02.02.2018: Nicole Johänntgen ‚Henry‘ – Jazzclub Biberach e.V.

02.02.2018: Nicole Johänntgen ‚Henry‘

Alte Jazz-Traditionen frech modernisiert

Nicole Johänntgen setzt neue Standards

BIBERACH – New Orleans Jazz mit Respekt aber ohne nostalgische Verklärung verarbeitet, belebt und aufgefrischt, aus dem Geist der Gegenwart neu überdacht, beseelt und mit überschäumender Spielfreude in eine authentische, überzeugend avantgardistische Form gegossen und damit neue Standards gesetzt hat Nicole Johänntgen mit ihrem schwedisch-deutsch-schweizerischen Quartett und ihrem aktuellen Programm „Henry“ beim Freitagskonzert des Jazzclubs im ausverkauften Jazzkeller.

Traditionellen Jazz ohne Geschichtsvergessenheit augenzwinkernd für die Gegenwart fruchtbar gemacht, inspiriert durch einen Besuch in der alten Jazzmetropole am Golf von Mexiko während eines halbjährigen Studienaufenthaltes in New York, hat die in Zürich lebende Saxophonistin und Komponistin auf der ihrem Posaune spielenden Vater Heinrich „Henry“ Johänntgen gewidmeten gleichnamigen CD. Fast greifbar wurde der Geist dieser Zeit über die vielen Jahrzehnte hinweg etwa im tieftraurig beginnenden Titel „Slowly“, der die vielzitierte Szene einer Prozession anlässlich der Beerdigung eines lieben Freundes heraufbeschwor. Obwohl sich, entgegen der ursprünglichen Tradition das Tempo auf dem Rückweg vom Friedhof nicht plötzlich änderte, blitzte doch in den virtuosen rhythmischen Passsagen des Schlagzeugs (Clemens Kuratle) immer wieder die Lebensfreude der Hinterbliebenen auf.

Hoch motiviert, voll konzentriert, mit hör- und sichtbaren Entzücken und unbändigem Spaß bis zur Selbstvergessenheit besonders in Titeln wie „Tanzbär“ oder „The Kids from New Orleans“, hier auch mit einer faszinierenden, hochvirtuosen Tuba-Improvisation von Jörgen Welander. Unter Verwendung der von Jazzlegende Albert Mangelsdorff entwickelten Technik des mehrstimmigen Spiels durch gleichzeitiges Hineinsingen ins Instrument verblüffte Welander ebenso wie der ihm auch darin in Nichts nachstehende Schweizer Posaunist René Mosele. Ob in bluesartig schwermütigen Titeln wie „Oh Yes My Friend“ mit kollektiven Improvisationen und typisch dreistimmigen Melodiepassagen, in tief melancholisch im larmoyanten Tonfall gehaltenen Titeln wie „They missed love“ oder in der als Hommage an „Nola“ eingefangenen heiteren Lebhaftigkeit und Leidenschaft der Jazzmetropole – immer war der respektvolle Umgang mit den Stilvorlagen spürbar.

Im zweiten Set schaukelte sich die wechselseitige Begeisterung von Musikern und Publikum schließlich zu einer ungeahnten Intensitätssteigerung auf, bei eifrig wippenden Füßen, Szenenapplaus und stimulierenden Zurufen war der berühmte Funke unverkennbar übergesprungen. Zwei von Johänntgen mitgebrachte völlig neue Kompositionen, noch mit Arbeitstiteln wie „Funky 2“ oder „Die weite Sicht“ versehen und gewissermaßen druckfrisch, wurden vor einem euphorischen Publikum zur Uraufführung gebracht und sofort begeistert gefeiert. Leidenschaftliche Improvisationen zwischen Saxophon und Posaune rissen auch hier die zahlreichen Gäste immer wieder zu Beifallsstürmen hin. Natürlich durfte die Topformation am Ende des kurzweiligen Konzertes nicht ohne eine Zugabe von der Bühne. Mit Arthur Blythes „One mint Julep“ erklang die einzige Fremdkomposition des Abends. Viele überzeugte Fans schleppten anschließend noch reihenweise handsignierte CDs mit nach Hause und Nicole Johänntgen hat wohl in Biberach erneut viele frische Follower gefunden.

Text & Fotos: H. Schönecker