Kritik – Seite 58 – Jazzclub Biberach e.V.

22.11.2002: Peter Lehel Quartett 

Peter Lehel Quartett am 24. November 2002 im Biberacher Jazzkeller

Entzückender Schön-Jazz mit Tiefenwirkung

Vom ersten rauchigen Saxophonton an zeigte der mehrfach preisgekrönte Peter Lehel im Biberacher Jazzkeller mit seinem Quartett die Klasse, die Kenner der Jazzszene von ihm gewohnt sind und schätzen. In zumeist balladesken Eigenkompositionen, die schönsten davon seiner ungarischen Herkunft verpflichtet, entwickelte der Karlsruher Peter Lehel in beseelten warmen Tönen seine Genre-Kompositionen mit je eigenem Stimmungsgehalt und Profil.

In innigem Miteinander vor allem mit dem ausgezeichneten Pianisten Uli Möck, gefühlvoll getragen von Mini Schulz am Kontrabass und rhythmisch gestützt von Dieter Schumacher am Schlagzeug, musizierte der gerade von einer China-Tournee zurückgekehrte Lehel eindrucksvoll und ausdrucksstark.

Seine koreanischen Impressionen bilden ebenso wie die tief empfundenen ungarischen Musiknummern Highlights in einem insgesamt exquisiten Programm. Dass Lehel damit jedoch nicht nur inhaltsarme Mode-Klischees folkloristischen Kolorits bediente war etwa in der niveauvollen Parodie eines ungarischen Csardas sinnfällig nachzuvollziehen. Ob das gefühlvolle „Schluchzen“ imaginärer Geigen im „Zigeunermoll“, charakteristische Tempomanipulationen wie das finale Accellerando, die ostinaten Quint-Wechsel-Bässe oder andere folkloristische Floskeln, alles wurde nur soweit überzeichnet, dass einerseits die Würde der Vorlage gewahrt blieb, andererseits aber der künstlerisch eigenständige Zugriff und die persönliche Integrität der Interpreten außer Zweifel stand. Gerade hierin zeigte sich die wahre künstlerische Größe, die ein Sujet schon dadurch erhöht und adelt, dass sie dieses aufgreift. Der kosmopolitisch, multikulturelle Ansatz von Lehel findet seine ästhetische Einbindung in einer überaus offenen Perspektive des Jazz als kommunikativem Prozess. Improvisationen stehen hier nicht für einen darstellerischen Selbstzweck narzisstischer Egomanen, sie sind  originäre rhetorische Ausdrucksformen und als solche eben auch in dialogische Interaktionen eingebunden. Was hier an anspruchsvoller musikalischer Unterhaltung, besonders zwischen Peter Lehel und Uli Möck, im Stile jazztypischer Dialogimprovisationen stattfand, gehörte zum Feinsten, was in letzter Zeit in Biberach zu hören war. Schade nur, dass lediglich eine kleine Schar von sachverständigen Jazzfans den Weg in den Jazzkeller fanden. So blieb einmal mehr eine vorzügliche Werbung für den Jazz als zeitgemäße – oder gar zeitlose (?) – Musiksprache in ihrem hermeneutischen Insider-Zirkel gefangen.

Von Dr. Helmut Schönecker

20.10.2002: Downtown Big Band 

Bigband-Konzert in der WG-Aula

Augsburger Bigband bläst Zuhörer an die Wand

Der eher ungünstige Zeitpunkt des Konzertes, am späten Sonntagabend, konnte die erklärten Bigbandfans unter den Biberachern nicht davon abhalten, das Sonderkonzert mit der renommierten „Down Town Bigband“ aus Augsburg in der Aula des Wieland-Gymnasiums zu besuchen. Und sie bekamen Bigband Power satt geboten. Dreizehn Bläser „unplugged“ sowie eine Rhythmusgruppe aus E-Gitarre, E-Bass, Klavier und Schlagzeug, in einigen Nummern bereichert um die stilistisch souveräne Jazzsängerin Sabrina Scharm unter der Leitung des Trompeters Robert Alonso heizten in der Aula so richtig ein und fetzten ihren Zuhörern beinahe die Ohren weg. Der Biberacher Jazzclub und der „Verein der Freunde und Ehemaligen des Wieland-Gymnasiums“ hatte den Auftritt der Augsburger Formation ermöglicht, die damit ihrerseits den fulminanten Schlusspunkt ihrer diesjährigen Probetage in Rot/Rot setzte.

Einer der wichtigsten Solisten des Abends, laut der launigen Ansage ein „Kind der Stadt Biberach“, ehemaliger WG-Schüler und langjähriger Saxophonist der WG Bigband, war Rüdiger Przybilla, der etwa in „Georgia on my mind“ auf seinem Altsaxophon expressiv parlierte. Mit seinem rhetorisch überformten Improvisationsstil gab er dem smarten Sammy Nestico-Arrangement Tiefe und Intensität, was vom Fan-Publikum durch lang anhaltenden Szenenapplaus belohnt wurde. Noch besser waren nur die Dialogimprovisationen in Johnny Burkes „Polka Dots and Moonbeams“, in denen er sich mit seinem Saxophonkollegen ein packendes Duell lieferte und damit gleich zwei Zugaben einforderte.

Für eine Profiband natürlich selbstverständlich, in der Livedarbietung dennoch immer wieder beeindruckend, kamen die komplementär verzahnten, knackigen Bläserriffs der bajuwarisch dynamischen Blechabteilung und das samtig-weiche, bei Bedarf aber auch in höchster Brillanz jubelnde Saxophon-Register herüber. Kaum zu glauben, dass hier nach drei anstrengenden Probetagen noch höchste Präzision und Disziplin herrschte, dass auch ohne Dirigent souveränes Zusammenspiel und flexibles Aufeinandereingehen selbstverständlich waren. Nur eines war offenbar mit dem bis an die Grenzen belasteten Ansatz der Bläser nicht mehr zu leisten: filigrane, differenzierte Pianostellen. Vor allem die charmante Vokalsolistin Sabrina Scharm sowie der Mann am Klavier, waren für die leisen, empfindsamen Töne allein  zuständig. Sensibel und ausdrucksstark gehörten beide zu den musikalischen Aktivposten.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

11.10.2002: Manfred Junker Quartett

Konzertbericht „Manfred Junker Quartett“, 11.Oktober 2002, Jazzkeller Biberach

Deutsch-schweizerisches Jazz-Quartett in bester Spiellaune

Junker ist Junker ist Junker

Das Konzert im Jazzkeller der Bruno-Frey-Musikschule vergangenen Freitag war kurzweilig, unterhaltsam, abwechslungsreich. Das Publikum wirkte nicht gerade frenetisch begeistert aber doch sichtlich zufrieden, entspannt, happy und – es hätte etwas zahlreicher sein dürfen. Denn das Quartett um Manfred Junker war hochkarätig, gut disponiert, gut aufeinander eingespielt, routiniert und professionell. Und es verkörperte geradezu ein hochinteressantes Konzept, in dem das gesamte Repertoire des Konzertabends ausschließlich auf spezielle Arrangements von Kompositionen Cole Porters sowie Originalkompositionen des Bandleaders Manfred Junker beschränkt war. Genau darin lag auch das System begründet: In der Beschränkung erweist sich der wahre Meister.

Junker ist erklärter Cole-Porter-Fan, und er hat dem populären Schöpfer von „Kiss me Kate“  oder „Night and Day“, der zu den produktivsten Lieferanten von Jazz-Standards überhaupt zählt, vor allem in melodischer Hinsicht auch manches abgeschaut: weitgespannte Melodielinien, mit Chromatik durchsetzte Themen, zahlreiche Triolen und Synkopen etwa. Doch zuerst und vor allem ist der Konstanzer Gitarrist Manfred Junker er selbst. Auch wenn er Porter spielt ist er ganz Junker, seine eigene Handschrift ist immer deutlich erkennbar. Seine Eigenkompositionen haben eine einprägsame Melodik und emotionalen Tiefgang gleichermaßen, und sie haben in dem jungen Schweizer Saxophonisten Reto Suhner einen höchstkompetenten Sachwalter, der ihnen mit heißem Atem Leben einhaucht.  Suhner und Junker fanden sich, neben ihren solistischen Höhenflügen auch immer wieder zu erfrischenden, kreativen Dialog-Improvisationen voller Humor und Hingabe.

Inspirierte Balladen in schlichter und ergreifender Schönheit, ohne falsches Sentiment mit raumgreifenden Improvisationen durchsetzt sowie die in Latin-Rhythmen oder kernigen Rock-Grooves  mitreißenden Nummern wurden gleichermaßen souverän getragen von einer uneigennützigen Basis aus dem in der Szene bestens eingeführten German Kleiber am Kontrabass und dem hochbegabten BUJAZZO-Mitglied Martin Deufel am Schlagzeug. Besonders herausragend im Programm waren Porters relaxed swingendes„After you“ und fast noch überzeugender Junkers Eigenkomposition “Quietude”, eine Ballade, welche die Zuhörer in die tiefsten Traumwelten abtauchen ließ um sie geläutert wieder daraus zurück zu holen.

Junker „taugt nicht auf den Marktplatz“, um mit Hölderlin zu sprechen. Er liefert keine billigen Effekthaschereien, keine aufgesetzten Attitüden, er überzeugt durch natürliche Sympathie und erfrischende Offenheit, durch echte und tief empfundene Musikalität in einem integeren Gesamtkonzept. Eine Musikalität die sich durch seine Person „hindurchgearbeitet“ hat, die gerade dadurch aber auch ausgereift, mitunter sogar abgeklärt wirkt. Von diesem Junker bitte mehr!