13.03.2009: Dieter Ilg Trio – Jazzclub Biberach e.V.

13.03.2009: Dieter Ilg Trio

Otello – Verdi – Ilg: ein Dreigestirn der besonderen Art.

Die neue Trioformation des Freiburger Ausnahmebassisten Dieter Ilg mit Rainer Böhm und Patrice Heral gastierte am Freitag in der Biberacher Stadthalle. Der Auftritt vor gut besuchtem Haus war einfach genial. Superb. Herausragend. Jazz? Ja, auch.

Schon einmal ist es Dieter Ilg gelungen, scheinbar Unvereinbares – das deutsche Volkslied und den Jazz – in faszinierender Weise zusammen zu bringen und damit höchste künstlerische Standards zu setzen. Die Zugabe nach einem erfüllten Konzert in der Biberacher Stadthalle „Nun will der Lenz uns grüßen“ war eine Reminiszenz an diese frühere Schaffensphase eines der weltbesten Kontrabassisten.

Ilgs neues Projekt „Otello“ – gerade erst mit einer Süddeutschlandtournee angelaufen – geht einen großen Schritt weiter. Giuseppe Verdis reifstes Bühnenwerk „Otello“, nach Shakespeares entzückte und begeisterte bei seiner Uraufführung an der Mailänder Scala im Jahr 1887 ganz Europa. Komposition und Dramaturgie flossen beim späten Verdi in fruchtbarer Synthese zu einer künstlerischen Einheit zusammen. Einheitlichkeit des Materials und Glaubwürdigkeit war Verdi höchstes Gebot. Die Einheit von Zeit und Raum spielt besonders im Quartett des 2. und im Finale des 3. Aktes des „Otello“ in der Gleichzeitigkeit der Darstellung innerer Gefühle der beteiligten Figuren eine bedeutende Rolle. Die stürmischen Aktivitäten Jagos, des eigentlichen Handlungsmotors, stehen den lyrisch-kontemplativen Emotionen der anderen Akteure: Otello, Emilia und Desdemona gegenüber. Es zeugt von Ilgs sorgfältigen Studien dieser Vorlage, wenn er nicht nur nach diesen Kriterien seinen Stoff aus der Verdioper auswählt, verdichtet und zu einem neuen eigenständigen Gebilde zusammensetzt, in dem jedes Detail im organischen Gesamtzusammenhang steht, sondern überdies die musikalischen Strukturen über die Zeit hinweg transformiert, gebrochen und gespiegelt im Jazzidiom in ganzheitlicher Interpretation konzertant auf die Bühne bringt. Im „Otello“ steht im Finale des 3. Aktes ein „Concertato“, in der Musik der konzertierende Wettstreit unter Gleichen. Einer der wenigen Hinweise in Ilgs sparsamer Moderation, just vor dieser Stelle, zeigte überdeutlich den intendierten gestalterischen Zugriff des Trios. Kongenial am großen Bösendorferflügel agierend wusste Rainer Böhm immer die richtigen Kontrapunkte zu setzen, perlende Improvisationen im rasanten Bopidiom „á la Jago“ standen neben pastellartigen Klangmalereien der beiden Mitstreiter und umgekehrt.  Patrice Heral an Schlagzeug und Live-Sampler beeindruckte nicht minder mit seinen komplexen, polyphon verdichteten Strukturen in selbstverständlicher Virtuosität. Auch wenn rhythmisch-melodische Zellen den Kern der ebenso populären, wie intellektuell anspruchsvollen Musik Verdis bilden, eingängige Tanz- und Marschrhythmen, reichhaltige Harmonik oder ein dialektisches Verhältnis zwischen Tradition und Neuerung den gestalterischen Zugriff auf Verdis Musik erleichtern – was dem Dieter-Ilg-Trio 2009 hier gelang, ist nicht nur intellektuell anspruchsvoll und in hohem Maße unterhaltsam, dieses Projekt wird mit großer Wahrscheinlichkeit (Jazz-) Musikgeschichte schreiben.

Gez. Dr. Helmut Schönecker