Steinway-Präsentation anlässlich des Musikschul-Jubiläums
Selbst der Drummer flippte aus und – lächelte
Eine geradezu unglaubliche stilistische Bandbreite umfasste das Programm des „Frieder Berlin Trios“ beim Flügel-Einweihungskonzert des Biberacher Jazzclubs anlässlich der Steinway-Präsentation zum 50jährigen Jubiläum der Bruno-Frey-Musikschule.
Vom in klassischer Werktreue interpretierten Ragtime bis zum stilsicher interpretierten Mainstream-Titel des modernen Jazz, vom tief empfundenen klassischen Blues zu soulig groovenden R&B-Titeln, von allseits bekannten Standards aus der Song- und Musicaltradition George Gershwins und Richard Rodgers zu sauber gearbeiteten Eigenkompositionen mit hohem Unterhaltungswert reichte die Titelauswahl des universellen Künstlers und seiner beiden dienstbaren Begleiter an Kontrabass und Schlagzeug, Peter Schmid und Hansi Schuller.
Doch wofür steht Frieder Berlin in künstlerischer Hinsicht? Wer ist Frieder Berlin? Der klassisch ausgebildete Schulmusiker und Musikwissenschaftler, der erfolgreiche SWR-Musikredakteur und Moderator oder das geigende Mitglied der jungen süddeutschen Philharmoniker? Oder ist Berlin primär der engagierte Musikproduzent seines renommierten Labels „Satin Doll Productions“, der Multi-Instrumentalist, dessen musikalischer Weg von der Saulgauer Schwaaz Vere’s Jazzgang über Erwin Lehns Stuttgarter Hochschul-Bigband bis zu verschiedenen eigenen Jazzformationen führt? Der souveräne Ausnahmemusiker mit den „Soul Fingers“, so der Titel seiner jüngsten CD-Produktion, kann und will es trotz all seiner vielseitigen Betriebsamkeit nicht verleugnen: Er ist in erster Linie ein begeisterter Musiker geblieben, der sich im Nahkampf mit dem Publikum immer wieder aufs Neue dem unmittelbaren Live-Feedback stellt. Angesichts der Titelwahl bedeutet das für ihn aber auch, sich dem unterhaltsamen und emotionalen Aspekt der Musik zu öffnen, Abstraktion und Akademisierung zu meiden, dem Publikum zu Gefallen sein und sich vom Brot aller Künstler zu nähren, dem Beifall.
Den ultimativen Kick dürfte er in Biberach zunächst nicht bekommen haben, zu brav und verhalten fielen die anfänglichen Reaktionen des Publikums aus, das analog zu den agierenden Musikern erst gegen Ende des Konzertes auftaute. War es die Ehrfurcht vor dem im fabrikneuen Mattglanz sanft erstrahlenden Steinway, der Berlin mit spitzen Fingern und solider Virtuosität aber ohne feurige Ausstrahlung zu Werke gehen ließ? War es die kühle Präzision und Professionalität des routinierten Technikers, die sich auf dem sensiblen Edelinstrument in Salon-Jazz und elaborierten Variationen verlor, statt sich in künstlerischem Selbstverwirklichungsdrang in wilde Improvisationen zu stürzen, oder waren es etwa die ausgefeilten, hochkomplexen Arrangements des Bandleaders, deren buchstabengetreue Umsetzung Konzentration und Kraft gebunden haben? Wie auch immer. Nach der Pause ging es stetig aufwärts, ein virtuoser Höhepunkt jagte den nächsten, eine gefällige Melodie wurde von der nächsten abgelöst und eine spezifische Interpretation von Gershwins Megaklassiker „I got rhythm“ als erste der heftig herbeigeklatschten Zugaben, brachte – so ein verzückter Zuhörer – den Abend auf einen Punkt: „Selbst der Drummer flippte aus und – lächelte.“
gez. Dr. Helmut Schönecker