Kritik – Seite 56 – Jazzclub Biberach e.V.

17.06.2005: Manfred Junker Quartett

Manfred Junker Quartett im Jazzkeller

Durch erdigen Blues zu kosmischer Transzendenz

Natürlich hätten die sensiblen Vollblutmusiker um den Konstanzer Gitarristen Manfred Junker und den Rottweiler Bassisten German Klaiber ein viel größeres Publikum verdient gehabt, eben gerade weil ihre Musik nicht „auf den Marktplatz taugt“ und ohne falsches Pathos sofort zur Sache kommt. Die vier wackeren Schwaben, darunter mit Jochen Feucht und Matthias Daneck gleich zwei ehemalige Biberacher, taten am Freitagabend im sehr moderat gefüllten Jazzkeller demonstrativ nichts, was über eine direkte aber einfühlsame Interpretation ihrer Musik hinausging, das aber richtig gut.

Keine bekannten Standards, keine abgelutschten Genres, keine Effekthascherei oder überflüssige Schnörkel, kein leeres Virtuosentum oder billiges Andienen ans Publikum, null Bühnenshow, ergo: keine Ablenkung vom Eigentlichen und Wesentlichen, vom künstlerisch-musikalischen Kern der Dinge, vom reinen, bewegten Spiel der Töne. Inspiriert und beseelt, in unverfälschtem Natursound, ganz ohne Elektronik, nur mit akustischen Instrumenten, Gitarre und Kontrabass, Saxophon, Schlagzeug und einem Minimum an Verstärkung entfalteten die Kompositionen und Arrangements des Bandleaders eine geradezu kammermusikalische Intensität, ohne auch nur den Hauch von Angestrengtheit zuzulassen und vor allem ohne in die gefährliche Sprödigkeit dieses Genres zu  verfallen. In Jochen Feucht hat Junker einen kongenialen Partner gefunden, einen feinsinnig-expressiven Saxophonisten der bei aller musikalischen Präsenz und selbstverständlichen Virtuosität sich nicht in den Vordergrund spielt und das vielschichtige Gitarrenspiel Junkers überdeckt. Zwei ausdrucksstarke und dennoch dezente Frontmänner, die in gegenseitigem Respekt agieren und auch noch Platz für die voll emanzipierten Hintermänner lassen, arbeiten am gemeinsamen Ziel: an guter, ehrlicher Musik. Von entrückten Soli, sorgfältig elaborierten Unisonopassagen, meist zwischen Gitarre und Saxophon, von artifiziell kontrapunktischen oder beiläufig dialogisierenden Passagen, von einprägsamen Ostinati zu flüchtigen Aphorismen reichte die strukturelle Palette einer Musik, die gerade soweit vom Mainstream entfernt war um das Nachdenken darüber zu befördern. Das hintersinnige Spiel mit verschiedenen Genres ersetzte in Junkers Quartett den platten Eklektizismus der Einfallslosen, die mit Bombast und Abwechslung bis zum Abwinken, mit fremdem, unverdauten Material doch nur ihre eigene innere Leere kaschieren. Junkers Musik hat etwas, was heute selten geworden ist: sie hat etwas zu sagen. In der zugegebenen Ballade „Quietude“ von der neuen CD „Directions“ schien dieses Etwas gar in kosmische Dimensionen vorzustoßen: „Friede sei mit euch“.

Dr. Helmut Schönecker

25.02.2005: Kölner Saxofon Mafia

Auftaktveranstaltung von „Brass Mission“ war ein „Knaller“

Kosmische Saxophonklänge Kölner Mafiosi

Verblüfftes Kopfschütteln war die vorherrschende Reaktion der zahlreichen Gäste im rappelvollen Jazzkeller als die vier international renommierten Kölner Saxophon-Mafiosi am Freitagabend machtvoll in ihr Horn stießen um die „Brass Mission“ – Veranstaltungsreihe der Stadt Biberach zu eröffnen. Doch alsbald ersetzte eine beständig zunehmende Begeisterung die anfängliche Verwunderung. Immer häufiger blitzte das Erkennen auf, wenn skurrile, oftmals hintergründige Arrangements auf humorvolle Art das musikalische Sein und Werden abseits der ausgetretenen Pfade von ungewohnten und unerwarteten Seiten beleuchtete.

 

Dass die Ausdruckspalette des Saxophons diejenige der meisten arrivierten Vertreter des klassischen Instrumentariums in vielerlei Hinsicht übertrifft demonstrierten die vier Kölner Ausnahmemusiker in rundum überzeugender Weise. Vom zarten Lufthauch über den sonoren klassischen Schönklang bis zum geräuschhaft-urgewaltigen Schiffssirenenklang, von den dunkel-weichen, einschmeichelnden Tönen der Bassklarinette oder den kernigen Tiefen des Basssaxophones bis in die höchsten, glasklaren oder gar schrillen Höhen des kleinsten Instrumentes der Saxophonfamilie, dem Sopranino, erklangen alle denkbaren – und manche undenkbaren – Klangfarben. Höchste Virtuosität und perfekte Beherrschung auch ausgefallener Spieltechniken schienen wie selbstverständlich. Bemerkenswert etwa die höchst perfektionierte Zirkularatmung von Steffen Schorn, mittels derer ihm auf dem Baritonsaxophon fast unendlich lange Töne, etwa nach Art des australischen Didgeridoos, gelangen. All dies diente jedoch keinem Selbstzweck oder wurde gar für ein falsches virtuoses Imponiergehabe missbraucht. Die seit den frühen 1980er Jahren bestehende „Kölner Saxophon Mafia“, der neben Steffen Schorn noch Roger Hanschel, Wollie Kaiser und Joachim Ullrich angehören, zeigte in ausgereiften Eigenkompositionen und mit perfektem Zusammenspiel, dass künstlerischer Anspruch und kurzweilige, amüsante Unterhaltung keinen unauflösbaren Gegensatz darstellen müssen.

 

Die meisten Titel des Programmes entstammten der wiederholt angepriesenen neuesten CD-Produktion „spaceplayer“  – man muss ja schließlich von etwas leben – und ließen gegenüber manchen frühen Titeln Versöhnliches erklingen. Auch nach der wildesten Hatz durch ostinate oder polyphone Strukturen, wie etwa in den „Klingonenträumen“ von Wolli Kaiser oder in Hanschels „The disappearance of space and time“, stand am Ende dissonanter Schichtungen häufig die demonstrativ choralartig harmonische Schlusskadenz. Im Ullrichs Titel „Letzten Donnerstag in der Zeitschleife“ fanden sich etwa auffällig gesetzte programmatische Anklänge an den Stundenschlag vom Londoner Big Ben als Assoziation zur Zeit. Hier gelang vielleicht die sinnfälligste Anspielung auf den tieferen Sinn dieser Musik: Hineintauchen und dabei jedes Gefühl für Raum und Zeit verlieren.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

28.01.2005: Torsten Steudinger „Changes“

Vielversprechende Auftaktveranstaltung zu „Sax in the City“ im Jazzkeller

Musikalische Chamäleons mit Hang zur Poesie

Vor vollem Hause eröffnete das Mannheimer Jazzquintett um Torsten Steudinger und Olaf Schönborn mit ihrem aktuellen Projekt „Changes“ im Biberacher Jazzkeller die neue Konzertreihe des Biberacher Jazzclubs, die sich heuer ganz dem Saxophon widmet.
Der Frontmann am Alt- und Sopransaxophon, der mit typisch „Mannämer Gosch“ das Programm moderierte, dominierte auch musikalisch die Formation des Pforzheimer Kontrabassisten und Komponisten Steudinger, der sich selbst dezent im Hintergrund hielt. Gut strukturierte Arrangements mit einprägsamen, weitgespannten Melodien und eine atmosphärisch dichte Interpretation mit einem derb zupackenden Groove komplementär-rhythmisch angelegter Strukturen ließen die eisigen Temperaturen vor der Tür schnell in Vergessenheit geraten und die gefühlte Temperatur rasch ansteigen. Die Rhythmusgruppe, bestehend aus Schlagzeuger Lars Binder, dem Gitarristen Daniel Stelter sowie dem Bandleader, trug ihren Saxophonisten gewissermaßen auf Händen und ließen diesem viel Freiraum für seine melodischen Improvisationen, die immer dort am besten waren, wo er sich um die Umsetzung poetischer Bilder bemühte, sich darin verlor und oftmals zu ekstatischer Intensität steigerte.
Die durch ein gemeinsames Studium an der Mannheimer Musikhochschule verbundenen Musiker deckten mit ihren veritablen Eigenkompositionen eine große stilistische Bandbreite mit starken Fusion-Tendenzen ab. Wofür allerdings die Projektbezeichnung „Changes“ steht, für Veränderung und Wandel oder doch eher für die traditionelle „Harmoniefolge“, war aus der Struktur ihrer Musik kaum zu entnehmen. Obwohl die Musiker keine Experimente wagten – die zumeist gefälligen, mitunter auch virtuosen Improvisationen waren auf weite Strecken durch beinahe schulmäßig eingesetzte Sequenzierungstechniken und Skalenspiel geprägt, konventionelle Akkordfolgen („changes“), ostinate Fügungen innerhalb tonaler Zentren oder repetitive „Vamps“ herrschten vor – vermochten sie ihr Publikum zu fesseln.
Im zweiten Set ließen Kondition und gestalterische Kraft allerdings etwas nach, die Dramaturgie der sämtlich auf der aktuellen CD „Changes“ verewigten Stücke flachte ebenso ab, wie der Beifall. Das Auseinanderfallen kontrastierender Stilelemente bei vermindertem Energieeinsatz erwies sich einmal mehr als eklektizistische Fußangel für musikalische Chamäleons. Besonders beim etwas farblos wirkenden Stuttgarter Ersatz für den aus Ravensburg stammenden Klassepianisten Rainer Böhm zeigten sich die Schwächen des Konzeptes. Leider gab es keine Erklärung fürs Publikum, weshalb Böhm nicht auf der Bühne stand (ein kurzfristiges Engagement beim WDR, konnte man auf Nachfrage hören). Schade eigentlich, denn trotz guter Ansätze schien mit Rainer Böhm auch die Seele des Projektes zu fehlen, eines Projektes das durchaus die Chance auf neue Wege eröffnet, mit dem Ziel in kraftvoller Dynamik die stilistische Vielfalt unserer Zeit in einem eigenen, überzeugenden Personalstil zu konkretisieren.

Gez. Dr. Helmut Schönecker