformen gehörte für die jungen Jazzer bereits zum Markenkern. Dass neben kreativen Eigenkompositionen fast unmerklich auch Motive aus bekannteren Stücken einflossen, gehört im Jazz zu den Grundkompetenzen.
Für den Kompositionspreis war dies jedoch nicht genug. Originell, innovativ und gestaltkräftig waren die Kompositionen der Pianistin Shuteen Erdenebaator aus Ulan Bator (Mongolei). Ihre lyrischen, weit ausgreifenden Melodielinien konnte sie auf dem wunderbar klingenden Bechsteinflügel eindrucksvoll, plastisch und hochmusikalisch umsetzen. Neben einer dreisätzigen Komposition zur Eröffnung war es vor allem ihr Stück „Answer from a distant hill“, welches im Duo mit dem Münchner Nils Kugelmann an der selten gespielten Kontra-Alt-Klarinette überzeugte. Klänge wie aus einer anderen Welt, tiefste Basstöne, Klappen- und Atemgeräusche, „heiße Luft“ als Ausdrucksmittel kontrapunktierten die sensiblen Klavierpartien. „Lightville“ verdiente sich neben dem Kompositionspreis auch noch den mit 1000 Euro dotierten zweiten Rang.
Das jüngste und ungewöhnlichste Duo „Dimension“ aus Backnang kam mit knappem Rückstand auf den vierten Rang. Carlotta Armbruster (Posaune) und Jonas Heck (Schlagzeug) setzten ganz auf freie Improvisation und spontane Interaktion. Multiphonics, das auf Albert Mangelsdorff zurückgehende, mehrstimmige Spiel auf der Posaune, rhythmisches Atmen ins Instrument ohne Mundstück, Klopfen mit der Hand aufs Mundstück und der Einsatz verschiedenster Dämpfer machten das Spiel abwechslungsreich und klanglich vielseitig. An der Dramaturgie der Stücke wird noch zu arbeiten sein.
25 Jahre nach ihrem eigenen Gewinn des Biberacher Jazzpreises zeigte die „Grupa Janke Randalu“ im Kurzkonzert, was wahre Meisterschaft ist. Im Rückgriff auf ihre gemeinsamen musikalischen Anfänge am Karlsruher Konservatorium filetierten der estnische Ausnahmepianist Kristjan Randalu und der polnische Drummer Bodek Janke bekannte Nummern aus dem Realbook um diese dann auf umwerfende und frappierende Weise wieder neu zusammen zu setzen.
Fotos: Georg Kliebhan